Machtverhältnisse und Wissenschaftsfreiheit

Gestern sprach die deutsche Historikerin Christina Morina im Deutschlandfunk über das Thema "Wissenschaft unter Druck - die Situation an den Universitäten in den USA". Morina lehrt Geschichte an der Universität Bielefeld. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Geschichte des II. Weltkriegs, der Holocaust, Geschichtspolitik und der Aufstieg des Rechtspopulismus.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Mori­na unter­sucht nicht nur die Metho­den und Wir­kungs­wei­sen geschichts­po­li­ti­scher Set­zun­gen – sie ist selbst inten­siv dar­an betei­ligt, die Ver­gan­gen­heit für aktu­el­le poli­ti­sche Zie­le auf­zu­be­rei­ten und in Stel­lung zu brin­gen. Sie gehört zu den­je­ni­gen, die die “Frei­heit der For­schung” mit einer auf brei­ter Front durch­ge­setz­ten post­ko­lo­nia­len, dekon­struk­ti­vis­ti­schen und über die nahe Ver­gan­gen­heit rich­ten­den Betrach­tungs­hal­tung verwechseln.

Es geht um die Absi­che­rung struk­tu­rel­ler uni­ver­si­tä­rer Macht und dar­um, kon­kur­rie­ren­den Mei­nun­gen und Netz­wer­ken etwas zu unter­stel­len, das man selbst betreibt: Mor­i­nas Radio-Lamen­to bezog sich auf den Wahl­sieg Trumps und die Infra­ge­stel­lung woker Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten durch eine ande­re Sicht der Din­ge. Man weiß sofort, daß die­se Kla­ge­tö­ne geschichts­po­li­ti­sche Insze­nie­run­gen sind. War­um? Wenn sich hun­der­te, tau­sen­de Wis­sen­schaft­ler an Peti­tio­nen und Netz­wer­ken gegen den neu­en Wind betei­li­gen, kann von unter­drück­ter Frei­heit kei­ne Rede sein.

Und mehr: Der Hin­weis auf Unter­drü­ckung ist in Fäl­len, auf die sich Leu­te wie Chris­ti­na Mori­na bezie­hen, stets nur die Ver­tei­di­gung der eige­nen Pfrün­de. Man geriert sich als his­to­risch geschul­te, mora­li­sche Instanz und sichert damit vor allem das Vor­recht ab, üppi­ge För­der­land­schaf­ten zu bestel­len und abzuernten.

Gin­ge es um die Frei­heit der For­schung, hät­te sich Mori­na, die als “enga­giert” gilt, längst dem Fall “Peter Hoe­res” zuwen­den kön­nen. Hoe­res, Sohn des Phi­lo­so­phen Wal­ter Hoe­res, lehrt seit 2013 an der Uni­ver­si­tät Würz­burg Neue­re deut­sche Geschich­te. Er ist in den ver­gan­ge­nen Wochen zur Ziel­schei­be lin­ker Stu­den­ten­grup­pen gewor­den, die sich als Brand­mau­er wäh­nen und die­ses for­schungs­feind­li­che Bau­werk weit im Feld der bür­ger­li­chen Mit­te auf­ge­zo­gen sehen wollen.

War­um Hoe­res? Er gilt als libe­ral-kon­ser­va­tiv und war acht Jah­re lang im wis­sen­schaft­li­chen Bei­rat der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung. Er ist seit 2021 Teil des “Netz­werks Wis­sen­schafts­frei­heit” und warn­te in Stel­lung­nah­men vor dem Miß­brauch geschichts­po­li­ti­scher Debat­ten zum Zweck der Mei­nungs­un­ter­drü­ckung. 2024 trat Hoe­res aus dem “Ver­band der His­to­ri­ker und His­to­ri­ke­rin­nen Deutsch­lands” aus, weil man sich dort im Zuge des Gaza-Kon­flikts nicht klar genug gegen anti­se­mi­ti­sche Töne posi­tio­niert habe.

