Vor tausend Jahren starb Heinrich II.

von Moritz Scholtysik -- PDF der Druckfassung aus Sezession 120/ Juni 2024

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Es ist heu­te kaum mög­lich, einen Staats­mann wie Hein­rich II. zu begrei­fen. Zu sehr ist unser Blick von den Vor­stel­lun­gen moder­ner Poli­tik überlagert.

Aber als Hein­rich am 6. Mai 973 im nie­der­baye­ri­schen Abbach gebo­ren wur­de, war wahr­schein­lich nicht ein­mal der Begriff »Poli­tik« in Gebrauch, da Aris­to­te­les’ gleich­na­mi­ge Schrift erst etwa 190 Jah­re spä­ter ins Latei­ni­sche über­setzt wer­den soll­te. Geist­li­che und welt­li­che Auto­ri­tät waren so eng mit­ein­an­der ver­schränkt, daß man sie teil­wei­se kaum von­ein­an­der unter­schei­den konnte.

Ein Chro­nist bezeich­ne­te Hein­rich als »Bru­der der Mön­che«. Er über­gab Klös­tern groß­zü­gi­ge Schen­kun­gen und Pri­vi­le­gi­en, setz­te die monas­ti­schen Refor­men von Clu­ny durch, erneu­er­te und grün­de­te Bis­tü­mer und erhob 62 Bischö­fe, die er in 15 Syn­oden ver­sam­mel­te und häu­fi­ger traf als sei­ne Vor­gän­ger und Nach­fol­ger. Sei­ne Hof­ka­pel­le bestand zu gro­ßem Teil aus Geist­li­chen, und die Mehr­heit der von ihr aus­ge­stell­ten Urkun­den betraf kirch­li­che Ange­le­gen­hei­ten. Einer Hei­li­gen­le­gen­de zufol­ge erhielt Hein­rich eine Visi­on des Erz­engels Micha­el auf dem Mon­te Gar­ga­no, zu dem er wäh­rend sei­nes drit­ten Ita­li­en­zu­ges gepil­gert war.

Neben der geist­li­chen Rück­bin­dung war die Inten­si­vie­rung der Königs­herr­schaft ein zen­tra­les Merk­mal sei­ner Regie­rungs­zeit. Nach­dem sich Groß­va­ter und Vater erfolg­los um die Kro­ne bemüht hat­ten, setz­te Hein­rich, seit 995 Her­zog von Bay­ern und seit 1000 mit Kuni­gun­de von Luxem­burg ver­hei­ra­tet, die baye­ri­sche ­Linie der Liudol­fin­ger gegen Thron­an­sprü­che aus Mei­ßen und Schwa­ben durch: Hein­rich emp­fing Anfang 1002 den aus Ita­li­en kom­men­den Lei­chen­zug ­Ottos III. im ober­baye­ri­schen Pol­ling und brach­te des­sen Ein­ge­wei­de nach Augsburg.

Er gestal­te­te auch die Grab­le­ge Ottos in Aachen und erließ Ver­fü­gun­gen für das Gebet für Otto. Hein­rich, ein Vet­ter Ottos, han­del­te, als sei er des­sen Sohn und legi­ti­mer Nach­fol­ger. Trotz des feh­len­den Ein­ver­ständ­nis­ses eini­ger Ver­trau­ter Ottos ließ sich Hein­rich in Mainz zum König wäh­len und am 7. Juni 1002 von Bischof ­Wil­li­gis sal­ben. Um die Aner­ken­nung aller Gro­ßen zu erlan­gen, knüpf­te er an die mero­win­gi­sche Tra­di­ti­on eines aus­ge­dehn­ten König­s­um­ritts an und ließ 1003 einen Kir­chen­um­ritt zu Bischofs­städ­ten folgen.

Der­weil wur­de am 10. August 1002 in Pader­born zum ersten­mal in der Geschich­te des Reichs mit Kuni­gun­de eine Köni­gin gekrönt. Bis­her erfolg­ten nur die Krö­nun­gen zur Kai­se­rin. Damit war der Grund­stein für die bedeu­tungs­vol­le Mit­herr­schaft Kuni­gun­des gelegt, die – unge­wöhn­lich häu­fig – in mehr als einem Vier­tel aller könig­li­chen Urkun­den als Ver­mitt­le­rin oder Inter­ve­ni­en­tin beim König genannt wird.

