Alexander Wendt: Verachtung nach unten

von Felix Dirsch --

Die dauerhaften Bruchlinien in den Kulturkämpfen der Gegenwart sind zuletzt immer deutlicher hervorgetreten. Mag man gesellschaftlich auch über die Haltung zu den Covid-Maßnahmen sowie zum Ukrainekrieg heftig streiten:

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ob woke oder nicht woke – das erscheint aber als zen­tra­le Fra­ge. Ange­sichts der Aus­ein­an­der­set­zun­gen über die­ses The­ma ver­wun­dert auch die zuneh­men­de Zahl von Schrif­ten in den letz­ten Mona­ten nicht. Stell­ver­tre­tend ist auf die Autoren Esther Bock­wyt, Susan­ne ­Schrö­ter, Zana ­Rama­da­ni und Peter Köpf hin­zu­wei­sen. Bereits als klas­sisch gilt die Abhand­lung von David Good­hart (The Road to Some­whe­re, 2017), der para­dig­ma­tisch »Orts­men­schen« von »Über­all­men­schen« unterscheidet.

Vor einem sol­chen publi­zis­ti­schen Hin­ter­grund mag man das bekann­te Bon­mot bemü­hen: Alles ist schon gesagt, nur nicht von jedem. Auf die erhel­len­de Dar­stel­lung von Alex­an­der Wendt paßt die­ses Aper­çu jedoch nicht. Der umtrie­bi­ge Jour­na­list, beson­ders als Mit­ar­bei­ter von Tichys Ein­blick bekannt, begnügt sich nicht mit Recher­chen in der Sekun­där­li­te­ra­tur oder mit Anga­ben aus dem Inter­net. Er möch­te den omni­prä­sen­ten Debat­ten über Iden­ti­täts­po­li­tik, Can­cel Cul­tu­re, »Kri­ti­sche Ras­sen­theo­rie« auf den Grund gehen.

Dies geschieht am bes­ten dadurch, daß man mit eini­gen bekann­ten Prot­ago­nis­ten spricht. Auf die­se Wei­se läßt sich deren Sicht der Din­ge unge­fil­tert prä­sen­tie­ren. Selbst der amtie­ren­de Bun­des­kanz­ler kommt zu Wort, den Wendt noch als Finanz­mi­nis­ter auf einer Rei­se per­sön­lich ken­nen­ler­nen durf­te, wei­ter der Kli­ma-Akti­vist Tad­zio Müller.

Als Kri­ti­ker der Morale­li­te kann er auf eine lan­ge Rei­he von Vor­läu­fern zurück­bli­cken: von Fried­rich Nietz­sche bis zu Hel­mut Schelsky, ­Arnold Geh­len und Her­mann Lüb­be, die alle­samt die »Gerichts­hö­fe der Moral« und ihre Hin­ter­grün­de genau­er unter die Lupe genom­men haben. In deren Nach­fol­ge ana­ly­siert Wendt die woken Anklä­ger akri­bisch. Selbst spart er indes­sen auch nicht mit Ankla­gen, etwa gegen lin­ke Israelfeinde.

Der rote Faden sei­ner Dar­stel­lung liegt auf der Hand: den Gegen­satz zwi­schen dem Ver­such, die Gesell­schaft in iden­ti­tä­re Ras­ter ein­zu­tei­len, etwa nach Ras­se, Geschlecht und Haut­far­be, und den uni­ver­sa­lis­tisch-libe­ra­len Vor­ga­ben einer am zen­tra­len Gesichts­punkt der Gleich­heit vor dem Recht aus­ge­rich­te­ten Bür­ger­ge­sell­schaft her­aus­ar­bei­ten. Beson­ders gro­tesk mutet es an, daß sich die ver­meint­lich Erwach­ten als Teil einer neu­en Morale­li­te auf­spie­len. Ihre zumeist boden­stän­di­gen Geg­ner, die (wenigs­tens ide­al­ty­pisch) Hei­mat, Fami­lie und Reli­gi­on schät­zen, wer­den gern von oben her­ab verachtet.

Von den Gesprä­chen, die Wendt geführt hat und die in sei­ne Erör­te­run­gen ein­ge­flos­sen sind, ist beson­ders auf das mit dem Dra­ma­tur­gen Bernd Ste­ge­mann zu ver­wei­sen. Die­ser wur­de einer brei­te­ren Öffent­lich­keit durch sei­ne Akti­vi­tä­ten in der (zusam­men mit Sahra Wagen­knecht ins Leben geru­fe­nen) Bewe­gung »Auf­ste­hen« bekannt. Noch hef­ti­ge­re mora­lis­ti­sche Anfein­dun­gen erfuh­ren die Bio­lo­gin Marie-Lui­se Voll­brecht wegen ihrer Ableh­nung der übli­cher­wei­se genann­ten bun­ten Geschlech­ter­viel­falt und der Münch­ner Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­ler Micha­el Mey­en. Die­sen ver­don­ner­te sein Dienst­herr wegen sei­ner kur­zen Mit­ar­beit an einer soge­nann­ten Quer­den­ker-Zei­tung im Rah­men eines Dis­zi­pli­nar­ver­fah­rens zu einer Gehalts­kür­zung. Als wei­te­res Opfer des Moral­fu­rors gilt der His­to­ri­ker Egon Flaig.

Den neu­en Stam­mesi­den­ti­tä­ten stellt Wendt das Ide­al der Bür­ger­lich­keit ent­ge­gen, das er viel­leicht ein wenig zu sehr ver­klärt. Sein Cre­do über Civis, Citoy­en und Bür­ger for­mu­liert er in zwölf Leit­sät­zen. Der Staat habe dem Bür­ger zu die­nen, nicht umge­kehrt. Am Ende der Schrift wer­den Mög­lich­kei­ten für einen pro­vi­so­ri­schen Frie­den zwi­schen bei­den Lagern aus­ge­lo­tet. Ver­ach­tung nach unten belegt aber­mals: Wendt zählt zu den wich­tigs­ten Zeit­kri­ti­kern im nicht­lin­ken Lager.

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Alex­an­der Wendt: Ver­ach­tung nach unten. Wie eine Morale­li­te die Bür­ger­ge­sell­schaft bedroht – und wie wir sie ver­tei­di­gen kön­nen, Rein­bek: Lau Ver­lag 2024. 372 S., 26 €

 

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