Was noch? Laut Wiki­pe­dia trug Hoe­res zwei Mal in der Biblio­thek des Kon­ser­va­tis­mus in Ber­lin vor. Außer­dem arbei­tet an sei­nem Lehr­stuhl der zwei­fach pro­mo­vier­te und seit einem Jahr auch habi­li­tier­te Theo­lo­ge und His­to­ri­ker Ben­ja­min Has­sel­horn, der, das scheint ein Pro­blem zu sein, als Schü­ler Karl­heinz Weiß­manns in einem Gym­na­si­um in Nort­heim Abitur mach­te und danach unter des­sen redak­tio­nel­ler Betreu­ung unter Pseud­onym etwas für die Sezes­si­on und für das Staats­po­li­ti­sche Hand­buch schrieb.

Wenn einem – wie bereits erwähnt – dop­pelt pro­mo­vier­ten und außer­dem habi­li­tier­ten Kopf Arti­kel vor­ge­hal­ten wer­den, die er vor über zehn Jah­ren schrieb und die kei­ner­lei pro­gram­ma­ti­sche Aus­rich­tung hat­ten, dann ist die Frei­heit der For­schung tat­säch­lich in Gefahr. Sie ist es zumal dann im ver­schärf­ten Maße, wenn über den Aka­de­mi­schen Rat der Lehr­stuhl­in­ha­ber ange­grif­fen wird.

Has­sel­horn hat­te auf­ge­hört, für die Sezes­si­on zu schrei­ben, nach­dem Karl­heinz Weiß­mann auch auf­grund von unüber­brück­ba­ren inhalt­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen als Redak­teur zurück­ge­tre­ten und als Autor ganz zur Jun­gen Frei­heit gewech­selt war. Denn auch Has­sel­horn miß­bil­lig­te den Kurs, den die Sezes­si­on ein­schlug: Pegi­da-freund­lich, Höcke-nah, grund­sätz­lich, nicht libe­ral­kon­ser­va­tiv, poli­tisch-roman­tisch, expressiv.

Es sagt viel über den “Wis­sen­schafts­stand­ort Deutsch­land” aus, daß Has­sel­horn schon damals aus gutem Grund für sei­ne paar Tex­te ein Pseud­onym wähl­te – auf Anra­ten von Weiß­mann und uns übri­gens. Man muß­te die Abdrän­gung und den Hygie­ne­wahn nicht erst noch vor­aus­se­hen – bei­des war längst uni­ver­si­tä­rer Alltag.

Es ist flach argu­men­tiert und leicht durch­schau­bar, wenn die Mor­i­nas die­ser Welt nach einer demo­kra­ti­schen Wahl die Wis­sen­schafts­frei­heit in Gefahr sehen. Das ein­zi­ge, was ihnen wider­fah­ren wür­de, gäbe es eine wirk­li­che zwei­te Mei­nung, wäre: Sie müß­ten bes­ser argu­men­tie­ren und eini­ges neu ler­nen, was sie ver­lernt haben – daß es näm­lich zurecht und ohne Zwei­fel eine ande­re Sicht auf die Welt gebe als die erwünsch­te, und daß der Dis­kurs in sei­ner Kon­sens­form etwas abgrund­tief Lang­wei­li­ges und sehr Erkennt­nis­hem­men­des sei.

Aber man darf nun nicht den immer­glei­chen Feh­ler machen und an die Fair­neß derer appel­lie­ren, die fest im Sat­tel sit­zen und die Macht­struk­tu­ren beherr­schen. Die Kon­ser­va­ti­ven in der Haber­mas-Fal­le – ein pein­li­cher Anblick.

Laßt es Euch täto­wie­ren: Es gibt kei­nen herr­schafts­frei­en Dis­kurs – es sei denn, es geht um gar nichts.

