Kryptowährung und Dissidenz

von Tobias Kaiser -- PDF der Druckfassung aus Sezession 120/ Juni 2024

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Stel­len Sie sich vor, Sie gehen zu Ihrer Haus­bank, anbei ein Kof­fer mit Bar­geld im Wert von zwei Mil­lio­nen Euro.

Den wuch­ten Sie auf den Tre­sen der nächs­ten frei­en Ange­stell­ten und sagen: »Das hier muß auf ein Kon­to in Moga­di­schu über­wie­sen wer­den, mög­lichst inner­halb der nächs­ten 15 Minu­ten«. Sie rau­chen eine Ziga­ret­te, und dann hän­digt man Ihnen den Über­wei­sungs­nach­weis aus. Das Gan­ze hat Sie vier Euro gekostet.

Die­se Zah­len sind nicht aus der Luft gegrif­fen. In der ers­ten April­wo­che 2024 waren vier Euro in der Regel aus­rei­chend, um eine Bit­co­in-Trans­ak­ti­on inner­halb von 15 Minu­ten aus­zu­füh­ren, unab­hän­gig davon, wie groß die Men­ge war, die ver­scho­ben wer­den soll­te. Für ­Ethe­re­um, die zweit­größ­te Kryp­to­wäh­rung, sehen die Zah­len ähn­lich aus.

Ver­wen­de ich das Arbi­trum-Netz­werk, eine auf Ethe­re­um auf­ge­setz­te »Lay­er 2 Block­chain«, ver­rin­gert sich der Preis sogar auf den Bruch­teil eines Cents. In bei­den Fäl­len beträgt die Aus­füh­rungs­zeit nur ein paar Sekun­den. Weni­ger benutz­te Block­chains ermög­li­chen Trans­ak­tio­nen zu noch gerin­ge­ren Gebüh­ren und in noch schnel­le­rer Ausführungszeit.

Wor­über spre­chen wir? Unter Block­chains ver­steht man die Tech­no­lo­gie, auf der Krypto­währungen auf­ge­baut sind. Im Prin­zip kann man sich eine Block­chain vor­stel­len wie ein öffent­lich ein­seh­ba­res, ver­teil­tes Regis­ter, in das alle Trans­ak­tio­nen ein­ge­tra­gen wer­den. »Ver­teilt« oder auch »dezen­tral« bedeu­tet in die­sem Fall, daß das­sel­be Regis­ter von vie­len Teil­neh­mern gleich­zei­tig geführt wird. Sie bün­deln ein­ge­hen­de Trans­ak­tio­nen in Blö­cken, die dann als Ket­te auf­ge­reiht wer­den. Durch einen Kon­sens­me­cha­nis­mus wird gewähr­leis­tet, daß alle Teil­neh­mer exakt den­sel­ben Block als nächs­tes in die Ket­te ein­tra­gen. Krypto­graphische Siche­rungs­ver­fah­ren sor­gen dafür, daß die­se Blö­cke nicht nach­träg­lich ver­än­dert wer­den kön­nen. Dadurch wird ein hohes Maß an Fäl­schungs­si­cher­heit erreicht.

Die ers­te funk­tio­nie­ren­de Block­chain, Bit­co­in, wur­de 2009 von einem Kryp­to­gra­phen, der sich selbst Sato­shi Naka­mo­to nann­te, vor­ge­stellt. Bis heu­te kön­nen wir nur spe­ku­lie­ren, wer sich hin­ter die­sem Pseud­onym ver­birgt. 2015 gelang mit Ethe­re­um der nächs­te Durch­bruch. Ethe­re­um ermög­lich­te es, belie­big pro­gram­mier­ba­re Geschäfts­lo­gi­ken, soge­nann­te Smart Con­tracts, auf der Block­chain zu hin­ter­le­gen. Sie bil­den die Grund­la­ge für die dezen­tra­le Finanz­wirt­schaft (»DeFi«). Dadurch wur­de es unter ande­rem mög­lich, Kryp­to­wäh­run­gen zu erstel­len, die etwa an den Preis des US-Dol­lar oder einer Unze Gold gekop­pelt sind. Auf dezen­tra­len Han­dels­platt­for­men, die eben­falls auf Smart Con­tracts auf­bau­en, kann man pro­blem­los eine Kryp­to­wäh­rung in eine ande­re umtau­schen, ohne einen Iden­ti­täts­nach­weis erbrin­gen zu müssen.

