In Grimma ist gestern durch einen massiven Polizeieinsatz ein rechtes Hausprojekt beendet worden. Man wirft denen, die sich dort sammelten, die Bildung einer terroristischen Vereinigung vor. Einer der Betreiber, Kurt H., liegt verletzt mit einer Schußwunde im Kieferbereich im Krankenhaus. Er soll nach einer Waffe gegriffen haben, als die Bundespolizei das Haus stürmte.
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, aber das andere ist die Jacke und das eine das Hemd. Es liegt näher.
An der Jacke interessiert mich der deutsche Standpunkt, mehr nicht. Wessen Sieg ist besser für uns, für unsere Lage, für die Lage unseres Vaterlands, das von Vaterlandsverächtern regiert wird und einem “Westen” preisgegeben wurde, der seinen Kredit verspielt hat?
Trump – wird er verstehen, daß der von den USA geführte Westen nach der Revolution von 1990 alles in der Hand hatte, aber fast alles verspielt hat? Man hätte Vorbild sein müssen und hat den Kolonialherrn gespielt. Man traf auf Nachahmungsbegeisterung und hat diejenigen, die nachahmen und gleichziehen wollten, in eine Nachahmungsskepsis getrieben, die nun die Grundlage ist für eine machtvolle Identitätsbildung jenseits des Westens und gegen ihn.
Die Konfrontation, die der Westen in und durch die Ukraine aufbaute, ist für ganz Europa und vor allem für Deutschland verheerend. Sie ist das Ergebnis geopolitischen Starrsinns. Der Weg aus der bipolaren über eine kurze unipolare hin zu einer multipolaren Weltordnung lag so nahe und ist so unaufhaltsam selbstverständlich, daß er durch die seit anderthalb Jahrzehnten aufgebaute harte Konfrontation gegen Rußland vermutlich nicht einmal aufgeschoben, sondern sogar beschleunigt wird.
Das sind naheliegende Gedanken, naheliegende Beobachtungen. Hauke Ritz hat das in seinem jüngst erschienenen Buch Vom Niedergang des Westens zur Neuerfindung Europas aufgefächert. Er fragt darin nach dem Realitätssinn der “Kolonialmacht” USA. Dieser für jedes politische Handeln so wichtige Realitätssinn sei verletzt, seine Ableitungen mißachtet worden. Dies sei allein schon daran erkennbar, daß
während der Niederschrift dieses Buches ein antiwestlicher Block entsteht, der die größte Nuklearmacht (Rußland), die größte Rohstoffmacht (Rußland), die größte Wirtschaftsmacht (China), die beiden bevölkerungsreichsten Staaten der Welt (Indien, China) und die zwei wichtigsten Ölproduzenten des Nahen Ostens (Saudi-Arabien, Iran). die beiden kulturell einflußreichsten Staaten der islamischen Welt (Ägypten, Iran) und die stärkste Macht Lateinamerikas (Brasilien) vereint.
Ich lerne viel, während ich das Buch von Hauke Ritz lese. Sein Ton ist ruhig, die Annäherungswege an die These, daß der Westen im Niedergang begriffen sei, sind aufgefächert und plausibel. Immer wieder schlägt die Verwunderung durch, warum Deutschland (und damit Europa) den Weg dieses Niedergangs mitmache, also: sich auf Gedeih und Verderb an diesen Westen knüpfe, dem gerade unser Land in seiner Geschichte nie nur angehörte, sogar ganz zuletzt wiederum nicht, denn es wurde durch die Vereinigung zweier Teilstaaten nach der Wende wieder östlicher.
Es geht um die Dimension unserer Abhängigkeit von einem Hegemon, dessen Bedeutungsverlust seit zwei Jahrzehnten zunimmt und der sich mit Methoden der Zerstörung und des kriegerischen Eingriffs in die Entwicklung ganzer Regionen dagegen wehrt – einfallslos, brutal, mit großem Schaden auch für die Reputation seiner Verbündeten.
Wer will noch im us-amerikanischen Sinn “liberal” sein, wer sich noch das rücksichtslose, disruptive, sendungsbewußte und hochnäsige der Identitätserzählung dieses Kontinents überstülpen und darüber vergessen, wer er selbst war und ist und sein könnte, sollte?