Wo es aber um Deu­tungs­macht und For­schungs­geld, um Netz­werk­aus­bau und Zitier­zir­kel geht, da wur­de schon immer und wird bis heu­te nicht nur hart argu­men­tiert, son­dern gelo­gen, denun­ziert, nie­der­ge­brüllt, beschul­digt, ver­hin­dert, ent­las­sen und rui­niert. Dar­an wird kein Appell etwas ändern, son­dern nur eine ande­re Macht­struk­tur im Wis­sen­schafts­be­trieb – eine von Nor­ma­li­tät gepräg­te Struk­tur also, die libe­ral-kon­ser­va­ti­ve, her­vor­ra­gend aus­ge­bil­de­te Wis­sen­schaft­ler wie Hoe­res und Has­sel­horn ein­fach in Ruhe for­schen und leh­ren läßt.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (10)

Florian Sander

7. April 2025 19:15

Wie passend. Morina und ihrem Kollegen Norbert Frei hatte ich erst im Februar diesen Offenen Brief gewidmet:
https://konservative-revolution.blogspot.com/2025/02/offener-brief-zwei-historiker.html

RMH

7. April 2025 19:34

Ergänzung: Auf Tichys Einblick findet man eine dreiteilige Serie zu dem Fall aus Würzburg mit Hintergründen und Details.

Laurenz

7. April 2025 19:44

Milei hat einfach die Bundesmittel für die Unis um 70% gekürzt. Die Trump-Admin streicht allen Unis die Bundeszuschüsse, wenn sie sich nicht auf das konzentrieren, für was sie da sind. Morina hat einen Abschluß in DDR-Geschichte. Irgendwie bekommt man das Gefühl, sie sieht die Geschichte aus der Sicht derer, welche die Geschichte der DDR machten. Man muß nicht immer mit Hans Ulrich Wehler einer Meinung sein. Aber Wehler investierte viel Zeit in Quellen-Arbeit & ökonomischer Recherche. Das unterscheidet Ihn drastisch von den meisten Historikern. Aber nur, wenn man die Ökonomie versteht, erschließt sich die Historie. Der Aufstieg des Rechtspopulismus generiert sich vor allem aus der sozialen Frage & damit aus der ökonomischen Frage. Um die Stärken & Fehler Trumps historisch bewerten zu können, muß man die ökonomischen Zusammenhänge verstehen. Ich denke nicht, daß Morina auch nur ein einziges Problem des Zoll-Streits versteht. Klar wird das einem schon im Titel ihrer Habilitation "Die Erfindung des Marxismus: Wie eine Idee die Welt eroberte." Diese Idee eroberte einen Scheißdreck.

Umlautkombinat

7. April 2025 22:44

Die Welt dreht sich schneller, die Hauptthemen des Artikels beginnen schon wieder ueberholt zu werden. Die Forschungslandschaft (deutsch lokalisiert ist das nur als eine kleine Bluete des Problems), und zwar bei weitem nicht beschraenkt auf Orchideen wie politiknahe geisteswissenschaftliche Themen wird schon viele Jahre immer weitergehender ideologisch eingeschraenkt, ja. Das  wissen ja alle lange, die auch nur eine Zehe im Thema hatten.
 
Interessant wird es jetzt aber mit der Art des Ersatzes solchen Vorgehens nach Vollzug einer lange relativ ungetruebt als Sieg erhofften Trump Wahl. Dort geht es naemlich keineswegs ideal sauber weiter - wie bei den Zoellen auch - und ist keineswegs nur auf undiskutierbaren Auswuechsen wie DEI Themen zu beobachten. 
 
Die Axt liegt z.B. auch an harten naturwissenschaftlichen Gebieten und ist  nicht simpel mit Kollateralschaeden begruendbar. Ich erwaehne die speziell nur, weil ich dazu wenigstens einstiegsweise einen educated guess habe, es gibt aber mehr. Und weder da noch bei anderen Themen wuerde ich mir derzeit eine derart umfassende Bewertung zutrauen, dass sie mir auch nur persoenlich genuegen wuerde (Nein Laurenz, das Zollthema hat nicht nur eine Geschichtstante nicht verstanden, das bleibt komplex. Zum Einstieg wenigstens etwas Fleisch in Form eines Strategiepapiers, dessen Autor dort der Verlautbarung nach signifikant fuer Trumps Vorgehen im engeren Thema Zoelle zeichnet). 