Dank der dezen­tra­len Natur von Block­chains – da es kei­ne ein­zel­ne Instanz gibt, wel­che das Netz­werk über­wacht – ist es nicht mög­lich, Trans­ak­tio­nen zu zen­sie­ren. Dadurch bie­ten sich gera­de für Dis­si­den­ten eini­ge Vor­tei­le. Da poli­tisch unbe­que­me Per­so­nen lei­der auch in Euro­pa immer häu­fi­ger von Bank­dienst­leis­tun­gen abge­schnit­ten wer­den, haben sie damit nicht nur die Mög­lich­keit, wei­ter­hin digi­ta­le Zah­lun­gen (bei­spiels­wei­se Spen­den) zu erhal­ten und zu ver­sen­den, son­dern kön­nen auch in Finanz­pro­duk­te wie digi­ta­le Gold­zer­ti­fi­ka­te investieren.

Als bei­spiels­wei­se 2022 die kana­di­sche Regie­rung als Reak­ti­on auf die Anti-Impf­pflicht-Pro­tes­te vie­len Tru­ckern ihre Bank­kon­ten ein­fror, erwie­sen sich Kryp­to­zah­lun­gen als aus­ge­zeich­ne­tes Mit­tel, mit dem durch Spen­den der Frei­heits-Kon­voi unter­stützt wer­den konn­te. Spen­de oder Ein­kauf: Vor­aus­set­zung ist, daß bei­de Sei­ten mit Kryp­to­wäh­run­gen arbeiten.

Da den auf Block­chains geführ­ten Kon­ten (»Wal­lets«) nur eine pseud­ony­me ­Adreß­num­mer zuge­ord­net wird, bie­ten Block­chain-Trans­ak­tio­nen auch ein gewis­ses Maß an Anony­mi­tät. Und wird die poli­ti­sche Situa­ti­on so kri­tisch, daß man sich gezwun­gen sieht, aus dem Land zu flie­hen, erwei­sen sich Kryp­to­wäh­run­gen eben­falls als nütz­lich. Bei­spiels­wei­se läßt sich eine Hard­ware-Wal­let – eine auf einem spe­zi­ell gesi­cher­ten USB-Gerät gespei­cher­te Wal­let – leich­ter trans­por­tie­ren und bes­ser vor den Behör­den ver­ste­cken als ein Gold­bar­ren oder ein Bün­del Bar­geld oder eine Zahnbürste.

Im Gegen­satz zu Bar­geld exis­tie­ren außer­dem kei­ne Ober­gren­zen für die Geld­men­ge, die man auf die­se Wei­se mit sich füh­ren kann. Zusätz­lich erhält man beim Erstel­len einer Wal­let eine soge­nann­te mne­mo­ni­sche Phra­se, bestehend aus meist zwölf eng­li­schen Wör­tern, mit denen die Wal­let von jedem Gerät aus wie­der­her­ge­stellt wer­den kann. So etwas kann man aus­wen­dig ler­nen, und es ermög­licht einem im Ziel­land den Zugriff auf das hin­ter­leg­te Geld.

Ganz beson­ders zeigt sich die Viel­sei­tig­keit der Block­chain-Tech­no­lo­gie für Netz-Dis­si­den­ten dar­in, daß auch gro­ße Daten­men­gen wie Video­da­tei­en dezen­tral und damit zensur­resistent gespei­chert wer­den kön­nen. Bei­spiels­wei­se such­te ich kürz­lich nach einem bestimm­ten ­Video eines bekann­ten, geschei­ter­ten Grunge-Musi­kers, das lei­der schon vor Jah­ren von You­Tube gelöscht (sprich: zen­siert) wor­den war. Ich fand es schließ­lich auf dem dezen­tra­len sozia­len Netz­werk Steemit.

