Es ist heute kaum möglich, einen Staatsmann wie Heinrich II. zu begreifen. Zu sehr ist unser Blick von den Vorstellungen moderner Politik überlagert.
Aber als Heinrich am 6. Mai 973 im niederbayerischen Abbach geboren wurde, war wahrscheinlich nicht einmal der Begriff »Politik« in Gebrauch, da Aristoteles’ gleichnamige Schrift erst etwa 190 Jahre später ins Lateinische übersetzt werden sollte. Geistliche und weltliche Autorität waren so eng miteinander verschränkt, daß man sie teilweise kaum voneinander unterscheiden konnte.
Ein Chronist bezeichnete Heinrich als »Bruder der Mönche«. Er übergab Klöstern großzügige Schenkungen und Privilegien, setzte die monastischen Reformen von Cluny durch, erneuerte und gründete Bistümer und erhob 62 Bischöfe, die er in 15 Synoden versammelte und häufiger traf als seine Vorgänger und Nachfolger. Seine Hofkapelle bestand zu großem Teil aus Geistlichen, und die Mehrheit der von ihr ausgestellten Urkunden betraf kirchliche Angelegenheiten. Einer Heiligenlegende zufolge erhielt Heinrich eine Vision des Erzengels Michael auf dem Monte Gargano, zu dem er während seines dritten Italienzuges gepilgert war.
Neben der geistlichen Rückbindung war die Intensivierung der Königsherrschaft ein zentrales Merkmal seiner Regierungszeit. Nachdem sich Großvater und Vater erfolglos um die Krone bemüht hatten, setzte Heinrich, seit 995 Herzog von Bayern und seit 1000 mit Kunigunde von Luxemburg verheiratet, die bayerische Linie der Liudolfinger gegen Thronansprüche aus Meißen und Schwaben durch: Heinrich empfing Anfang 1002 den aus Italien kommenden Leichenzug Ottos III. im oberbayerischen Polling und brachte dessen Eingeweide nach Augsburg.
Er gestaltete auch die Grablege Ottos in Aachen und erließ Verfügungen für das Gebet für Otto. Heinrich, ein Vetter Ottos, handelte, als sei er dessen Sohn und legitimer Nachfolger. Trotz des fehlenden Einverständnisses einiger Vertrauter Ottos ließ sich Heinrich in Mainz zum König wählen und am 7. Juni 1002 von Bischof Willigis salben. Um die Anerkennung aller Großen zu erlangen, knüpfte er an die merowingische Tradition eines ausgedehnten Königsumritts an und ließ 1003 einen Kirchenumritt zu Bischofsstädten folgen.
Derweil wurde am 10. August 1002 in Paderborn zum erstenmal in der Geschichte des Reichs mit Kunigunde eine Königin gekrönt. Bisher erfolgten nur die Krönungen zur Kaiserin. Damit war der Grundstein für die bedeutungsvolle Mitherrschaft Kunigundes gelegt, die – ungewöhnlich häufig – in mehr als einem Viertel aller königlichen Urkunden als Vermittlerin oder Intervenientin beim König genannt wird.
Kunigunde half ihrem Ehemann dabei, durch eine starke persönliche Präsenz der beiden im Reich die Herrschaft zu sichern. Sie reisten zu Kirchweihen und Hochfesten in verschiedene Bischofsstädte. Heinrich bietet ein anschauliches Beispiel des frühmittelalterlichen Reisekönigtums, denn »fast alljährlich zeigt ihn sein buntes Aufenthaltsverzeichniß in sämtlichen Stammesgebieten des Reichs«, erklärte der Historiker Alfred Dove 1880.
Während Otto III. etwa die Hälfte seiner Herrschaft in Italien verbracht hatte und dafür von Zeitgenossen kritisiert worden war, eilte Heinrich nach seinen drei Italienzügen zurück und verbrachte die meiste Zeit auf Reisen innerhalb des Reiches. Dessen innere Einheit wollte er durch ein Netz persönlicher Beziehungen und Abhängigkeiten festigen, was ihm zwar gelang, wofür er allerdings Konflikte mit Adelsfamilien auf sich nahm, die sich in ihren lokalen Befugnissen von ihm zu sehr eingeschränkt sahen.
Aufgrund seiner im Vergleich zu seinen Vorgängern auffälligen Härte gegenüber Herzögen und Grafen, die sich seinen Entscheidungen widersetzten, beurteilten ihn manche modernen Historiker wie Johannes Fried und Hanns Leo Mikoletzky als skrupellos.
Dabei unterschätzten sie jedoch die Prägekraft der sich in Urkunden und Miniaturen widerspiegelnden Vorstellung Heinrichs vom König als zweitem Moses, der das ihm anvertraute Volk durch die Wüste führen und dabei auf die Einhaltung der Gebote achten müsse. Wie man auch Heinrichs Amtshandlungen im einzelnen bewerten mag, so läßt sich ihm doch keine Willkür vorwerfen. Heinrich regierte in der Erwartung, von Gott dafür gerichtet zu werden, wie es um das Reich bestellt sei.