Zurück zur US-Wahl: Der Sieg Trumps ist geopolitisch nur dann interessant für uns, wenn er mit der amerikanischen Überzeugung bricht, daß man zugleich globaler Gesetzgeber, Ankläger, Richter und Polizist sei. Das ist nämlich der Eindruck der nicht-westlichen Welt: daß man es mit einem Hegemon zu tun habe, der Regeln diktiere, sich selbst an keine halte und Diplomatie, Ausgleich und Zugeständnis für ein Zeichen von Schwäche halte, nicht für das also, was derlei eigentlich sei: altes europäisches Völkerrechtsverständnis.
Trump müßte sich von der Mentalität der “einen Weltmacht” lösen und in der multipolaren Welt die Rolle der USA zu definieren beginnen. Für Europa könnte dies das Ende eines entsetzlichen Krieges bedeuten, für Deutschland die Öffnung des neuen eisernen Vorhangs in Richtung Osten.
Daß Trumps Sieg darüber hinaus einer über die woke Weltgemeinschaft und ihre Panik wäre, ist selbstverständlich. Ob dies dem Projekt “Deutschland, aber normal” einen Schub geben könnte, weiß ich nicht zu sagen. Jedenfalls stehen die Chancen nun besser, nachdem Harris nicht gewonnen hat.
Alle diese möglichen Vorlagen sind aber ohne Bedeutung, solange sie als Jacke über ein Hemd gezogen werden müssen, das nicht sitzt und nicht zu tragen ist. Ich will das Bild von Jacke und Hemd nicht strapazieren. Indes sind uns die Zustände im Innern Deutschlands ohne Zweifel näher als eine Wahl auf dem Kontinent des Hegemons. Sie wird den Tag und die Woche prägen, aber die deutschen Verhältnisse werden danach immer noch dieselben sein.
Gestern haben diese Verhältnisse dazu geführt, daß Beamte der Bundespolizei in Grimma das aushoben, was für sie unter dem Verdacht steht, eine rechtsextremistische Terrorzelle zu sein. Man habe sich dort “kontinuierlich auf den aus ihrer Sicht unausweichlichen Systemsturz” vorbereitet. Man habe sich mit Flecktarnanzügen, Gefechtshelmen, Gasmasken und Schutzwesten ausgerüstet. Man sei nachts gewandert.
Ausgehoben wurde unter anderem Kurt H., den ich als sächsisch-behäbig kenne, eine Selbstversorgerseele, Typ Kamerad, am Regionalen interessiert, geschickter Handwerker, jung verheiratet, nüchtern im Gespräch. Er ist Schatzmeister der Jungen Alternative in Sachsen, das wird man nicht, wenn man nicht gründlich und akkurat wirtschaften kann.
Kurt H. war auf Akademien in Schnellroda, ich traf ihn und seine Frau auf Demonstrationen, die Gespräche waren nie radikal, immer ging es ums Konkrete: Studium ja oder nein, warum wandern manche aus, warum mag ich den Volkstanz ums Verrecken nicht, was lest Ihr gerade so?
Kurt H. hat nun eine Schußverletzung am Kiefer und ist operiert worden. Er hat sich bei der Erstürmung seines Hauses in Grimma gewehrt, denn er wußte nicht sofort, wer da durch die Türe brach – Antifa oder Dein-Freund-und-Helfer. Es wurde auf ihn geschossen, und zwar ins Gesicht.
Mich interessiert der Hergang gewaltig. Mich interessiert außerdem, ob es sich beim Terrorverdacht um mehr als nächtliche Marschleistung, Geländespiele, Paintball mit Häuserkampf, Reenactment, Kradfahren, Nahkampftraining, Bogenschießen, Jagdscheinwaffen und eine naheliegende Jungmännerkameradschaft handelte – um dummes Gerede oder gar kein Gerede, Tittengequatsche, Puffneigung, verwahrlostes Vokabular für das, was solche Kerle für männlich, militärisch, für eine Herausforderung halten, immer unter dem Eindruck, tatsächlich und eigentlich selbst zurechtkommen zu müssen in einem Land, das seine Bürger im Stich zu lassen beginnt.
