Kritik der Woche (68): Sichtungen

Eine nobelrebellische Katholikin der Millennials“ wurde die 1991 in Erfurt geborene Hendrikje Margareta Machate, manchen vielleicht bereits als Autorin der Tumult bekannt, in einem surreal wohlwollenden, weil auf der Netzseite der taz erschienenen Blogartikel über ihr erstes Buch genannt.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Dazu die ban­ge Fra­ge: „Taugt die in Wien leben­de Deut­sche zur neu­en Iko­ne der Pas­to­ral-Fol­kies?“ Ich habe mich bei der Ziel­grup­pe umge­hört, und erhielt von einer ziem­lich dog­ma­tisch den­ken­den Freun­din das Urteil:

Die Mischung aus sehr tref­fen­den und klu­gen, eit­len, ästhe­ti­zis­tisch-deka­den­ten und häre­ti­schen Sät­zen über­zeugt mich im gan­zen nicht.

Auch sonst ist reich­lich Skep­sis vor­han­den, ob jemand in die­sem Alter, und noch dazu eine Frau, bereits genü­gend Rei­fe besitzt, „an Nicolás Gómez Dávila geschul­te“ Apho­ris­men zu schrei­ben, wie der Ver­lag das Buch etwas voll­mun­dig bewirbt.

Ist Macha­te, zumin­dest an ihrer Selbst­prä­sen­ta­ti­on gemes­sen, nicht ein wenig zu hübsch, ein wenig zu betucht, ein wenig zu pre­zi­ös für ein sol­ches Unter­fan­gen? Sind Apho­ris­men über die ers­ten bis letz­ten Din­ge glaub­wür­di­ger, wenn sie von knor­ri­gen kolum­bia­ni­schen Guts­be­sit­zern oder schlaf­lo­sen Selbst­mord­be­ses­se­nen in Pari­ser Man­sar­den­zim­mern geschrie­ben wer­den? Das sind berech­tig­te Fra­gen, denn es besteht ein natür­li­ches Bedürf­nis des Lesers, zu erfah­ren, ob ihm ein Autor nicht bloß etwas vormacht.

Wer mit die­sen Vor­be­hal­ten an das Buch her­an­geht, wird ange­nehm über­rascht sein über sei­ne Zugäng­lich­keit, Unmit­tel­bar­keit und sprach­li­che Qua­li­tät, viel­leicht ganz nach dem Satz der Autorin:

Bevor du jeman­den gele­sen hast, kennst du ihn nicht.

Die Samm­lung teilt sich in drei Schach­teln: „Got­tes­wahn“ (ein Slo­gan von Richard Daw­kins, den sich die Autorin trot­zig beja­hend zu eigen macht) für die reli­giö­sen und meta­phy­si­schen Betrach­tun­gen, „Kon­ter­gar­de“ für die Fecht­stel­lun­gen, Hal­tungs­übun­gen und Stand­ort­be­stim­mun­gen, „Mis­cel­la­nea“ für den frei flot­tie­ren­den Rest.

Es ver­steht sich von selbst und ist wohl gen­reim­ma­nent, daß es sich hier­bei qua­li­ta­tiv um eine „Mixed bag“ han­delt. Man­ches schmeckt ein biß­chen zu sehr nach Lese­früch­ten und „Reac­tion­a­ry chic“, man­chen Gedan­ken hat man schon anders­wo und bes­ser for­mu­liert gele­sen, man­ches ist ein biß­chen zu kokett oder zu banal, aber die gute Nach­richt ist, daß Macha­te gar kein Dávila und nicht ein­mal ori­gi­nell sein will. Gera­de des­we­gen fin­det sie oft fri­sche und über­ra­schen­de For­mu­lie­run­gen, die den Kopf erqui­cken, zum Lachen brin­gen oder auch zum Wider­spruch reizen.

