Schuld lehren – Deutsch für Ausländer

von Alma Adam -- PDF der Druckfassung aus Sezession 125 / April 2025

2023 zogen knapp zwei Mil­lio­nen Men­schen nach Deutsch­land. Etwas über 630 000 der Zuzüg­ler wur­den mit einem Her­kunfts­land inner­halb der EU erfaßt, knapp 1 300 000 hin­ge­gen stamm­ten aus Nicht-EU-Staa­ten. Die Mehr­zahl die­ser Men­schen spricht kein oder nur wenig Deutsch. Im sel­ben Jahr waren etwa 575 000 Erwach­se­ne zu Inte­gra­ti­ons­kur­sen zuge­las­sen oder ver­pflich­tet. Dazu kom­men alle Kin­der und Jugend­li­chen, die in der Schu­le im Regel­un­ter­richt, in För­der­stun­den oder ande­ren schu­li­schen Inte­gra­ti­ons­mo­del­len Deutsch als Zweit­spra­che erwer­ben. Von rechts wird, neben For­de­run­gen nach Remi­gra­ti­on und Grenz­kon­trol­len, unter ande­rem die Bring­schuld von Migran­ten betont: Wer über kurz oder lang in Deutsch­land lebe, so etwa das Grund­satz­pro­gramm der AfD, müs­se sich den gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­sen Deutsch­lands anpas­sen. Grund­la­ge für die­se Inte­gra­ti­on bil­den ver­schie­de­ne Deutsch­kur­se, die – teils ver­pflich­tend, teils frei­wil­lig – von Migran­ten besucht wer­den kön­nen und neben der deut­schen Spra­che auch Wer­te der deut­schen Gesell­schaft ver­mit­teln sol­len. Wie die­se Wer­te aus­se­hen, was Flücht­lin­ge von Deutsch­land und über das deut­sche Volk ler­nen soll­ten und wie Inte­gra­ti­on gelin­gen kann, wird an Uni­ver­si­tä­ten an eigens dafür ein­ge­rich­te­ten Stu­di­en­gän­gen für Deutsch als Fremd- und Zweit­spra­che (DaF/DaZ) oder als Teil des nor­ma­len Lehr­amts­stu­di­ums unterrichtet.

Die­se Stu­di­en­gän­ge sind im Grun­de genom­men noch nicht alt, erst seit den sieb­zi­ger Jah­ren des letz­ten Jahr­hun­derts wur­den an Uni­ver­si­tä­ten in Ost- und West­deutsch­land ent­spre­chen­de Lehr­stüh­le ein­ge­rich­tet. Sprach­kur­se für Migran­ten gab es natür­lich schon davor, die­se lie­fen über Trä­ger wie das Goe­the- oder das Her­der-Insti­tut oder über pri­va­te Sprach­schu­len, und eine eige­ne Didak­tik für DaZ war noch nicht ent­wi­ckelt. Spä­tes­tens ab den frü­hen Sieb­zi­gern wur­de das aber nötig: Sowohl die BRD als auch die DDR began­nen in die­ser Zeit, sich als Stu­di­en­or­te für Aus­län­der zu pro­fi­lie­ren, und unter ande­rem durch die seit den fünf­zi­ger Jah­ren geschlos­se­nen Ver­trä­ge zur Ent­sen­dung von Gast­ar­bei­tern nach Deutsch­land wuchs die Zahl der Migran­ten­kin­der und der Erwach­se­nen, denen die deut­sche Spra­che schu­lisch bei­gebracht wer­den muß­te. Für den Stu­di­en­gang Deutsch als Fremd- und Zweit­spra­che hielt 1979 der Lin­gu­ist Harald Wein­rich unter ande­rem die Kern­be­rei­che kon­tras­ti­ve Lin­gu­is­tik, Sprach­lehr­for­schung, Fach­spra­chen­for­schung und eben auch deut­sche Lan­des­kun­de fest. (1)