Dort wur­de es von einem unbe­kann­ten Drit­ten hoch­ge­la­den, und es ist extrem unwahr­schein­lich, daß es jemals gelöscht oder ver­än­dert wer­den wird. Der­zeit lau­fen meh­re­re Pro­jek­te, um das Lebens­werk des Aron P. auf You­Tube und ande­ren Strea­ming-Platt­for­men wie­der ver­füg­bar zu machen, wobei vor allem auf dezen­tra­le Spei­che­rung gesetzt wird – ent­we­der pri­vat oder auf Blockchain-Basis.

Das Bei­spiel von Stee­mit zeigt auch, daß es prak­tisch unmög­lich ist, Block­chains tat­säch­lich zu zen­sie­ren. Als 2020 der chi­ne­si­sche Unter­neh­mer Jus­tin Sun das Netz­werk feind­lich über­nahm, fürch­te­te die Stee­mit-Com­mu­ni­ty genau dies. Eine Lösung war jedoch schnell gefun­den: Da vie­le ver­schie­de­ne Teil­neh­mer eine exak­te Kopie der Block­chain mit­samt allen Bei­trä­gen auf dem sozia­len Netz­werk führ­ten, konn­te man ein­fach an einem vor­her fest­ge­leg­ten Zeit­punkt die gesam­te Block­chain tei­len, ein­schließ­lich aller Kon­to­stän­de, mit Aus­nah­me der Kon­ten, die mit Jus­tin Sun asso­zi­iert waren. Die Com­mu­ni­ty führt das Netz­werk bis heu­te dezen­tral ver­wal­tet und ohne den Ein­fluß von Jus­tin Sun unter dem Namen Hive weiter.

Sol­che »Forks«, also Abspal­tun­gen von einer Ursprungs-Block­chain, zei­gen, daß Block­chain-Tech­no­lo­gie geleb­ter Dis­sens ist. Tref­fen die zustän­di­gen Ent­schei­dungs­trä­ger eines Block­chain-Pro­jekts Ent­schei­dun­gen, mit denen Tei­le der Nut­zer nicht ein­ver­stan­den sind, kön­nen sich die­se jeder­zeit von dem Pro­jekt abspal­ten und am sel­ben Aus­gangs­punkt auf eige­ne Faust wei­ter­ma­chen. Man kann es sich in etwa so vor­stel­len wie ein fest ein­pro­gram­mier­tes Recht auf digi­ta­le Sezession.

Die Mög­lich­kei­ten dezen­tra­ler Tech­no­lo­gien haben sich natür­lich her­um­ge­spro­chen. Es gibt zahl­rei­che Berich­te von Dis­si­den­ten­grup­pen aus aller Her­ren Län­der, ein­schließ­lich sogar Nord­ko­rea, für die Block­chain-Tech­no­lo­gie heu­te unver­zicht­bar gewor­den ist. Mit Aus­bruch des Krie­ges haben auch Ruß­land und die Ukrai­ne, bei­de vor­mals eher Kryp­to-unfreund­li­che ­Län­der, gemerkt, wel­ches Poten­ti­al gera­de in Kri­sen­zei­ten in Block­chains und Kryp­to­wäh­run­gen steckt.

Der Pro­fi spricht aber, wenn er Bit­co­in, Ethe­re­um oder der­glei­chen meint, nicht von einer Wäh­rung, son­dern von Tokens (»Wert­mar­ken«). Ähn­lich wie im Bier­zelt, wo man Wert­mar­ken erwirbt, um sie an der The­ke gegen Spei­sen und Geträn­ke ein­zu­tau­schen, bekommt man für Block­chain-Tokens meist bestimm­te Rech­te ein­ge­räumt. Um bei­spiels­wei­se mit der Ethe­re­um-Block­chain und den dar­auf befind­li­chen Smart Con­tracts Geschäf­te zu täti­gen, muß man einen klei­nen Bruch­teil eines Ethe­re­um-Tokens (Tokens kön­nen auf bis zu 18 Nach­kom­ma­stel­len auf­ge­teilt wer­den) als Trans­ak­ti­ons­ge­bühr abge­ben. Der genaue Preis rich­tet sich dabei nach der Kom­ple­xi­tät der Trans­ak­ti­on sowie der momen­ta­nen Aus­las­tung der Blockchain.

