Kritik der Woche (67): Hitlers Interviews

Die internationale Presse war bereits ab 1923 an Adolf Hitler interessiert. Es gibt weniger Inlandsinterviews mit Hitler als solche mit ausländischen Korrespondenten.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Jüngst hat­te ein Habi­li­tand die stei­le Behaup­tung auf­ge­stellt, daß „der Auf­stieg des ‘Füh­rers’“ ohne sol­che Inter­views „in den Mas­sen­me­di­en­ge­sell­schaf­ten des 20. Jahr­hun­derts schwer vor­stell­bar“ gewe­sen wäre. Dies ist eine The­se, die Autor Lutz Hach­meis­ter (1959) aller­dings – und wohl zurecht – zurückweist.

In neun Kapi­teln zeich­net Hach­meis­ter nach, mit wem Hit­ler wann über was rede­te und wel­che Begleit­um­stän­de und Reso­nan­zen es gab. Wir lesen etli­ches Inter­es­san­tes, wor­un­ter auch Klatsch fällt, wir fin­den zudem eine recht hüb­sche Bebil­de­rung vor.

Neh­men wir den deutsch-ame­ri­ka­ni­schen Star­jour­na­lis­ten Geor­ge Syl­ves­ter Vier­eck, eine wahr­haft schil­lern­de Gestalt! Vier­eck hat­te engen, bera­ten­den Draht sowohl zum Sexu­al­wis­sen­schaft­ler Magnus Hirsch­feld als auch zu Hen­ry Ford und Kai­ser Wil­helm II. Sein 1923 (vor dem Putsch) geführ­tes Gespräch mit Hit­ler woll­te ihm aber kein US-Blatt abkau­fen, erst 1932 erschien es reich­wei­ten­stark in der Liber­ty.

Oder neh­men wir den ähn­lich enig­ma­ti­schen Fran­zo­sen Bert­rand de Jou­ve­nel, des­sen Hit­ler-Inter­view im Febru­ar 1936 publi­ziert wurde:

Sei­ne rosi­ge Haut ist die eines Man­nes, der Sport treibt. (…) Die Wan­gen sind voll, der Ein­druck ist der eines glück­li­chen Men­schen. Ich muss alle Vor­stel­lun­gen, die ich mir über den Dik­ta­tor gemacht habe, revidieren.

Oder den ita­lie­ni­schen Juden Giu­lio De Bene­det­ti (Was für ein Pho­to! Daß man das darf-!), der nach sei­nem Hit­ler-Inter­view anno 1923 schmun­zelnd beschei­nig­te, daß Hit­ler als Ger­ne­groß „kein all­zu gefähr­li­cher Dik­ta­tor“ sein werde.

Alle frü­hen Gesprä­che mit dem „Füh­rer“ sind als „Sto­ries“ auf­ge­macht. Stets wer­den lang, breit und blu­mig die Atmo­sphä­re, „sein“ Hän­de­druck, „sein“ Minen­spiel, Auf­tre­ten und „sei­ne“ Rhe­to­rik aus­ge­malt. Mal spöt­tisch, mal beeindruckt.

Daß eine Doro­thy Thomp­son und ein Dr. Karl Bör­ner („Bei­spiel eines intel­li­gen­ten Natio­nal­so­zia­lis­ten“) durch Suff­ge­schich­ten mit Hit­ler­be­zug ihre Kar­rie­ren ver­geig­ten, mag zu den Tri­vi­alia zäh­len, eben­so, wie Hit­ler den US-Kor­re­spon­den­ten Pierre Huss 1935 auf dem Ober­salz­berg auf­for­der­te, einen Schnee­ball in die Luft zu wer­fen – und dann mit sei­ner Auto­ma­tik­waf­fe Schnee­ball um Schnee­ball „gewalt­sam in der Luft zerfetzt.“

Es wäre schön, wenn man dies alles geord­net und sys­te­ma­tisch auf­be­rei­tet vor­ge­fun­den hät­te. Aber nein: Wir haben es hier mit einem schier undurch­dring­li­chen Kon­glo­me­rat zu tun. Hach­meis­ter stol­pert blind durch sei­ne Mate­rie. Er, der im Früh­jahr 2024 noch aus „Köln/Antibes“ grüß­te, ist im Som­mer uner­war­tet ver­stor­ben. Sei­nen „Dank“ hat­te er da bereits ver­faßt. Der rich­te­te sich unter vie­len ande­ren auch an einen „Die­ter Anschlag (Köln/Frankfurt a.M.), der „die ein­zel­nen Kapi­tel vor­ab mit gro­ßer Sorg­falt redi­giert“ habe.

