Südwesten – graues Land

von Uwe Jochum -- Wer in diesen Monaten und Tagen durch den schwäbisch-alemannischen Süden unseres Landes reist, findet ein Land vor, das grau verhangen wirkt.

Das liegt nicht nur an den jah­res­zeit­ty­pi­schen Boden­ne­beln, die im Süden vom Schwei­zer Mit­tel­land über den Boden­see nach Nor­den hin bis ins Donau­ge­biet rei­chen und die Land­schaft grau ver­pa­cken und vie­ler­orts unsicht­bar machen. Es liegt offen­bar auch dar­an, daß das wohl­ha­ben­de Ober­schwa­ben — die Gegend nörd­lich des Boden­sees bis hoch zur Schwä­bi­schen Alb — sich sei­ner selbst nicht mehr so ganz sicher ist. Und auch das ale­man­ni­sche Gebiet — das vom Schwarz­wald und dem Elsaß über den Boden­see tief in die Schweiz hin­ein­reicht — strauchelt.

Man merkt das dar­an, daß in den Mit­tel- und Klein­städ­ten die­ser Regi­on die Leer­stän­de zuneh­men. Nicht irgend­wo an den Rän­dern der Städ­te. Son­dern mit­ten­drin, dort, wo die kom­mo­den Fuß­gän­ger­zo­nen im Som­mer sich schon ein wenig ita­lie­nisch geben, die über den Win­ter gepäp­pel­ten Pal­men die Illu­si­on eines son­ni­gen Südens unter­strei­chen und die Städ­te oft noch einen aus dem Mit­tel­al­ter stam­men­den Stadt­kern auf­wei­sen. Das ergibt in guten Jah­ren ein schö­nes regio­na­les Selbst­be­wußt­sein. Aber in den schlech­ten Jah­ren, die hin­ter uns lie­gen, sind die Zwei­fel gewachsen.

Die Leer­stän­de in den inner­städ­ti­schen Fuß­gän­ger­zo­nen zei­gen das an: Im wohl­ha­ben­den Ravens­burg habe ich sechs lee­re Geschäf­te gezählt; in Kon­stanz kaschiert man die Leer­stän­de, indem die Stadt irgend­wel­che Akti­ons­bü­ros dort ein­quar­tiert, wo eben noch Schreib­zeug ver­kauft wur­de; und in Frei­burg steht in der Haupt­ein­kaufs­stra­ße das einst größ­te loka­le Beklei­dungs­haus leer.

Sicher­lich: Das alles mag weni­ger gra­vie­rend sein als in der Mit­te und im Nor­den unse­res Lan­des. Denn in Fried­richs­ha­fen am See sit­zen mit Air­bus und der Zahn­rad­fa­brik ZF Indus­trie­be­trie­be, die immer noch Geld ver­die­nen, für die Zulie­fe­rung der Auto‑, der Flug­zeug- und der Rüs­tungs­in­dus­trie. Und mit Kon­stanz, Frei­burg, Basel, Zürich und St. Gal­len legt sich um das Zen­trum der schwä­bisch-ale­man­ni­schen Regi­on ein Kranz von Uni­ver­si­tä­ten, die ein Heer von Beam­ten ali­men­tie­ren und in der einen oder ande­ren Wei­se mit der Medi­zin- und Phar­ma­for­schung ver­bun­den sind.

Arm ist man hier also nicht, aber offen­bar auch nicht mehr so wohl­ha­bend-zukunfts­si­cher wie noch vor weni­gen Jah­ren. Denn jetzt heißt es plötz­lich, ZF wol­le in den kom­men­den Jah­ren 14.000 Mit­ar­bei­ter ent­las­sen, und bei Air­bus ste­hen 2500 Arbeits­plät­ze auf dem Spiel.

Die Leer­stän­de und ange­kün­dig­ten Ent­las­sun­gen sind dabei nur die für jeden sicht­ba­ren Signa­le, daß etwas nicht mehr läuft. Weni­ger sicht­bar sind die klei­nen Details, die man nicht sofort sieht, die aber eine struk­tu­rel­le Ver­wer­fung andeu­ten, die womög­lich tie­fer reicht als die Leer­stän­de und anste­hen­de Ent­las­sun­gen. Ich mei­ne ein Detail wie die­ses: daß der Eisen­bahn­ver­kehr von Zürich über Lin­dau nach Mün­chen oder von Frei­burg über Basel und Kon­stanz nach St.Gallen pla­ne­risch und in der Aus­füh­rung offen­bar längst in der Hand der Schwei­ze­ri­schen Bun­des­bah­nen liegt und die Deut­sche Bahn hier nichts Gro­ßes mehr stemmt.