Natür­lich basiert der Han­dels­preis jedes Tokens, solan­ge er nicht durch ein ande­res Wert­gut wie Gold oder den US-Dol­lar gedeckt ist, größ­ten­teils auf Spe­ku­la­ti­on, wie eben alle Wert­gü­ter in der Finanz­bran­che. Den­noch hat sich ins­be­son­de­re Bit­co­in, his­to­risch betrach­tet, als gute Wert­an­la­ge bewie­sen. Der­zeit (Stand: 18. April 2024) steht der Wech­sel­kurs für Bit­co­in nahe sei­nem All­zeit­hoch, wel­ches nach sei­nem letzt­ma­li­gen Höchst­stand im Novem­ber 2021 erst im ver­gan­ge­nen März wie­der geknackt wurde.

Anders aus­ge­drückt, hat bei­na­he jeder, der jemals Bit­co­in gekauft und bis heu­te behal­ten hat, mitt­ler­wei­le einen ordent­li­chen Inves­ti­ti­ons­ge­winn zu ver­zeich­nen. Ich möch­te auch jede Wet­te hal­ten, daß Bit­co­in bis zur Aus­lie­fe­rung die­ser Sezes­si­on-Aus­ga­be bereits wie­der neue Höhen erreicht hat. Der­zeit steht Bit­co­in gera­de ein neu­er Kon­junk­tur­zy­klus ins Haus, denn im April redu­zier­te sich die Emis­si­ons­ra­te von neu­ge­schöpf­ten Bit­co­ins um die Hälf­te. Ähn­lich wie das digi­ta­le Sezes­si­ons­recht, wel­ches im Fall von Bit­co­in tat­säch­lich über ein­hun­dert­mal bean­sprucht wur­de (nur sel­ten zu einem befrie­di­gen­den Ergeb­nis), ist auch die­ses Ereig­nis in den Kon­sens­me­cha­nis­mus von Bit­co­in fest einprogrammiert.

Das pas­siert etwa alle vier Jah­re, der­zeit zum vier­ten Mal, und bis­her läu­te­te es stets ein gol­de­nes Jahr für Bit­co­in ein, da die Nach­fra­ge das Ange­bot über­stieg. Danach folg­te immer ein kata­stro­pha­ler Sturz, gefolgt von einem Jahr leich­ten Anstiegs vor der nächs­ten Halbierung.

Schließ­lich sei noch ange­merkt, daß es unzäh­li­ge Fall­stri­cke gibt, über die man leicht stol­pert, wenn man sich als Green­horn in den wil­den Kryp­to-Wes­ten wagt. Selbst­ver­ständ­lich zieht ein wei­test­ge­hend unre­gu­lier­ter und unre­gu­lier­ba­rer Markt auch zwie­lich­ti­ge Gestal­ten an, und nicht weni­ge Anle­ger haben ihr Ver­mö­gen ver­lo­ren, weil sie den Zugriff auf ihre Wal­let ver­lo­ren haben, gehackt wur­den, auf einen Betrü­ger her­ein­ge­fal­len sind oder weil die Han­dels­platt­form, auf der sie ihre Tokens geparkt haben, plei­te gegan­gen ist.

Glück­li­cher­wei­se sind die­se Risi­ken über­schau­bar, wenn man sie kennt und sich dar­auf ein­stellt. Dazu soll­te man sich aller­dings früh­zei­tig mit der Mate­rie beschäf­ti­gen und nicht erst dann, wenn einem Nan­cy Fae­ser das Bank­kon­to abge­zwickt hat.

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