Schon früh wur­de deut­lich: Deut­sche Lan­des­kun­de heißt vor allem, die Ein­bet­tung Deutsch­lands in Euro­pa zu beto­nen – Fak­ten­wis­sen zu leh­ren oder eine Art Knig­ge für Aus­län­der sol­len expli­zit nicht Zweck der Deutsch­kur­se sein. Die bereits Ende der Acht­zi­ger ver­öf­fent­lich­ten ABCD-The­sen (für »Aus­tria«, BRD, »CH«/Schweiz und DDR), wel­che von Lin­gu­is­ten und Kul­tur­wis­sen­schaft­lern zur Rol­le der Lan­des­kun­de im DaZ-Unter­richt und zur Ein­bin­dung aller amt­lich deutsch­spra­chi­gen Län­der erar­bei­tet wur­den, beto­nen die Diver­si­tät Deutsch­lands und das Feh­len einer »ein­zi­gen Kul­tur Deutsch­lands« bereits, wir­ken aber, wie auch in ande­ren geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Dis­kur­sen, im Ver­gleich zum heu­ti­gen Dis­kurs gera­de­zu wie eine ver­steck­te »White-supremacy«-Agenda: Inner­halb von 25 Jah­ren wur­den die Begrif­fe Kul­tur­kun­de, Lan­des­kun­de, inter­kul­tu­rel­le Lan­des­kun­de und dis­kur­si­ve Lan­des­kun­de in einer stets um sich selbst krei­sen­den Bla­se an Lin­gu­is­ten, Kul­tur­wis­sen­schaft­lern und DaF/­D­aZ-Pro­fes­so­ren auf den Müll geschmis­sen; alles zu exklu­siv, zu tren­nend, zu ras­sis­tisch, zu deutsch.

Die Feh­ler des Inte­gra­ti­ons­dis­kur­ses inner­halb die­ser wis­sen­schaft­li­chen Bla­se las­sen sich grob in drei Kern­pro­ble­me aufteilen:

Dekon­struk­ti­on der Begriff­lich­kei­ten: Im ste­ten Ver­such, nie­man­dem auf die Füße zu tre­ten, ist im Grun­de genom­men nur noch sag­bar, was unter kei­nen Umstän­den eine Unter­schei­dung zwi­schen Grup­pen bzw. Völ­kern beinhal­tet. Das fängt mit der Gen­de­rei an Uni­ver­si­tä­ten an (etwa mit Aus­wüch­sen wie dem Begriff »Asyl­be­wer­ben­de«, der einen eher will­kom­mens­ge­schen­ket­ra­gen­de »Refu­gees welcome«-Aktivistinnen ima­gi­nie­ren läßt und weni­ger Men­schen, deren Asyl­an­trag in Deutsch­land ver­han­delt wird) und gip­felt in den Ergüs­sen der moder­nen Wis­sen­schaft­ler: Gin­ge es etwa nach dem Kul­tur­wis­sen­schaft­ler und eme­ri­tier­ten Pro­fes­sor für Deutsch als Fremd­spra­che, Claus Alt­may­er, so wür­den »Gegen­stän­de des kul­tur­be­zo­ge­nen Ler­nens nicht mehr an her­kömm­li­che Kon­struk­te wie Land, Natio­nal­staat oder Ter­ri­to­ri­um gebun­den, son­dern an Spra­che und (the­ma­ti­sche) Dis­kur­se.« Um zu ver­deut­li­chen, daß auch wirk­lich nie­mand zur Auf­ga­be haben soll­te, sich den deut­schen Ver­hält­nis­sen anzu­pas­sen, fährt Alt­may­er fort: »Wir spre­chen daher auch nicht mehr von deut­scher Kul­tur oder der Kul­tur des deutsch­spra­chi­gen Rau­mes oder der deutsch­spra­chi­gen Län­der, son­dern allen­falls von der Kul­tur deutsch­spra­chi­ger Dis­kur­se […]. Dabei wer­den deutsch­spra­chi­ge Dis­kur­se aber grund­sätz­lich als offen ima­gi­niert, d. h., es wird nicht von vorn­her­ein ein Anspruch auf Spe­zi­fik oder Beson­der­heit deutsch­spra­chi­ger Dis­kur­se gegen­über anders­spra­chi­gen Dis­kur­sen erhoben.«(2)

Es gibt also kei­ne deut­sche Kul­tur, kein typisch deut­sches Ver­hal­ten, und selbst wenn: Die­sen Wis­sen­schaft­lern zufol­ge geht es nicht um Inte­gra­ti­on von Aus­län­dern, son­dern dar­um, den Migran­ten zu ermög­li­chen, deut­sche Dis­kur­se zu ver­än­dern und mit­zu­ge­stal­ten, sprich: aus Deutsch­land einen Mel­ting pot der Kul­tu­ren zu machen.

