Erröten wir so schnell? Sind wir so engstirnig? Die Maßstäbe müssen andere sein, müssen! Ich sah ihn gern, diesen Film, mit zunehmender Dauer gefiel er mir sogar immer besser, und ich notiere mal, warum das so ist und warum ich ihn auf jeden Fall ein zweites Mal sehen will.
Grundlegend: Mir gefällt die Deutung Wolfgang Hohlbeins. Dessen Roman “Hagen von Tronje” liegt der Verfilmung zugrunde, vier Elemente unterscheiden sich wesentlich von der überlieferten Sage (und ich setze voraus, daß die Leser den Nibelungen-Stoff kennen, also wissen, wer Siegfried und Hagen, Gunter, Gernot und Giselher, Kriemhild und Brunhild waren).
1. Hagen liebt Kriemhild, spricht es nie aus, ordnet seine Liebe der Staatsraison unter;
2. Siegfried betrügt Kriemhild mit Brunhild, wird von Hagen erwischt und zum Zweikampf herausgefordert.
3. Als Hagen schon fast unterlegen ist, ersticht König Gunter Siegfried mit der Lanze. Hagen nimmt den Meuchelmord auf sich und erntet Kriemhilds Haß.
4. Hohlbein läßt als Fantasy-Autor übernatürliches Personal in seinem Roman auftreten, also vorzeitige Wesen, Dämonisches.
Ich bin mir sicher, daß Hohlbein, als er seinen Roman schrieb, Joachim Fernaus Disteln für Hagen kannte und aus dessen Hagen-Darstellung sogar seine waghalsige, freie, aber stimmige Deutung ableitete. Und mehr: Was an Fernaus Geschichtsdarstellungen (Rosen für Apoll, Cäsar läßt grüßen, Deutschland, Deutschland über alles, Sprechen wir über Preußen und andere) ein breites Publikum bestach, ist der gerade noch im Rahmen gehaltene, lässige Umgang mit den Heroen, mit dem ganzen erhabenen Personal.
Wer einmal las, wie Fernau Siegfrieds Ankunft in Worms beschrieb, vergißt es nicht wieder und erinnert sich im Film, um den es hier geht, gleich daran: Siegfried tritt rotzig auf, als einer, der Konventionen nicht hoch schätzt, sondern ein Hund des Krieges ist, ein Dog of War, einer von denen, die “den Unterschied machen”, wie es mittlerweile auf jedem Bolzplatz tönt, wenn einer das Spiel dreht.
Siegfried ist so einer, das hat mir immer viel deutlicher eingeleuchtet als dieses hehre Verbeugen, Streiten, Turnieren, Freien und Jagen. Siegfried tut nur so, als sei er höfisch. Er tut so, weil es um die höfische Kriemhild geht und weil er vor ihr nicht denjenigen geben will, der er auch ist: der Eroberer, der Sonntagsgeborene, der sich an keine Spielregeln halten muß, dem es zufliegt und der sich rücksichtslos nimmt – guten Willens wohl, aber eben doch rücksichtslos.
Es tut mir fast leid, das so zu sagen, aber nur fast: Das in jeder Hinsicht Gefaßte und Edle, wenn das ritterliche Mittelalter dargestellt wird – das ist wie Krawatte tragen und sich dahinter verstecken.
Wer lesen will, wie es auch zuging, sollte zu Wolf von Niebelschütz greifen, zu seinen Die Kinder der Finsternis, zu einem ganz großartigen Roman also, in dem die Ritter und Knappen verlieren, siegen, ankommen, frieren, schwitzen, in der Messe lungern, hart üben, Unfug treiben, ewig stolz und ewig verzagt sind und auf so derbe Art um die Weiber herumscharwenzeln, daß man sich denkt: klar, was auch sonst, und: die können sich ja wehren, und zwar so richtig.
So ist Siegfried, natürlich nicht nur, sondern auch, und wenn es zunächst ein bißchen aufgesetzt wirkt, wie er gleich mit einer Duellforderung auf König Gunter von Worms zutritt, dann fällt diese Großspurigkeit ganz glaubwürdig ab, als es gegen die Dänen und Sachsen ins Feld geht: Der Held scheint auf und bricht durch. Siegfried prescht los, stößt nächtens auf die vorderen Linien der Feinde, erschlägt den Anführer und wirft den Kopf Hagen vor die Füße, in einer Mischung aus irrer Selbstbegeisterung, Blutrausch und halbem Zittern vor Aufregung (“Sie kommen, Wer kommt mit?”).