Oder ein Detail wie die­ses: daß der Haupt­flug­ha­fen der Regi­on in der Mit­te des schwä­bisch-ale­man­ni­schen Gebie­tes liegt, näm­lich in Zürich, das infra­struk­tu­rell von den Flug­hä­fen in Mühl­hau­sen (Elsaß, Frank­reich) und Fried­richs­ha­fen (Boden­see, Deutsch­land) flan­kiert wird. Oder die­ses: daß die Nord­schweiz seit Jah­ren über­rannt wird von Deut­schen, die dort arbei­ten wol­len und das auch tun, als Grenz­gän­ger oder Zuzüg­ler. Man sieht die­sen Trend an den in jeder nord­schwei­ze­ri­schen Gemein­de aus dem Boden schie­ßen­den Baukränen.

Nörd­lich von Rhein und Boden­see soll frei­lich ande­res in den Him­mel wach­sen. Bei Ravens­burg ist mit­ten im Alt­dor­fer Wald, einem der größ­ten geschlos­se­nen Wald­ge­bie­te Baden-Würt­tem­bergs, ein »Wind­park« mit bis zu 39 Wind­rä­dern geplant, damit end­lich auch im ober­schwä­bi­schen Schwach­wind­ge­biet der Kampf um die Kli­ma­neu­tra­li­tät gewon­nen wer­den kann. Nicht bes­ser sieht es am west­li­chen Boden­see aus, wo auf der Halb­in­sel Höri bis zu fünf Wind­kraft­an­la­gen und auf der Halb­in­sel Bodan­rück und damit in Sicht­wei­te von Kon­stanz wei­te­re Wind­kraft­an­la­gen in Pla­nung sind. Soll­ten die­se Plä­ne umge­setzt wer­den, wür­de das Boden­see­ge­biet von einer Urlaubs­re­gi­on, die davon lebt, daß die die Land­schaft noch halb­wegs unver­braucht wirkt, zu einem tech­ni­schen Wind­er­zeu­gungs­ge­biet umge­mo­delt wer­den, in dem die Rota­ti­ons­ge­schwin­dig­keit der Wind­flü­gel den Takt angibt.

Mit ande­ren Wor­ten: In der Regi­on ist der Abbau von Sub­stanz, der his­to­risch gewach­se­nen öko­no­mi­schen wie der natür­li­chen, über­all zu grei­fen. Und obwohl man den Men­schen ein­zu­re­den ver­sucht, der Sub­stanz­ab­bau sei die Eröff­nung einer neu­en Zukunft, mag das vor Ort kei­ner so recht glau­ben. Die Leer­stän­de in den Städ­ten, die geplan­ten Ent­las­sun­gen und die Infra­struk­tur­pro­ble­me der Bahn spre­chen eine ande­re Spra­che, die Spra­che eines grau­en Nichts, das sich über die Regi­on legt.

Die­ses Nichts hat nicht nur die Städ­te und die Land­schaft gepackt, son­dern auch die Men­schen. Für sie ist es das Nichts eines Kul­tur­bruchs, der mit den ver­trau­ten Sicher­hei­ten der Pro­vinz auf­räumt. Wenn auch in Ravens­burg die bis­lang nur anders­wo gesich­te­ten »Mes­ser­män­ner« auf­tau­chen und ein ums ande­re Mal Schre­cken ver­brei­ten, wenn in Kon­stanz am hel­lich­ten Tag auf der Stra­ße in eine Men­schen­grup­pe geschos­sen und im Stadt­park eine Frau von einem Syrer ver­ge­wal­tigt wird, dann hat die tie­fe Pro­vinz ein Trend ein­ge­holt, der vor eini­gen Jah­ren in Frei­burg als der weni­ger tie­fen Pro­vinz begon­nen hat­te: das wie­der­hol­te (hier und hier) Ver­ge­wal­ti­gen und Töten von Ein­hei­mi­schen durch Fremde.