Schließlich wurde ihm dieses direkt von Christus als dessen Stellvertreter auf Erden anvertraut, wie – so lesen wir bei Ernst Kantorowicz – es das ottonische Herrschaftsverständnis besagte und in Heinrichs Krönungsbild im Regensburger Sakramentar veranschaulicht wird. Seinen Höhepunkt fand dieses Selbstverständnis in der Kaiserkrönung am 14. Februar 1014 durch Papst Benedikt VIII. in Rom.
Heinrichs Pflichtbewußtsein wurde durch die um die Jahrtausendwende in Europa verbreitete Erwartung verstärkt, das Jüngste Gericht stünde unmittelbar bevor. Dies erzeugte einen »Schub in der Verchristlichung der Welt«, so der Heinrich-Biograph Stefan Weinfurter, und damit enorme kulturelle Leistungen: »Überall entstanden vor und nach der Jahrtausendwende neue Dome und Kirchen in ganz neuartigen Dimensionen und prachtvoll ausgeschmückt, in Worms, in Speyer, in Trier, in Hildesheim, in Eichstätt und Würzburg, in Konstanz und in Mainz, um nur einige zu nennen.«
In dem von Heinrich gegründeten Bistum Bamberg entstand eine Domschule, in Mainz eine umfassende Bibliothek, in Worms und Freising wichtige Kirchenrechtssammlungen und in Regensburg und Salzburg erblühte die Buchmalerei. Unter den von Heinrich eingesetzten Bischöfen waren bedeutende Dichter, Geschichtsschreiber, Mathematiker und Philosophen, weshalb ihm der Historiker Siegfried Hirsch 1875 attestierte, Ämter »mit ganz besonderem Geschick« vergeben zu haben.
Tadel erhielt Heinrich von dem Prußen-Missionar Brun von Querfurt für seine kriegerische Auseinandersetzung mit dem polnischen König Boleslaw Chrobry, der im Akt von Gnesen im Jahr 1000 von Otto III. noch zum »Freund und Genossen des römischen Volkes« erhoben worden war. Unter anderem die Ansprüche des Polen auf Böhmen, das mit Bayern verbündet war, veranlaßten Heinrich dazu, 1003 ein Bündnis mit den heidnischen Lutizen gegen die Polen einzugehen, das erst durch den Frieden von Bautzen zwischen Heinrich und Boleslaw 1018 endete.
Anders sah es im Westen des Reiches aus: Mit dem französischen König Robert II. schloß Heinrich bereits 1006 ein Freundschaftsbündnis, das 1023 erneuert wurde. Zudem erlangte Heinrich von dem burgundischen König Rudolf III., seinem kinderlosen Onkel, die Zusicherung, daß das Königreich Burgund als Erbe an das Reich fallen würde, was durch Heinrichs vorzeitigen Tod erst unter dem Salier Konrad II. 1033 erfolgte. Denn gerade »als die Verhältnisse des Reichs gut geordnet waren und […] er die Früchte seines Thuns zu ernten begonnen« hatte (Siegfried Hirsch), starb Heinrich am 13. Juli 1024 in der Pfalz Grone bei Göttingen, wohl an den Folgen eines langjährigen Steinleidens.
Das Kaiserpaar hinterließ keine Nachkommen. Heinrich wurde 1146 und Kunigunde 1200 heiliggesprochen. Beide fanden ihre gemeinsame letzte Ruhe in dem von Tilman Riemenschneider um 1500 geschaffenen Hochgrab im Bamberger Dom. Trotz sich zum Teil widersprechender Bewertungen wird Heinrichs Strukturierung des Reiches im allgemeinen als Vorbereitung des spätmittelalterlichen Verfassungsgefüges mit Königswahl und Kurfürstenkolleg wahrgenommen.
Zugleich scheint mit Heinrich die Sakralität des Reiches ihren Höhepunkt gefunden zu haben. Der dem George-Kreis nahestehende Historiker und Dichter Wolfram von den Steinen schrieb 1928: »Solang die kaiserliche Kirche blühte, von Otto bis auf Heinrich II., verstand es sich von selbst, daß der Kaiser als der Lenker der Allgemeinde Gottes Statt vertrat, und das Kaisertum war heilig, ohne daß es gesagt werden mußte.« Wenige Jahre später setzte der Benediktiner Stephanus Hilpisch nach: »Die Herrlichkeit des Reiches war niemals leuchtender denn zu jener Zeit, da Kaiser Heinrichs Haupt der Strahlenkranz eines Heiligen zierte.«