Krise und Kommunikation

Es mag ein Kennzeichen kriselnder Gesellschaften sein, wenn in deren diffuser Kommunikation mit besonderer Vehemenz Ansprüche beschworen und Bekenntnisse hochgehalten werden, hinter denen nichts mehr steht.

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

Wo die Sub­stanz schwin­det, wächst die Bedeu­tung des Sym­bols. Weil es der Ber­li­ner Repu­blik aber selbst an Sym­bo­lik fehlt, bleibt nur die Phra­se. In der Dun­kel­flau­te der Poli­tik soll sie um so hel­ler leuchten.

Wesent­lich dabei: Die mora­lisch hoch­ge­rüs­te­ten Leit­phra­sen wer­den so per­ma­nent wie pene­trant prä­sen­tiert, weil das, was sie bezeich­nen, für nichts mehr steht. Um so mehr braucht es ritu­el­le Beschwörungsformeln.

Zur Ver­deut­li­chung ein Alltagsbeispiel:

Wird Lie­be nicht beson­ders dort betont, wo sie längst erlo­schen ist? Leben­di­ge Lie­be bedarf ihrer beteu­ern­den Selbst­be­stä­ti­gung eben­so­we­nig wie der neu­ro­ti­schen Schwü­re und Ewig­keits­ver­si­che­run­gen. Die set­zen viel­mehr ein, wenn die Lie­be selbst ver­geht. – Laut beschrien wird, was still ver­schwand – in der Illu­si­on, es bestün­de fort. – All­ge­mei­ner: Gera­de mit­ten in der Lüge wird mit Empha­se die Wahr­heit beteuert.

Um es poli­tisch zu verdeutlichen:

Wenn die DDR-Pro­pa­gan­da von der „unver­brüch­li­chen Freund­schaft mit dem Lan­de Lenins“ sprach oder davon, daß der „Mar­xis­mus-Leni­nis­mus all­mäch­tig“ wäre, weil er wahr sei, dann wuß­ten die Nach­denk­li­che­ren, daß dies zwar so immer und über­all betont wird und sie beton­ten es bis­wei­len artig mit, jeden­falls dort, wo es nun mal ver­langt, ja gera­de­zu vor­aus­ge­setzt wur­de, aber ihnen war doch klar:

Es gab weder die­se „unver­brüch­li­che Freund­schaft“ zur Besat­zungs­macht noch – bei allem Respekt davor – die All­macht des Mar­xis­mus-Leni­nis­mus, schon weil kei­ne Leh­re je irgend­wo all­mäch­tig war und es bes­ser auch nie­mals würde.

(Vol­kes Stim­me war da immer der­ber und gab ihrer Abnei­gung Aus­druck, wo es mög­lich war – so etwa auf dem Pau­sen­platz nach dem Rus­sisch­un­ter­richt: „Rus­ski, Rus­ski, du mußt wis­sen, dei­ne Spra­che ist beschis­sen!“ Das steht alles ande­re als unver­brüch­li­che Freund­schaft, es stimmt so auch nicht, aber erup­ti­ver Zorn und bit­te­rer Witz tau­gen zur kurz­fris­ti­gen Kom­pen­sa­ti­on des lang­fris­tig ver­ord­ne­ten Frustes.)

Poli­ti­sche Losun­gen wer­den in der Kri­se und Rich­tung Unter­gang nicht lei­ser, son­dern lau­ter und schril­ler, und sie wer­den vor allem gebets­ar­tig wie­der­holt – so, als woll­ten die vor­be­ten­den Pro­pa­gan­dis­ten selbst ihre schmerz­lich wuchern­den Zwei­fel über­tö­nen, ja die Gel­tung ihrer Sug­ges­tio­nen mit noch auf­dring­li­che­rer Per­for­mance erzwingen.

Der insze­nier­te Jubel des an den Tri­bü­nen der ger­ia­tri­schen Funk­tio­nä­re vor­bei­zie­hen­den Vol­kes soll­te in der End-DDR die auf­ge­bro­che­nen zu Tage lie­gen­den Lebens­lü­gen für ein paar trü­ge­ri­sche Momen­te zude­cken. In der Däm­me­rung vorm Ende soll­te es noch ein­mal licht werden.

