»Demokratie hält zusammen«, lügt uns ein Plakat frech an. 2024 wird der 75. Geburtstag des Grundgesetzes gefeiert, die Bundesregierung läßt sich eine Werbekampagne sicherlich nicht wenig Geld kosten, während ihre Welt um sie herum zusammenbricht.
Demokratie hält nichts zusammen – eher hatte wohl Bismarck recht, wenn er behauptet, »Blut und Eisen« würden »uns« zusammenhalten. Im Niger putscht das eine Regime das andere weg und treibt anschließend die Amerikaner aus dem Land. In der Ukraine reitet der Tod.
Die Welt, die Plakat-Designer für die Bundesregierung entwerfen, existiert schlichtweg nicht. Den »Mythos Grundgesetz« gab es nie. Und deswegen läßt sich auch niemand davon mitreißen. Die Schadenfreude darüber, daß das so ist, weicht schnell der Ernüchterung, daß man auch nichts Besseres anzubieten hat, keine Idee, keinen Mythos.
Der Film Dune: Part Two mit seiner Geschichte um einen neuen Messias inmitten von Machtpolitik erscheint zum rechten Zeitpunkt. Und das ist kein Zufall. Die Geschichte um den Messias Paul Atreides steckt den Finger in die Wunde. Es ist die Wunde einer ganzen Generation.
Die Dune-Verfilmungen zeigen (wie schon die Buch-Vorlage Der Wüstenplanet von Frank Herbert) ein Science-fiction-Universum, das auf den ersten Blick erst einmal sehr fremdartig anmutet und dennoch vertraut wirkt. In der Welt von Dune regiert ein Imperator nach dem »Teile und herrsche«-Prinzip das Universum. Seine adeligen Lehnsmänner gliedern sich in Dynastien, namentlich die Atreides und die Harkonnen.
Die Beweggründe der einzelnen Fraktionen sind stets machtpolitischer und keinesfalls idealistischer oder religiöser Natur. Nur wer Macht besitzt, kann sein Volk beschützen. Und nur wer sein Volk beschützt, hat eine Machtbasis. Darin ist nichts Idealistisches, sondern etwas komplett Kaltes, Berechnendes. Aber es gibt auch Institutionen und Bündnisse, die oberhalb und neben den Dynastien arbeiten: die Raumfahrer-Gilde zum Beispiel, die die Macht hat, mit Hilfe ihrer übersinnlich begabten Navigatoren das Weltall zu bereisen.
von einem Planeten zum anderen will, sollte sich besser mit dieser Gilde gut stellen. Und dann ist da noch der Landsraad, das Parlament, in der sich alle Parteien treffen und gegeneinander intrigieren. Eine mysteriöse, von Frauen geführte Geheimorganisation darf auch nicht fehlen – angeblich manipuliert sie die Geschicke des Universums schon seit Jahrtausenden.
Macht in dieser Welt hat vor allem, wer das »Spice«, das Gewürz, kontrolliert: eine Droge, einen Rohstoff, der ausschließlich auf dem Wüstenplanet Dune gefunden werden kann. Der Abbau macht den Unternehmer steinreich (und damit auch mächtig), denn ohne Spice kann kein Raumschiff der Gilde irgendwohin fliegen. Deswegen ist es für die Atreides – also Herzog Leto Atreides und sein Sohn Paul – auch sehr verlockend, als der Imperator beschließt, ihnen Dune als Lehen anzuvertrauen.
Unendliche Macht, unendlicher Reichtum winken, und die Erzfeinde, die Harkonnen, sind erst einmal ausgebootet. (Wenn nun in der endlosen Analogie der »richtigen Welt«, im afrikanischen Wüstenland Niger, der Wind sich ändert und neuerdings russische Wagner-Truppen statt US-amerikanischer GIs patrouillieren, dann glaubt auch kein Mensch daran, daß bei diesem Vorgehen Gummibegriffe wie »Demokratie« und »Menschenrechte« eine Rolle gespielt hätten.)
Es geht und ging immer um Macht. Eingedenk dieser Tatsache glaubt Herzog Leto Atreides nicht einmal eine Sekunde daran, daß es sich nicht um eine Falle handeln könnte – obwohl er mit dem Imperator befreundet ist: In dem Moment, als die Atreides-Streitmacht den Boden des Wüstenplaneten berührt, wird sie sich in einer Welt voller Feinde befinden. Und so kommt es auch.
Nach kurzer Zeit werden die Streitkräfte Letos überfallen und aufgerieben, er selbst von einem Vertrauten verraten, und während er umgebracht wird, können seine Frau und sein Sohn Paul in die Wüste entkommen. Ihre Häscher, die Harkonnen und kurzfristig verbündete Imperiumstruppen, sind sich sicher: Dort, jenseits der großen Städte, werden die beiden bald den Tod finden – entweder durch die erbarmungslose Hitze der Wüste selbst oder durch die dort lebenden riesigen Sandwürmer, vielleicht auch durch die Hände der Fremen, der Eingeborenen, die sich noch gegen jeden Besatzer aufgelehnt haben.
Wenn wir jetzt wieder einen Blick ins »richtige Leben« werfen, dann müssen wir feststellen: Ein solches, rein auf Logik, Macht und Geld abstellendes Weltbild hat nicht dazu geführt, daß die Welt auch tatsächlich nach diesen Parametern funktioniert. Im Gegenteil: Ein gängiges Narrativ von Meinungsmachern, Berufsstatistikern und Gesundheitsexperten ist, daß »unsere Welt komplexer wird« – analog zu den Intrigen und Verschwörungen und unterschiedlich motivierten Fraktionen in Dune.
