Von den Wahlkampfzielen 20%+X, Sperrminorität und die Union durch eigene Stärke in eine Dreierkoalition mit den Grünen zu zwingen, wurde am Ende nur ersteres erreicht. Ob dies nun an verpaßten Chancen in der Kampagnenperformance oder an realen Potenzialgrenzen lag, wird nun auch Teil der parteiinternen Analyse sein müssen.
Grundsätzlich verlief der Wahlabend angesichts der letzten Umfragen ohne größere Überraschungen. Die SPD holte ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl. Die Union wurde zur stärksten Kraft, verfehlte aber ihre selbstgesetzten Wahlziele von bis zu 35 % deutlich. Die Grünen verharren innerhalb ihrer Kernmilieus und retten durch ihre leichten Stimmenverluste die Linkspartei, die nun ein politisches Comeback feiern konnte. Die FDP verpaßt den Einzug, ebenso wie das BSW, welches nach den Regierungsbeteiligungen im Osten und fehlender Wahlkampfdynamik kaum noch Mobilisierungskraft entfalten konnte.
Die Wahlbeteiligung war mit 82,5 % die höchste seit der Bundestagswahl 1987. Erneut konnte die AfD vor allem aus dem Nichtwählerspektrum mit 1,8 Millionen Wählern den größten Brocken hinzugewinnen. Das entspricht schon mehr als einem Drittel der AfD-Gesamtwähler zur letzten Bundestagswahl (4,7 Millionen). Das Gesamtergebnis ist nochmals eine Steigerung um 4 Millionen im Vergleich zur Europawahl von 2024. Ohne CSU-Wähler hat die CDU nur knapp 800.000 Wähler mehr und läge auch prozentual mit 22,5 % nur knapp vor der AfD.
Die Partei ist mit diesem Ergebnis zweifellos zu einer deutschlandweiten Volkspartei avanciert (34 % im Osten – 18 % im Westen). In 42 Wahlkreisen errang die AfD die Mehrheit der Erststimmen (wobei durch die Wahlrechtsreform nicht jeder Wahlkreis repräsentiert wird). 2021 waren es noch 16. Im Osten wurden Wahlkreise sowohl bei den Erst- als auch bei den Zweitstimmen mit mehr als 40 % gewonnen (Görlitz: 46,7 %, Erzgebirgekreis: 46,2 %, Burgenland-Saalekreis: 42,3 %, Gera-Greiz: 43,4 %, Vorpommern-Greifswald: 42,8 % uvm.).
In allen Wahlkreisen konnte die AfD ihr Zweitstimmenergebnis um durchschnittlich +10 % steigern und im Westen in Kreisen wie Kaiserslautern und Gelsenkirchen zur stärksten Kraft werden. Die deutlichsten Zugewinne, um bis zu mehr als 16 %, wurden dabei in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt erreicht. Aber auch im Westen konnte die Partei in ihren traditionellen Hochburgen, wie den Industrieregionen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie im bayrischen Osten, deutliche Zuwächse verzeichnen. Im Süden des Landes ist die Partei fast flächendeckend zur zweitstärksten Kraft geworden.
Die AfD wächst vor allem dort, wo sie ohnehin bereits stark verankert ist, und kann somit strukturelle Kernwählerschaftsregionen weiter ausbauen und verfestigen. Insbesondere in den ostdeutschen Wahlkreisen, wo die Stimmenzuwächse der anderen beiden Wahlgewinner – der Linken und der CDU – durchschnittlich schwächer ausfallen, kann die Partei klare Zugewinne verzeichnen.
Festzustellen ist hierbei insbesondere im Osten die Korrelation zwischen der gestiegenen Wahlbeteiligung und den starken AfD-Zuwächsen. Die Potenzialreserven unter Nichtwählern scheinen hier noch nicht vollends ausgeschöpft zu sein.
Bei den soziodemographischen Daten bestätigen sich für die AfD die Trends, die auch schon bei vorhergehenden Wahlen auf Bundes- als auch Landesebene erkennbar waren. Das alterstechnische Fundament wird von einem Mittelbau zwischen 35 und 50 Jahren getragen. In den höheren Altersklassen bleibt die Partei sowohl im Gesamtanteil als auch bei den Zugewinnen unterdurchschnittlich.
Wie es sich auch schon bei der vergangenen Europawahl 2024 und den Ostwahlen im letzten Jahr abzeichnete, können deutliche Zuwächse vor allem bei Jungwählern verzeichnet werden. Verschiedene Studien und Befragungen sahen die Partei zwischenzeitlich gar als stärkste Kraft unter den Jungwählern zwischen 18 und 24 Jahren. Diesen Rang hat man sich nun von der Linkspartei ablaufen lassen. In sozialen Medien wurde bereits vielfach Unmut über die mangelhafte Zielgruppenansprache von Jungwählern laut.