 

Ver­ken­nung des ursprüng­li­chen Pro­blems: Im Grun­de muß nicht dis­ku­tiert wer­den, wo die Pro­ble­me bei der Inte­gra­ti­on lie­gen: Zu vie­le Aus­län­der, die teils auch als Erwach­se­ne noch nicht alpha­be­ti­siert sind, sol­len inner­halb kur­zer Zeit sowohl die deut­sche Spra­che als auch ange­mes­se­nes Ver­hal­ten inner­halb der deut­schen Gesell­schaft ler­nen, ohne daß es dafür ernst­haf­te Anrei­ze gäbe: Die Ver­sor­gung ist ohne­hin gesi­chert, und für vie­le Migran­ten ste­hen mehr als genug Lands­leu­te zur Ver­fü­gung, um sich ein sozia­les Netz auch ohne Deutsch­kennt­nis­se über einem A2-Niveau und ohne Wis­sen um deut­sche Kul­tur, Poli­tik oder Geschich­te auf­zu­bau­en. Die logi­sche Schluß­fol­ge­rung: Gren­zen schlie­ßen, abschie­ben, wer nichts in Deutsch­land zu suchen hat, und für alle ande­ren ein Sys­tem schaf­fen, das Migran­ten dar­auf trimmt, dem deut­schen Steu­er­zah­ler nicht zur Last zu fal­len und Teil der deut­schen Gesell­schaft zu wer­den. In der Gedan­ken­welt des durch­schnitt­li­chen Kul­tur- oder Sozi­al­wis­sen­schaft­lers und der Bla­se an Dozen­ten, Autoren, Wis­sen­schaft­lern und poli­ti­schen Bera­tern rund um das The­ma des Sprach- und Kul­tur­er­werbs kann die­ser Schluß aber nicht gezo­gen wer­den – jeg­li­che Ver­ant­wor­tung von Flücht­lin­gen und ande­ren Ein­wan­de­rern am Erfolg der eige­nen Inte­gra­ti­on sowie allein schon die Idee, daß die Ant­wort auf zu vie­le Migran­ten ein Kon­zept für weni­ger Migra­ti­on ist, schlie­ßen sie von vorn­her­ein aus. In Leh­rer­rat­ge­bern, wis­sen­schaft­li­chen Arti­keln, Vor­trä­gen und Vor­le­sun­gen dreht sich dem­nach alles dar­um, dem geneig­ten Leser und Zuhö­rer zu ver­mit­teln, wie schreck­lich arm dran jeder ist, der ins Getrie­be der Inte­gra­ti­ons­ma­schi­ne Deutsch­lands gerät.
Da ist neben har­ten Hür­den wie dem Alter (das einen Ein­fluß auf die Mög­lich­kei­ten und Abläu­fe beim Sprach­er­werb hat, aber auch auf büro­kra­ti­scher Ebe­ne Zugang zu bestimm­ten Kur­sen ermög­licht oder eben ver­hin­dert) beim DaZ-Erwerb zum Bei­spiel von wei­chen Hür­den die Rede – Flücht­lin­ge hät­ten es schwer, die deut­sche Spra­che zu erler­nen, weil sie auf­grund ihrer Wohn­si­tua­ti­on, ihrer Her­kunfts­spra­che, ihrer Moti­va­ti­on, ihres Sprach­lern­ta­lents und ande­rer Fak­to­ren poten­ti­ell benach­tei­ligt sei­en. In Bache­lor­vor­le­sun­gen für DaF/DaZ wird das hoch- und run­ter­ge­pre­digt, in Semi­na­ren nach­ge­spielt, wie es so ist, sich als Flücht­ling (natür­lich: Geflüchtete:r) durch das Büro­kra­tie­cha­os deut­scher Insti­tu­tio­nen schla­gen zu müs­sen; stets bemüht dar­um, den Stu­den­ten zu ver­mit­teln, wie schwer man es hat, will man in Deutsch­land ankom­men. Wie schlimm es ist, wenn man im Asyl­heim auf engem Raum mit meh­re­ren Mit­be­woh­nern in einem Zim­mer für die Deutsch­prü­fung ler­nen muß, wird ein­drück­lich geschil­dert. (Müß­te das nicht ide­al zum Bil­den von Lern­grup­pen sein? Dort müs­sen doch alle Deutsch üben!) Daß »Moti­va­ti­on« und »Ein­stel­lung zur Ziel­spra­che und ‑kul­tur« als wei­che Hür­den bezeich­net wer­den und damit die Bring­schuld vom Ein­wan­de­rer auf die deut­sche Gesell­schaft und deut­sche Insti­tu­tio­nen abge­wälzt und den­sel­ben die Auf­ga­be auf­er­legt wird, sich gegen­über Leu­ten, die über kom­pli­zier­tes­te Rou­ten und meh­re­re Län­der nach Deutsch­land ein­reis­ten, immer­zu ins rech­te Licht zu rücken, fin­det natür­lich kei­ne Erwäh­nung. Auch auf Nach­fra­ge, was denn mit Total­ver­wei­ge­rern in Inte­gra­ti­ons­kur­sen zu tun sei, fin­den die Mit­ar­bei­ter der DaF/­D­aZ-Lehr­stüh­le sel­ten eine ande­re Ant­wort als ein Schulterzucken.