Das ist das Hemd, nicht die Jacke: Solche Leute brauchen Führung, eine verantwortungsbewußte patriotische Einbindung, eine nicht-endzeitliche Perspektive. Aber vielleicht war es auch ganz anders, ganz und gar harmlos: ein Hausprojekt mit Bollerofen, Geweihtrophäen, schnapsig nach dem Arbeitseinsatz, und vielleicht hängt (hing) sogar eine Gitarre herum, was weiß ich.
Ich rede nichts schön. Vielleicht ist unter denen, die verhaftet wurden, ein echter Depp, ein verantwortungsloser Penner, einer, der in Phantasien schwelgt, eine Diagnose braucht.
Aber was soll das sein: eine Terrorgruppe, bestehend aus einem Dutzend junger Männer? Eine Gefahr für ein System? Und was ist das: ein Schuß in den Kiefer?
Wir haben in diesem Jahr allein vier krasse Fälle von Aufladungsversuchen erlebt, den Correctiv-Skandal, das Compact-Verbot, den Thüringer Landtagsskandal und nun dies: die parteipolitische Alternative soll angebräunt und kriminalisiert werden, sie ist zu erfolgreich, nicht angepaßt, eingepaßt, steuerbar genug. Auch deshalb gilt für mich bis zur Klärung das Prinzip der Unschuldsvermutung.
Die Glaubwürdigkeit des Faeser-Ministeriums ist längst dahin, die Maßstäbe sind es sowieso. Das ist unsere Lage, daran ändert kein Sieg in den USA etwas.
Ich will wissen, was wirklich los war. Das ist das Hemd.
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Nachtrag, Mittagszeit, Pressemitteilung der sächsischen AfD:
Sächsische AfD beschließt Ausschluss von Kurt H., Hans-Georg P. und Kevin R.
Der Landesvorstand der sächsischen AfD hat den sofortigen Entzug der Mitgliedsrechte und Parteiausschluss für Kurt H., Hans-Georg P. und Kevin R. einstimmig beschlossen.
Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen eine Mitwirkung in einer rechtsterroristischen Gruppe mit dem Namen „Sächsische Separatisten“ vor.
Dazu erklärt der sächsische AfD-Landesvorsitzende Jörg Urban:
Die AfD lehnt jegliche Form von Gewalt in der politischen Auseinandersetzung ab. Auch Vorbereitungen auf mögliche Gewalttaten oder Umstürze sind inakzeptabel. Der Landesvorstand musste deshalb schnell handeln und er hat schnell gehandelt. Wer sich bewaffnet, die Nähe zu tatsächlichen Neonazis sucht und separatistische Phantasien befürwortet, hat in der AfD nichts zu suchen. Denn wir sind eine freiheitliche, friedliebende und demokratische Partei.
RMH
Was wir aus allem bisherigen, bei der Aushebung mehr oder weniger vermeintlicher "Terrorzellen" gelernt haben, ist der Umstand, dass die Schablonen, die bei solchen Razzien sofort in der Öffentlichkeit präsentiert werden, am Ende meist nicht passen, aber oft ist irgendwas dann doch daran, was eben aufgeblasen wird, daher ist es richtig, wenn bspw. die AfD-Führung keine Blanko-Schecks in Sachen Solidarität ausstellt. Und mit den sofort präsentierten Schablonen sind wir aus meiner Sicht bei einer uns doch sehr stark betreffenden Lehre aus der USA-Wahl. Der Sieg Trumps ist auch die Wiederholung des Siegs über unsere MSM, die - obwohl hier keiner überhaupt den US-Präsidenten wählen kann - wie im Jahr 2016 nicht Berichterstattung gemacht haben über die den US-Wahlkampf, sondern sich selber zur Wahlkampfpartei gemacht haben. 2016 für Clinton, 2024 für Harris. Wann merkt eigentlich die Generation Ü60, dass es besser ist, die geliebte Tageszeitung abzubestellen und nicht mehr Heute im ZDF zu sehen? Der Vertrauensverlust gegenüber unseren "öffentlich-rechtlichen" sollte doch langsam durchdringen, oder?