All dies auf einen Nen­ner brin­gen zu wol­len, ist eben­so schwie­rig wie unnö­tig, und jeder Leser wird sich hier je nach Nei­gung ande­re Rosi­nen aus dem Kuchen picken. Man soll­te beim Lesen auch nicht all­zu sehr die stren­ge katho­li­sche Bril­le auf­set­zen – Mache­te hat ihre Gedan­ken und Wahr­neh­mun­gen so fest­ge­hal­ten, wie sie ihr zuflo­gen, ohne sie vor­her groß auf Recht­gläu­big­keit zu prü­fen. Apho­ris­tik ist schließ­lich zu bei­dem gut: Zum vor­läu­fi­gen Erha­schen wie zum lini­en­schar­fen Ein­gra­vie­ren.  Ein Bänd­chen, das, wenigs­tens soweit es mich betrifft, fast auf jeder Sei­te min­des­tens eine Freu­de berei­tet, was man heu­te nicht über all­zu vie­le Bücher sagen kann.

Hier ein paar Kostproben:

Ver­falls­ero­tik ist all­zu aus­ufern­der welt­im­ma­nen­ter Hoff­nung über­le­gen. – Das letz­te irdi­sche Para­dies, der Mut­ter­leib, ist heu­te zu einem der gefähr­lichs­ten Orte gewor­den. – Femi­nis­mus ist die­je­ni­ge Ideo­lo­gie, die es sich zur Auf­ga­be gemacht hat, alle weib­li­chen Pri­vi­le­gi­en abzu­schaf­fen. – Der Wider­stand lebt durch Wald­gän­ger, Kirch­gän­ger und Fried­hofs­gän­ger. – Ich lie­be eit­le Men­schen; man kann sie so leicht glück­lich machen. – Die nack­te Tugend ist fein gema­sert und kalt wie Mar­mor; das Leben gleicht mehr geschnitz­tem und bemal­tem Holz. – Durch Phi­lo­so­phie lernt man, die Welt von oben zu betrach­ten. Mit Kin­dern leben heißt, die Welt von unten betrach­ten. Eigent­lich soll­ten wir die Welt ja nach oben betrach­ten. – Ich kann mir nicht hel­fen; ich habe ein­fach immer so ein Fai­ble für Exis­ten­zen auf ver­lo­re­nem Pos­ten, ein Herz, das für Getre­te­ne, Aus­sät­zi­ge und Ver­korks­te schlägt. – Es ist das, was jeman­den inter­es­siert, was ihn inter­es­sant macht. Es ist das, was jemand liebt, was ihn lie­bens­wert macht. – Wer liebt, liebt amo­ra­lisch. – Schrei­ben ist heil­sa­me Dis­so­zia­ti­on. – Man­che Bücher inspi­rie­ren einen schon allein durch ihre Anwesenheit.

– –

Hen­drik­je Mar­ga­re­ta Macha­te: Sich­tun­gen. Apho­ris­men, Wien: Castrum Ver­lag 2024. 128 Sei­ten, 25 € – hier bestel­len

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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Kommentare (10)

Ein Fremder aus Elea

10. Februar 2025 12:43

Ich weiß zwar genau was sie meint, und es ist eine schöne österreichische, eigentlich adelige Haltung, wunderbar von Katherina Schell von Bauschlott in The Return of the Pink Panther vorgeführt, aber in der Sache ist es falsch: Wenn mich meine Menschenkenntnis nicht trügt, war Udai Hussain ausgesprochen eitel. Jemanden, der sich wichtig machen will, ausreden zu lassen und interessiert nachzufragen, weil man es nicht nötig hat, mit ihm zu buhlen, dürfte keinesfalls bei allen Eitlen zum gewünschten Ergebnis führen - auch würde ich Buhlen nicht notwendig auf Eitelkeit zurückführen, mag unter anderem auch schlichtes Aufmerksamkeitsbedürfnis sein.

ede

10. Februar 2025 23:03

Ja, doch, wenn man das Foto in der TAZ betrachtet schon. Und ja, die Textproben sind mehr als musisches Ornament, auch das kann man neidlos gelten lassen und lesen.
Und außerdem ist sie aus Erfurt! 

RMH

11. Februar 2025 08:10

Hendrikje Margareta Machate. Was für ein Name! Wenn sie Margarete Müller hieße, könnte sie ihre Exzentrik nicht so nett präsentieren. Names are selling. Da ich immer wieder an den Tagebüchern Ernst Jüngers aus der Nachkriegszeit einschließlich der der Reisetagebücher lese, diese aber noch lange nicht komplett gelesen habe sowie vom genannten Nicolás Gómez Dávila noch der eine oder andere Band zu wenig studiert im Buchregal weiterer Aufmerksamkeit entgegensieht, wird die adrette Dame daher nicht mit einem kleinen Obolus meinerseits durch Erwerb ihres Büchleins zu rechnen haben.
 