Ob dies jedoch auch in kausaler Verbindung für das unter den Erwartungen gebliebene Gesamtergebnis steht, würde ich stark bezweifeln. Der Grund liegt in einer recht simplen demographischen Arithmetik. Die Jungwählerkohorte zwischen 18 und 30 Jahren macht insgesamt nicht einmal ein Fünftel aller Wahlberechtigten aus. Selbst wenn man den utopischen Fall annimmt, dass die AfD 50 % aller Jungwählerstimmen auf sich vereinigen könnte, würde dies für das Gesamtergebnis gerade einmal 2 bis 3 % ausmachen.
Über die Jugend lassen sich vielleicht einige kulturelle Dynamiken entfachen, die die Potenz politischer Vorfeldstrukturen zum Ausdruck bringen. Als rein elektoraler Faktor zur Stimmenmaximierung ist die Jugend leider nur eine nebensächliche Größe. Das gilt auch für alle anderen Parteien.
Auch die Linkspartei hat trotz ihres starken Jungwählerergebnisses keine neuen Jugendmilieus angesprochen, sondern einen Wählertransfer mit den Grünen und der SPD vollzogen. Das ist keine neue „Jugendkultur“, sondern ein Wählertransitverkehr, der nun die Richtung gewechselt hat. Das linke, urbane und akademische Kernmilieu bleibt jedoch das gleiche.
Trotz des historisch starken Ergebnisses bleiben für die AfD die zentralen Mobilisierungsschwachstellen bestehen, die auch das grundsätzliche strategische Dilemma des Rechtspopulismus zum Ausdruck bringen. Es fehlt an großstädtischen, weiblichen und akademischen Basismilieus. Die „Anywhere-vs-Somewhere“-Polarisierung mag als Mobilisierungsressource bundesweite Ergebnisse zwischen 20 und 25 % hervorbringen. Die AfD mag von ihrer reinen Stimmenpotenz als Volkspartei anerkannt sein, allerdings wird dies auch nur von ganz bestimmten Milieus getragen.
Auch im Hinblick auf die Wahlkampagne zahlte die internationale Unterstützung (Musk, Vance, Orban) sicherlich auf das Mobilisierungskonto ein. Das hat für die Wahlkämpfer enormes Selbstvertrauen geschaffen. Ob dieser Effekt jedoch ausschlaggebend gewesen ist, bleibt abzuwarten. Vielmehr dürfte die thematische Großwetterlage den Ausschlag gegeben haben. Für den Großteil der AfD-Anhänger war die Migrationspolitik erneut das wahlentscheidende Thema. Im Kompetenzfeld der Inneren Sicherheit konnte die Partei, wie auch schon bei der letzten Europawahl, klare Pluspunkte sammeln.
Erstmals trat die Partei mit einer eigenen Kanzlerkandidatin an und zentrierte die Kampagne unmißverständlich auf die Person Alice Weidel. Damit wollte man sich womöglich an den Erfolgsrezepten anderer rechtspopulistischer Bewegungen – wie in Frankreich, Österreich und den USA – orientieren. Zu Beginn des Wahlkampfes schien dies auch gut zu gelingen.
Gegen Ende zeigte sich jedoch, insbesondere in den zahlreichen TV-Auftritten, eine gewisse Überforderung. Das ist insoweit fatal, weil sämtliche Wirkungsstudien zur Wahlwerbung immer wieder die Relevanz von TV-Auftritten betonen, die Vertrauen und Identifikation mit der jeweiligen Partei schaffen. Trotz allem Erfolg und grundsolider Zufriedenheit wird die Partei hier um eine ehrliche und kritische Analyse nicht umhinkommen.
Der Gehenkte
Weidel war im TV nie wirklich überzeugend und auf keinen Fall eine Sympathieträgerin, die potenzielle Wähler hätte rüberziehen können.
Verstehe nicht, warum man sich nach all den Erfahrungen der letzten Jahre, nicht einfach einer professionellen Medienschule unterzieht. Die Fragen sind doch immer die gleichen und man rutscht immer wieder auf den gleichen Bananenschalen aus (Vogelschiß, Höcke hat gesagt oder Krah, werde ich auch ausgewiesen? etc.). Es muß doch möglich sein, sich an Profis zu wenden - kann man gerne üppig bezahlen -, die jenen Politikern, die keinen natürlich freien Umgang mit Medien haben, ein paar Strategien vermitteln, die dann gelernt werden. Das geht schon beim natürlichen Face-Lifting los. Und natürlich müssen die Zahlen gebimst werden.