Bekennt man sich äußer­li­cher noch lei­den­schaft­li­cher zu einem Glau­ben, wenn die Hoff­nung auf Erlö­sung inner­lich schwin­det? Will man wenigs­tens im Denk‑, Sprech- oder per­for­ma­ti­ven Akt sichern, was man an sich schon ver­lo­ren weiß?

Zurück zum Politischen:

In den Fünf­zi­gern und Sech­zi­gern war die Bun­des­re­pu­blik selbst­ver­ständ­lich eine Demo­kra­tie. Wie heu­te. Aber Poli­tik und Kul­tur bedurf­ten ganz offen­bar nicht der pas­to­ra­len Dau­er­be­stä­ti­gung, daß dem so sei.

Eben­so stand der heu­te gera­de­zu mys­ti­fi­zier­te Arti­kel eins seit 1949 im Grund­ge­setz fest­ge­schrie­ben, aber die Poli­tik mach­te in den frü­hen Jah­ren der Bun­des­re­pu­blik dar­um nicht so ein gewal­ti­ges Auf­he­ben wie heu­te, schon gar nicht in glo­rio­ser Ver­klä­rung des Begrif­fes der Wür­de. Obwohl (oder weil?) die­se „Wür­de des Men­schen“ damals doch antast­ba­rer erschien als heute.

Ohne sakra­le Beto­nung von Demo­kra­tie und Wür­de ist heu­te kei­ne Rede von Gewicht mehr zu den­ken. Und Demo­kra­tie als ver­meint­li­ches Opti­mum von Herr­schaft gar in Fra­ge zu stel­len, das ist mitt­ler­wei­le gefähr­lichs­te Blas­phe­mie, ja direkt Ket­ze­rei, hat sie doch ganz escha­to­lo­gisch als heils­brin­gen­der End­zweck der Mensch­heits­ge­schich­te und höchst­mög­li­che Voll­endung der Gerech­tig­keit zu gel­ten. Zuwei­len wird frei­heit­lich-demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung wie eine All­machts­par­tei abge­kürzt: FDGO.

Drückt sich im Dau­er­be­kennt­nis zur Demo­kra­tie das Bewußt­wer­den ihrer aku­ten Gefähr­dung, gar End­lich­keit aus? Trotz aller immer wie­der neu gesie­gel­ten Ewigkeitsgarantien?

Eine nächs­te Beschwö­rungs­for­mel: Viel­falt! Obwohl ent­ge­gen die­ser Ver­hei­ßung mehr denn je ver­langt, ja bereits vor­aus­ge­setzt wird, die gesam­te Gesell­schaft habe mit ver­stän­di­gem Gehor­sam eher gleich­ge­schal­tet und gleich­för­mig „Grund­ver­ein­ba­run­gen“ zu fol­gen, die sich ideo­lo­gisch und didak­tisch immer enger gefaßt finden.

Obwohl die ein­zig leb­haf­te Oppo­si­ti­on von Bedeu­tung kraß kri­mi­na­li­siert, als ver­meint­lich ver­fas­sungs­feind­lich stig­ma­ti­siert und mög­lichst ver­bo­ten und noch bes­ser irgend­wie ver­schwin­den soll, ist der Leit­be­griff der „Viel­falt“ dau­er­prä­sent, ohne daß jene, die ihn sich ins Ban­ner weben, bemer­ken wür­den, wie uni­for­miert sie selbst bereits unter­wegs sind und nur das gel­ten las­sen, was ihr eige­nes Selbst­ver­ständ­nis aus­macht, kurz­schlüs­sig davon aus­ge­hend, dies habe per se genau­so für alle zu gel­ten, weil es – Eitel­keit des auf­klä­re­ri­schen Ges­tus – nun mal ver­nünf­tig sei, wäh­rend alles ande­re krank und gefähr­lich wäre, wie ja rech­tes Den­ken nicht als zum Viel­falts­spek­trum gehö­rend, son­dern als patho­lo­gisch dar­ge­stellt wird, inso­fern es sol­ches Den­ken – wie­der­um: ver­nünf­ti­ger­wei­se – nach den hohen Dosen poli­ti­scher Bil­dung gar nicht mehr geben dürf­te. Mit “Viel­falt” gemein ist: Konformität!

