Autoritär, gegen Hitler, einer von uns – Goerdeler

von Erik Lommatzsch -- Das Denkmal für Carl Friedrich Goerdeler, welches die Stadt Leipzig ihrem zwischen 1930 und 1937 amtierenden Oberbürgermeister im Jahr 1999 zugestanden hat, befindet sich zwar unmittelbar am Neuen Rathaus, seinem ehemaligen Wirkungsort, allerdings an einem kaum begangenen, leicht erhöht liegenden Pfad. Da die Erinnerungsstätte aus ebenerdigen Platten und einer Art Grube oder Trichter besteht, ist sie leicht zu übersehen. Überfrachtet ist das Ganze mit schwer lesbaren, umfangreichen Texten. Der Unwissende ist kaum motiviert, sich weiter zu vertiefen, der Wissende erkennt die Absicht.

Für den Umgang mit Goer­de­ler, an den in ers­ter Linie als einen der maß­geb­li­chen und ener­gischs­ten Köp­fe des deut­schen Wider­stan­des gegen das NS-Regime erin­nert wird, ist das Leip­zi­ger Denk­mal bezeich­nend. Durch das Stich­wort „Wider­stand“ scheint eine läs­ti­ge Inpflicht­nah­me unaus­weich­lich zu sein, expo­niert prä­sen­tiert wer­den soll der „Reak­tio­när“ aller­dings nicht. Auch die wohl­wol­len­de Geschichts­schrei­bung ist bemüht, den in die Schub­la­de „natio­nal­kon­ser­va­ti­ver Wider­stand“ ein­ge­ord­ne­ten Poli­ti­ker an den Maß­stä­ben des Grund­ge­set­zes oder ande­ren (Wunsch-) Gegen­warts­be­zü­gen zu messen.

Goer­de­ler wirk­te als erfolg­rei­cher, öko­no­misch ver­sier­ter Kom­mu­nal­po­li­ti­ker und über­nahm Auf­ga­ben auf Reichs­ebe­ne. Nach sei­nem Rück­tritt als Ober­bür­ger­meis­ter von Leip­zig im Jahr 1937 arbei­te­te er uner­müd­lich dar­an, der Poli­tik des NS-Staa­tes ent­ge­gen­zu­wir­ken – durch Aus­lands­kon­tak­te, durch Ver­su­che, direk­ten Ein­fluß auf maß­geb­li­che Funk­ti­ons­trä­ger zu neh­men, er knüpf­te Ver­bin­dun­gen inner­halb des Wider­stan­des und trieb die Staats­streich­pla­nun­gen vor­an. Hier war er nach über­ein­stim­men­den Aus­sa­gen der uner­müd­lich-opti­mis­ti­sche Motivator.

Als Reichs­kanz­ler wur­de er im Lau­fe sei­nes Lebens zwei Mal gehan­delt – zum einen kurz­zei­tig gegen Ende der Wei­ma­rer Repu­blik als Nach­fol­ger Hein­rich Brü­nings, zum ande­ren war er für die­se Funk­ti­on nach dem erfolg­rei­chen Sturz des NS-Regimes vor­ge­se­hen. Kenn­zeich­nend für Goer­de­ler waren eine unbe­ding­te Ori­en­tie­rung am Rechts­staat, sein zuwei­len infan­til-naiv anmu­ten­der Glau­be an die Ver­nunft, deren Natur schließ­lich obsie­gen wer­de, sowie an die Wirk­kraft des ratio­na­len Argu­ments und die ent­spre­chen­de Zugäng­lich­keit der Entscheidungsträger.

Eine Viel­zahl von Über­le­gun­gen zu Refor­men oder grund­sätz­li­chen Neu­struk­tu­rie­run­gen sowie zu Posi­tio­nie­run­gen Deutsch­lands im inter­na­tio­na­len Rah­men arbei­te­te Goer­de­ler in teils umfang­rei­chen Dar­le­gun­gen aus. Genannt sei­en etwa die Denk­schrif­ten aus der Zeit des Wider­stan­des „Das Ziel“ (Herbst 1941) und „Der Weg“ (abge­schlos­sen im April 1944). Goer­de­lers Den­ken zeigt eine hoch­gra­di­ge Kon­ti­nui­tät und Geschlos­sen­heit, sowohl in poli­tisch-öko­no­mi­schen und Ver­fas­sungs­fra­gen als auch in der Außen­po­li­tik. So etwa stan­den für ihn die Gren­zen von 1914 kaum zur Dis­po­si­ti­on, allen­falls erwei­tert um Öster­reich und das Sudentenland.