Kuni­gun­de half ihrem Ehe­mann dabei, durch eine star­ke per­sön­li­che Prä­senz der bei­den im Reich die Herr­schaft zu sichern. Sie reis­ten zu Kirch­wei­hen und Hoch­fes­ten in ver­schie­de­ne Bischofs­städ­te. Hein­rich bie­tet ein anschau­li­ches Bei­spiel des früh­mit­tel­al­ter­li­chen Rei­se­kö­nig­tums, denn »fast all­jähr­lich zeigt ihn sein bun­tes Auf­ent­halts­ver­zeich­niß in sämt­li­chen Stam­mes­ge­bie­ten des Reichs«, erklär­te der His­to­ri­ker Alfred Dove 1880.

Wäh­rend Otto III. etwa die Hälf­te sei­ner Herr­schaft in Ita­li­en ver­bracht hat­te und dafür von Zeit­ge­nos­sen kri­ti­siert wor­den war, eil­te Hein­rich nach sei­nen drei Ita­li­en­zü­gen zurück und ver­brach­te die meis­te Zeit auf Rei­sen inner­halb des Rei­ches. Des­sen inne­re Ein­heit woll­te er durch ein Netz per­sön­li­cher Bezie­hun­gen und Abhän­gig­kei­ten fes­ti­gen, was ihm zwar gelang, wofür er aller­dings Kon­flik­te mit Adels­fa­mi­li­en auf sich nahm, die sich in ihren loka­len Befug­nis­sen von ihm zu sehr ein­ge­schränkt sahen.

Auf­grund sei­ner im Ver­gleich zu sei­nen Vor­gän­gern auf­fäl­li­gen Här­te gegen­über Her­zö­gen und Gra­fen, die sich sei­nen Ent­schei­dun­gen wider­setz­ten, beur­teil­ten ihn man­che moder­nen His­to­ri­ker wie Johan­nes Fried und Hanns Leo Miko­letz­ky als skrupellos.

Dabei unter­schätz­ten sie jedoch die Prä­ge­kraft der sich in Urkun­den und Minia­tu­ren wider­spie­geln­den Vor­stel­lung Hein­richs vom König als zwei­tem Moses, der das ihm anver­trau­te Volk durch die Wüs­te füh­ren und dabei auf die Ein­hal­tung der Gebo­te ach­ten müs­se. Wie man auch Hein­richs Amts­hand­lun­gen im ein­zel­nen bewer­ten mag, so läßt sich ihm doch kei­ne Will­kür vor­wer­fen. Hein­rich regier­te in der Erwar­tung, von Gott dafür gerich­tet zu wer­den, wie es um das Reich bestellt sei.

Schließ­lich wur­de ihm die­ses direkt von Chris­tus als des­sen Stell­ver­tre­ter auf Erden anver­traut, wie – so lesen wir bei Ernst Kan­to­ro­wicz – es das otto­ni­sche Herr­schafts­ver­ständ­nis besag­te und in Hein­richs Krö­nungs­bild im Regens­bur­ger Sakra­men­tar ver­an­schau­licht wird. Sei­nen Höhe­punkt fand die­ses Selbst­ver­ständ­nis in der Kai­ser­krö­nung am 14. Febru­ar 1014 durch Papst Bene­dikt VIII. in Rom.

Hein­richs Pflicht­be­wußt­sein wur­de durch die um die Jahr­tau­send­wen­de in Euro­pa ver­brei­te­te Erwar­tung ver­stärkt, das Jüngs­te Gericht stün­de unmit­tel­bar bevor. Dies erzeug­te einen »Schub in der Ver­christ­li­chung der Welt«, so der Hein­rich-Bio­graph Ste­fan Wein­fur­ter, und damit enor­me kul­tu­rel­le Leis­tun­gen: »Über­all ent­stan­den vor und nach der Jahr­tau­send­wen­de neue Dome und Kir­chen in ganz neu­ar­ti­gen Dimen­sio­nen und pracht­voll aus­ge­schmückt, in Worms, in Spey­er, in Trier, in Hil­des­heim, in Eich­stätt und Würz­burg, in Kon­stanz und in Mainz, um nur eini­ge zu nennen.«