Wel­che Aus­wir­kun­gen das auf die Men­ta­li­tät der Men­schen hat, kann man nur erst erah­nen. Eine Ahnung ver­mit­telt das zuneh­men­de Grau der Klei­dung, das in schar­fem Gegen­satz zu der Bunt­heit steht, mit der man auch in den schwä­bisch-ale­man­ni­schen Uni­ver­si­täts­städ­ten beschäf­tigt ist. Aber es ist nicht nur das Grau der Klei­dung, das eine atmo­sphä­ri­sche Ein­trü­bung anzeigt, es ist auch die zuneh­men­de Ver­wahr­lo­sung, die eine Zeit­lang noch als infor­mel­le Locker­heit durch­ging, inzwi­schen aber ins Unge­pfleg­te spielt. In Bah­nen, Bus­sen und Stra­ßen­bah­nen hat man zuneh­mend den Ein­druck, daß nicht nur die Klei­dung schad­haf­ter und unge­wa­sche­ner wird, son­dern auch der Mensch, der in ihr steckt. Es riecht jetzt im Nah­ver­kehr, wie es frü­her nicht gero­chen hat.

Unge­pflegt­heit und Ver­wahr­lo­sung, sagen uns die Psy­cho­lo­gen, sei­en ein Zei­chen für eine Depres­si­on. Die seit dem Jahr 2020 zuneh­men­den Selbst­mor­de zei­gen an, wie tief die depres­si­ve Ver­un­si­che­rung der Bevöl­ke­rung inzwi­schen reicht.

Wie es wei­ter­ge­hen wird, ist schwer zu sagen. Klar ist nur, daß die Woken, die um ihr Welt­bild und zugleich um ihre Pfrün­de kämp­fen, im Moment alles tun, um auf ihrem Weg ins graue Nichts blei­ben zu kön­nen. Sie haben den nöti­gen Wech­sel mit einer Fül­le von Tabus umstellt, die von der Unan­tast­bar­keit der Ener­gie­wen­de, der alter­na­tiv­lo­sen ille­ga­len Mas­sen­ein­wan­de­rung bis zur neu­er­dings ein­ge­führ­ten Ver­pa­ckungs­steu­er reichen.

Ers­te Unsi­cher­hei­ten mel­den sich in die­sem Milieu von jen­seits des Atlan­tiks in der Per­son von Donald Trump, assis­tiert von Elon Musk, die man bei­de nicht mehr weg­can­celn kann, wie man das jah­re­lang mit allen konn­te, die Nicht­links und Unwo­ke waren. Und in den öst­li­che­ren Gebie­ten Euro­pas gelan­gen die Ver­fem­ten jetzt an die Regie­rung und schmie­den Koali­tio­nen mit jenen, die kon­ser­va­tiv durch­ge­hal­ten hat­ten, um Euro­pa all­mäh­lich vom bun­ten Grau des links­grü­nen Aller­lei zu befreien.

Und im Süd­wes­ten, im Schwä­bisch-Ale­man­ni­schen? Da bleibt unver­ges­sen, daß hier zusam­men mit Sach­sen und Thü­rin­gen eine Regi­on gegen die staat­li­chen Coro­na-Maß­nah­men anhal­tend Wider­stand leis­te­te. Die­ser Wider­stand hat­te vie­le Väter, aber einer ist mit Sicher­heit eine Art ange­bo­re­ne Wider­stän­dig­keit, die auf eine lan­ge Geschich­te zurück­schaut: im Schwei­ze­ri­schen nicht nur auf den Eigen­sinn der Kan­to­ne und den Auf­bau einer direk­ten Demo­kra­tie, son­dern auch auf die zur libe­ra­len Bewe­gung gehö­ren­de »Remst­al­po­li­tik« oder die Alt­ka­tho­li­sche Kir­che, die im Süd­wes­ten eines ihrer Kern­ge­bie­te hat.

