Nils Wegner: Neoreaktion und Dunkle Aufklärung

»die letzten beiden absätze des buches sind ein brüller«, bemerkte Ulf Poschardt (in Kleinschreibung) auf Twitter über Nils Wegners Abriß Neoreaktion und Dunkle Aufklärung.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

»und es ver­deut­licht, daß der der rech­te rand nichts, aber auch gar nichts mit liber­tä­ren anfan­gen kann – weil denen die sozia­le wie natio­na­le fra­ge eher egal ist. war­um liest eigent­lich nie­mand, was da geschrie­ben wird?«

Die­ses all­zu lau­te Schen­kel­klop­fen läßt den Ver­dacht auf­kom­men, daß Pos­ch­ardt selbst wenig gele­sen oder ver­stan­den hat, was »da« geschrie­ben wur­de. Es geht in die­sem Buch jeden­falls nicht um »Liber­tä­re«, son­dern um eine intel­lek­tu­el­le Abart oder Muta­ti­on die­ser Spe­zi­es, die soge­nann­te Neo­re­ak­ti­on (kurz »NRx«), die Weg­ner aus­drück­lich weder als »Phi­lo­so­phie« noch als »Bewe­gung« ver­stan­den haben will, son­dern als »poli­ti­sche Denkströmung«.

Die­se brach­te von etwa 2007 bis 2014 eine »Blog­land­schaft« her­vor, die im anglo­pho­nen rech­ten Spek­trum eine erheb­li­che, wenn auch eher sub­ku­ta­ne Wir­kung ent­fal­tet hat. Ihren mäan­dern­den Wegen zu fol­gen ist nicht nur wegen ihres inhalt­li­chen Anspruchs schwie­rig, son­dern auch auf­grund der Tat­sa­che, daß etli­che der rele­van­ten Tex­te spur­los aus dem Netz ver­schwun­den sind. Weg­ner hat sich in die­sen Kanin­chen­bau hin­ab­be­ge­ben und eine kom­pak­te, über­sicht­li­che Ein­füh­rung vorgelegt.

Sie beginnt mit den bei­den exem­pla­ri­schen »Super­stars« die­ser Strö­mung, Cur­tis »Men­ci­us Mold­bug« ­Yar­vin und ­Nicho­las »Nick« Land. Der 1973 gebo­re­ne ­Yar­vin, von Haus aus Mathe­ma­ti­ker und Infor­ma­ti­ker, ist so etwas wie ein Häre­ti­ker der »Cali­for­ni­an Ideo­lo­gy«, einer im Sili­con Val­ley gebo­re­nen »ver­wor­re­nen Mischung aus frei­dre­hen­dem Hip­pie­tum und dem unter­neh­me­ri­schen Eifer der Yup­pies«. Deren »sozi­al­uto­pi­sche Träu­me­rei­en« warf Yar­vin bald über Bord, um durch die »klas­sisch« liber­tä­re Schu­le von Roth­bard, Rand und Hop­pe zu gehen, ehe er eine eigen­wil­li­ge »Fun­da­men­tal­op­po­si­ti­on gegen­über dem bestehen­den poli­ti­schen Koor­di­na­ten­sys­tem« ent­wi­ckel­te, in deren Zen­trum die Idee der Ord­nung als obers­tes Gut steht.

Ihm gegen­über steht der elf Jah­re älte­re Bri­te Nick Land, eine Art Erz­engel des Cha­os mit aka­de­mi­scher Lauf­bahn, der lan­ge, bevor es in war, über heu­te all­ge­gen­wär­ti­ge The­men wie Bio­tech­no­lo­gie, das Inter­net als Sucht­mit­tel, vira­les Mar­ke­ting oder den Auf­stieg Chi­nas zur wirt­schaft­li­chen Groß­macht schrieb, und dies auf eine ver­stö­rend ­nihi­lis­ti­sche, anti­hu­ma­nis­ti­sche, »post­mo­der­ne« Weise.

Nach einem kur­zen Über­blick über wei­te­re ein­fluß­rei­che Köp­fe jen­seits der Gal­li­ons­fi­gu­ren erläu­tert Weg­ner die wich­tigs­ten Ideo­lo­ge­me der NRx: »Cathe­dral« bezeich­net den Kom­plex der »Intel­lek­tu­el­len­herr­schaft« im Medien‑, Wis­sen­schafts- und Bil­dungs­be­trieb, der vor­ran­gig um sei­nen eige­nen Macht­er­halt kreist; »Uni­par­ty«, ein beson­ders erfolg­rei­cher, weil augen­fäl­lig schlüs­si­ger Begriff, impli­ziert, daß der libe­ral­de­mo­kra­ti­sche Poli­tik­be­trieb »eine rei­ne Spie­gel­fech­te­rei« ist, in der sich »Kon­ser­va­ti­ve« und »Pro­gres­si­ve« ein »abge­kar­te­tes Wrest­ling­match« lie­fern. Die »Tricho­to­mie« bezeich­net eine milieu­so­zio­lo­gi­sche Drei­tei­lung der NRx in »Eth­no­na­tio­na­lis­ten«, »Tech­no­ka­pi­ta­lis­ten« und »Tra­di­tio­na­lis­ten«.