In sei­ner Rede zum Erhalt des Hegel-Prei­ses erör­tert Orlan­do Pat­ter­son den Zustand unse­rer Demokratie:

„Wenn die Demo­kra­tie zu einer inklu­si­ven Form der Exklu­si­vi­tät wird, ver­fällt sie in die Übel des Chau­vi­nis­mus und der Ent­mensch­li­chung von Außenseitern (…).“

Ja, Pat­ter­son meint hier Trump, aber sein Hin­weis paßt eher auf unse­re deut­sche Gegen­wart und die Behand­lung der AfD sowie der poli­ti­schen Rechten.

Der Ritus des Beschwö­rens des­sen, was an sich ver­misst wird, was aber genau des­we­gen von den Ver­kün­di­gern um so mehr her­bei­ge­re­det und beschwo­ren wer­den will, reicht bis ins Alltägliche:

So sind gegen­wär­tig die Kran­ken­stän­de, ins­be­son­de­re jene mit psy­chi­schen oder psy­cho­so­ma­ti­schen Dia­gno­sen, so exor­bi­tant hoch wie noch nie, weil die Leu­te kom­fort­ver­zär­telt immer weni­ger Wid­rig­kei­ten aus­hal­ten, aber den­noch – oder eben des­we­gen – ist durch­gän­gig von Resi­li­enz die Rede – einem Zustand, für den es Abhär­tung und Trai­ning bräuch­te, min­des­tens aber das Ver­mö­gen, Pha­sen der Her­aus­for­de­run­gen, der Här­te oder des Man­gels offen­siv und fit durchzustehen.

Weni­ger denn je erwei­sen sich Deut­sche in die­ser Wei­se als resi­li­ent, aber des­we­gen wird Resi­li­enz um so mehr her­bei­ge­re­det: Sie fehlt, sie wird ver­mißt, kaum jemand bemüht sich aktiv dar­um, des­we­gen hat der Begriff in der ver­haus­schwein­ten Gesell­schaft Kon­junk­tur, ohne daß er sich noch ver­le­ben­digt fände.

Inter­es­sant wäre zudem die Klä­rung der Fra­ge, wes­halb in einem Land, des­sen Regie­rung immer mehr Teil­ha­be und Gerech­tig­keit ver­spricht und rea­li­siert, ins­be­son­de­re bei jun­gen Men­schen ganz signi­fi­kant die Depres­sio­nen zuneh­men. Es schei­nen expres­sio­nis­ti­sche Welt­endestim­mung und apo­ka­lyp­ti­sche End­zeit­hoff­nun­gen zu herrschen.

Wäh­rend zudem kal­ter Ego­is­mus regiert, jeder sich soli­tär oder allen­falls noch sei­ne Fami­lie durch­zu­brin­gen ver­sucht und über­haupt die Ver­ein­ze­lung beängs­ti­gend zunimmt, wäh­rend, mehr noch, die gesam­te Gesell­schaft schärfs­tens gespal­ten ist, sich im Zuge des­sen „grup­pen­be­zo­ge­ne Men­schen­feind­lich­keit“ am ein­drucks­volls­ten gegen Anhän­ger der AfD rich­tet, für die kein Schmäh­wort def­tig und ver­let­zend genug sein kann, wäh­rend sich die Pola­ri­sie­rung also spür­bar ver­stärkt, ver­kün­di­gen die Mei­nungs­füh­rer und Ton­an­ge­ber mehr denn je Tole­ranz und Empa­thie.

Wo Into­le­ranz wal­tet, erscheint die lee­re Phra­se von der Tole­ranz um so prä­sen­ter. Wo Denun­zia­ti­on blüht, gilt sie als Cou­ra­ge und will sich sogar mit Respekt ver­bun­den sehen,

Gera­de­zu auf bit­te­re Wei­se komisch, immer das zu beschrei­en, was doch spür­bar fehlt, und ver­le­ben­di­gen zu wol­len, was längst tot ist, weil’s die ideo­lo­gi­schen Akteu­re selbst abge­tö­tet haben. So wenig, wie sozia­le Medi­en sozi­al sind, ist die plu­ra­lis­ti­sche Gesell­schaft pluralistisch.