Die­se Wider­stän­dig­keit hat immer wie­der Men­schen ange­zo­gen, die in der Regi­on zu sich kom­men woll­ten oder muß­ten und einen Abstand zu den Städ­ten such­ten, in denen der Zeit­geist sich aus­tob­te und zu Ende tob­te. Man darf hier nicht nur an Her­mann Hes­se den­ken, der sich nach Gai­en­ho­fen zurück­ge­zo­gen hat­te, oder an Otto Dix, der nach Hem­men­ho­fen aus­ge­wi­chen war. Man darf vor allem an Fried­rich Georg und Ernst Jün­ger den­ken, die ihre zwei­te Lebens­hälf­te im Schwä­bisch-Ale­man­ni­schen ver­bracht haben, der eine in Über­lin­gen, der ande­re in Wilf­lin­gen. Die Per­fek­ti­on der Tech­nik und die Mar­mor­klip­pen sind Wer­ke ganz unter­schied­li­cher Art, aber es sind Wer­ke, in denen der Auf­stand gegen die auf ein Grau zusteu­ern­de tech­ni­sche und poli­ti­sche Ver­nut­zung der Welt zu sprach­li­cher Sub­stanz gefun­den hat.

Der Gedan­ke, daß die­se Sub­stanz von dem Land und den Leu­ten gelie­fert wur­de, mit denen die Brü­der Jün­ger lan­ge Umgang hat­ten, eröff­net einen wei­ten Hori­zont, der über das Geschlecht der Stau­fen­berg zurück­reicht in die Zei­ten der Stau­fer und Zäh­rin­ger. Wobei wir nicht ver­ges­sen wol­len, daß auch der Stamm­sitz der Habs­bur­ger in die schwä­bisch-ale­man­ni­sche Land­schaft gehört.

Wen­det man sich von die­sen fer­nen Zei­ten zurück in imme­re jün­ge­re Epo­chen, sieht man mit einem Mal all die iri­schen und angel­säch­si­schen Mis­sio­na­re, die auf der Rei­chen­au und in St. Gal­len wirk­ten; man sieht Meis­ter Eck­hart einen Teil sei­ner Pre­dig­ten in Straß­burg und im Elsaß hal­ten, in einem ale­man­ni­schen Straß­burg, in dem Guten­berg an sei­ner Erfin­dung arbei­ten und zwi­schen­durch nach Basel fah­ren wird, um auf dem dor­ti­gen Kon­zil Kon­tak­te zu knüp­fen zu Kir­chen­män­nern vom For­mat eines Niko­laus von Kues; man schaut sich in einem Basel um, in dem Eras­mus von Rot­ter­dam sein Leben beschlie­ßen wird, spä­ter woh­nen und arbei­ten dort Nietz­sche, Jacob Bur­ck­hardt und noch etwas spä­ter Karl Jas­pers, wäh­rend nörd­lich davon in Frei­burg Mar­tin Heid­eg­ger denkt und schreibt und noch wei­ter nörd­lich im schwä­bi­schen Tübin­gen immer noch zu spü­ren ist, daß es das Land von Höl­der­lin, Hegel und Schel­ling, aber auch von Schil­ler und Uhland ist, von Möri­ke und Gus­tav Schwab; und am Boden­see heil­te Franz Anton Mes­mer die Men­schen magne­tisch und schau­te die Dros­te oben von der Meers­burg hin­un­ter aufs Wasser.

Tief hin­ab reicht der Schacht der Ver­gan­gen­heit im Schwä­bisch-Ale­man­ni­schen. Aber es ist kein dunk­ler Schacht; er ist hell und bunt und vol­ler Strahl­kraft durch die Jahr­hun­der­te bis heu­te. Von die­sem Schacht her wur­de mehr als ein­mal das blei­er­ne Grau der deut­schen Stagnations‑, Unglücks- und Kata­stro­phen­ge­schich­te ver­trie­ben. Und so wird es auch in unse­ren Tagen wie­der sein, wenn eine neue Erin­ne­rungs­wel­le übers Land kommt.

– –

Uwe Jochum hat in der Rei­he Kapla­ken das viel­be­ach­te­te Bänd­chen Lang­mut. Den Wider­stand üben vorgelegt.

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Kommentare (21)

Ernestine

1. Februar 2025 16:06

Interessanter Beitrag, vielen Dank, vor allem für mich, die ich selbst seit ca. 25 Jahren mit Familie in dieser Gegend ansässig bin. 
Ich bemerke in der Tat eine tiefe Depression. Viel bricht zusammen. Reitställe schließen. Neue machen nicht auf. Überall hört man von Streit und Zwietracht. Unsere AfD-Infostände sind gut besucht. Vor allem von Menschen, die der AfD schon lange verbunden sind. Sie kommen hauptsächlich, um sich auszusprechen, wollen Trost und Nähe erfahren. Manch' einer bleibt stundenlang. 
Die gegenwärtige Situation bringt aus den Tiefen des Menschen auch Verstörendes hervor, so wie ich es bis dato nicht gekannt hatte. Heute erhielt ich z. B. eine völlig ernstgemeinte Warnung einer "katholischen Fundamentalistin". Sie wies mich allen Ernstes darauf hin, dass Björn Höcke der Satan sei und fürchtete bereits um mein Seelenheil. Ich war platt. Meine frühere Bitte, für Höcke gelegentlich zu beten, hatte sie vorher bereits abgelehnt. 