Das („vor­ab redi­giert“, bit­te was?) gibt aus der Rück­schau den Ton vor – denn hier wur­de rein gar nichts in Ord­nung gebracht! Wir haben ein völ­lig unsor­tier­tes Kon­vo­lut in den Hän­den. Aber offen­kun­dig ver­kau­fen sich Bücher mit „Hit­ler“ im Titel immer noch zuver­läs­sig. Anders ist nicht zu erklä­ren, wes­halb ein gro­ßer Publi­kums­ver­lag einen solch sinis­tren Wust auf dem Markt wirft.

Hach­meis­ter springt durch­ge­hend vom Äst­chen auf´s Stöck­chen. Rele­van­tes und kom­plett Irrele­van­tes (Wie­vie­le Ehen hat­te der Inter­view­er hin­ter sich, und wie hieß die Nich­te sei­nes Ex-Chefs?) gehen hier mun­ter durch­ein­an­der. Aus den Aus­lands­in­ter­views zitiert er nur aus­zugs­wei­se und nur auf Deutsch, das ist ganz schwach. Hit­ler trug „ziem­lich merk­wür­di­ge Pumps“, hat­te „schö­ne, fet­te Hän­de“, bit­te? Das wür­de man gern mit dem Ori­gi­nal­text abgleichen.

Je nun, Hach­meis­ter ist kein gelern­ter His­to­ri­ker, Quel­len­ar­beit mag nicht seins gewe­sen sein. Umge­kehrt schwelgt er in Angli­zis­men. Es geht um „big shots“, „mes­sa­ges“, „boost“,„practical jokes“, „muck­ra­kers“ und „most action­like“, „busy­bo­dy“- und dies sind alle­samt kei­ne Zita­te, son­dern bloß der Bescheid­wis­ser-Jar­gon eines Hachmeisters.

Nie­mand aus dem Ver­lag hat sich zudem bemü­ßigt gefühlt, die­se vie­len ellip­ti­schen Sät­ze auf­zu­lö­sen, die im Sen­sa­ti­ons­jour­na­lis­mus womög­lich ihren Platz haben, aber nicht in einem ernst­haf­ten Buch. Nie­mand hat ver­hin­dert, daß eini­ge Per­so­nen kur­siv ein­ge­führt wer­den, die meis­ten aber nicht.

Nie­mand hat geschaut auf Hanf­staen­gel, also den eins­ti­gen Aus­lands-Pres­se-Chef der NSDAP Ernst Franz Sedgwick Hanf­staen­gel. Er erscheint hier erst als „Put­zi“, dann als Put­zi, erst ab Sei­te 200 seri­ös als Hanf­staen­gel. Nie­mand im Lek­to­rat hat geschaut auf ten­den­ziö­se, unwis­sen­schaft­li­che Spra­che („Top­na­zis“, „der lis­ti­ge Goeb­bels“, „Rabau­ke Max Amann“, „der völ­ki­sche Fase­lant Hit­ler“), pein­li­che Meta­phern:( „… dann begann die rhe­to­ri­sche Quel­le in sei­nem Hirn zu spru­deln.“) und ande­re Stil­blü­ten („eine schon kurz nach dem Erschei­nen her­aus­ra­gen­de Stu­die“; „Hit­lers such­te Man­ner­heim anläss­lich von des­sen 75. Geburts­tag heim“).

Daß dann noch eif­rig Aktua­li­täts­be­zug ins The­ma hin­ein­ge­floch­ten wird (Höcke, Trump) macht die Sache nicht erfreu­li­cher. Ein äußerst pein­li­ches letz­tes Zeug­nis. Wel­che Mühe, dar­in ein Gold­körn­chen zu finden..

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Lutz Hach­meis­ter: Hit­lers Inter­views. Der Dik­ta­tor und die Jour­na­lis­ten, Köln 2024, 328 S., 28 € — hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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