Wenn dieser Tage das Buch Against the World der Chicagoer Historikerin Tara Zahra in deutscher Übersetzung als Gegen die Welt erscheint, dann muß sich der potentielle Leser keine Fragen über die inhaltliche Stoßrichtung stellen.
Aus den im originalen Untertitel erwähnten Anti-Globalism and Mass Politics Between the World Wars hat man bei Suhrkamp vorsorglich Nationalismus und Abschottung in der Zwischenkriegszeit gemacht, um das Publikum hierzulande bei seinen anerzogenen Ressentiments gegenüber einem Fokus auf das Eigene zu packen.
Die gleiche Klaviatur bespielen – durchaus erfolgreich – unsere Medien erneut, spätestens seit klar ist, daß Donald Trump ein weiteres Mal als Kandidat der US-Republikaner ins Rennen um die Präsidentschaft geht, das sich am 5. November dieses Jahres entscheiden wird: Deutsche Politiker und Wirtschaftskreise würden bereits die Optionen im »schlimmsten Fall«, nämlich Trumps Wahlsieg, prüfen, der NATO stehe eine Zerreißprobe bevor, die Amerikaner könnten ihre europäischen Verbündeten im Stich lassen und so fort.
Mit diesem nicht zuletzt globalistisch-wirtschaftlich motivierten Alarmismus gern verknüpft wird der griffige Slogan »America first!«: seitens der Befürworter, wie des Standortnationalisten Stephen Bannon (1) oder des medialen Trittbrettfahrers Nicholas Fuentes, wegen des willkommenen begrifflichen Lavierens zwischen Voranstellung von US-Interessen einerseits und Abwendung von außenpolitisch-militärischen Abenteuern andererseits; von den Gegnern im politisch-medialen Establishment hingegen aufgrund des direkten Bezugs auf das »America First Committee« von 1940, das die USA davor bewahren wollte, sich von Großbritannien in den Zweiten Weltkrieg ziehen zu lassen (also heute als fünfte Kolonne des Dritten Reichs dasteht), und dabei übersah, daß die amerikanische Elite ein Eigeninteresse am Kriegseintritt hatte.
Die Parole selbst stammt ursprünglich von einer US-Kampagne gegen befürchtete katholische Einflußnahme aus den 1850ern. Blickt man allerdings auf die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika zurück, so fällt ins Auge, daß die damit auf den Punkt gebrachten Artikulationen einer Splendid isolation – beginnend mit der »isolationistischen« Monroe-Doktrin von 1823 als Auftakt einer Landraubpolitik auf dem nordamerikanischen Kontinent – letztlich nur vorgeschobene Akte der Zurückhaltung waren, um sich für innere wie äußere Konsolidierung (und Aufrüstung) mehr Zeit und einen erhöhten moralischen Standpunkt zu verschaffen.
Viele Beobachter, nicht nur in den USA, haben seit seinem Eintreten in den Präsidentschaftswahlkampf am 16. Juni 2015 das »Argument« ins Feld geführt, Donald Trump sei zwar grundsätzlich der sich am ehesten für die Interessen der amerikanischen (Noch-)Mehrheitsbevölkerung aussprechende Kandidat, doch aufgrund seines oft vulgären Duktus und seines ausschweifend-liederlichen Lebensstils trotzdem anrüchig. Politik im Sinne der guten, alten überkommenen Werte brauche vielmehr einen frommen Christen, ehrbaren Ehemann und Familienvater etc. – Vorbehalte, die vom liberalen Medienbetrieb nur zu gern aufgegriffen und verstärkt wurden, etwa indem Trump auf die Behauptung hin, die Bibel sei sein »Lieblingsbuch«, nach ihm wichtigen konkreten Stellen befragt wurde und keine Antwort zu geben wußte.