Laurenz

1. Februar 2025 16:25

Wie? Im Ländle müssen die Bürger noch nicht mit der Mütze des Obersten Führer Kretschmann & im Blaumann herumlaufen, Duschen abgeschafft & mit dem Waschlappen ersetzt haben? @UJ ... der Stammsitz der Hohenzollern liegt übrigens in derselben Region, wie der der Habsburger. Allerdings kann man nicht wirklich behaupten, daß der Umzug der Habsburger nach Wien & der der Hohenzollern nach Berlin uns alles in allem Glück gebracht hätte.

Dieter Rose

1. Februar 2025 16:57

Danke, erinnert mich in seinem (kultur-)geschichtlichen Teil an die zwei Stunden am Gestade des Bodensees nach einem Klassenausflug vor über sechzig Jahren, als wir zu Füßen unseres Latein-/Deutsch-/Französischlehrers seinen Erzählungen über Geschichte und Landschaft gelauscht haben. Kein Gedanke, dass sich da Wesentliches ändern könnte...

Ein gebuertiger Hesse

1. Februar 2025 17:25

Hervorragender Aufsatz, gekrönt von dem Geistesblitzwort "Erinnerungswelle" am Ende. Danke dafür!

Mitleser2

1. Februar 2025 17:33

Kein Mitleid. BaWü ist das Herzland der Grünen. Und Freiburg ihre Hauptstadt. Dort haben die Morde mit Maria Ladenburger im Oktober 2016 angefangen. Und seitedem geht es ungebremst weiter. 

RMH

1. Februar 2025 19:02

Da sind einige Schilderungen enthalten, die auf das ganze Land passen (Leerstände in den Innenstädten etc.).
Kleines OT sei bitte erlaubt: Interessant auch, wie beim Thema Zuwanderung das politische Theater (Peter Müller) 
https://www.swr.de/swrkultur/wissen/archivradio/eklat-um-zuwanderungsgesetz-cdu-politiker-peter-mueller-bekennt-politisches-theater-100.html
in Berlin nach wie vor funktioniert.
https://www.n-tv.de/politik/In-Laschets-Wohnung-feiern-Schwarz-und-Gruen-zusammen-article25532587.html

Franz Bettinger

1. Februar 2025 21:57

Grau? Nicht im Saarland. Am Stand der Grünen, die mich erst als einer der ihren wähnten, sagte man mir auf die Frage, wieso gerade in St.Ingbert für Windräder ab 2027 Wald abgeholzt werden soll: „Irgendwo müssen sie ja hin, die Windräder!“ Ich: „Hm. Wieso macht ihr das den Bürgern nicht klar? Wieso schreibt ihr nicht auf's Plakat: Dieser Wald muss sterben, damit der Planet überlebt ? Das würde ja jeder einsehen! Sie wirkten zerknirscht. -  Kam da wenig später ein Türke zu uns an den AfD-Stand: „Hallo Fremder! Was machen Sie denn hier bei uns Rassisten?“ Der Türke lacht: „Ihr seid keine richtigen Rassisten!“ Er legt mir die Hand auf die Schulter: „Gallipoli ! Deutsche und Türken immer gut.“ Ich weise auf das Regenbogen-Fahnen schwenkende bunte Dutzend vielerlei Geschlechts & einheitlichen IQ's hin, das uns vor 5 Minuten belästig hatte, ehe ich sie auf die übliche charmante Art verscheucht (d.h. weg-diskutiert) habe. „Das du haben gut gemacht. Ja ich beobachte. Viel gelacht. Ich einer von euch. AfD gut! Meine ganz große Familie, alle wählen AfD.“ Nächstes Mal gibt's am Stand Kaffee und Kuchen.