»Bio­leni­nis­mus« steht für eine poli­ti­sche und bio­lo­gi­sche Nega­tiv­aus­le­se, der die Neo­re­ak­tio­nä­re die Not­wen­dig­keit »vita­lis­ti­scher« Umwer­tun­gen ent­ge­gen­stel­len. »Bio­di­ver­si­ty« bedeu­tet die Aner­ken­nung der Wirk­lich­keit von Men­schen­ras­sen, »Anti­ver­si­ty« ver­weist auf die Schaf­fung von Par­al­lel­struk­tu­ren, die eines Tages die zer­fal­len­de alte Ord­nung durch eine neue erset­zen sol­len. Nach einem Crash­kurs über die his­to­ri­sche Gene­se und die sys­te­mi­sche Funk­ti­on des ame­ri­ka­ni­schen Main­stream-Kon­ser­va­tis­mus führt Weg­ner aus, inwie­fern »neo­re­ak­tio­nä­re« Ideen hete­ro­do­xe Strö­mun­gen wie die »Alt-Right«-Bewegung beein­flußt haben.

Etwa ab 2016 tau­chen Kon­kur­renz­be­we­gun­gen auf, die die neo­re­ak­tio­nä­re »Tricho­to­mie« auf­spal­ten und in einen ver­wäs­ser­ten, sys­tem­kom­pa­ti­ble­ren Rah­men über­füh­ren: Aus dem »Dark Enligh­ten­ment« wird das sich ratio­na­lis­tisch-auf­klä­re­risch geben­de, eigent­lich klas­sisch libe­ra­le »Intellec­tu­al Dark Web« (u. a. Jor­dan Peter­son, Eric Wein­stein, Ben Sha­pi­ro), der ethno­nationalistische Strang wird von Yoram Hazo­ny mit Hil­fe eines buch­stäb­lich »kosche­ren« Natio­nal­kon­ser­va­tis­mus estab­lish­ment­freund­lich gemacht, wäh­rend die »Tra­di­tio­na­lis­ten« im »Post­li­be­ra­lis­mus« ein Zuhau­se gefun­den haben (etwa im US-Online-Maga­zin Com­pact).

Schließ­lich geht Weg­ner der Fra­ge nach, inwie­fern die anti-woken, tech­no­kra­ti­schen Mil­li­ar­dä­re Peter Thiel und Elon Musk als »rechts­li­ber­tär« oder zumin­dest als neo­re­ak­tio­när beein­flußt ein­zu­stu­fen sind. Schon die­se Rund­schau soll­te deut­lich machen, daß aus die­sem Reser­voir für den soge­nann­ten rech­ten Rand eine Men­ge geis­ti­ger Anre­gun­gen zu holen sind. Die prak­ti­sche »Ver­wert­bar­keit« des Mate­ri­als wird durch etli­che Momen­te ein­ge­schränkt, etwa durch sei­ne indi­vi­dua­lis­tisch-aso­zia­len Prä­mis­sen, die »autis­ti­sche« Eso­te­rik der Tex­te, den vir­tu­ell-sub­kul­tu­rel­len Nischen­cha­rak­ter, aber auch durch den dezi­dier­ten Anti­populismus, Anti­ak­ti­vis­mus und »Pas­si­vis­mus« (Yar­vin).

Zusam­men­fas­send sieht Weg­ner in der »neo­re­ak­tio­nä­ren Ideo­lo­gie« einen Liber­ta­ris­mus, der sei­ne Illu­sio­nen ver­lo­ren und »sich ein­ge­stan­den hat, daß Moral in real exis­tie­ren­der Poli­tik kei­ne Bedeu­tung hat und irgend jemand immer herr­schen wird.« Wer über das The­ma Bescheid wis­sen will, ohne sich all­zu tief in den »Dschun­gel« der ent­spre­chen­den Lite­ra­tur zu stür­zen, der grei­fe zu die­sem Buch.

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Nils Weg­ner: Neo­re­ak­ti­on und Dunk­le Auf­klä­rung. Die rechts­li­ber­tä­re Ver­su­chung, Dres­den: Jun­g­eu­ro­pa 2024. 120 S., 14 € 

 

Die­ses Buck kön­nen Sie auf antaios.de bestellen. 

 

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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