Man über­le­ge sich, wann einem zuletzt – und das noch gar poli­tisch – jemand wirk­lich empa­thisch oder tole­rant ent­ge­gen­kam, acht­sam und auf­merk­sam zuzu­hö­ren und zu dis­ku­tie­ren bereit war. Wann einem also wirk­lich mal der frei­las­sen­de und wert­schät­zen­de Dia­log ernst­haft und fair ange­bo­ten wurde …

Nein, viel­mehr wird ver­langt, Bekennt­nis­se folg­sam nach­zu­spre­chen, auch ent­ge­gen der eige­nen Erkennt­nis und Urteils­kraft. Kommt man dem nicht will­fäh­rig nach, gilt man selbst als into­le­rant. Den Appell „Aber so kannst du das doch nicht sehen!“ soll man noch als freund­lich und als gut gemein­ten Impuls empfinden.

Zu die­sem The­ma paßt ein ande­res Phä­no­men, näm­lich der wie­der­um poli­tisch bestimm­te Dau­er­ge­brauch von Begrif­fen, die zwar posi­tiv kon­no­tiert auf­ge­rüs­tet sind, aber durch­weg unkri­tisch ver­wen­det wer­den. Nie­mand darf deren Seman­tik nach­fra­gen. So gilt etwa Bil­dung immer als posi­tiv, ohne daß geklärt wird, wel­che Bil­dung nun genau gemeint ist.

Glei­ches trifft auf Begrif­fe zu wie Euro­pa, Digi­ta­li­sie­rung oder Nach­hal­tig­keit. So pri­mi­tiv wie in der Wer­bung, wo ein Wort wie Gel gleich­falls nur posi­tiv gefärbt ist, einer­lei, ob es sich nun in der Zahn­pas­ta, in Sport­schu­hen, in Schreib­stif­ten oder im Haar befin­det, gern gestei­gert als Aktiv- oder Super-Gel.

Sol­che Wort­hülse­rei läuft bis ins Büro­kra­ti­sche: So wird etwa alles Geplan­te heut­zu­ta­ge angeb­lich eva­lu­iert, ohne daß es aller­dings wirk­lich kri­tisch geprüft und bei Untaug­lich­keit ver­wor­fen wür­de. Eine ein­fa­che kon­ven­tio­nel­le Prü­fung wäre wirk­sa­mer als eine modi­sche Eva­lua­ti­on, die nur bedeu­tet: Wir sehen mal irgend­wie zu, wie’s läuft, und dann las­sen wir es lau­fen oder auslaufen.

Spra­che soll Wirk­lich­kei­ten gene­rie­ren, selbst wenn es die so kon­stru­ier­ten Wirk­lich­kei­ten nicht oder nicht mehr gibt. Alle Poli­tik ist Spra­che, die Gesell­schaft wesent­lich Kom­mu­ni­ka­ti­on. Auch mit dem Vor­teil, daß man dar­an die Zwe­cke, die Mani­pu­la­tio­nen und, ja, bis­wei­len ech­te Red­lich­keit able­sen kann.

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

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Kommentare (15)

frdnkndr

20. Dezember 2024 15:44

"Alle Politik ist Sprache, die Gesellschaft wesentlich Kommunikation. Auch mit dem Vorteil, daß man daran die Zwecke, die Manipulationen und, ja, bisweilen echte Redlichkeit ablesen kann."
 
Der Zweck dieser auch hier im Artikel beschriebenen Entwicklung hin zum vollkommenen Entgegengesetzten, Verdrehten, Entkernten, Entleerten besteht letzten Endes unter anderem auch darin, auch noch diesen letzten 'Vorteil' auszumerzen. Niemand soll mehr irgendetwas glauben, sich auf was auch immer verlassen können - und schon gar nicht soll er es sich so einfach machen und schlicht das Gegenteil des Proklamierten als wahr oder zumindest wahrscheinlich annehmen dürfen.
 
Vollkommene Unsicherheit in jedem noch so kleinen wie großen Bereich des kompletten öffentlichen wie privaten Lebens - unter dem wirds hier nicht mehr gemacht.
 