Diogenes

1. Februar 2025 21:58

… die man beide nicht mehr wegcanceln kann, wie man das jahrelang mit allen konnte, die Nichtlinks und Unwoke waren. ...
 
Sprachkritik: Weg-"canceln", Un-“woke“? Wir sind ja auch so arm an Sprache und müssen Anglizismen nutzen, wenn wir auch einfach  "weg" und "nehmen" kombinieren könnten (oder auch einfach VSA, statt U...), also wegnehmen, die Wegnahme, etc. (so was auf einer Netzseite lesen zu müssen die sich selbst "Rechts" nennt - bei der Bildzeitung von "Rechts" "Compact" darf man das erwarten, aber der Konservative schüttelt nur mit dem Haupte).
Echt, manche scheißen doch auf den deutschen Geist! Zu "fail".. äh.. faul, in Deutsch zu überlegen und dementsprechende Sagas zu machen? Lauter Mist der aus Übersee und dem Ärmelkanal übernommen wird. Es zeigt wo das dt. Selbstbewusstsein noch immer ist: In Ohnmacht. 

Ordoliberal

1. Februar 2025 23:25

Ach, Gottchen, die Schwaben! Tüftlertum, Pietismus und Tübinger Romantik. Als Jugendlicher lässt man sich davon noch erregen, läuft barfuß, weil man Hesse gelesen hat, rezitiert Novalis und Hölderlin und fühlt sich ganz innerlich und erhaben. Als Erwachsener wird einem dann klar: Der typisch deutsche, weil frömmelnde Terrorismus ist ein Produkt schwäbischer Romantik und Theologie. Ich habe meine Kindheit und Jugend am Fuße der Schwäbischen Alb verbracht. Nichts bringt mich jemals in dieses Epizentrum deutschen Puritanismus' zurück. Gottseidank bin ich kein Ingenieur und muss dort nicht arbeiten.

Sugus

2. Februar 2025 10:26

Viele richtige Beobachtungen. Noch ein paar Ergänzungen meinerseits: 
-Als ich vor ein paar Monaten spätabends am Tübinger Bahnhof ankam, hatte ich den Eindruck, in Berlin Zoologischer Garten auszusteigen. Der Schwabe, auch und gerade der grüne Schwabe, ist aber sehr empfindlich gegenüber Unordnung im Alltag. 
-Der Schwabe hat zunehmenden Ausländeranteil in Gastarbeiterzeiten relativ kritiklos hingenommen, "hauptsach, die schaffet". Asylbewerber arbeiten in der Masse dagegen nicht, deswegen schon früh Protestwahlen mit Rekordergebnissen für die "Republikaner". Auch zur Zeit gärt es wieder gewaltig. 
-Von der Wirtschaftskraft und der Bevölkerung her gehört Baden-Württemberg neben NRW und Bayern zu den wichtigsten Bundesländern. Die Republik wackelt eher, wenn dort 35% dauerhaft AfD wählen, als wenn sie in Thüringen 52% einfährt. 
-die konservative Grundierung des schwäbischen Facharbeiters verbietet ihm, Linkspartei oder BSW zu wählen, auch den Grünen gegenüber ist er skeptisch. Was bleibt dann noch als Alternative, wenn es wirtschaftlich kriselt? Die CDU ist vielfach schon längst abgehakt, etwa im Kommunalen: wo in den 1970ern 70-80% Union gewählt wurde, dominieren jetzt Freie Wähler. Die FDP hat auch keinen großen Stand mehr in ihrem wirtschaftsliberalen Mutterland. 

Liselotte

2. Februar 2025 12:09

Die Industrie bricht schon seit Jahrzehnten weg. Die Textilfabriken zuerst, dann die Chemie- und die Papierfabriken. Nun also demnächst die ZF, was jedoch eine Steigerung in der Dimension darstellt.
Der Südschwarzwald ist seit 100 Jahren zugestellt mit Strompylonen, den Tourismus hinderte das nicht unbedingt. Der ist allerdings inzwischen auch brüchig, die Selbstverständlichkeit von vor 20 Jahren, in jedem Dorf eine annehmbare Wirtschaft zu finden, ist nicht mehr gegeben. Die kleinen Fachgeschäfte gibt es kaum noch (wer kauft noch Lampen in einem kleinen Laden, statt im großen Baumarkt?), entsprechend kommt der Leerstand in den Innenstädten, den man von östlicheren und nördlicheren Gefilden bereits kennt, auch im Südwesten an. Die kleinen Geschäfte haben alle keine Nachfolger, und so sterben die Bäcker, Metzger und Elektriker in den Innenstädtchen aus.