Völlig unabhängig: Ich bin mittlerweile genervt, dass der Katholizismus zu einer Art Mode, gesunder Hauch von Exzentrik verkommen ist. Leute, die bspw. nie das Sakrament der Ehe eingegangen sind & das Leben durch Kinder weitergegeben haben, erklären ausgerechnet mir dann fortlaufend, was katholisch sei, woran man merke, dass eine Stadt eben katholisch geprägt sei & was eben protestantische Dekadenz sei etc. - Entschuldigung, ich kannte die prügelnden Prälaten noch selber, ich habe für die katholische Kirche gearbeitet, ich kann über diese Art der Romantisierung bestenfalls nur lächeln, halte aber fest: Nichts gegen christliche Renaissancen, aber sie müssen von echtem Glauben & nicht von Chic, Reiz des Exzentrischen, Kokettieren mit dem Reaktionären etc. getragen sein (kann ich bei der Autorin nicht beurteilen, werde es auch nicht können, da ich das Buch nicht kaufe).

fw87

11. Februar 2025 13:31

@RMH: Ich stimme Ihren Ausführungen zum Kulturkatholizismus zu. Tatsächlich besteht heute die Gefahr, dass der kath. Glaube, insbesondere bei jüngeren Menschen, zu einem subkulturellen Phänomen heruntergedrückt wird. Also Subkultur betrachtet als eine Art, sich zu geben und zu reden, die innerhalb der eigenen Gruppe verstanden wird, aber nicht von außen. Das Subkulturelle kommt natürlich vor allem jungen Menschen in ihrer Sehnsucht nach einer klaren Identität entgegen, es wird aber hier der Sache nicht gerecht.
Wahre Religion ist etwas, das aus dem Herzen des Menschen kommt. Gerade für Intellektuelle ist der Herzensglaube eine schwere Sache. Er kann sich jedoch durch eine treue Glaubenspraxis nach einer Zeit einstellen. Die Mühe lohnt in jedem Fall.

RMH

11. Februar 2025 14:29

„Kulturkatholizismus"@fw87, ein schöner Begriff, den Sie hier einführen. Ich habe in der Tat den Eindruck, dass beim Revival des Katholischen in konservativen und rechten Kreisen oft eine ähnliche Faszination dahinter steht, wie bei der Antikenbegeisterung im 19. und 18. Jhdt. in Deutschland. Man sieht die Hülle in ihrer oftmals barocken Form, die unnachahmliche Ästhetik, Glanz und Gloria, oftmals des lateinischen nur durch bestenfalls ein paar Jahre Unterricht mächtig, wird dann auch der alte Ritus zu etwas ästhetisch besonders Reizvollem, da eben ungewöhnlich und abseits des Alltäglichen. Aber eben das große ABER: Glaube ist das noch nicht, die Teilnahme an der Messe als Happening ersetzt diesen ebenfalls nicht. Der Empfang der Hostie bleibt dann eben nur der Genuss einer Oblate.

Gracchus

11. Februar 2025 23:27

Solche Publikationen sind natürlich willkommen. Ich wünsche der Autorin nur das Allerbeste. Schön, dass sie gar bei taz-Autoren Sympathien zu wecken vermag. Allerdings finde ich die Gattung Aphorismus immer rasch ermüdend, und die von ML angeführten Beispiele nicht sonderlich prickelnd.

Gracchus

11. Februar 2025 23:58

Ich glaube, @RMH, da geht der Kulturprotestant mit dir durch. Vor mehr als einem Jahrzehnt war tatsächlich mal der Feuilleton-Katholizismus im Schwange. 
"Leute, die bspw. nie das Sakrament der Ehe eingegangen ..." - nennt man Priester oder Ordensleute und sind nunmal zum Zölibat verpflichtet.
Die Hl. Messe im alten Ritus ist kein oder meinetwegen ein "Happening", das aber jedes moderne Kunst-Happening schlägt. Am "besten", anmutigsten in allerschlichtester Form. Innigster Höhepunkt: die Kanonstille. Dann glaubt auch, wer sonst nicht glaubt. 

