Europäische Notizen (6): Remigration in Österreich

Die AfD hat den Anspruch, von der erfolgreichen FPÖ in Österreich zu lernen. Dieser Anspruch ist, bei aller Unterschiedlichkeit der Verhältnisse in der BRD und bei unseren Nachbarn, geboten. Die Frage, die sich aufdrängt, ist aber keine unbedeutende: Lernt man denn wirklich? Zwei Gedankensplitter dazu.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

1. Am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de durf­te ich erneut beim Frei­heit­li­chen Bil­dungs­in­sti­tut (FBi) refe­rie­ren. Das ist die par­tei­na­he Stif­tung der FPÖ. Neben öster­rei­chi­schen Leit­fi­gu­ren wie FBi-Prä­si­dent Pro­fes­sor Axel Kas­seg­ger und Bun­des­deut­schen wie Mat­thi­as Hel­fe­rich (MdB) sowie der jun­gen Akti­vis­tin Rein­hild Boß­dorf ging es dies­mal im Meta­po­li­tik-Semi­nar um den Gebrauchs­wert von Meta­po­li­tik, also: um deren Anwend­bar­keit und Nut­zen, um kon­kre­te Pro­jek­te und um mög­li­che Rei­bungs­punk­te mit der Schwes­ter der Meta­po­li­tik, der Realpolitik.

Die Schu­lung- und Bil­dungs­s­ar­beit ist seit der Ära Kickl in der FPÖ und seit der kor­re­lie­ren­den Ära Kas­seg­ger beim FBi unge­mein ver­bes­sert wor­den; unter­schied­li­che The­men­fel­der – Meta­po­li­tik ist nur eines davon – wer­den in mehr­glied­ri­gen Modu­len von Nach­wuchs­kräf­ten gemeis­tert. Mit­den­ken und Mit­ar­bei­ten ist gebo­ten; am Ende des erfolg­reich absol­vier­ten Moduls erhält der Teil­neh­mer eine Urkunde.

Klar ist: Hier wol­len Nach­wuchs­kräf­te ler­nen. Man­che tun dies aus Eigen­an­trieb, etwa aus einem gesun­den Wil­len zur Leis­tung her­aus. Ande­re tun dies, weil sie hof­fen, daß ihnen das etwas bringt, also Vor­tei­le ver­schafft im poli­ti­schen Wett­be­werb. Bei­des ist legi­tim, bei­des sucht man indes in der AfD im Bil­dungs­be­reich noch über­wie­gend vergebens.

Von der FPÖ ler­nen hie­ße hier ganz plas­tisch, sich die FBi-Arbeit anzu­se­hen und zu prü­fen, was für bun­des­deut­sche Ver­hält­nis­se mach­bar ist. Die Ant­wort fällt beschä­mend für die Desi­de­ri­us-Eras­mus-Stif­tung (DES), die par­tei­na­he Stif­tung der AfD, aus: Eigent­lich wäre die Arbeit des FBi eins zu eins für die bun­des­deut­sche Lage über­trag­bar, aber man leis­tet die­se Pflicht ein­fach nicht.

Die Stif­tung, fest in der Hand gesin­nungs­christ­de­mo­kra­ti­scher Seil­schaf­ten ohne soli­des volks­ver­bun­de­nes Fun­da­ment, ist eine Art Hono­ra­tio­ren-Anti-AfD in par­tei­na­her Ver­klei­dung: Die ange­bo­te­nen Semi­na­re rich­ten sich nicht an ein dyna­mi­sches nach­rü­cken­des Milieu, son­dern an älte­re Ver­trau­ens­leu­te aus der eige­nen Bla­se. Sie sind mit­hin über­flüs­sig. Par­tei­in­ter­ne Kri­ti­ker mei­nen nicht zu Unrecht, hier bewäl­ti­gen eini­ge Mit­strei­ter ihr per­sön­li­ches poli­ti­sches Schei­tern im Rah­men ande­rer Par­tei­en und Zusammenschlüsse.

