Klaus-Rüdiger Mai: Die Kommunistin

Sahra Wagenknecht ist ein Phänomen. Die Grande Dame der Talkshow-Republik begeistert ihre Leser – und zunehmend Wähler.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Mit ihrem Bünd­nis Sahra Wagen­knecht (BSW) hat sie sich aus der Umklam­me­rung der post­mo­der­nen Mehr­heits­lin­ken gelöst und will eine eige­ne For­ma­ti­on in die Par­la­men­te füh­ren: wahl­wei­se »links­kon­ser­va­tiv« (Wagen­knecht über Wagen­knecht), »links­po­pu­lis­tisch« (Main­stream über Wagen­knecht) oder »links­au­to­ri­tär« (neu­es deutsch­land über Wagenknecht).

Das Attri­but »links« steht, stammt Wagen­knecht doch aus einer dezi­diert lin­ken, gera­de­zu kom­mu­nis­ti­schen Tra­di­ti­ons­li­nie. Aber ist poli­ti­sche Sozia­li­sa­ti­on eine ewig­gül­ti­ge Deter­mi­nan­te ohne Fort­ent­wick­lun­gen und Kurs­kor­rek­tu­ren, also: Ist die post­sta­li­nis­ti­sche Wagen­knecht von 1994 oder die reform­kom­mu­nis­ti­sche von 2004 auto­ma­tisch die­je­ni­ge von 2024?

In der Wahr­neh­mung vie­ler Bür­ger, spe­zi­ell im Osten, wo sie als »ideel­le Gesamtost­deut­sche« (Mario Möl­ler in der Zeit­schrift Baha­mas) reüs­siert, ist sie das allen­falls nach­ge­ord­net: Dort wird sie als Stim­me der »Ver­nunft« inter­pre­tiert, als Gegen­stück zum grün­mit­ti­gen Einer­lei. Gleich­wohl: Libe­ral­kon­ser­va­ti­ve Agi­ta­ti­on wider Wagen­knecht han­tiert mit Stroh­män­nern sowie mit his­to­ri­schen Exem­peln – eine Sack­gas­se der Kritik.

Denn es ver­hält sich wie im Fall der Kampf-gegen-rechts-Dif­fa­mie­run­gen: Indem man die AfD mit Pau­schal­ver­dik­ten über­häuf­te, half man ihr. Soli­da­ri­sie­rungs­ef­fek­te folg­ten, weil die Absicht der Geg­ner (zu) offen­sicht­lich war. Ähn­li­ches kann für einen »rech­ten« Umgang mit Wagen­knecht gel­ten. Wer sie 2024 als »Kom­mu­nis­tin« ankläfft und Wir­kungs­schlä­ge erhofft, muß damit rech­nen, das Gegen­teil zu errei­chen, womit das Kern­pro­blem des vor­lie­gen­den Buches des Autors Klaus-Rüdi­ger Mai ange­schnit­ten ist: Er ope­riert mit einer Scha­blo­ne, die man sonst nur aus anti­fa­schis­ti­schen »Auf­klä­rungs­bü­chern« über rech­te Per­so­nen kennt.

Erst wird das sub­jek­ti­ve Urteil gefällt, anschlie­ßend geht man auf »Stel­len­su­che« und ver­sucht sei­ne Aver­si­on zu objek­ti­vie­ren. Da heißt es apo­dik­tisch: »Der ortho­do­xe Mar­xis­mus gewinnt wie­der an Boden – und Sahra Wagen­knecht ist sei­ne Licht­ge­stalt.« Nur: Wird dies auch kohä­rent ent­fal­tet, bes­ten­falls bis heu­te? Nein.

Klaus-Rüdi­ger Mai schreibt luzi­de die Jugend­ge­schich­te Wagen­knechts, seziert ihre fami­liä­ren und ideo­lo­gi­schen Wur­zeln und beweist eine beein­dru­cken­de Kennt­nis der geis­ti­gen, poli­ti­schen und habi­tu­el­len Wagen­knecht­schen Atmo­sphä­re in den 1980er und 1990er Jah­ren. Ihre frü­hen Prä­gun­gen – Goe­the, ­Hegel, Marx –, die sie zum »sozia­lis­ti­schen Klas­si­ker« Peter Hacks (»Habe ich da nicht ein hüb­sches Pflänz­chen auf­ge­zo­gen?«) und des­sen preu­ßisch-links­so­zia­lis­ti­schem Abso­lu­tis­mus führ­ten, wer­den eben­so her­ge­lei­tet wie ihr affir­ma­ti­ves Ver­hält­nis zur ­Ulb­richt-DDR (bis 1971) und ihr ableh­nen­des Ver­hält­nis zur Hon­ecker-DDR (bis 1989).

Das alles war prä­gend und brach­te Lang­zeit­fol­gen mit sich. Aber: Es ist kei­ne hin­rei­chen­de Ana­ly­se der Sahra Wagen­knecht der jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart, sagen wir: wenigs­tens der letz­ten 15 Jah­re. Die­se wer­den von Mai viel­mehr abge­tan; ab Sei­te 231 (!) geht es in die­se Rich­tung. Unge­klärt bleibt fast alles, was heu­te ideen- und real­po­li­tisch von Belang wäre: Wie kam Wagen­knecht 2010 ff. zu ihrem links­ge­dreh­ten Ordo­liberalismus, den sie in Best­sel­lern aus­for­mu­lier­te? Wes­halb ent­fal­tet die kühl wir­ken­de, im Lebens­all­tag volks­fer­ne Mil­lio­nä­rin und pro­mo­vier­te Wirt­schafts­wis­sen­schaft­le­rin ihre Wir­kung gera­de auf die »ein­fa­chen Leute«?

Nicht zuletzt: Wohin will Wagen­knecht, wie sähe ihre Vor­stel­lung von unse­rem Land aus? Dar­über erfährt man nichts – eben­so­we­nig wie im übri­gen der Titel des Buches ein­leuch­tet, da Wagen­knecht doch neben den »woken« Lin­ken ihre hart­nä­ckigs­ten Geg­ner und Fein­de im Lager der ortho­do­xen Mar­xis­ten und Kom­mu­nis­ten fin­det, die seit vie­len Jah­ren vol­ler Abscheu auf den »Rechts­ruck« ihres 1990er-Jah­re-Idols blicken.

Klaus-Rüdi­ger Mai blen­det sowohl poli­ti­sche Ambi­va­len­zen als auch per­sön­li­che Wand­lun­gen aus: Die selbst­ge­wähl­te Scha­blo­ne läßt Zwi­schen­tö­ne nicht zu.

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Klaus-Rüdi­ger Mai: Die Kom­mu­nis­tin. Sahra Wagen­knecht: Eine Frau zwi­schen Inter­es­sen und Mythen, Mün­chen: Euro­pa Ver­lag 2024. 288 S., 24 €

 

 

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Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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