Dazu die bange Frage: „Taugt die in Wien lebende Deutsche zur neuen Ikone der Pastoral-Folkies?“ Ich habe mich bei der Zielgruppe umgehört, und erhielt von einer ziemlich dogmatisch denkenden Freundin das Urteil:
Die Mischung aus sehr treffenden und klugen, eitlen, ästhetizistisch-dekadenten und häretischen Sätzen überzeugt mich im ganzen nicht.
Auch sonst ist reichlich Skepsis vorhanden, ob jemand in diesem Alter, und noch dazu eine Frau, bereits genügend Reife besitzt, „an Nicolás Gómez Dávila geschulte“ Aphorismen zu schreiben, wie der Verlag das Buch etwas vollmundig bewirbt.
Ist Machate, zumindest an ihrer Selbstpräsentation gemessen, nicht ein wenig zu hübsch, ein wenig zu betucht, ein wenig zu preziös für ein solches Unterfangen? Sind Aphorismen über die ersten bis letzten Dinge glaubwürdiger, wenn sie von knorrigen kolumbianischen Gutsbesitzern oder schlaflosen Selbstmordbesessenen in Pariser Mansardenzimmern geschrieben werden? Das sind berechtigte Fragen, denn es besteht ein natürliches Bedürfnis des Lesers, zu erfahren, ob ihm ein Autor nicht bloß etwas vormacht.
Wer mit diesen Vorbehalten an das Buch herangeht, wird angenehm überrascht sein über seine Zugänglichkeit, Unmittelbarkeit und sprachliche Qualität, vielleicht ganz nach dem Satz der Autorin:
Bevor du jemanden gelesen hast, kennst du ihn nicht.
Die Sammlung teilt sich in drei Schachteln: „Gotteswahn“ (ein Slogan von Richard Dawkins, den sich die Autorin trotzig bejahend zu eigen macht) für die religiösen und metaphysischen Betrachtungen, „Kontergarde“ für die Fechtstellungen, Haltungsübungen und Standortbestimmungen, „Miscellanea“ für den frei flottierenden Rest.
Es versteht sich von selbst und ist wohl genreimmanent, daß es sich hierbei qualitativ um eine „Mixed bag“ handelt. Manches schmeckt ein bißchen zu sehr nach Lesefrüchten und „Reactionary chic“, manchen Gedanken hat man schon anderswo und besser formuliert gelesen, manches ist ein bißchen zu kokett oder zu banal, aber die gute Nachricht ist, daß Machate gar kein Dávila und nicht einmal originell sein will. Gerade deswegen findet sie oft frische und überraschende Formulierungen, die den Kopf erquicken, zum Lachen bringen oder auch zum Widerspruch reizen.
All dies auf einen Nenner bringen zu wollen, ist ebenso schwierig wie unnötig, und jeder Leser wird sich hier je nach Neigung andere Rosinen aus dem Kuchen picken. Man sollte beim Lesen auch nicht allzu sehr die strenge katholische Brille aufsetzen – Machete hat ihre Gedanken und Wahrnehmungen so festgehalten, wie sie ihr zuflogen, ohne sie vorher groß auf Rechtgläubigkeit zu prüfen. Aphoristik ist schließlich zu beidem gut: Zum vorläufigen Erhaschen wie zum linienscharfen Eingravieren. Ein Bändchen, das, wenigstens soweit es mich betrifft, fast auf jeder Seite mindestens eine Freude bereitet, was man heute nicht über allzu viele Bücher sagen kann.
Hier ein paar Kostproben:
Verfallserotik ist allzu ausufernder weltimmanenter Hoffnung überlegen. – Das letzte irdische Paradies, der Mutterleib, ist heute zu einem der gefährlichsten Orte geworden. – Feminismus ist diejenige Ideologie, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, alle weiblichen Privilegien abzuschaffen. – Der Widerstand lebt durch Waldgänger, Kirchgänger und Friedhofsgänger. – Ich liebe eitle Menschen; man kann sie so leicht glücklich machen. – Die nackte Tugend ist fein gemasert und kalt wie Marmor; das Leben gleicht mehr geschnitztem und bemaltem Holz. – Durch Philosophie lernt man, die Welt von oben zu betrachten. Mit Kindern leben heißt, die Welt von unten betrachten. Eigentlich sollten wir die Welt ja nach oben betrachten. – Ich kann mir nicht helfen; ich habe einfach immer so ein Faible für Existenzen auf verlorenem Posten, ein Herz, das für Getretene, Aussätzige und Verkorkste schlägt. – Es ist das, was jemanden interessiert, was ihn interessant macht. Es ist das, was jemand liebt, was ihn liebenswert macht. – Wer liebt, liebt amoralisch. – Schreiben ist heilsame Dissoziation. – Manche Bücher inspirieren einen schon allein durch ihre Anwesenheit.
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Hendrikje Margareta Machate: Sichtungen. Aphorismen, Wien: Castrum Verlag 2024. 128 Seiten, 25 € – hier bestellen
Ein Fremder aus Elea
Ich weiß zwar genau was sie meint, und es ist eine schöne österreichische, eigentlich adelige Haltung, wunderbar von Katherina Schell von Bauschlott in The Return of the Pink Panther vorgeführt, aber in der Sache ist es falsch: Wenn mich meine Menschenkenntnis nicht trügt, war Udai Hussain ausgesprochen eitel. Jemanden, der sich wichtig machen will, ausreden zu lassen und interessiert nachzufragen, weil man es nicht nötig hat, mit ihm zu buhlen, dürfte keinesfalls bei allen Eitlen zum gewünschten Ergebnis führen - auch würde ich Buhlen nicht notwendig auf Eitelkeit zurückführen, mag unter anderem auch schlichtes Aufmerksamkeitsbedürfnis sein.