Dabei ist das Sys­tem offen­sicht­lich nicht nur über­las­tet – den Teil­neh­mern der in den letz­ten zwan­zig Jah­ren immer weni­ger anspruchs­vol­len, immer zeit- (und damit auch geld-)intensiveren Kur­se gelingt es oft genug nicht, die Kur­se zu been­den und Prü­fun­gen zu bestehen. In der IDS-Stu­die des Goe­the-Insti­tuts 2018 waren zum Bei­spiel von ursprüng­lich 606 Teil­neh­mern zu Beginn der Inte­gra­ti­ons­kur­se am Ende nur noch 247 übrig – um die Stu­die zu Ende zu brin­gen, muß­te daher mehr als die Hälf­te der Stu­di­en­teil­neh­mer neu aus­ge­sucht werden.[3] Und auch von der übrig­ge­blie­be­nen Grup­pe erreich­te nur ein Bruch­teil das durch das Rah­men­cur­ri­cu­lum für Inte­gra­ti­ons­kur­se anzu­stre­ben­de Niveau B1. 61,9 Pro­zent der Stu­di­en­teil­neh­mer lagen sogar unter einem A2-Niveau. Erklä­rend sprin­gen hier die aus­wer­ten­den Wis­sen­schaft­ler ein: Die Kur­se sei­en ein­deu­tig ent­we­der zu unter- oder zu über­for­dernd; die Schuld liegt also wie immer nicht bei den Ler­nern, son­dern beim Sys­tem, beim Staat, bei wem auch immer. Was es für den deut­schen Arbeits­markt bedeu­tet, wenn er mit Men­schen geschwemmt wird, denen es nicht gelingt, einen sechs­mo­na­ti­gen Kurs durch­zu­ste­hen, weil sie unter­for­dert sind, weil ihnen der Zim­mer­nach­bar in der Flücht­lings­un­ter­kunft zu laut ist, die Deut­schen zu unsym­pa­thisch oder man sich auch auf A1-Niveau durch­schla­gen kann? Bit­te nicht fragen!