Der Ein­wand, daß die DES skan­da­lö­ser­wei­se kei­ne staat­li­chen Gel­der erhält, ist einer­seits kor­rekt (man geht leer aus, doch dar­über zu jam­mern, bringt »die Sache« kei­nen Mil­li­me­ter wei­ter), greift aber ande­rer­seits zu kurz. Die­ser Ein­wand ist als soli­tä­res Ent­las­tungs­ar­gu­ment folg­lich unzu­läs­sig. Denn allei­ne schon die vor­han­de­nen Semi­na­re ein­zu­strei­chen, wür­de umge­hend das nöti­ge Klein­geld, oft aus Semi­nar­bei­trä­gen und/oder Spen­den gene­riert, frei­set­zen, um ein FBi im klei­nen zu pro­jek­tie­ren. Außer­dem wür­de der für Freund und Feind wahr­nehm­ba­re Beginn einer effi­zi­en­ten, klu­gen und moder­nen Aus­bil­dung nach­rü­cken­der patrio­ti­scher Par­tei­kräf­te sicher­lich neue Geld­ge­ber moti­vie­ren, ein wach­sen­des Vor­ha­ben zu stär­ken und auf ein siche­re­res mone­tä­res Fun­da­ment zu hieven.

Aber wer soll­te im jet­zi­gen Zustand die DES stär­ker finan­zie­ren? Damit sich geis­ti­ge und poli­ti­sche Fos­si­le eines über­hol­ten und dem Wesen nach apo­li­ti­schen Libe­ral­kon­ser­va­tis­mus lar­moy­an­te Stamm­ti­sche orga­ni­sie­ren kön­nen? Nein, die Attrak­ti­vi­tät der jet­zi­gen DES ist nicht vor­han­den. Ent­we­der kippt man das Mehr­heits­ge­fü­ge unter Betei­li­gung der Par­tei­spit­ze grund­sätz­lich – oder ein AfD-Bun­des­par­tei­tag muß die­ser Stif­tung end­lich die for­ma­le Par­tei­nä­he aberken­nen und eine eige­ne neue Stif­tung kon­zi­pie­ren, die sich stark am FBi zu ori­en­tie­ren hätte.

Von der FPÖ zu ler­nen, hie­ße den einen oder den ande­ren Schritt kon­se­quent zu gehen.

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2. Beim Griff nach den Zeit­schrif­ten am Wie­ner Haupt­bahn­hof ori­en­tie­re ich mich aus Gewohn­heit an dem, was ich immer kau­fe, wenn ich die Freu­de habe, in Öster­reich sein zu dür­fen: Zu mei­nen Stamm­käu­fen zäh­len u.a. das links­li­be­ra­le Wochen­ma­ga­zin Pro­fil (ver­gleich­bar dem Spie­gel) und die alt­frei­heit­li­che Zur Zeit. 

In letz­te­rem Blatt, das zum Andre­as Möl­zer-Kreis gehört, liest man in der neu­en Aus­ga­be (v. 14.12.) nicht nur Erhel­len­des über die alt-neue Kum­pa­nei zwi­schen Isra­el und den in Syri­en sieg­rei­chen Isla­mis­ten und Dschi­ha­dis­ten, son­dern erblickt auch die fro­he Kun­de, daß die FPÖ lan­des­weit die 35-Pro­zent-Mar­ke über­schrit­ten habe. ÖVP, SPÖ und Neos, die aus­tria­ki­sche Ant­wort auf eine Mischung aus Ampel und Gro­Ko, ste­hen zusam­men nur noch bei 50 Prozent.

Nun sind Öster­reich und Deutsch­land in vie­ler­lei Hin­sicht ver­schie­den, was die Aus­gangs­ba­sis für die alt­ehr­wür­di­ge FPÖ zu einer grund­le­gend ande­ren macht als jene der erst elf Jah­re alten AfD. Und doch: In Zei­ten einer ver­ewig­ten Kon­ver­genz der Kri­sen, in denen die mate­ri­el­len Ver­lust­schü­be für die Bun­des­bür­ger gera­de mit Neu­jahr noch ein­mal erheb­lich ver­schärft wer­den (Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­ge, Sprit, Kfz-Ver­si­che­run­gen u. dgl. m.) muß man die 20-Pro­zent-Mar­ke all­mäh­lich deut­lich über­schrei­ten, um Ver­än­de­rungs­po­ten­ti­al abru­fen zu kön­nen. Irgend­was macht die FPÖ anders, bes­ser, wenn sie über­durch­schnitt­lich zulegt.