Der lang­jäh­ri­ge Reichs­fi­nanz­mi­nis­ter Schwe­rin-Kro­sigk erklär­te, Goer­de­ler habe wie ein „büro­kra­ti­scher Revo­lu­tio­när“ gewirkt – in der Unzahl der ver­zer­ren­den Urtei­le viel­leicht eines der tref­fen­den. Aus­druck von Goer­de­lers unbe­ding­ter Wert­schät­zung des Rechts­staa­tes und sei­nes Ver­trau­ens in die mensch­li­che Ver­nunft war sei­ne Wei­ge­rung, dem Atten­tat, dem Tyran­nen­mord sei­ne Zustim­mung zu geben. Bis zum Ende beharr­te er dar­auf, daß sich vor allem Hit­ler einem Gericht stel­len müs­se, um mit­tels eines umfang­rei­chen Pro­zes­ses die ver­häng­nis­vol­le Poli­tik des NS-Staa­tes offen­bar wer­den zu las­sen und so die Unter­stüt­zung der Bevöl­ke­rung für das Gemein­we­sen nach dem Umsturz zu gewin­nen. Mit die­sen Bestre­bun­gen stieß Goer­de­ler auch inner­halb sei­nes engs­ten Wider­stands­um­fel­des auf vehe­men­ten Widerspruch.

Gebo­ren wird Goer­de­ler am 31. Juli 1884 in Schnei­de­mühl, Pro­vinz Posen, ab dem sechs­ten Lebens­jahr wächst er im west­preu­ßi­schen Mari­en­wer­der auf. Der Vater ist Jurist und sitzt ab 1899 für die Frei­kon­ser­va­ti­ve Par­tei im Land­tag. Das Preu­ßi­sche prägt Goer­de­ler, die fri­de­ri­zia­ni­sche Tra­di­ti­on eben­so wie der Refor­mer Stein, auf den er sich oft bezie­hen wird.

Nach dem Stu­di­um der Rech­te in Königs­berg und Tübin­gen sowie einer kur­zen Bank­lehr­zeit wird er 1912 Bei­geord­ne­ter in Solin­gen. Im Ers­ten Welt­krieg dient er als Artil­le­rie­of­fi­zier an der Ost­front. Her­vor­zu­he­ben ist hier sei­ne Auf­ga­be, 1918 die Ver­wal­tung in den von der 10. Armee besetz­ten Gebie­ten Litau­ens und Weiß­ruß­lands wie­der­her­zu­stel­len. Im Vor­feld des Ver­sailler Frie­dens ist er 1919 in den Rei­hen derer enga­giert, die Gebiets­ab­tre­tun­gen zu ver­hin­dern ver­su­chen, er selbst formuliert:

Die ein­zi­ge Mög­lich­keit, das Deutsch­tum im Osten und die Ost­mark dem Rei­che zu ret­ten, ist die mili­tä­ri­sche Nie­der­wer­fung Polens.

Die Demo­kra­tie der Wei­ma­rer Repu­blik ist ihm nicht nur fremd, er hält sie für unge­eig­net, den sich für Deutsch­land stel­len­den Pro­ble­men zu begeg­nen. Den­noch agiert er, bis 1931 der DNVP ange­hö­rend, in sei­nen Ämtern äußerst erfolg­reich. 1920 wird er Zwei­ter Bür­ger­meis­ter von Königs­berg, 1930 schließ­lich Ober­bür­ger­meis­ter von Leip­zig, einer der bedeu­tends­ten Städ­te des Reiches.

Vom „Fluch des Par­la­men­ta­ris­mus“ spricht er und daß er es für aus­ge­schlos­sen halte,

daß irgend­ei­ne par­la­men­ta­ri­sche Kom­bi­na­ti­on imstan­de sein wird, die durch die heu­ti­ge wirt­schaft­li­che und poli­ti­sche Lage beding­te Reform zu beschließen.

Und er erklärt, hier in Über­ein­stim­mung mit den meis­ten sei­ner Zeitgenossen:

Alle Schwie­rig­kei­ten, in denen sich heu­te Deutsch­land und die Welt befin­den, gehen zurück auf den Wahn­sinn des Dik­ta­tes von Versailles.

Kon­kret strebt er – in sei­nen dies­be­züg­li­chen Schrif­ten durch­ge­hend – die Stär­kung der Selbst­ver­wal­tung auf allen Ebe­nen nach dem Vor­bild der Kom­mu­nen an. Eine Beam­ten­re­gie­rung, eine ent­po­li­ti­sier­te Exe­ku­ti­ve, dem Ein­fluß von Par­la­ment und Par­tei­en ent­zo­gen, schwebt ihm dabei vor. Volks­ver­tre­tun­gen, die er ins­ge­samt zurück­ge­drängt sehen will, soll­ten sich auf ihre Kon­troll­funk­ti­on kon­zen­trie­ren. An die Spit­ze wünscht er einen Reichs­prä­si­den­ten mit dik­ta­to­ri­schen Hand­lungs­spiel­räu­men. Ver­kürzt, aber nicht falsch: Goer­de­ler strebt nach einer auto­ri­tä­ren Staats­form. Öko­no­misch sind ihm der Leis­tungs­ge­dan­ke und der freie Wett­be­werb unab­ding­ba­re Richt­li­ni­en. Die Sozi­al­ver­si­che­rung soll vom Staat ent­kop­pelt und der gewerk­schaft­li­chen Selbst­ver­wal­tung über­las­sen werden.