Weit­aus schlim­mer als beim The­ma »Deutsch als Spra­che« steht es um die Fra­ge der deut­schen Kul­tur. Bei­spiel­haft soll dafür ein­mal mehr Claus Alt­may­er ste­hen. Er ist nun mal eine aner­kann­te Grö­ße, sei­ne Tex­te ken­nen die Stu­den­ten, wenn sie »auf dem neu­es­ten Stand der Wis­sen­schaft« sein wol­len. Alt­may­er nimmt im oben bereits zitier­ten Arti­kel eine Bil­der­ge­schich­te aus einem Deutsch­lehr­buch unter die Lupe. Zum The­ma »Ein­la­dun­gen« wer­den Bil­der von Begrü­ßun­gen, Gast­ge­schen­ken und gemein­sa­men Essen gezeigt. Alt­may­er kri­ti­siert die­se Bil­der und die dazu­ge­hö­ri­gen Auf­ga­ben: Hier wür­den poten­ti­el­le Kon­flikt­punk­te umschifft, kon­tro­ver­se kul­tu­rel­le Unter­schie­de nicht auf­ge­grif­fen. Klar, denkt man sich: Für Tani­sha aus Gha­na ist völ­lig unklar, wie er sich beim Besuch einer wenig bekann­ten Frau ver­hal­ten soll. Begrü­ßung per Hand­schlag, per Umar­mung, per Küß­chen auf die Wan­ge? Bagh­wan aus Indi­en weiß nicht, ob und wie er das Kalbs­schnit­zel höf­lich ableh­nen kann, und für Karim aus Afgha­ni­stan kommt es gar nicht in Fra­ge, sich an einen Tisch mit vol­len Wein­glä­sern zu set­zen. Soviel offen­sicht­li­ches Kon­flikt­po­ten­ti­al, das erkennt sicher auch Herr Alt­may­er? Weit gefehlt! Statt des­sen sind ihm die Prot­ago­nis­ten der Bil­der­ge­schich­te zu weiß, zu jung, zu gut­bür­ger­lich. »Es ent­steht ein Bild, wonach deutsch­spra­chi­ge Men­schen offen­bar durch­weg weiß sind, sel­ten älter als 35 Jah­re und grund­sätz­lich einer wohl­ha­ben­den bür­ger­li­chen Mit­tel­schicht angehören.«[4]

Sprach die Goe­the-Insti­tut-Stu­die den Flücht­lin­gen eben noch jeg­li­che Eigen­ver­ant­wor­tung ab, so hält Alt­may­er sie anschei­nend für der­ma­ßen bescheu­ert, daß sie nicht in der Lage sind, eine Bil­der­ge­schich­te zum Erwerb von Umgangs­for­men von der Rea­li­tät unter­schei­den zu können.

Der ver­zwei­fel­te Ver­such, alle Miß­stän­de von der Ver­ant­wor­tung von Migran­ten abzu­wen­den und hin zur deut­schen Gesell­schaft zu schie­ben, liegt eben­so wie Pro­blem 1 unter ande­rem begrün­det in einem grund­sätz­li­chen Pro­blem nicht nur der heu­ti­gen DaF/­D­aZ-Wis­sen­schaft, son­dern der Selbst­be­haup­tung der deut­schen Kul­tur an sich.

 

Schuld und Süh­ne: In der Sozial‑, der Kul­tur- oder der Geschichts­wis­sen­schaft geis­tert immer­zu – unbe­wußt oder bewußt, deut­lich oder impli­zit – die Erb­sün­de der Deut­schen durch Semi­na­re, Bücher, Zeit­schrif­ten: die NS-Zeit, der Zwei­te Welt­krieg, der Holo­caust. Was im gro­ßen und expli­zit etwa in Roger Forn­offs Buch Lan­des­kun­de und kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Gedächt­nis­for­schung [5] Teil des wis­sen­schaft­li­chen Selbst­ver­ständ­nis­ses ist (Poli­ti­sie­rung der Lan­des­kun­de für Migran­ten), gräbt sich in die Köp­fe der Stu­den­ten an deut­schen Uni­ver­si­tä­ten ein: Als mög­li­che Aus­flugs­zie­le für DaZ-Klas­sen in Thü­rin­gen fällt dann selbst­ver­ständ­lich zwei Drit­teln der Teil­neh­mer eines Moduls »Buchen­wald« ein und nichts wei­ter. Der stän­di­ge Gedan­ke dar­an, daß jed­we­de posi­ti­ve Erwäh­nung deut­scher Kul­tur, deut­scher Erfin­dun­gen oder deut­scher Gemein­schaft poten­ti­ell zu einem zwei­ten Ausch­witz füh­ren könn­te, schlägt sich kraß in den Lehr­werken nieder.
Alter­na­ti­ve deut­sche Erin­ne­rungs­or­te, die im Leben eines Flücht­lings, einer aus­län­di­schen Arbeits­kraft oder eines Aus­tausch­schü­lers tag­täg­lich eine Rol­le spie­len, gäbe es dabei mehr als genug: Kern­spal­tung, Com­pu­ter, Buch­druck, Grimm­sche Mär­chen, all das kennt man welt­weit. In Lehr­bü­chern für DaF/DaZ sucht man sol­che posi­tiv besetz­ten Gold­schät­ze deut­scher Kul­tur aber ver­ge­bens; in Kapi­teln zu Paten­ten wird lie­ber Alex­an­der Gra­ham Bell statt einer der zahl­rei­chen deut­schen Erfin­der vor­ge­stellt; in Tex­ten zu Flucht und Migra­ti­on wird das Leid soma­li­scher Flücht­lin­ge beschrie­ben, von den furcht­ba­ren Ver­trei­bun­gen aus Schle­si­en und Ost­preu­ßen oder den span­nen­den, krea­ti­ven, tra­gi­schen Flucht­ver­su­chen über die inner­deut­sche Gren­ze erfah­ren die Schü­ler in vie­len Lehr­wer­ken hin­ge­gen gar nichts. Und weil es sich nicht völ­lig ver­mei­den läßt, auch über Deutsch­land zu spre­chen, fin­den sich hier und da tat­säch­lich deut­sche Spe­zia­li­tä­ten in DaZ-Lehr­bü­chern. Zum Bei­spiel: Labs­kaus. Das Mot­to ist anschei­nend, ent­we­der so spe­zi­fisch regio­na­le The­men zu wäh­len, daß sich die Mehr­heit der Deut­schen mit dem Vor­ge­stell­ten genau­so­we­nig iden­ti­fi­zie­ren kann wie die Migran­ten aus Syri­en, Viet­nam und der Ukrai­ne, oder aber so all­ge­mei­ne, daß der­sel­be Inhalt auch in einem Buch für Fran­zö­sisch, Eng­lisch, Rumä­nisch vor­kom­men könn­te. Haupt­sa­che, es ent­steht nie der Ein­druck, es gäbe irgend etwas, daß die Deut­schen mit­ein­an­der verbindet.