Dazu zählt sicher­lich die kon­se­quent frei­heit­lich-patrio­ti­sche Gene­ral­li­nie der Trup­pe um Kickl-Hafenecker-Kas­seg­ger, die bun­des­po­li­tisch für Furo­re sorgt. Dazu zählt aber auch, daß selbst die libe­ra­len Kräf­te der Par­tei sich an Grund­mo­ti­ve der Par­tei und ihrer Wäh­ler hal­ten und selbst­be­wußt (!) ver­tei­di­gen. Wenn man im aktu­el­len Pro­fil (v. 14.12.) eine Art Home­sto­ry über den gro­ßen Wort­füh­rer der Par­tei­li­be­ra­len, Nor­bert Hofer, liest, der im Bur­gen­land Spit­zen­kan­di­dat zur Land­tags­wahl ist, reibt man sich ver­wun­dert die Augen: Selbst er, der mode­ra­te Libe­ral­kon­ser­va­ti­ve, spricht gegen­über der Pres­se sou­ve­rän und läs­sig von »Remi­gra­ti­on« und ähn­li­chem: Er for­dert im Fal­le eines Wahl­siegs gar ein »Remi­gra­ti­ons­zen­trum« sowie eine »Öffentklich­keits­kam­pa­gne zur Remigration«.

Das liegt nicht dar­an, daß Remi­gra­ti­on als Sujet in Öster­reich weni­ger Empö­rung und Ent­rüs­tung sei­tens Ver­fas­sungs­schutz, Medi­en und Zivil­ge­sell­schaft her­vor­ruft. Das liegt dar­an, daß auch Nor­bert Hofer weiß, war­um die Wäh­ler FPÖ wäh­len – sie wol­len kon­se­quen­ten Grenz­schutz, Abschie­bun­gen und eine Zei­ten­wen­de im Umgang mit Migra­ti­on. Die FPÖ steht daher zu ihrem Wort, sie weicht nicht zurück, wenn sie – ob Hofer oder Kickl – für die Ver­wen­dung von der­lei Begrif­fen ange­fein­det wer­den. Wie sieht das bei der AfD aus? Man könn­te mei­nen: anders, mal schwan­kend, mal zag­haft, dann wie­der offen­siv, dann wie­der kapi­tu­la­tiv. Es feh­len Kohä­renz, Ent­schlos­sen­heit und auch der Mut, das­je­ni­ge aus­zu­for­mu­lie­ren, was im Rah­men des bestehen­den und des zu gestal­ten­den Geset­zes­kon­texts mach­bar ist und was der Wäh­ler erwar­tet: Remi­gra­ti­on als Versprechen.

Nun bin ich bekann­ter­ma­ßen abso­lut kein Remi­gra­ti­ons-Maxi­ma­list, und auch Nor­bert Hofer dürf­te kei­ner sein: Aber bei der Ver­wen­dung die­ses Begrif­fes geht es ja nicht dar­um, was poli­ti­sche Geg­ner in Behör­den, Medi­en und Par­tei­en in die­sen Begriff pro­ji­zie­ren, und auch nicht dar­um, ob jeder ein­zel­ne Wäh­ler das inter­ne Rin­gen um die­sen Begriff über­haupt mit­be­kommt; son­dern es geht dar­um, daß man nicht weicht, wenn es einen meta- und real­po­li­ti­schen Kampf um Gelän­de­ge­win­ne in Fra­gen der Migra­ti­ons­po­li­tik gegen den links­li­be­ra­len Ein­heits­block gibt. Zu wei­chen heißt, ein schlech­tes Gewis­sen zu haben oder zumin­dest eines vor­zu­täu­schen: Bei­des machen Sie­ger nicht, und so sehen wir die­ses Ver­hal­ten zwar in der BRD domi­nie­ren, nicht aber in Öster­reich, wo man sie­gen will und sie­gen wird.

