Vor fünfzig Jahren starb Julius Evola

PDF der Druckfassung aus Sezession 120/ Juni 2024

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Es gibt wohl kaum jeman­den im alter­na­tiv-rech­ten Spek­trum, dem der Name Juli­us Evo­la unbe­kannt ist oder der den zau­be­ri­schen Titel sei­nes berühm­tes­ten Wer­kes, Revol­te gegen die moder­ne Welt (1934), noch nie gehört hat.

Für die meis­ten ist Evo­la aller­dings nicht mehr als ein »Mem«, mit dem sich eine beson­ders eli­tä­re und radi­ka­le Atti­tü­de signa­li­sie­ren läßt, wäh­rend ihn die wenigs­ten tat­säch­lich gele­sen und ver­stan­den haben.

Evo­la ist kein ein­fa­cher Autor und ­Den­ker. Spe­zi­ell die Lek­tü­re der Revol­te ist nicht unbe­dingt ein Ver­gnü­gen, son­dern eine Art Berg­besteigung, deren Mühen am Ende mit einem unge­ahn­ten und erha­be­nen Aus­blick »von oben« belohnt werden.

Trotz sei­nes Titels, der zur ­Akti­on auf­zu­ru­fen scheint, ist das Buch poli­tisch-prag­ma­tisch gese­hen »nutz­los«, auch wenn es zu einem poli­ti­schen Pro­blem Stel­lung nimmt, für das ein ande­rer viel her­bei­zi­tier­ter rech­ter Den­ker, Oswald Speng­ler, das Schlag­wort gelie­fert hat: Man mag es »Unter­gang des Abend­lan­des« oder mit Evo­las Lehr­meis­ter René Gué­non »Kri­se der moder­nen Welt« nen­nen – es bezeich­net den gro­ßen Bogen: die Fra­ge nach den Ursa­chen des Ver­falls und des Ster­bens der euro­päi­schen Zivi­li­sa­ti­on beant­wor­tet Evo­la mit einem gran­dio­sen, im erwei­ter­ten Wort­sin­ne meta-poli­ti­schen, mythi­schen Ent­wurf, der für sich abso­lu­te geis­ti­ge Auto­ri­tät bean­sprucht, beru­hend auf »initia­tisch« erwor­be­nem, siche­rem Wissen.

Gestor­ben ist Giu­lio Cesa­re Andrea Evo­la, genannt »Juli­us«, vor fünf­zig Jah­ren, in den frü­hen Nach­mit­tags­stun­den des 11. Juni 1974, in sei­ner beschei­de­nen Woh­nung im Rom. Seit ­einem rus­si­schen Bom­ben­an­griff auf Wien im Janu­ar 1945 quer­schnitt­ge­lähmt, bat er, »vom Schreib­tisch weg an das Fens­ter geführt zu wer­den, von wo man den hei­li­gen Hügel Gia­ni­co­lo (dem Janus geweiht, dem zwie­ge­sich­ti­gen Gott, der in die­se und jene Welt blickt) sehen konn­te« (H. T. Hakl).

Es war sein Wunsch, so gut es eben ging, »auf­recht« zu ster­ben. Die Urne mit sei­ner Asche wur­de in einer Glet­scher­spal­te des Mon­te Rosa in den Wali­ser Alpen ver­senkt. Evo­la war in sei­ner Jugend begeis­ter­ter Berg­stei­ger gewe­sen, aber wie bei allen ande­ren Din­gen in sei­nem Leben ging es ihm dabei um eine spi­ri­tu­el­le Erfah­rung, nicht um Sport oder Abenteuer.

Der Berg ver­bin­det mit dem Ewi­gen, Zeit­lo­sen, Gött­li­chen, weiht in eine Seins- und Sicht­wei­se ein, die buch­stäb­lich »über den Din­gen steht«. ­Evo­las Ide­al war »das Oben«, das Unbe­weg­te und Unver­rück­ba­re, die »fel­sen­fes­te« Wahr­heit, die durch nichts erschüt­tert wer­den kann, das Kla­re, Kris­tal­le­ne, Rei­ne, Hel­le und Kal­te des Him­mels und des Eises.

Die Geschich­te von Evo­las »auf­rech­tem« Ster­ben gehört zum fes­ten Bestand­teil der Legen­den­bil­dung um einen Mann, über des­sen äuße­res Leben nur wenig bekannt ist. Die weit­ver­brei­te­te Anga­be, der am 19. Mai 1898 in Rom gebo­re­ne Evo­la sei ein »Baron aus sizi­lia­ni­schem Land­adel« gewe­sen, stimmt ver­mut­lich nicht, auch wenn sie ange­sichts der iko­ni­schen Fotos des her­risch in die Fer­ne bli­cken­den Den­kers mit dem Mon­okel recht plau­si­bel klingt.