RMH

12. Februar 2025 07:42

"Dann glaubt auch, wer sonst nicht glaubt." 
@Gracchus, Dein Wort in Gottes Ohr. 
Nicht, dass das nur - ästhetisch betrachtet - ein Wunderkerzen-Effekt ist. Brennt schön, aber wenn es zu Ende geht, bleibt ein bisschen Rauch in der Luft und wenn der verzogen ist, ist es vorbei mit der Herrlichkeit. Ja, in der Betonung des Glaubens in meinen vorangegangen Ausführungen kommt in der Tat meine protestantisch und vor allem lutherische Prägung wieder durch. Wie wenig Glaube ist aber noch in der offiziellen evang. Kirche? Keiner. Luther sowieso nicht mehr. Sie hat auch kaum schöne Relikte und Fragmente, die man wie einen alten, griechischen Tempel bewundern kann. Sie hat keine eigene Sprache, sie hat die deutsche Sprache, die, wie sie selbst, verkommt. Die Punkte gehen an die katholische Kirche. Einzig in der Musik gibt es hier relevante Spuren. Aber die muss man über die Ohren an sich lassen. Das die heutige Zeit bestimmende Auge kann das nicht erkennen.

Laurenz

13. Februar 2025 13:25

Nachdem ich hier jetzt eine Weile mitgelesen habe & nicht wirklich Brauchbares kommentiert wird, bleibt nur der geniale Begriff des Kultur-Katholizismus', schon eher geil, muß ich so sagen. Der Begriff ist quasi Schlüsselmeister & Torwächter in einem, öffnet den Blick auf die offensichtliche Wahrheit quasi mit: "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit." Der in Rom nach Konstantin entwickelte wahre Katholizismus, hat mit der christlichen Urgemeinde des Neuen Testaments nur am äußersten Rande zu tun, hielt sich aber in dieser original kreierten Form bis ins 14. - 15. Jahrhundert. Danach, weiter in einer heidnisierten Form (Borgias/Medicis), ging es bis zu den Fürsten der Aufklärung. Bis dahin war die Versklavung & Abschlachtung Ungläubiger noch völlig legitim. Das waren wahre Katholiken, die diesen Namen auch noch verdienten. Ab dem 18. Jahrhundert verweichlichte quasi alles bis heute auf undefinierbares Gebrabbel, um es auf Englisch zu sagen, zu soft religious porn. Es gibt zwar noch 1,4 Milliarden Menschen, die sich Katholiken nennen, aber keine mehr sind. Sie konsumieren nur noch Kultur-Katholizismus, bleiben aber in ihrem Werte-Kontext völlig beliebig. Oder will hier einer der anwesenden Kultur-Katholiken behaupten, er wäre lieber dem Aufruf Urbans II zum Kreuzzug gefolgt, anstatt jetzt so zu tun, als ob? Weil's so geil ist, dürfen Sie hier nochmal den Blick auf echte Katholiken erhaschen. https://youtu.be/GvrOlKUUSlI

Majestyk

14. Februar 2025 15:37

@ Laurenz:
Warum hätte man damals nicht kämpfen sollen für das woran man glaubte, sei es der Glaube an Gott, an eine Idee oder fürs Vaterland?
"Oh ja, kämpft und ihr sterbt vielleicht. Flieht und ihr lebt, wenigstens eine Weile... Und wenn Ihr dann in vielen Jahren sterbend in eurem Bett liegt, wärt Ihr dann nicht bereit, jede Stunde einzutauschen von heute bis auf jenen Tag, um ein Mal nur, ein einziges Mal nur, wieder hier stehn zu dürfen und unsren Feinden zuzurufen. Ja, sie mögen uns das Leben nehmen, aber niemals nehmen sie uns unsere Freiheit!" - William Wallace in Braveheart (1995)
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Geht mich zwar nichts mehr an, will auch keinem zu nahe treten, aber mir scheint viele sind nur Papierkatholiken. Sonst kann ich mir nicht erklären warum die sich mittlerweile fast alle verbrennen lassen und damit dem eigenen Glauben den Vogel zeigen. Wie es bei den Protestanten ist weiß ich nicht, aber wo Katholiken leben gibt es mehr Wein und Gesang und die Küche ist auch besser. 

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