In dem von Hein­rich gegrün­de­ten Bis­tum Bam­berg ent­stand eine Dom­schu­le, in Mainz eine umfas­sen­de Biblio­thek, in Worms und Frei­sing wich­ti­ge Kir­chen­rechts­samm­lun­gen und in Regens­burg und Salz­burg erblüh­te die Buch­ma­le­rei. Unter den von Hein­rich ein­ge­setz­ten Bischö­fen waren bedeu­ten­de Dich­ter, Geschichts­schrei­ber, Mathe­ma­ti­ker und Phi­lo­so­phen, wes­halb ihm der His­to­ri­ker Sieg­fried Hirsch 1875 attes­tier­te, Ämter »mit ganz beson­de­rem Geschick« ver­ge­ben zu haben.

Tadel erhielt Hein­rich von dem Pru­ßen-Mis­sio­nar Brun von Quer­furt für sei­ne krie­ge­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit dem pol­ni­schen ­König Boles­law Chro­bry, der im Akt von Gne­sen im Jahr 1000 von Otto III. noch zum »Freund und Genos­sen des römi­schen Vol­kes« erho­ben wor­den war. Unter ande­rem die Ansprü­che des Polen auf Böh­men, das mit Bay­ern ver­bün­det war, ver­an­laß­ten Hein­rich dazu, 1003 ein Bünd­nis mit den heid­ni­schen Luti­zen gegen die Polen ein­zu­ge­hen, das erst durch den Frie­den von Baut­zen zwi­schen Hein­rich und Boles­law 1018 endete.

Anders sah es im Wes­ten des Rei­ches aus: Mit dem fran­zö­si­schen König Robert II. schloß Hein­rich bereits 1006 ein Freund­schafts­bünd­nis, das 1023 erneu­ert wur­de. Zudem erlang­te Hein­rich von dem bur­gun­di­schen König ­Rudolf III., sei­nem kin­der­lo­sen Onkel, die Zusi­che­rung, daß das König­reich Bur­gund als Erbe an das Reich fal­len wür­de, was durch Hein­richs vor­zei­ti­gen Tod erst unter dem Sali­er Kon­rad II. 1033 erfolg­te. Denn gera­de »als die Ver­hält­nis­se des Reichs gut geord­net waren und […] er die Früch­te sei­nes Thuns zu ern­ten begon­nen« hat­te (Sieg­fried Hirsch), starb Hein­rich am 13. Juli 1024 in der Pfalz Gro­ne bei Göt­tin­gen, wohl an den Fol­gen eines lang­jäh­ri­gen Steinleidens.

Das Kai­ser­paar hin­ter­ließ kei­ne Nach­kom­men. Hein­rich wur­de 1146 und Kuni­gun­de 1200 hei­lig­ge­spro­chen. Bei­de fan­den ihre gemein­sa­me letz­te Ruhe in dem von Til­man ­Rie­men­schnei­der um 1500 geschaf­fe­nen Hoch­grab im ­Bam­ber­ger Dom. Trotz sich zum Teil wider­spre­chen­der Bewer­tun­gen wird Hein­richs Struk­tu­rie­rung des Rei­ches im all­ge­mei­nen als Vor­be­rei­tung des spät­mit­tel­al­ter­li­chen Ver­fas­sungs­ge­fü­ges mit Königs­wahl und Kur­fürs­ten­kol­leg wahrgenommen.

Zugleich scheint mit Hein­rich die Sakra­li­tät des Rei­ches ihren Höhe­punkt gefun­den zu haben. Der dem Geor­ge-Kreis nahe­ste­hen­de His­to­ri­ker und Dich­ter Wolf­ram von den Stei­nen schrieb 1928: »Solang die kai­ser­li­che Kir­che blüh­te, von Otto bis auf Hein­rich II., ver­stand es sich von selbst, daß der Kai­ser als der Len­ker der All­ge­mein­de Got­tes Statt ver­trat, und das Kai­ser­tum war hei­lig, ohne daß es gesagt wer­den muß­te.« Weni­ge Jah­re spä­ter setz­te der Bene­dik­ti­ner ­Ste­pha­nus Hil­pisch nach: »Die Herr­lich­keit des Rei­ches war nie­mals leuch­ten­der denn zu jener Zeit, da Kai­ser ­Hein­richs Haupt der Strah­len­kranz eines Hei­li­gen zierte.«

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