LESEN – Ich bin ein großer, nostalgischer Freund der achtziger Jahre, auch wenn meine eigene Teenager- und Jugendzeit erst ein Jahrzehnt später einsetzte.
Beste Voraussetzungen, um den offenbar stark autobiographischen Roman von Stefan Wimmer über den ersten elternlosen Urlaub einer Bande Zehntklässler aus München-Pasing in Italien wie eine eskapistische Droge zu genießen.
Das Mittelteil eines Triptychons rund um die wegen ihres New-Wave-Outfits so benannte “Kajal-Clique”, “immer auf der Suche nach Abenteuern, Partys, und der großen Liebe”, ist eine launige Zeitreise, in der alles (soweit ich es ermessen kann) stimmig und realistisch gezeichnet ist: Die Menschen, die Klamotten, die Frisuren, die Fahrzeuge, der Jugendjargon, die Musik (im Anhang gibt es eine “Playlist”), die Sitten, die Art der Kommunikation (ohne Internet und ohne Smartphone) und die altersentsprechende Abendunterhaltung.
“Die Freiheit, die damals herrschte, ist heute undenkbar”, merkt der Autor gleich zu Beginn an, man konnte die Sommer noch genießen, weil nicht wie heute “jedes Grad Celsius mit dem Panik-Thermometer” abgemessen wurde. Spitzen wie diese gegen die Gegenwart, die dem Autor im Vergleich zu damals angepaßt und gleichgeschaltet erscheint, blitzen immer wieder auf.
Die geschilderte “Freiheit” ist dabei vor allem auch erotischer Natur, was einem Großteil der burlesken Eskapaden der vier Hauptfiguren das abendfüllende Thema gibt.
Das Roman ist ein bißchen wie eine John-Hughes-Komödie (The Breakfast Club, Ferris macht blau etc.) auf bayrisch, und wer dergleichen goutieren kann, dem sei diese fröhliche Flucht aus der Zeit empfohlen.
Stefan Wimmer: Lost in Translatione, Blond Verlag München, 288 Seiten, 18 € – hier bestellen.
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LERNEN – Auch das zweite Buch, das ich empfehle, eignet sich hervorragend zum Eskapismus aus der schnöden Gegenwart.
Obwohl es nicht seine vordringliche Absicht ist, so kann man daraus eine Menge “lernen”, en passant, und mit viel Freude, sofern man denn eine gewisse Vorbildung und Liebe zum “Schatzhaus” des “alten Kontinents” mitbringt, mit seinen Landschaften, seiner Geschichte, seinen Bauwerken, seinen Sprachen, seiner Küche und seinen prägenden Gestalten.
Verfasser dieser Reise “durch Habsburgs Lande” ist Ronald Friedrich Schwarzer, Juwelengroßhändler, legendäre Gestalt des “reaktionären” Wien, selbsterklärter “Waldgänger und Partisan der Schönheit”, seit eineinhalb Jahrzehnten “Impresario und Mäzen von Barockkonzerten”, sowie Sammler “von Kunst und Textilien exotischer Provenienz”.
Eingeleitet durch Betrachtungen über die Österreichische Kaiserkrone, führt das Buch quer durch Europa an bekannte und weniger bekannte Orte, an denen die von Schwarzer außerordentlich beifällig gesehene Herrschaft des Hauses Habsburg ihre zivilisatorischen und historischen Spuren hinterlassen hat – vom Escorial nach Brünn, von Aussee nach Fatima, vom Semmering zum Castel del Monte, von Prag bis in die Zips, vom Elsaß bis in die Krain.
Auch dieses Buch erfreut, wenn auch auf ganz andere Art, mit Spitzen gegen die Gegenwart, mit Humor, Wehmut, Heiterkeit und Nostalgie, die in diesem Fall ihre Impulse allerdings eher aus den 1780er als den 1980er Jahren empfängt.
Ronald F. Schwarzer: Durch Habsburgs Lande, Karolinger Verlag Wien, 122 Seiten, 23,00 € – hier bestellen.
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SCHAUEN – Und noch einmal Nostalgie. Es paßt für mich zur Jahreszeit, wenigstens zu Weihnachten möchte mir keine Sorgen machen.
Wenn es um Illustrationen mythischer, legenden- und märchenhafter Stoffe geht, von Grimms, Andersens und Hauffs Märchen, von nordischer und griechischer Mythologie, deutschen Heldensagen, von den Erzählungen aus 1001 Nacht, dann ist meine bevorzugte Epoche die Zeit etwa zwischen 1890–1930, in der Jugendstil und Art Deco vorherrschten.
Unerreicht sind, wenn man mich fragt, die zauberischen Bilder aus dem “goldenen Zeitalter der Illustration” von John Bauer, Willy Pogány, Arthur Rackham, Franz Stassen, Frank C. Papé, Edmund Dulac oder Maxfield Parrish, um nur die bekanntesten zu nennen.
Ganz besonders mag ich die grazilen, langgestreckten Figuren, träumerischen Szenarien, zarten Farben, ornamentalen Bildkompositionen des dänischen Zeichners Kay Nielsen (1886–1957), der in späteren Jahren unter anderem an dem Disney-Klassiker “Fantasia” (1940) mitgearbeitet hat.
Die erstmals 1914 erschienen Zeichnungen zu der norwegischen Märchensammlung Östlich der Sonne und westlich des Mondes (aufgezeichnet 1844 von Peter Christen Asbjørnsen und Jørgen Moe) gehören zu Nielsens schönsten und bekanntesten Arbeiten.
Der im Taschen-Verlag erschienene Band ist nicht nur optisch eine Augenweide, sondern eignet sich auch gut zum Vorlesen und als Geschenk für märcheninteressierte Kinder.
Kay Nielsen: Östlich der Sonne und westlich des Mondes, Taschen Verlag Köln, 168 Seiten, 30,00 € – hier bestellen.
Franz Bettinger
Eskapismus? Aber gern! Mich hat die Auto-Biographie „Alles gut gegangen“ von Luis Trenker einst begeistert, besonders Trenkers Begegnungen mit Hitler im Berghof. (Heute gebraucht für 5 € zu haben.) Ein Innsbrucker Herzspezialist („trust the science" haha) hat Luis (19 J alt) wegen eines Herzgeräusches übrigens dringend den ärztlichen Rat erteilt, es im Leben nie mit Sport zu versuchen. Das würde ihn umbringen. So viel zur Kunst der Medizin - schon damals. Daraus kann man viel lernen. Es ist nicht besser geworden. R. Messner hatte ja, als er bei der Allein- & Erst- Begehung des Everest von der chin. Seite her in eine Gletscherspalte stürzte und dies für sein Ende hielt, ein ähnliches Erlebnis der himmelschreienden Art. Auch er hielt sich Gottseidank nicht an seinen Schwur. Messner-Bücher, klar!