Der Autor ist kein Unbekannter mehr. Schon seine Romane hatten einen gewissen Erfolg, aber die Abrechnung mit seiner Zeitung, der „Süddeutschen“, an der er ein mit Preisen dekorierter Vorzeigeautor war und der er sich mehr und mehr entfremdete, wurde vor vier Jahren unter dem Titel Wie ich meine Zeitung verlor ein Bestseller im widerständigen Milieu. Seine ostdeutsche Geschichte, die dort typische Sensibilität gegenüber totalitären Taten und Worten, gab ihm schon damals einen Erkenntnisvorsprung. Jetzt kann er selbstbewußt schreiben: „Aus meinen einstigen Erfahrungen erwächst mir Überlegenheit.“
In seinem neuen Buch, einem Roman, wird das noch einmal potenziert. Das kann auch nicht verwundern: Der Mann hat viel seither beobachtet und nachgedacht. Die dramatischen Ereignisse der letzten Jahre boten auch mehr als genügend Stoff.
Nun sitzt sein Held also in der Zelle und schreibt sich zur Selbstrettung alles von der Seele. Mehrere Geschichten werden in der Versatztechnik erzählt. Jetzt, am Ende der Repression, gehen ihm die Lichter auf und es bricht aus ihm in klaren Worten hervor, was sich über Jahre und Jahrzehnte dumpf und sprachlos angestaut hatte. Alles begann wohl mit dem Niedergang der DDR, der sogenannten Wende, dem Sieg des Westens und dessen ökonomischer und geistiger Übernahme. Und der Sprachlichen! Die erste Emanzipation ist eine sprachliche, das Durchschauen und endliche Ablehnen der westdeutschen Sprachmuster, die auf den Ostdeutschen oft so verheerend wirken.
Das Buch leistet dreierlei, und man wird schwerlich einen anderen Text finden, wo so tief geschürft wird. Es erklärt dem (vornehmlich ostdeutschen) Leser die Diskrepanz, die hier viele fühlen, aber nur wenige begreifen und noch wenigere in Worte fassen können. Was ist es, was den DDR-Sozialisierten abstößt am Westen, was ist die große und die kleine Differenz, und wer sind wir selbst? Es macht dem (vornehmlich westdeutschen) Leser, sofern er aufmerksam liest, die Psyche, das Denken, das Empfinden der Ostdeutschen endlich begreifbar, und zwar nicht in kalten akademischen Termini, sondern lebensweltlich faßbar. Und es hat direkten Zugriff – auch hier in lebendigen Begriffen – worin die autoritären Tendenzen im jetzigen, im heutigen Deutschland wurzeln und wie sie sich äußern.
Im Grunde haben wir es mit einer Dystopie zu tun. Die Handlung spielt drei oder fünf Jahre voraus. Viele der politischen Protagonisten sind noch zu erkennen und sie namhaft zu machen, ist vielleicht das Mutigste an diesem Buch – immerhin leben wir in Zeiten, in denen Politik, Verfassungsschutz und Medien sich immer mehr in Selbstbestätigung abschotten und Kritik verunglimpfen oder gar juristisch verfolgen.
Aber die Repressionen sind nur Zeichen der Unsicherheit des politischen Systems, das ins Wanken gerät. Der Mann mit der Maske wird ohne eigenes Zutun zum Meme, zum Star, sein Tun findet Nachfolger, eine Protestwelle überschwemmt bald das Land – das Ende der DDR spielt sich zeitlich versetzt aber doch mit eigentümlichen Parallelen ein zweites Mal als Ende der BRD ab.
Fast könnte man meinen – und das wäre die vierte und vielleicht verwegenste Leistung –, daß der Autor einen Blueprint liefern wollte: So könnte es gehen, eine Anleitung zum Aufstand für ein wahrhaft demokratisches Deutschland.
Birk Meinhardt: Abkehr. Ein Hafttagebuch. Vabanque Verlag, Berlin 2024. 284 S. 22,00 € – hier bestellen
RMH
"Der Mann mit der Maske wird ohne eigenes Zutun zum Meme, zum Star, sein Tun findet Nachfolger, eine Protestwelle überschwemmt bald das Land – das Ende der DDR spielt sich zeitlich versetzt aber doch mit eigentümlichen Parallelen ein zweites Mal als Ende der BRD ab.
Fast könnte man meinen – und das wäre die vierte und vielleicht verwegenste Leistung –, daß der Autor einen Blueprint liefern wollte: So könnte es gehen, eine Anleitung zum Aufstand für ein wahrhaft demokratisches Deutschland."
Liest sich wie die Drohung mit einem Happy End oder zumindest dem, was am Ende der Büchse der Pandora kommt - und damit landet das Buch nicht auf meiner Einkaufsliste.