Während der gewesene 45. Präsident der Vereinigten Staaten keineswegs über Kritik erhaben ist, ist Anhängern solcher Mäkeleien gleichwohl entgegenzuhalten, wie es auch bereits vielfach getan wurde: Einen ebensolchen Musterverfechter der Interessen angestammter Amerikaner mit tadellosem Lebenswandel gab es bereits vor geraumer Zeit. Sein Name war Patrick »Pat« Buchanan, und er versuchte die gesamten 1990er hindurch, die USA aus ihrer unverhofften imperialen Rolle als »einzige Weltmacht« nach dem Zusammenbruch des Ostblocks herauszuführen.
Bereits damals zeigte sich, daß gegen einen solchen, dezidiert und ausschließlich auf amerikanische Interessen fokussierten Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur sofort das gesamte Washingtoner Establishment zusammenrückte, um ihn von allen verantwortungsvollen Positionen fernzuhalten – auch und gerade in aktiver Zurückweisung des Wählerwillens, auch und gerade seitens seiner eigenen Republikanischen Partei, welcher er vor einer dritten Demütigung 1999 den Rücken kehrte und 2000 als Kandidat der establishmentkritischen Reform Party – einer Art »Alternative für Amerika«, einschließlich der gegen sie unternommenen Winkelzüge des Systems – ins Rennen ging.
Diese schmachvolle Behandlung konnte gar nicht anders kommen, weil infolge des eigentümlichen Auftretens von US-Republikanern und ‑Demokraten in allen essentiellen politischen Fragen als geschlossene Uniparty (so der »neoreaktionäre« Kritiker Curtis Yarvin alias »Mencius Moldbug«) eine isolationistische – oder gar, horribile dictu, pazifistische – Position im heutigen Amerika gleichbedeutend mit Fundamentalopposition ist.
Und dieser Umstand ließ Buchanans mageren Unterstützerkreis um so schillernder aussehen: Da waren Bewohner des rechtslibertär-kulturkonservativen Niemandslands, etwa Bill Kauffman. Dieser war ursprünglich Mitarbeiter des demokratischen New Yorker Senators Daniel Patrick Moynihan gewesen, eines für seine vernichtende Kritik an der Sozialpolitik gegenüber Schwarzen – The Negro Family, 1965 – berüchtigten langgedienten Regierungsberaters und US-Botschafters in Indien sowie bei den Vereinten Nationen.
Kauffmans Einblicke in das Treiben innerhalb des Beltway (der riesige Autobahnring der Interstate 495, der als »Capital Beltway« in der US-Umgangssprache die Politiker und Lobbyisten der Hauptstadt Washington, D. C., vom Rest des Lands und Volks abtrennt) machten ihn laut eigener Aussage zu einem »Anarchisten«, weshalb er nach zweieinhalb Jahren hinwarf und sich seither als politisch eklektizistischer Autor vom paläokonservativen Magazin American Conservative über das neokonservative American Enterprise bis hin zum linksradikalen Rechercheblog CounterPunch betätigt.
Neben diesen Leuten standen Ausgestoßene des republikanischen »Filzes« wie Buchanan selbst, an erster Stelle dessen Berater und Redenschreiber Samuel »Sam« Francis, ein streitlustiger Kolumnist und ehemaliger Politanalyst der kulturkonservativen Denkfabrik Heritage Foundation (die dieser Tage wieder ihren Platz in einem möglichen Trump-Schattenkabinett sucht). Francis war erbitterter Gegner der neokonservativen Übertölpelung der US-Rechten unter Reagan und einer absehbaren neuen, diesmal globalen Ära des Interventionismus.
Nachdem ihm sein Zugang zur konservativen Presselandschaft verbaut worden war, konzentrierte er sich als einer der ersten echten »Metapolitiker« jenseits des Großen Teichs auf den Aufbau von viel später zur Alt-Right gezählten Gegeninstitutionen, darunter das dissidente Kulturorgan The Occidental Quarterly sowie das National Policy Institute. (2) Und dann war da noch ein schillernder New Yorker Geschäftsmann namens – Donald Trump, der vor allem aus Prestigegründen um eine 2000er-Präsidentschaftsnominierung der Reform Party warb und nach dem Scheitern und einer Konversion zum Parteigänger der Demokraten seinen Konkurrenten öffentlichkeitswirksam als Rassisten und Freiheitsfeind anprangerte, was die öffentliche Wahrnehmung der Reformisten irreparabel schädigen sollte.