Womög­lich war der »Baron« nur ein Ehren­ti­tel, wie auch der »Pro­fes­so­re«, mit dem ihn Anhän­ger und Freun­de ehr­fürch­tig anspra­chen. Aka­de­mi­sche Titel ver­ach­te­te er eben­so wie jeg­li­che Form der kon­ven­tio­nel­len bour­geoi­sen Exis­tenz, ein Grund, war­um er nie­mals einen her­kömm­li­chen Beruf ergriff, hei­ra­te­te oder Kin­der zeug­te. Sei­nen Lebens­un­ter­halt bestritt er mit jour­na­lis­ti­schen Tätig­kei­ten und Übersetzungen.

Der wohl schil­lernds­te und neben Gué­non bekann­tes­te Ver­tre­ter der »Inte­gra­len Tra­di­ti­on« hat­te sein schöp­fe­ri­sches Dasein als rebel­li­scher Künst­ler begon­nen, der nach dem Ers­ten Welt­krieg, in dem er als Artil­le­rie­of­fi­zier gedient hat­te, in der Nach­fol­ge Rim­bauds auf Fran­zö­sisch dich­te­te, mit dem Dada­is­mus sym­pa­thi­sier­te und futu­ris­ti­sche Gemäl­de schuf. Mit 24 Jah­ren gab er die Kunst auf und wid­me­te sich aus­schließ­lich sei­nem schrift­stel­le­ri­schen Werk.

Einer »phi­lo­so­phi­schen« folg­te eine »eso­te­ri­sche« Pha­se, und mit sei­ner rabi­at anti­ka­tho­li­schen Schrift Heid­ni­scher Impe­ria­lis­mus (1928, dt. 1933) betrat auch ein »poli­ti­scher« Evo­la die Büh­ne. Trotz sei­nes heu­ti­gen Images und sei­ner spä­te­ren »Ver­stri­ckun­gen« war Evo­la zu kei­nem Zeit­punkt ein »Faschist«. In der Tat kri­ti­sier­te er die Ideo­lo­gie und die Herr­schafts­pra­xis des Faschis­mus bereits Mit­te der zwan­zi­ger Jah­re scharf »von rechts«, ins­be­son­de­re sei­nen Man­gel an Spi­ri­tua­li­tät, sei­ne »popu­lis­ti­schen« Ele­men­te und sei­nen »patrio­ti­schen Mythos«.

Einen nen­nens­wer­ten Ein­fluß auf die Poli­tik des Regimes hat­te er zu kei­nem Zeit­punkt, auch wenn er schließ­lich in etli­chen faschis­ti­schen Zeit­schrif­ten publi­zier­te und am 14. Sep­tem­ber 1943 sogar in der Wolfs­schan­ze bei einem Zusam­men­tref­fen von Hit­ler und Mus­so­li­ni anwe­send war, als Dol­met­scher und Beglei­ter des Poli­ti­kers Gio­van­ni Preziosi.

Vor dem Krieg hat­te Evo­la auch ver­sucht, im deutsch­spra­chi­gen Raum zu reüs­sie­ren. Er knüpf­te Kon­tak­te zu geis­tes­ver­wand­ten ­Köp­fen wie Edgar Juli­us Jung, Karl Anton Prinz Rohan und Oth­mar Spann. In den »ras­se­kund­li­chen« Büchern sei­nes Freun­des Lud­wig Fer­di­nand Clauß taucht er als »sizi­lia­ni­scher Baron, gesell­schaft­lich spie­lend«, auf. Er traf auf Carl Schmitt und Gott­fried Benn, der die Revol­te in einer Bespre­chung enthu­si­as­tisch pries, und hielt 1938 eine Vor­trags­rei­se vor Glie­de­run­gen der SS.

Ein Gut­ach­ten von Karl Maria Wil­li­gut, dem Runen­mystiker mit psych­ia­tri­scher Behand­lungs­ge­schich­te, stuf­te ihn als »reak­tio­nä­ren Römer« ein, der aus der Sicht des Natio­nal­so­zia­lis­mus auf gar kei­nen Fall geför­dert wer­den dür­fe. Nach dem Krieg wur­de er 1951 vom christ­de­mo­kra­ti­schen ita­lie­ni­schen Staat wegen »Ver­herr­li­chung des Faschis­mus« vor Gericht gestellt und nach sechs­mo­na­ti­ger Unter­su­chungs­haft freigesprochen.