Laurenz

2. Februar 2025 16:23

Der beste Beitrag bleibt bisher der von Mitleser2. Im reichen Ländle war der Ablaß-Bedarf wohl besonders groß. Auch Dieter Nuhr sagt, der Wähler, der Drecksack, ist schuld. https://www.tiktok.com/@enjoylife.exe/video/7465847278054558998

Waldgaenger aus Schwaben

2. Februar 2025 17:54

Der Text besteht aus zwei Schichten, die sich gegenseitig durchdringen und ergänzen. Der Verfall eines uralten Kulturraumes und der gegenwärtige wirtschaftliche Niedergang. Zum Verfall will ich hier und heute nichts schreiben, nicht an so einem grauen, nebligen Tag. 
Zum wirtschaftlichen Niedergang:
Niemand gebe sich der Illusion hin, dass wir ihn so einfach rückgängig machen könnten, wenn wir nur die richtige Regierung hätten. Nur weil wir Schwaben (oder Deutsche) sind, werden wir kein zweites Wirtschaftswunder schaffen und andere mit Leichtigkeit überflügeln. Wir bräuchten eine tiefgehende geistig-moralische Wende, die nicht von oben verordnet werden kann. 
@ordoliberal
Das Zerrbild des puritanischen, sparsamen Schwaben hat einen Antagonisten. Es gibt auch einen lebensfrohen, barocken Menschenschlag bei uns.  Die Gegenreformation hat in katholischen Gegenden wunderbare Barock- und Rokokobauten hinterlassen. siehe Oberschwäbische Barockstraße – Wikipedia
Die Menschen auf Schwäbische Alb und der umliegenden Gebiete wurden auch durch jahrhundertlanges Elend geformt. Die Schwäbische Alb ist ein Kalkgebirge, deshalb herrschte dort extremer Wassermangel, weil Regen sofort versickert, was zu geringen Ernteerträgen führte. Ab 1870 begannen schwäbische Ingenieure mit einer wasserbautechnischen Pionierleistung Wasser auf die Höhen der schwäbischen Alb zu pumpen. siehe auch Albwasserversorgung – Wikipedia
 

deutscheridentitaerer

2. Februar 2025 18:36

In meiner Kindheit war ich oft zu Freunden in Wangen zu Besuch, und damals war die Gegen für mich eine Art Sehnsuchtsland. Mit dem Älterwerden ging diese kindliche Magie, die ich mit der Bodenseeregion assoziiert habe, dann leider weitgehend verloren.
Letztes Jahr war ich nach langen Jahren wieder mal dort, und es hat sich für mich eine Art zweiter Zauber eingestellt, wie es einmal gewesen war und wie man es als selbstverständlich genommen hat. Bisschen so, wie wenn man nach Jahren wieder sein altes Schulgebäude oder so wieder aufsucht.
Wir waren dann anlässlich Mariä Himmelfahrt, wo ein Benediktinerabt überraschend eindrucksvoll predigte, die Geschichte der Reichenau referierend. Ich bin da unbeschlagen, aber es stellte sich eine gewisse Ehrfurcht angesichts der Jahrezahlen, 800, 900 usw. ein.Nach dem Gottesdienst kam irgendein evangelischer Gast und hielt noch eine Art Zweitpredigt, die dann eine Stunde alle Zeitgeistthemen durchkaute, quasi als Kontrapunkt. 

Majestyk

2. Februar 2025 19:06

Nuhr, das Feigenblatt der satirischen Meinungsfreiheit, der hintenrum dann doch immer anklingen läßt, daß die AfD aus verkappten Nazis besteht. Aber wenigstens wird dem Zuschauer suggeriert, daß man ja doch noch alles ungestraft sagen kann und zwar ohne AfD zu wählen.
@ Mitleser2:
Freiburg, mit seinem kontinuierlich aufgebauten SC, der nicht nur Jobrad fährt, sondern das moralische Gewissen von Fußballdeutschland verkörpert. Lange vertreten von der grünen Hüpfdohle Streich. Wie man aber liest sieht sich auch Schuster nicht nur als sportlicher Leiter, sondern vor allem politischer Erziehungsbeauftragter
Als ich in der Pfalz mal klettern war hatten wir zwei Schaben in der Gruppe. Seitdem weiß ich warum es heißt "wir können alles, außer hochdeutsch:" Als hätte man denen das Welt erklären in die Wiege gelegt. 