Agamben sprach bereits vor Jahren und auch schon einmal hier zitiert von kompletten Verdrängung alles auch nur im Ansatz Wahrhaftigen, wo die einzige minimale Chance auf zumindest ein winziges Stück Echtheit nur noch in dem unwahrscheinlichen Bruchteil einer Sekunde existiert, in der alle Lügen schweigen.
Praktisch sind wir aber auch darüber beinah hinaus. Konnte man bspw. den Grad der Falschheit der Berichterstattung über ein aktuelles Ereignis bis vor Kurzem noch anhand der Zeitdauer bis zu ihrem allseits synchronisierten Erscheinen grob abschätzen, funktioniert dies schon länger nicht mehr richtig, da dieses 'Schlupfloch' u.a. mittels gezielter Verschleppung etc. weitgehend geschlossen wurde.

Majestyk

20. Dezember 2024 16:03

Ein französischer Chevalier sagt zum Schweizer Landsknecht "Du bist bloß ein Söldner und kämpfst für Geld. Ich aber kämpfe für meine Ehre". Darauf der Landsknecht: "Ein jeder kämpft halt für das, wovon er am wenigsten hat".
Wird beim Reden nicht anders sein als beim Kämpfen. Wo es demokratisch zugeht, braucht man nicht viel drüber reden. Hierzulande ist man aber eh längst bei Neusprech angekommen, da ist für "Üb’ immer Treu’ und Redlichkeit!" kein Platz mehr im Bildungsangebot.
Schon Ralph Waldo Emerson meinte: "Je länger einer von seiner Ehre spricht, desto schneller zähle man seine Löffel."

Oberlausitz

20. Dezember 2024 16:13

Jüngstes Beispiel aus der Werkstatt der Begriffsverdreher sind die verlogenen "Begründungen" für die Notwendigkeit eines Gesetzes zur "Sicherung des Bundesverfassungsgerichts". So heute in WELT TV: Man wolle das Verfassungsgericht vor einer "Blockade durch die Undemokraten" schützen. Wer blockiert hier wen? Keine Bundestagsvizepräsidenten für die AfD im Bundestag. Keine Verhandlungen mit der Partei, die bis zu einem Drittel der Wählerstimmen hinter sich hat. Kaum neutrale Repräsentanz in den Medien. Und und und. 
Der Abgeordnete Jakobi (AfD) verwies gestern im Bundestag zurecht auf die Aussagekraft von Andersens Märchen "Des Kaisers neue Kleider". In jeder Hinsicht ein zündender Text zum Thema "Mobbing", der in allen Schulen zur Pflichtlektüre gemacht werden sollte. Es fehlen aber wahrscheinlich die Lehrer, die die richtigen Schlüsse aus dieser Lektüre ziehen können.

der michel

20. Dezember 2024 16:29

sehr geehrter herr bosselmann,
richtig -wie fast immer- und in sehr wohlgewählten worten.
aber sie wissen doch, zu  w e m  ("meerschdendeels") sie hier
auf der site der "sezession" sprechen?
also: "preaching to the convertet".
und ihrerseits: "odi profanum volgus et arceo."
(horaz,  camen 3,1)
Wäre es nicht langsam zeit für eine antwort auf
"tschto delat?" auch wenn der autor der frage
nicht ganz ins konzept passt?
 

tearjerker

20. Dezember 2024 16:44

Gute Punkte. Nach meinem Eindruck richteten sich die Sprachhülsen in der Soffiet-Zone aber weniger an die Insassen, sondern an Moskau und den Feind im Westen. Der Tenor durch Äusserungen von Freunden, Kollegen und Begegnungen (Berlin, Cottbus, Weimar, Magdeburg, Neustrelitz) in den ersten 20 Jahren nach der Wende war: Die Russen wurden gehasst (wörtlich) und gut, dass der Spuk vorbei ist. Die staatlichen Organe machten sich vor 89 bis auf ein paar senile Trottel darüber keine Illusionen. Das ist der Unterschied zum heutigen Spitzenpersonal, dessen Motto 'Wir stehen vor grossen Aufgaben, Sie stehen vor grossen Ausgaben' zu lauten scheint, um sich dann ehrlich zu wundern, dass niemand auf den Refrain abgeht.