Das deut­sche Inte­gra­ti­ons­we­sen wird unter­lau­fen von jenen, die kei­ne deut­sche Kul­tur ken­nen, lie­ben oder ver­mit­teln wol­len; es wirft Men­schen auf den Arbeits­markt, die schlech­ter deutsch spre­chen als ein Sechst­kläß­ler eng­lisch. Das alles folgt der völ­lig welt­frem­den, ja absur­den Logik, man kön­ne kul­tu­rell beding­tes Ver­hal­ten in ein paar Unter­richts­stun­den zuerst wie einen Man­tel abstrei­fen und die neue Kul­tur dann wie­der­um über­zie­hen. Weni­ges legt die Absur­di­tät des Sys­tems so offen zuta­ge wie die hilf­lo­se Ver­län­ge­rung des Ori­en­tie­rungs­kur­ses von 60 auf 100 Stun­den nach der Sil­ves­ter­nacht 2015. Wenn man nur ein­mal mehr erklärt, daß ein Lächeln, ein kur­zer Rock, eine enge Hose kei­ne Ein­la­dung sind, dann geht es schon gut. Sicher. ¡

(1) – Vgl. Harald Wein­rich nach Chris­ti­an Fan­drych et al. (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweit­spra­che. Ein inter­na­tio­na­les Hand­buch. 1. Halb­band, Berlin/Boston 2011.

 

(2) ‑Claus Alt­may­er: »Lan­des­kun­de im Glo­ba­li­sie­rungs­kon­text. Wozu noch Kul­tur im DaF Unter­richt?«, in: Peter Haa­se, Michae­la Höl­ler (Hrsg.): Kul­tu­rel­les Ler­nen im DaF/­D­aZ-Unter­richt. Para­dig­men­wech­sel in der Lan­des­kun­de, Göt­tin­gen 2017.

 

(3) ‑Vgl. David Hün­lich et. al: Wer besucht den Inte­gra­ti­ons­kurs? Sozia­le und sprach­li­che Hin­ter­grün­de von Geflüch­te­ten und ande­ren Zuge­wan­der­ten, Mann­heim 2018. Durch­ge­führt wur­de die Stu­die vom Insti­tut für Deut­sche Spra­che (IDS) und dem Goethe-
Insti­tut Mannheim.

 

(4) ‑Alt­may­er: Lan­des­kun­de im Globalisierungskontext.

 

(5)            Roger Forn­off: Lan­des­kun­de und kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Gedächt­nis­for­schung. Erinnerungsorte
des Natio­nal­so­zia­lis­mus im Unter­richt Deutsch als Fremd­spra­che, Balt­manns­wei­ler 2016.

 

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