Ich will den jungen Mann sehen, der sich vor der Leinwand nicht packen läßt, so, wie im Film Giselher, der jüngste der Könige, der Siegfried nachstürzt, während Hagen die Schlachtordnung wahren und die Gefahr abschätzen will. Das ist eine große Szene, in ihr kippt der Film in einen guten Film, so sehe ich das. Siegfried, heroisch, reißt mit, die ersten folgen, dann alle, und Hagen auch, denn er weiß: Ordnen kann er nichts mehr, also los, mit allem drauf, was da ist.
Man siegt, danach wird gefeiert, das ist die immerselbe Atmosphäre, das kennt man, wenn man schon einmal zurückkehrte von etwas nicht ganz Gewöhnlichem, von einer großen Anstrengung unter Kameraden: nach einer Woche Winterkampf in Balderschwang endlich heiße Duschen, trockenes Zeug, aus den Stuben Musik, ausgelassenes Gekoche auf Gasbrennern, dummes Gewitzel, keine Außenwelt, nur wir, wieder zurück, man hat bestanden, und nun wird gefeiert … So ist es doch auch im IB-Keller in Wien nach der Demo und der Aktion, oder trinkt man dann Tee mit den Lieben und trägt schon wieder Krawatte?
Oder die Szene im Film Das Boot, die Anfangsszene, das Fest vor der Feindfahrt: keine gesittete Semesteranfangskneipe mit Couleurdamen, sondern eine Orgie, so richtig ausgebreitet, denn am nächsten Tag wird es eng werden, sehr eng für Wochen, über und unter Wasser, und ob man zurückkehrt oder absäuft, weil das Boot nicht zu halten ist – man weiß es nicht. … Ich kann mich erinnern an Konservative, die den Film unmöglich fanden, dieser Szene wegen.
Aber wieder Hagen: Er sieht genauer, was anderen entgeht, und er ordnet ein: Wenn Siegfried Gunter half, Brunhild zu erobern, dann tat er es als einer, der die Walküre schon einmal besiegt und sich genommen hatte. Wenn Siegfried nach der ersten Schlacht und den ganzen Feldzug lang in Rausch und gläsern lebendig durch die Nähe des Todes immer wieder hemmungslos nach dem greift, was sich ihm nur zu gern hingibt – dann gefährdet, unterminiert, verspottet er die Autorität Gunters, und mit ihr das ganze Staatsgefüge.
Zuhause: Kriemhild, wartend, aber irgendwann ahnt und weiß sie es. Zuhause auch: Gunter, nicht mit vorn an der Front, ahnt längst, spürt, daß er, der Ehemann, weder begehrt noch respektiert wird, sondern schlicht Staffage ist, eine notwendige Nebenrolle spielt.
Man begreift Hagen und seine Größe. Hagen erträgt, Hagen dient, Hagen sieht nicht weg, aber er kennt die Menschen, Mann und Frau, das kochende Blut, das Fiebrige vor, den Rausch in und den Taumel nach der Schlacht, das Unausweichliche. Hagen will hegen, eindämmen, warnt zuletzt, und als alles nicht hilft, stellt er Siegfried, denn es geht längst um die Würde des Hauses Worms, und er ist der Waffenmeister.
In “Hagen – Im Tal der Nibelungen” kommt es nicht zum Streit der Könige, der im überlieferten Lied der Auslöser für den unversöhnlichen Streit ist und für den Argwohn Gunters. Die Königinnen haben rein gar nichts miteinander zu schaffen: Walküre oder Edelfräulein, Kickboxen oder Kaffeetafel, Sex oder Beischlaf – was soll da anbrennen? Es sind Welten.
Gunter will und muß herrschen, obwohl der Betrug an ihm nagt. Siegfried kann am Ende nicht so tun, als ob nichts wäre, vermutlich hält er es nicht einmal für besonders verwerflich. Er und Brunhild – das ist so naheliegend, warum blieb er nicht dort, auf Island, warum mußte er so tun, als ginge es auch mit einer Kriemhild?