Um Evo­las Den­ken zu begrei­fen, müß­te man bei sei­ner von Car­lo Michel­staed­ter über­nom­me­nen Grund­idee eines aut­ar­ken, uner­schüt­ter­li­chen, sich selbst genü­gen­den »Ichs« begin­nen, in dem sich eine inne­re Macht zusam­men­bal­le, die eine radi­ka­le Frei­heit und Unab­hän­gig­keit mög­lich mache. Es geht nicht nur um blo­ße »Stoa«, son­dern um einen Seins- und Bewußt­seins­zu­stand, der das Indi­vi­du­um mit einer abso­lu­ten Wahr­heit ver­bin­det und dadurch unkor­rum­pier­bar macht. Die­ses Grund­prin­zip ver­tief­te Evo­la mit Fich­te und Schel­ling, mit Meis­ter Eck­hart, fern­öst­li­chen Weis­heits­leh­ren und her­me­ti­scher Eso­te­rik, um bei einem, wie er es nann­te, »magi­schen Idea­lis­mus« anzugelangen.

Dies bil­det den Kon­text, aus dem die Revol­te gegen die moder­ne Welt erwach­sen ist. Hier geht nicht, wie bei Speng­ler, bloß der Zyklus einer Hoch­kul­tur zu Ende, der Bogen wird viel, viel wei­ter zurück­ge­schla­gen, bis in Zei­ten, die vor der Geschich­te lie­gen (die selbst schon ein Pro­dukt des Zer­falls ist). Evo­la folgt dar­in der Leh­re von den »vier Welt­zeit­al­tern«, die einen ste­ti­gen Abstieg der Mensch­heit aus dem »gol­de­nen« Zeit­al­ter der Ein­heit mit den »Göt­tern« bis zum »eiser­nen« Zeit­al­ter der maxi­ma­len Ent­fer­nung von ihnen beschreibt, dem »Kali-Yuga« der Hin­dus und der »Wolfs­zeit-Schwert­zeit« der Edda.

Der »moder­nen« Welt steht nicht etwa das Bild eines his­to­ri­schen Gip­fel­punkts gegen­über, son­dern die »Welt der Tra­di­ti­on«, uni­ver­sal gül­ti­ger, tran­szen­den­ter Prin­zi­pi­en, die sich in den Über­lie­fe­run­gen der Kul­tu­ren der gan­zen Welt wider­spie­geln. Die »Tra­di­ti­on« kenn­zeich­net eine Art kos­mi­sche, meta­phy­si­sche Ord­nung, in der die »Welt des Seins« und die »Welt des Wer­dens«, des Ewi­gen und des Ver­gäng­li­chen, des Him­mels und der Erde, des Männ­li­chen und des Weib­li­chen mit­ein­an­der in Ein­klang stehen.

Die Ver­kör­pe­rung die­ser geis­ti­gen Ord­nung in der Zeit ist der sakra­le König, der Mit­tel­punkt und Zen­trum des tra­di­tio­na­len Staa­tes und zugleich ein pries­ter­li­cher »Brü­cken­bau­er« zwi­schen »Oben« und »Unten« ist. Evo­las tra­di­tio­na­le Welt ist streng hier­ar­chisch geglie­dert, sie ist die kom­pro­miß­lo­se Anti­the­se zur abnor­men moder­nen Welt mit ihren ega­li­tä­ren, huma­nis­ti­schen, demo­kra­ti­schen, indi­vi­dua­lis­ti­schen, »pro­gres­si­ven« Ideen.

Mit der »Welt der Tra­di­ti­on« als Bezugs­punkt, dem alle Maß­stä­be ent­nom­men wer­den, schuf der Anti­ka­tho­lik Evo­la eine ide­al­rech­te, pla­to­ni­sche Kon­zep­ti­on, die jener des Katho­li­ken Erik von Kueh­nelt-Led­dihn, der den »Baron« per­sön­lich kann­te und schätz­te, ver­blüf­fend ähnelt. »Expli­zit« poli­ti­sche Bücher mit Gegen­warts­be­zug schrieb er im Grun­de nur zwei: Men­schen inmit­ten von Rui­nen (1953, dt. 1991) und sei­nen Beglei­ter Den Tiger rei­ten (1961, dt. 1997). Der »Tiger«, den es zu »rei­ten« gilt, bis er von selbst zusam­men­bricht, ist die Moder­ne, der Rei­ter ist der Mensch der Tra­di­ti­on, der sich mit der Zeit, in der er leben muß, zu arran­gie­ren und abzu­fin­den hat. Mehr gibt es im Grun­de nicht zu tun, da poli­ti­scher Akti­vis­mus das Fatum des Kali-Yuga nicht auf­hal­ten kann.

Die­se »Apo­li­te­ia«, die Distanz und Ent­hal­tung von allem Poli­ti­schen, erschien Evo­la nach dem Krieg als die ein­zig mög­li­che und wür­di­ge Hal­tung. Wer trotz allem »auf­recht« bleibt, »wird auch im Kali-Yuga Früch­te erlan­gen kön­nen, die für Men­schen ande­rer Zeit­al­ter kaum erreich­bar waren.« Oder wie Ste­fan Geor­ge zu Ernst Robert Cur­ti­us sag­te: »Wir müs­sen erst durch die voll­ende­te Zer­set­zung hin­durch. Aber dann kommt’s wie­der besser.«

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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