Hartwig aus LG8

2. Februar 2025 20:35

"" ... Donald Trump, assistiert von Elon Musk, die man beide nicht mehr wegcanceln kann ... ""
Bei allem "südwestlichem Lokalkolorit", dass ich interessiert zur Kenntnis nehme, trifft der o.a. Halbsatz die aktuelle Situation im gesamten Land am besten. Der Merz'sche Theaterstadl im Bundestag wäre ohne Trump nicht denkbar: Die us-amerikanische "Schwesterpartei" sieht in der Union nicht mehr ihre traditionelle Verbündete in Deutschland ... sondern spricht Grußworte bei der AfD ... 
Die Dinge nehmen ihren Lauf. A.Wendt schrieb vor Wochen: "Deutschsein heisst auch, jede Sackgasse bis zu ihrem Ende abzuschreiten."
Wir werden demnach wieder die Letzten sein, aber der Wagen rollt.

anatol broder

2. Februar 2025 21:20

ende januar ging ich abends mit dirk, peter, uwe und brigitte in ein deutsches esslokal. die frau und ich hingen ihre mäntel auf den kleiderständer. die drei deutschen männer hingen ihre mäntel über ihre stühle. sie tun es in jedem lokal so, ich kenne die drei lang genug. diesmal kam es durch peters hängenden stoff zu einem schlamassel. ich ertrug den anblick nicht, stand auf, ging zu peter, nahm den mantel von seinem stuhl und brachte ihn zum kleiderständer. zurück am tisch tadelte ich zum ersten mal die etwa sechzigjährigen männer: »was haben eure eltern euch beigebracht?« ich bin mir unsicher, ob jeder meiner begleiter einen bezug zwischen meiner frage und seinen tafelsitten hergestellt hat. kann da eine «neue erinnerungswelle» (uwe jochum) helfen? kann die welle meine deutschen freunde dazu bringen, die hosen immer mit einem gürtel zu tragen? 

MARCEL

3. Februar 2025 10:23

Für mich gibt es nur noch ein "Geheimes Deutschland"- nichts anderes mehr.
Ein Bodenschatz, den man nicht leichtfertig heben bzw. abbauen sollte. Er strahlt aber durch die Erde (eher: den Dreck) hindurch. Er erfüllt diejenigen, die noch Antennen haben mit einem durch Realitäten nicht zu zerstörenden Zugehörigkeitsgefühl.
Möge dieses Deutschland den Rest-Deutschen, die sich auf den Status einer selbstbewussten (!) Minderheit vorbereiten (sollten), Kraft geben.
Minderheit zu werden, selbst im eigenen Land, ist keine Schande. 

Adler und Drache

3. Februar 2025 12:39

Tief hinab reicht der Schacht der Vergangenheit im Schwäbisch-Alemannischen. Aber es ist kein dunkler Schacht; er ist hell und bunt und voller Strahlkraft durch die Jahrhunderte bis heute. Von diesem Schacht her wurde mehr als einmal das bleierne Grau der deutschen Stagnations‑, Unglücks- und Katastrophengeschichte vertrieben.
Oh, ein Hoffnungsbild - das ist selten, sehr selten! Ich danke dafür! 

Valjean72

4. Februar 2025 09:09

Ich wundere mich, dass sich Maiordomus nicht mit Entrüstung zu Wort meldet, da Schwaben und Badener mit Deutsch-Schweizern in einen Topf geworfen werden ;-)

Pit

5. Februar 2025 04:57

Der Grund für das Grau ist: man fühlt sich nicht mehr wohl im Land. Und zwar wegen der Verausländerung.Stellen wir uns die Frage: ist irgendjemand imstande, sich dies, genau so, einzugestehen?Nein. Der Weiße ist nicht imstande, es sich einzugestehen und es offen auszusprechen: ich fühle mich nicht wohl in einer gemischtrassigen Gesellschaft.Solange dies so bleibt: wird das Grau zunehmen.Wird der Niedergang endgültig sein? Ich fürchte, das ist möglich. So ist die weiße Psychologie des pathologischen Altruismus.