Aber Milanović will zuallererst verstehen und darstellen, und seine quellensatten Thesen lassen dem Leser Spielraum zum eigenständigen Weiterdenken. So verhält es sich auch mit seiner neuen Studie Visionen der Ungleichheit. Hatte Milanović im Standardwerk Kapitalismus global (vgl. Sezession 99) noch einen weltweiten Systemvergleich auf Basis eigener Empirie und Forschung geboten, der u.a. zwischen marktliberalen und staatautoritären Kapitalismusformen unterschied (USA vs. China), indem er untersuchte, inwiefern Ungleichheiten ökonomischer Art politisch gesteuert (oder eben nicht gesteuert) werden, läßt er diesmal andere wirkmächtige Akteure sprechen:
Diese anderen Personen sind einflußreiche Ökonomen im Kontext ihrer Zeit: Francois Quesnay, Adam Smith, David Ricardo, Karl Marx, Vilfredo Pareto und Simon Kuznets. Milanović bietet sechs ideenhistorische Porträts, wobei er die einzelnen Denker explizit anhand ihrer Stellung zur Ungleichheit (Einkommensverteilung, Arm-Reich-Spreizung, Effizienzfragen etc.) betrachtet – und keine ganzheitlichen Darlegungen anbietet, was anhand des beträchtlichen Werksumfang der Autoren allerdings selbsterklärend sein dürfte.
Milanović gelingt es dabei, die Einbettung des jeweiligen Denkers in seinen Wirkzusammenhang, in seine Zeit, in seine Verhältnisse mitzudenken. Die Schriften, die konsultiert werden, weisen so einen sozialen, kulturellen, politischen und eben ökonomischen Kontext auf – sie werden nicht im luftleeren Raum analysiert und dem Leser präsentiert. Natürlich sind sie allesamt eng miteinander verbunden: Karl Marx stand auf den Schultern David Ricardos; ein beträchtlicher Teil seines Werkes ist eine kritische Auseinandersetzung mit seinem radikalliberalen Antipoden.
Bei Milanović erfährt man über die Binnenverhältnisse der Ökonomenzunft übrigens auch Dinge abseits der ausführlich untersuchten Werke: Daß beispielsweise Marx chronisch pleite war und sich bei Börsenaktivitäten verspekulierte, ist bekannt; daß Ricardo dagegen „der reichste Ökonom aller Zeiten“ war, und – dem Zusammenhang der Sache folgend – selbstbewußter und Ich-bezogener auf Wohlstand und Ungleichheit blickte, dürfte als Information schon weniger verbreitet sein.
Das sei nicht in dessen Sinne gewesen. Vielmehr hätten Marx und Engels – die beiden sind nur als Einheit darstellbar – immer wieder betont, daß die totale Aufhebung aller Ungleichheiten eine „sehr bedenkliche Phrase“ sei; es gebe immer eine „gewisse Ungleichheit der Lebensbedingungen“, die man „nie ganz beseitigen können wird“. Wer annahm, daß dies doch möglich sei, erntete Marxens und Engels’ Spott; Lenin nannte ähnliche Phantasien später daran anknüpfend „Kinderkrankheiten des Linksradikalismus“.
Festzuhalten bleibt: Bei allem auf die sechs genannten Denker gestütztem Nachdenken über ökonomische Ungleichheit und die Wege zu ihrer Entstehung ist Branko Milanović kein Thomas Piketty, der mit Zahlen und Fakten selbst parteiisch in die Debatte eingreift. Milanović vermittelt vielmehr die politökonomischen Instrumente der Ungleichheitsforschung, damit jeder selbst die Erforschung der Ungleichheit – und konkret der rasant wachsenden Kluft in der Einkommens- und Vermögensverteilung – zu betreiben in der Lage wäre.
Ob man dieses Angebot eines derartigen Instruments annimmt oder nicht, bleibt freilich jedem Leser selbst überlassen.
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Branko Milanović: Visionen der Ungleichheit. Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart, Suhrkamp: Berlin 2024. 443 S., 34 € — hier bestellen
Diogenes
Ich muss gerade Luft holen, denn mein Atem ist dem "Weltwürger" fremd; der sich da ... vom Volk/Erd/Lebensinn als Schauspiel des Erstrebens entfremdend präsentiert, wie der "Digitus" des "Demiurgen", der weder Volk noch Rasse, weder Art noch Wesen, kennt, und durch Gegenzucht unser Leben erfährt. Das immer primtiver machen, wie es schon Tolkien skizzierte. Der Antagonist, der Gegenspieler, zu Unsereiner: Brauchen wir Ihn? Die Frage steht hinter so vielen Gedanken. Zuwenig wird sie ausgesprochen, gefragt.
Libertär, Egalitär, das französich "Bolschewistische", sozusagen. Gleichermacher niederen Geistes, des Hohen nicht einsehend (könnend), werden sie bösartig als Ausbeuter dem Gegenüber des Eigenutz Hinwend. "Epstein, Epstein, alles muss versteckt sein". Komm, raus, komm raus, du bist (bereits) im >LICHT< !
Scheinabr ist das noch nicht in den Nerenbahnen des Antagonisten angekommen, der z.B. in der Rolle des "Schmerz" seinen Selensky propt.