Goer­de­lers wirt­schafts­po­li­ti­sches Agie­ren, die Unter­stüt­zung der Defla­ti­ons­po­li­tik, bringt ihm 1931/32 die Beru­fung zum Reichs­preis­kom­mis­sar ein, ein Amt, wel­ches er 1934/35 noch ein­mal aus­üben wird. Ein Minis­ter­amt in der Regie­rung Papen lehnt er 1932 ab. 1933 kann er als einer der weni­gen Ober­bür­ger­meis­ter im Amt ver­blei­ben, einem ihm ange­tra­ge­nen NSDAP-Bei­tritt ver­wei­gert er sich.

Anfangs davon aus­ge­hend, daß die NS-Macht­ha­ber im Sin­ne sei­ner Ziel­set­zun­gen arbei­ten oder sich ent­spre­chend beein­flus­sen las­sen könn­ten, wobei Goer­de­ler sich in guter Gesell­schaft mit einer Viel­zahl der Poli­ti­ker der Rech­ten befin­det, wan­delt er sich in den 1930er Jah­ren zum Kri­ti­ker. 1937 for­mu­liert er, die NSDAP habe die Mög­lich­keit verspielt,

das hohe Ide­al der Lebens- und Arbeits­ka­me­rad­schaft zur Grund­la­ge des Lebens der Nati­on zu machen und die mora­li­sche Füh­rung in einer sich sozi­al neu ord­nen­den Welt zu übernehmen.

Die immer wei­ter außer Kraft gesetz­ten Rechts­staats­prin­zi­pi­en, die sei­nen Vor­stel­lun­gen wider­spre­chen­de Aut­ar­kie­po­li­tik und spä­ter der selbst in sei­nen erfolg­rei­chen Pha­sen von Goer­de­ler per­spek­ti­visch als ver­häng­nis­voll für Deutsch­land ein­ge­schätz­te Krieg trei­ben ihn zur Oppo­si­ti­on und spä­tes­tens 1940/41 zum akti­ven Wider­stand. Gegen die Ent­rech­tung der Juden bezieht er in sei­nem Amt als Ober­bür­ger­meis­ter wie­der­holt demons­tra­tiv Stel­lung. Anlaß sei­nes Rück­tritts ist schließ­lich die gegen sei­nen aus­drück­li­chen Wil­len erfolg­te Ent­fer­nung des Denk­mals des Kom­po­nis­ten Felix Men­dels­sohn Bartholdy.

Goer­de­ler reist viel, die Bri­ten ver­sucht er ver­geb­lich zu Zusi­che­run­gen für die Zeit nach einem erfolg­ten Staats­streich zu bewe­gen. Eben­so ver­geb­lich ver­sucht er Offi­zie­re in Spit­zen­po­si­tio­nen wie Gene­ral­stabs­chef Franz Hal­der oder Gene­ral­feld­mar­schall Gün­ther von Klu­ge zum Han­deln zu bewe­gen. Lan­ge hält Goer­de­ler an Ideen fest, er kön­ne Hit­ler im Gespräch zur Ein­sicht brin­gen oder der von ihm als gemä­ßigt ein­ge­schätz­te Göring kön­ne an der Spit­ze eines Über­gangs­ka­bi­netts einen Kurs­wech­sel vollziehen.

Sub­stan­ti­el­ler ist Goer­de­lers enges Zusam­men­wir­ken im Wider­stand mit dem ehe­ma­li­gen Gene­ral­stabs­chef Lud­wig Beck und dem ehe­ma­li­gen Bot­schaf­ter Ulrich von Has­sell, die wie er selbst nach einem geglück­ten Umsturz für hohe Regie­rungs­äm­ter vor­ge­se­hen sind. Er ist zuver­sicht­lich und hat nicht immer die Rea­li­tä­ten im Blick. Immer wie­der drängt er, etwa im Mai 1943, not­falls für einen Umsturz „den ‚psy­cho­lo­gisch rich­ti­gen‘ Zeit­punkt zu schaf­fen“. Zeit­gleich lässt er die Bri­ten wissen:

Das deut­sche Volk muß und wird sich selbst von einem Sys­tem befrei­en, das unter dem Schutz des Ter­rors unge­heu­er­li­che Ver­bre­chen begeht.

Bis zum Staats­streich des 20. Juli 1944 wird Goer­de­ler die ihm zuge­wach­se­ne Füh­rungs­rol­le im Wider­stand behal­ten, trotz aller Dif­fe­ren­zen, ins­be­son­de­re in der Schluß­pha­se. Stauf­fen­berg hät­te als Reichs­kanz­ler den SPD-Poli­ti­ker Juli­us Leber bevorzugt.

Bereits seit dem 17. Juli 1944 gesucht, wird Goer­de­ler am 12. August 1944 fest­ge­setzt. In der Haft resi­gniert, for­mu­liert er in einem Abschieds­brief, die Welt möge „unser Mär­ty­rer­schick­sal als Buße“ für „das deut­sche Volk anneh­men“. Am 2. Febru­ar 1945 wird er in Ber­lin-Plöt­zen­see hingerichtet.

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