Als Gunter ihm zuletzt den Speer in den Rücken rammt, tut er es nicht als Ebenbürtiger. Diejenigen, die einander kennen, haben aufeinander eingeschlagen bis zur Erschöpfung. In einer Saukuhle hat Hagen Siegfried beinahe ertränkt, aber nun liegt er unten, und es geht zu Ende. Da stößt Gunter zu.
Ich meine gesehen zu haben, daß es Hagen in diesem Moment egal ist. Er hätte auch sterben können, sein Soll ist erfüllt, er wäre von einer Gegenkraft umgebracht worden, einem anderen Lebensgesetz, einer Kraft, die in der Welt ist und ohne die das Leben nicht wäre, was es ist, und sein Verlauf eine Abfolge, die man ausrechnen kann.
Staatsraison gegen strahlende Verdichtung: Ich werbe sehr dafür, das, was in diesem Film aufeinanderprallt, so zu sehen, zu spüren und zu durchdenken. Man kann an solchen Filmen ganze Themenstränge knüpfen – Staat, Dienst, Loyalität, Persönlichkeit, Charisma, Mythos undsoweiter.
Man kann natürlich auch den Film schauen und danach so über Siegfried schreiben, wie es der Rezensent in der Jungen Freiheit vom 18. Oktober tut:
Bei Kriemhild kommt er mit seinen Rockerallüren gut an. Nach einem gemeinsamen Waldspaziergang ist sie seine Verlobte.
Nein, so war es nicht: Drei Tage lang reitet Siegfried mit Kriemhild durch die Wälder, zeigt Vorzeitliches, Unwirkliches, sich selbst, und in jeder Pause, die sie machen, sind sie nackt und zerkratzen sich. So war Siegfried schon auf Island, aber in der JF heißt es:
Doch der blonde Schnösel hat selbst ein Auge auf Brunhild geworfen.
Eben nicht. Was soll auch dieser Dornröschenblick auf solch eine Sage, einen solchen Film? Soll sanft in den Rosenhag ein Durchgang gezwickt werden, weil der Ritter der schlafenden Schönen ein Küßchen aufdrücken möchte? Das ist für Kinder so nacherzählt, kindgerecht, zurecht.
Aber die alte Geschichte, die dem Nibelungenlied zugrunde liegt, ist verwegen, unglaublich, heldisch, brachial: Siegfried “hat kein Auge geworfen”, er war schon dort, hat die Waberlohe durchschritten und sich zur Walküre gelegt (jedenfalls nicht nur einmal und nicht nur für ein Küßchen, sondern in einem Wechsel aus Jagd und Lust monatelang). Dann haute er ab, und nun, als er zurückkehrt, kann er das kaum verleugnen, und Hagen merkt es sofort.
Man sollte nicht mit Kindern in diesen Film gehen und sollte sich nicht daran aufhalten, daß die Waffenmeisterin Brunhilds eine Art Irokesen trägt und in der Schlacht gegen die Sachsen ein Flintenweib fällt, das von Hagen trainiert worden ist. Das alles ist leicht weggewischt, wenn es einem überhaupt auffällt, während man eines sieht: Diese Männer, Helden, Typen sind keine Fremden. Wir alle sind mehr als tausend Jahre alt.
RMH
Danke für die Rezenssion. Ich schaue mir den Film am Donnerstag an. War beim Bestellen der Tickets skeptisch, jetzt natürlich weniger.
Bei Fühmanns kongenialer Bearbeitung des Stoffes werden einige Damen übrigens auch recht eindeutig genommen - da kam ich beim Vorlesen des Buches bei meinem Kindern ein bisschen ins Eröten.
Zur JF-Besprechung: Evtl. muss ein JF Rezensent aber auch zwingend distanziert-kritisch sein, wenn es um ein sog. Pilotfilm zu einer zukünftig dann auf RTL+ abonnierbaren Serie geht. Aber genau das zeichnet die Sezession eben aus. Erstmal ohne Scheuklappen ran an den Stoff - danach wird geurteilt, nicht davor.