MarkusMagnus

20. Dezember 2024 16:50

Dieses Land hat mit einer Demokratie nicht viel zu tun. In einer richtigen Demokratie gibt es Volksabstimmungen und Volksbegehren. Richter, Staatsanwälte und Polizepräsidenten gehören gewählt. Es gibt dort Meinungsfreiheit und liberale Waffengesetze. ALLE haben die gleichen Rechte.
Dieses System macht krank.

Franz Bettinger

20. Dezember 2024 17:48

Gut, dass sie es so eilig hatten. Gut, dass sie es übertrieben haben. Gut, dass die Verbrecher da oben nichts Essentielles sondern nur noch hohle Phrasen parat haben, sei es für ihre Kriegshetze oder für ihr planetoides Gut-Menschentum. Gut, dass ihnen und der Lügenpresse spätestens seit dem Corona-Schwindel keiner mehr glaubt. Der Krieg in den Köpfen ist für uns bereits gewonnen. Ja, sie können weitere Zerstörungen verfügen, und sie werden es auch noch eine Weile tun. Aber ich bin mittlerweile ganz zuversichtlich. Schöner Essay!

Franz Bettinger

20. Dezember 2024 18:26

Der Glaube an den Arzt, und an den Experten & an den Richter ist dahin. Der Glaube an die Presse (4. Gewalt) und an die Politik (Gewalten-Teilung) war es schon vorher. Gut, es war auch zu bequem. Niemand soll es sich in Zukunft mehr leicht machen können, einfach nur zu glauben. Die Einsicht wächst, dass es nur einen Weg gibt, eben jenen Weg, den Kant uns wies: Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Verlange in Zukunft Beweise für alles, was sog. Experten behaupten. Nimm vorsichts  -halber immer das Gegenteil von dem an, was da oben für Richtig heraus- gegeben wird. Prüfe auf Plausibilität. Philosophieren allein bringt nichts, es geht nicht ohne Bildung. Deshalb bekämpft das Regime letztere ja so vehement. 

Adler und Drache

20. Dezember 2024 18:28

„Russki, Russki, du mußt wissen, deine Sprache ist beschissen!“
Richtig, hatte ich schon vergessen! Ein anderer Pausenhof-Spruch, der mir jüngst wieder einfiel: "Ich hab Hunger und mir ist kalt, ich will zurück nach Buchenwald!" - Typisch ostdeutsche Nazi-Affinität, würde der Bunzelbürger das nennen, versaut von Kindheit an, da ist nichts mehr zu retten. Indes: Es war zunächst völlig unpolitisches, achtloses Auftrumpfen von Halbstarken, die sich gegenseitig im provokativen Geschwätz zu übertreffen suchten (erinnere mich an noch viel Schlimmeres, das ich hier jedoch unmöglich ausbreiten kann). Sodann auch Abwehrreaktion auf das Übermaß an antifaschistischer Zurichtung, der Naziwahn war ja keineswegs geringer ausgeprägt als heutzutage. 
 

Adler und Drache

20. Dezember 2024 18:28

Ich musste heute unwillkürlich lächeln, als ich vom Weidelaffärchen las: Schüler, die sich mit einem inneren Ruck plötzlich selbst vom ideologischen Ballast befreien, unbedacht und unbesorgt, nonchalant; der Lehrer mit seinem krampfhaften Bemühen um Zugriff und Kontrolle mirnichts, dirnichts entmachtet (so war es ja auch mit dem Staatsbürgerkunde-Lehrer in der Wende, wie flach und bedeutungslos war er auf einmal geworden ...). Ging "meinem" Abgeordneten übrigens ganz ähnlich, er wurde vor dem BT von einer Schar Schüler spontan angesprochen und befragt, bekannte sich ehrlich und sah sich plötzlich wider Erwarten mit empathischer Zustimmung bedacht. - Sowas macht dann doch wieder Hoffnung. Irgendwann, meist dann, wenn man es gar nicht mehr glaubt, ist die jugendliche Seele genug verbogen und schnappt zurück in die rechte Form.   