Man ver­ste­he mich nicht falsch: Auch in der FPÖ gibt es par­tei­ty­pi­sche Nega­tiv­erschei­nun­gen, Denk­blo­cka­den oder ande­re klas­si­sche Unzu­läng­lich­kei­ten mensch­li­cher, ideo­lo­gi­scher oder auch stra­te­gi­scher Art. Aber die gro­be Rich­tung stimmt, und das ist aus­schlag­ge­bend. Daß das nicht immer so war, ist ein wei­te­rer Punkt, den die AfD von der FPÖ zu ler­nen hat: Wie­so gibt es kei­ne AfD-Taskforce, die sich mit dem Tun bis­he­ri­ger FPÖ-Lan­des- und Bun­des­re­gie­run­gen beschäf­tigt und die­se aus­wer­tet auf mög­li­che ver­gleich­ba­re Kon­stel­la­tio­nen hier­zu­lan­de? Muß man wirk­lich erst ähn­li­che Feh­ler bege­hen, um aus dem mög­li­chen Schei­tern zu ler­nen? Hier wäre es rat­sam, prä­ven­tiv zu arbeiten.

Lothar Höbelt hat ja in sei­ner Geschich­te der FPÖ (– die ich hier aus­führ­lich bespre­che –) mit Recht bemerkt, daß bis­he­ri­ge Regie­rungs­be­tei­li­gun­gen das Pro­blem hat­ten, daß Tei­le der Füh­rung nicht so recht gewußt hät­ten, »was sie eigent­lich wol­len, abge­se­hen davon, auch ein­mal über Ein­fluss und Pres­ti­ge zu ver­fü­gen«. Das hat sich geän­dert unter Kickl, Hafenecker und Kas­seg­ger, doch wie siehts dies­be­züg­lich in der AfD aus? Hat man für die fana­tisch anvi­sier­ten Regie­rungs­be­tei­li­gun­gen aus­rei­chend Köp­fe, Ideen, welt­an­schau­li­che Sta­bi­li­tät und stra­te­gi­sches Wis­sen? Oder wäre auch hier viel von der FPÖ und ihrem »Tri­al and Error« samt anschlie­ßen­der Neu­for­mie­rung zu ler­nen? Ich mei­ne, es wäre viel zu lernen.

Ein abschlie­ßen­der Punkt: Die bit­ter­bö­se Kickl-Bio­gra­phie links­li­be­ra­ler Jour­na­lis­ten (– die ich hier aus­führ­lich bespre­che –) ver­sucht, zu »ent­lar­ven«. Aber sie kommt nicht umhin, Respekt durch­schei­nen zu las­sen für den Mann, der die FPÖ aus dem Tal der Trä­nen auf den Gip­fel (35 Pro­zent) hob und aktiv dabei ist, den nächst­hö­he­ren Gip­fel (40 Pro­zent) zu errei­chen. Die Autoren Ger­not Bau­er und Robert Treich­ler beschrei­ben Kick­ls sou­ve­rä­nen, angriffs­lus­ti­gen und ideo­lo­gisch über­zeug­ten Umgang mit poli­ti­schen Geg­nern, zu denen er auch die Leit­me­di­en zählt. Her­bert Kickl ver­ste­he es, so die Autoren zäh­ne­knir­schend, »blen­dend, den Spieß umzu­dre­hen und sei­ner­seits die Medi­en zu atta­ckie­ren«. Wie sieht es dies­be­züg­lich bei uns aus? Hat man nicht viel­mehr das Gefühl, Tei­le (!) unse­rer AfD-Spit­zen­po­li­ti­ker lech­zen förm­lich nach Aner­ken­nung durch CDU, FDP und Hauptstadtjournalisten?

Von der FPÖ zu ler­nen, hie­ße daher, auch auf dem polit­me­dia­len Feld den Kickl-Weg zu gehen. Der Geg­ner ist das poli­ti­sche Estab­lish­ment, nicht die eige­ne Jugend, nicht das eige­ne grund­sätz­li­che Lager, nicht die eige­nen, ver­meint­lich zu »rech­ten« Erwar­tun­gen der Wäh­ler­schaft. Ech­te Aner­ken­nung beim Geg­ner erhal­ten Typen wie Kickl, weil sie sich nicht ver­stel­len, beu­gen, klein­ma­chen. Fal­sche Aner­ken­nung erhält man der­weil, wenn der Geg­ner spürt, daß man sich von ihm trei­ben läßt. Dies geschieht, wenn man kei­nen welt­an­schau­lich und stra­te­gisch fein­jus­tier­ten Kompaß hat. Einen sol­chen aber erar­bei­tet u.a. auch eine par­tei­na­he Stif­tung – womit sich der Kreis die­ser Gedan­ken­split­ter schließt. Denn die AfD hat kein FBi, sie hat nur eine ent­stell­te Karikatur.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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