Diese komplexen Zusammenhänge verstehen viele der dummen Bürger leider nicht – und wenden sich in der Folge Homöopathie, Rechtsextremismus und Corona-Leugnung zu. Je komplexer die Welt, desto mehr Menschen greifen zurück auf einfache Erklärungen für die Phänomene, die sie nicht verstehen.
In Dune sehen wir, daß das gar kein Widerspruch sein muß: Also, was, wenn die Welt unserer Vorfahren nicht weniger komplex war? Was, wenn das Gottesgnadentum nur eine einfache Erklärung für komplexe Machtkonstellationen war – hätte ein genaues Wissen um diese Dinge irgend etwas geändert? Ist die Magie in dem Moment verflogen, in dem wir anerkennen, daß Geld die Welt regiert? Gott ist nicht tot, solange wir ihn nicht töten oder uns bewußt dafür entscheiden, ihn nicht zu töten.
Die Bene Gesserit, der erwähnte Frauenorden in Dune, der seine Fäden lieber im Hintergrund zieht, weiß um diesen Umstand, um die Macht der Mythen und der Religion. Deswegen haben sie schon vor langer Zeit eine Voraussagung auf dem Wüstenplaneten hinterlassen, die es Paul Atreides ermöglicht, sich unter den gläubigen Fremden als Messias aufzuschwingen. Der Knackpunkt: Der Messias-Komplex ist nicht eingebildet, sondern wahr. Paul Atreides manipuliert das dumme Volk also nicht, sondern schenkt ihnen reinen Wein ein. Er sieht die Zukunft klar vor sich, und alles, woran er Hand anlegt, gelingt.
Einer der größeren Unterschiede zwischen der Buchvorlage von Frank Herbert und der (bislang) zweiteiligen Verfilmung von Denis Villeneuve ist, daß derjenige, der seine Berufung am kritischsten sieht, Paul Atreides selbst ist – weil er dank einer Zukunftsvision weiß, daß sein Erfolg mit 61 Milliarden Toten einhergehen werde. Im Film Dune: Part Two wird dieser innere Konflikt lediglich auf die äußere Ebene verschoben, so daß Pauls Geliebte Chani zum Gesicht des Zweifels am Messias wird. Einen wirklichen Unterschied macht das freilich nicht aus – Prophezeiungen sind da, um erfüllt zu werden.
Man mag in Paul Atreides’ Zweifeln (Buch) bzw. in der Figur Chani (Film) eine Art kritische Brechung des Konzepts des Mythos selbst sehen, einen Fingerzeig darauf, daß Führerfiguren und religiöse Heilsbringer in unserer durchrationalisierten, genügsamen und so furchtbar faktenbasierten Welt keinen Platz haben sollten.
Dennoch schafft es Paul Atreides, den Tod seines Vaters zu rächen, führt die Fremen zum erhofften Sieg, nicht nur über Harkonnen, sondern sogar über den Imperator höchstselbst. Immer alles in Zweifel zu ziehen, überall Finten, »Psy-Ops« und ausgeklügelte Taktiken zu vermuten, mag zwar die moderne Möglichkeit sein, immer recht zu behalten, ohne von überhaupt nichts eine Ahnung zu haben, es sagt aber rein gar nichts über die tatsächliche Beschaffenheit der Welt aus.
Daß Mythen wirken, dafür steht das Medium Kinofilm doch selbst. Und Denis Villeneuve ist sein williger Erfüllungsgehilfe, indem er das, was Paul Atreides will, bild- und tongewaltig auf die Leinwand zaubert. Ob malerisch schöne Landschaftspanoramen, kämpferische Ansprachen von Paul Atreides, perfekt choreographierte Kämpfe: Das reißt mit. Das funktioniert. Selbst wenn es nicht so gedacht sein sollte.
Mit Logik allein funktioniert kein Film. Mit Logik allein läßt sich kein Krieg gewinnen. Statistiken und Berechnungsmodelle mögen für die, die sie gern studieren, unfehlbar sein. Aber Instinkt und Führerqualitäten sind im wahrsten Sinne des Wortes unberechenbar. Wir neigen gern dazu, in Zeiten zunehmender Technisierung auf diese Technisierung – naturgemäß auf der rational-praktischen Ebene verortet – zu hoffen. TikTok, Telegram, Elon Musk – alles Zündsteine für eine Generation technikaffiner und erfolgsbewußter Rechter, die mit ihrer Hilfe die moderne Welt in Brand setzen möchte: Nur unsere Herzen, die entflammen beim Gedanken daran nicht so recht.
Dune zeichnet die Welt nicht so, wie sie sein sollte. Sie zeigt uns auch keine Welt, wie sie in ihrem mythologischen Zustand einmal war. Sie zeigt eine Welt, die von Blut und Eisen zusammengehalten wird; eine Welt, die aus den Fugen gerät, aber immerhin ist jemand da, der sie noch zusammenzuhalten vermag.
Unser Problem ist nicht, daß auch unsere Welt aus den Fugen gerät und daß wir niemanden haben, der sie zusammenhalten kann. Unser Problem ist, daß unser Mythos des gemeinsamen Widerstands durch keinen Elon Musk dieser Welt erfunden werden kann. Unser Problem ist, daß alles mit dem Herzen beginnt.