Gut genug war ihm Buchanan dann aber doch, um dessen erfolgreichen Wahlkampfslogan »America first!« zu plagiieren: Im November 2015, wenige Monate nach seinem Eintritt in den Vorwahlkampf, sollte Trump ihn erstmals gebrauchen und für seine eigene außen- und wirtschaftspolitische Vision reklamieren.
Die Parole hat damit ihren Weg von präsidentieller Establishmentpolitik über zivilgesellschaftliches Engagement zurück in den üblichen Politikbetrieb gefunden, und das gilt heute mehr denn je auch für die mit ihr assoziierten Standpunkte. Alle scheinbaren »Dissidenten«, die sich zumindest verhalten gegen fortgesetzte globale Militärabenteuer der USA und eine Eskalation in der Levante geäußert haben, sind nach dem 7. Oktober 2023 lautstark auf Mainstreamkurs eingeschwenkt – auf demokratischer Seite allen voran Robert F. Kennedy Jr. sowie die ehemalige Kongreßabgeordnete von Hawaii, Tulsi Gabbard; bei den Republikanern beispielsweise die als mögliche Vizepräsidentin unter Trump gehandelte Gouverneurin des Bundesstaats South Dakota, Kristi Noem.
Die jüngsten und noch jetzt aktuellen, von sich selbst und den Medien als »hart rechts« dargestellten republikanischen Aushängeschilder, nämlich die Gouverneure von Florida und Texas, Ron DeSantis und Greg Abbott, sowie nicht zuletzt auch Donald Trump selbst sind ohnehin stets als betonte Parteigänger Israels aufgetreten.
Und es ist ja durchaus nicht so, daß es seinerzeit unter Trump zu einer merklichen Verringerung der weltweiten US-Einflußnahme auf andere souveräne Staaten gekommen wäre: Allein gegen Rußland beispielsweise wurden zwischen 2017 und 2021 mehr als 50 neue Sanktionen verhängt oder bestehende verlängert. Seine jüngste Positionierung gegenüber den amerikanischen Anstrengungen, eine weitere Verlängerung des Ukrainekriegs zu erreichen, läßt sich mit viel gutem Willen als Vermeidung eines ins Chaos gestürzten Kongresses interpretieren: Trump lobte nämlich den republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, der das vom rechten Parteiflügel verbissen bekämpfte 95-Milliarden-Finanzierungspaket für die Ukraine, Israel und Taiwan mit Unterstützung der Demokraten durchsetzen konnte.
Keinen Deutungsspielraum läßt hingegen Trumps Unterstützung des Kriegstreibers Abraham Hamadeh, der als republikanischer Kandidat des Bundesstaats Arizona für das Repräsentantenhaus antritt, gegen den Militärinterventionen kritisch gegenüberstehenden – und weißen – Mitbewerber Blake Masters.
Beides kann auch als Fingerzeig verstanden werden, daß eine erneute Trump-Präsidentschaft den gleichen strukturellen Schwächen wie die erste unterliegen dürfte, insbesondere durch die Einbindung ganz offen interventionistischer Funktionäre in Spitzen- und mittleren Positionen. Diese bringen sich nach dem Scheitern ihres bevorzugten republikanischen Präsidentschaftsanwärters, des Florida-Gouverneurs Ron DeSantis, tatsächlich bereits wieder in Stellung.