Umlautkombinat

20. Dezember 2024 18:30

> Der Tenor durch Äusserungen von Freunden, Kollegen und Begegnungen (Berlin, Cottbus, Weimar, Magdeburg, Neustrelitz) in den ersten 20 Jahren nach der Wende war: Die Russen wurden gehasst (wörtlich).
Man huete sich vor Pauschalisierungen von aussen (fuer einen gelernten DDR-Buerger ist Ihr Versuch, Breite zu erzeugen immer noch tief im Homoeopathischen, von Tiefe nicht zu reden). So einfach war das nicht, mit Folgen bis in die Jetztzeit. Die messbaren Unterschiede in der Stellung zum Ukrainekrieg zwischen Ost und West haben z.B. als eine historische Ursache eine entschieden feinere Untersetzung der DDR-Gesellschaft. Eine, deren Kenntnis noetig ist, um dazu und etlichem mehr zu einem adaequaten Urteil zu kommen.

Kurativ

20. Dezember 2024 19:15

Die US-Demokraten nebst Medien hatten sich einmal einen neuen Spruch ausgedacht: https://youtu.be/ZggCipbiHwE?t=54
In künstlerisch verdichteter oder veränderten Form wirkt die schamlose Lüge viel schöner.
In den heutigen Zeiten habe ich kein Problem damit, Worte wie "Demokratie" und andere in Anführungszeichen zu setzen oder mit "sogenannte" zu verzieren.
Man muss was daraus machen.
Die haben ihren Rhetorikkurs absolviert. Das kann ich auch. Nur ich will Spaß dabei. Was ist schöner als der Spott? Der öffentliche Spott. Das tut weh.
Und richtig muss man es machen. Etwas Kenntniss oder ein Kurs in rechtssicherer Politikerverspottung von Steinhöfel oder ähnlich helfen bestimmt dabei.

Majestyk

20. Dezember 2024 19:24

@ Franz Bettinger:
"Gut, dass ihnen und der Lügenpresse spätestens seit dem Corona-Schwindel keiner mehr glaubt."
Ist dem so? Mir scheint das Coronamärchen noch immer nicht gebrochen, geschweige denn Lügen über Fachkräftemangel oder nahendem Klimatod. Falls Sie Recht haben, bräuchte man sich über kommende Wahlentscheidungen keine Sorgen machen, allein mir fehlt der Glaube. Ich habe eher den Eindruck, vielen gefällt das Leben in der Lüge genauso, wie es vielen gefällt, wenn bevormundet wird, so lange sie selber nicht betroffen sind.

Majestyk

20. Dezember 2024 19:30

@ MarkusMagnus:
"In einer richtigen Demokratie gibt es Volksabstimmungen und Volksbegehren. Richter, Staatsanwälte und Polizepräsidenten gehören gewählt. Es gibt dort Meinungsfreiheit und liberale Waffengesetze. ALLE haben die gleichen Rechte."
Von einem solchen Land habe ich schon einmal gehört, so viel ich weiß genießt jenes Land aber keine allzu große Beliebtheit.

Adler und Drache

20. Dezember 2024 19:52

@ Umlautkombinat
Ich stimme Ihnen nicht zu. Meiner Erfahrung nach war es genauso, wie HB schildert: Der Russe wurde gehasst, durch die Bank & mit Recht (natürlich nicht von jenen Kadern, die von der SU profitierten). "Russe" an sich war ja schon ein Schimpfwort, man getraute sich nach der Wende kaum, es in den Mund zu nehmen.   
Dass die Unterschiede in der Bewertung Russlands und der deutsch-russischen Beziehungen heute so sind, wie sie sind, hängt zum einen wohl damit zusammen, dass der Ossi den Russen besser kennt ("Briefe an Freunde", ich hatte ne Aljona, DSF usw.) und deshalb das Reden des Amerikaners und des amerikanisierten Deutschen als "Reden des Blinden von der Farbe", also irgendwie als Anmaßung empfindet; zum anderen ist da auch etwas umgeschlagen, und man findet sich mit dem einstigen Feind plötzlich, ohne es gewollt zu haben, in einem Boot wieder. Man ist ja als Ossi auch wieder nicht so weltblind, dass man nicht gesehen hätte, wie mit Russland unter Jelzin verfahren werden sollte - und das kannte man doch. Da regt sich, Russe hin, Putin her, ganz automatisch ein innerer Widerstand und ein Solidaritätsgefühl, und das Alte war ... nun ja, halt notwendigerweise nicht mehr so wichtig.