Jedes Mal, wenn ich am Bahnhof Friedrichstraße aussteige und am Reichstagsufer entlang zu einem der vielen Eingänge ins Innere der Herzkammer der Demokratie gehe, ist der Unterschied zwischen Draußen und Drinnen mit Händen zu greifen. Die meisten derjenigen, die an den abgesicherten Gebäuden vorbeischlendern, bewegt das, was verhandelt, ausgekungelt, dramatisiert und in Abstimmungen festgestellt wird, nicht sehr.
Arnold Gehlen und andere haben das früh beschrieben und dieses überdachte, halbe Bundestagsdorf einen “Spielplatz höherer Ordnung” genannt. Man müsse (ich paraphrasiere aus dem Kopf) denjenigen, die dort arbeiteten, eine Bedeutung zusprechen, mit der ihre Bedeutungslosigkeit übertüncht würde. Dasselbe gelte für die kommentierende Klasse, also den meinungsstarken Journalismus und jene Teile des Universitätsbetriebs, der entweder etwas untersuche, das im Ergebnis auch ohne Untersuchung vorliege – oder aber auf eine Weise im Detail sich verheddere, die in sich schon die Irrelevanz berge.
Roger Beckamp hat zwei Legislaturperioden lang für die AfD im nordrhein-westfälischen Landtag und im Bundestag ein Mandat innegehabt, aber nun kandidiert er nicht mehr. Das war das Hauptthema des Gesprächs, das wir mit ihm führten. Er stellte darin seiner Fraktion und dem parlamentarischen Betrieb an sich kein schlechtes Zeugnis aus. Das schätze ich sehr: Es wäre billig, nach dem Abgang schmutzige Wäsche zu waschen und abschätzig über Räume zu urteilen, in denen man sich acht Jahre lang bewegte und die einen gut ernährten.
Es ist (das sieht, wer sich den Mitschnitt anschaut) ein Verlust, daß Beckamp der neuen, sehr viel größeren Fraktion nicht mehr angehören wird. Martin Sellner hat in seinem Buch über einen Regime change von rechts das Problem des Parlamentspatriotismus gründlich und warnend beschrieben: Was das Parlament verläßt, schwebt, obwohl verbindlich, im leeren Raum, wenn es nicht auf Resonanz und Umsetzungseinsicht trifft.
Beckamp gehört zu denen, die im Betrieb nicht aufgehen, sondern deutlich und sehr kreativ den Zusammenhang zwischen parlamentarischer Arbeit und den kräftigen Trieben einer rechten Zivilgesellschaft betonen und vorführen. Von seinem Schlage gibt es nicht viele.
Die Bedeutung vorpolitischer Arbeit veranschaulichte er beispielhaft am Begriff “Remigration”. Daß Alice Weidel ihn nun verwende und daß er in Talkshows thematisiert werden müsse, liege an der professionellen Aufbereitung dieses Konzepts (Autor, Verlag, PR) und an der Hartnäckigkeit einiger Abgeordneter, die ihn immer wieder und letztlich erfolgreich als Leitbegriff einer Migrationswende platziert hätten.
Es ist, wenn ich die mittlerweile fünfundzwanzigjährige Verlagsgeschichte überblicke, das fünfte, sechste Mal, daß wir mit Büchern einen Begriff in den Raum stellten und ein Zusammenspiel zwischen dieser Setzung, journalistischem Skandal und allgemeinem Sprachgebrauch in Gang setzten. “Großer Austausch”, “Selbstverharmlosung”, “Mosaikrechte”, “Vorbürgerkrieg”, und nun “Remigration”. Das ist das eine.
Das andere ist die Kontinuität. Beispielsweise hat die “Reihe Kaplaken” eine Form von Ernsthaftigkeit und Kontinuität in ein weltanschauliches Milieu eingetragen, das nicht unbedingt für Buchkultur und große Bandbreite bekannt war.
Band 100 kommt in Sicht. Ich lasse mir dafür etwas besonderes einfallen, etwas, das außer der Reihe sein wird. Jedenfalls steht dieses Reihen-Jubiläum im Sommer an, außerdem ein zweites: Die Bände 9 und 10 unserer Roman-Reihe werden dann auch erschienen sein und wohl den Abschluß bilden.
In letzter Zeit ist es mir überhaupt wichtiger als noch vor Jahren, daß die weniger spektakuläre Substanz des Verlags und der ganzen Arbeit sichtbar wird, daß sie geschätzt wird, jenseits dieser ganzen Gesellschaft des Spektakels. Die besten Leserbriefe erreichen mich sowieso dann, wenn jemand aufgrund der Verlagsarbeit, der Buchempfehlungen, der Literaturgespräche im Internet auf einen Autor aufmerksam wurde, den er sonst kaum je gefunden hätte.
Schon als Kind mochte ich es, auf den Grund zu tauchen und dort zu verharren und das leichte Wiegen zu spüren, während oben schwerer Wellengang war. Selbst am Bodensee war das möglich, wenn der Föhn heransauste, die Warnblinker an allen Häfen in höchster Geschwindigkeit rotierten und die Segler refften oder doch noch den Anleger zu erreichen versuchten.
So ist es oft: An der Oberfläche geht es auf und ab, und wer um sein Quentchen Aufmerksamkeit ringt, muß wohl so tun als ob. Substantielle Arbeit, Aufbau, Verbindlichkeit und das, was bleibt, fußen weiter unten und werden aufgefunden, müssen nicht angepriesen und auf eine verdrehte Art aufregend gemacht werden.
Wie auch immer: Lehnert und ich waren nach dem Gespräch noch mit Beckamp essen, und zwar an einem Ort, an dem sich vornehmlich Journalisten treffen. Natürlich: ein paar Blicke, ein ungemütliches Erkennen, auch das ist wichtig: zu sehen, wie diejenigen, die sich fein eingerichtet haben miteinander, nicht wollen, daß man sich einfach niederläßt. Aber das scheint mir das Geringste zu sein, woran sie sich gewöhnen müssen.
Vor dem Fenster zogen Menschen vorbei, die Schilder an Stangen montiert hatten. Auf diese Schilder hatten sie das blödeste, weil wohlfeilste notiert, das der Tag hergab, beispielsweise die Weisheit, daß Menschen brennen, wenn Brandmauern fallen, und ganz oft auch, daß nie wieder jetzt sei. Wie hätten diese Leute den Tag verbracht, hätte man ihnen keine Panik eingeredet? Man muß großzügig sein: Vielleicht nicht besser.
Hier ist jedenfalls das ganze Gespräch mit Beckamp.
MarkusMagnus
"Großer Austausch”, “Selbstverharmlosung”, “Mosaikrechte”, “Vorbürgerkrieg”, und nun “Remigration..."
Das gerade das Wort "Remigration" zum Unwort des Jahres 2023 von der linken, antideutschen sog. Gesellschaft für deutsche Sprache gekürt wurde, sollte euch stolz machen. Glückwunsch.
Die Rechte setzt im Moment die Themen und Begriffe. Weiter so.