Da sind beispielsweise der ehemalige Nationale Sicherheitsberater (Trumps vierter) Robert O’Brien, ein politisches Relikt aus der Bush-Ära und Verfechter maritimer Aufrüstung, und dessen damaliger Stellvertreter, Matthew Pottinger, der sich nach seinem Rücktritt in Reaktion auf den »Sturm auf das Kapitol« im Rahmen der Israellobby (Foundation for Defense of Democracies) und der libertären Denkfabrik Hoover Institution positioniert hat. Beide Männer sind für ihre »Falken«-Haltung gegenüber China bekannt und treten unter anderem für eine Zusammenarbeit zwischen der taiwanesischen, der japanischen und der israelischen Armee unter US-Schirmherrschaft ein.
Ebenso wieder aktiv geworden ist beispielsweise der altgediente neokonservative Intrigenschmied Elliott Abrams, der 1991 wegen seiner Beteiligung an der Iran-Contra-Affäre verurteilt worden war, als Vertreter des berüchtigten »Project for a New American Century« einer der Architekten des Irakkriegs war und es als ausdrücklicher Trump-Gegner dennoch in dessen außenpolitisches Spitzenpersonal schaffte, um einen Regime change in Venezuela und im Iran herbeizuführen. Daß die »alte Garde« der Trump-Außenpolitik-»Experten« – allen voran Bannon – ebenfalls schon wieder mit den metaphorischen Hufen scharrt, bedarf fast nicht mehr der Erwähnung.
Zynisch gesagt: »America first!« bedeutet in unseren Tagen nicht mehr und nicht weniger als »Für Israel und die Ukraine, gegen die BRICS-Staaten!« Das macht diese Politik vor allem aktuell zu einem Pulverfaß: Zum fortlaufenden Stellvertreterkrieg mit Rußland in der Ukraine sowie den israelisch-arabisch-persischen Paroxysmen im Nahen Osten gesellt sich das hohe Eskalationspotential im Pazifik infolge des Davidson window (der scheidende Kommandant des US-Regionalkommandos, Admiral Philip Davidson, hatte 2021 das Zeitfenster einer maximalen möglichen militärischen Machtentfaltung Chinas in der Region – sprich: gegen Taiwan – auf die folgenden sechs Jahre beziffert).
Doch blickt man auf den Grund der Dinge und macht sich frei von Nebensachen (wie den jeweils konkreten Ländern statt der von diesen manifestierten Positionen innerhalb einer schwankenden globalen US-Hegemonie), dann kann man sich nur die rhetorische Frage stellen: War es in den vergangenen 250 Jahren jemals anders? Und auch wenn man nach vorn blickt auf die Wahl im November, für die viele einem angeblich schon ausgemachten Triumph von »Zion Don« mal mehr, mal weniger bange entgegensehen, muß ohne alberne Nostalgie doch einmal gesagt werden: Schlimmer könnte es tatsächlich immer kommen.
Denn sollte Trump noch als Spitzenkandidat ausfallen, etwa durch die oft beschrieene Haftstrafe, dann würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seine zuletzt aus dem Rennen ausgestiegene Langzeitherausforderin Nimarata Nikki Haley für ihn nachrücken – ebenjene aggressive Neokonservative Haley, die er selbst 2017 gern zur Außenministerin ernannt hätte und schließlich als Botschafterin zu den UN schickte. Haley entgegnete im August 2023 ihrem ebenfalls indischstämmigen, sich als jüngerer Trump 2.0 inszenierenden Mitbewerber Vivek Ramaswamy auf dessen Forderung, die Militärhilfe für Israel zu verringern, zornig: »Nicht Israel braucht uns, sondern wir brauchen Israel!«, und ermunterte das israelische Kriegskabinett zu harten Schlägen gegen den Gazastreifen und den Iran. Da hätten die republikanischen Wähler dann ihr »America first!« – einmal mehr.
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(1) – Vgl. Nils Wegner: »Nemesis des Establishments – Das Modell ›Breitbart News‹«, in: Sezession 75 (Dezember 2016), S. 36 f.
(2) – Vgl. Nils Wegner: »Den Schmelztiegel entmischen – Rechte Dissidenz in den USA«, in: Sezession 69 (Dezember 2015), S. 42 f.