RMH

8. April 2025 07:57

Die Abläufe & Auswirkungen sind immer wieder interessant: Irgendwer (evtl. mit karrierebedingten Eigeninteresse etc.) steckt best. Kreisen, dass der so talentierte Herr Dr. Dr. ja mal für die Gott sei bei uns xy etwas, auch noch unter Pseudonym (der wir wohl was zu verstecken gehabt haben, oder?), veröffentlicht hat, dazu auch noch Abiturient & im Gefolge des notorisch konservativen Dr. W. Diese Kreise machen daraus nun das klass. politische Cancel-Spielchen, Show Force etc. Das kann es für Prof & Privatdoz. jetzt gewesen sein. Jetzt die Volte: Empörung, Solidarisierung (siehe Berichterstattung Tichys), da die Gun doch zu wenig "raucht". Am Ende dürfen die beiden mit viel Zuspruch "weitermachen". Das Ganze wird dann so dargestellt, seht her, es gibt doch wissenschaftl. Freiheit & freien Diskurs, nicht alles geht durch. Der Disziplinierungseffekt, der dadurch ausgelöst wurde, dass die ohnehin schon lieber 150-%ig vorsichtige Historikerzunft an dt Schulen/Hochschulen, noch einmal klar vor Augen geführt bekommen hat, was das für ein Feuer auslösen kann, wenn man ..., der steht dann nirgendwo groß auf Protestschildern, den erkennt jeder, schweigt, passt sich an. Ergebnis: Mission erfüllt. Keiner wagt, auch nur ein bisschen "kritsch" zu sein oder zieht sich besser in Geschichtsepochen zurück, die keine Minenfelder sind (da fließt dann aber oft weniger Geld).

Karl Otto

8. April 2025 08:13

Die Tagesschau bringt sogar die Feindschaft der religiösen Rechten gegen die Evolutionstheorie ins Spiel: https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/usa-wissenschaft-trump-100.html 
Wissenschaftsfeindlichkeit zeigt sich am häufigsten bei Klimafragen, niemals in der Biologie. Wenn ein Wissenschaftler behauptet, dass es nur zwei Geschlechter gäbe, ist er natürlich ein rechter Ideologe.
Es ist wirklich die pure Angst um die Staatsknete, die da redet.

ofeliaa

8. April 2025 13:00

Das Schlimmste ist, die jetzt an der Spitze im universitären Bereich sind, sind bereits schlimm. Einige sind komplette Demagogen. Predigen in der Universität wie von der Kanzel. 
Aber ... die, die jetzt nachkommen, sind sogar noch schlimmer. Devot, unselbstständig und gleichzeitig extrem leistungsorientiert. Ganz gefährliche Kombination an Charaktereigenschaften. 

Maiordomus

8. April 2025 14:06

Ich war die ganze Zeit des Erscheinens Abonnent von "Epoche", der Zeitschrift von Walter Höres, im Vergleich zu Sezession eher altkonservativ in Richtung Otto von Habsburg. Natürlich entarteten die sog geisteswissenschaftlichen Fakultäten vielfach zu Meinungskonzernen, was es allenfalls gibt, wie in der DDR und im 3. Reich, sind relative Aussenseiter , die Nischen bewirtschaften. 

Mitleser2

8. April 2025 18:53

Irgendwie ist das angeblich liberale Bayern doch nicht so liberal. Siehe das derzeitige Vorgehen bayerischer Staatsanwälte. Und der Fall Hoeres erinnert an den Fall Lothar Bossle an der gleichen Uni. Der war auch zu "rechts", auch wenn das lange her ist.

Simplicius Teutsch

8. April 2025 20:31

@Florian Sander, zu Ihrem Offenen Brief: 
Ihre an Prof. Norbert Frei gerichtete Argumentation und Ermahnung, bei der Bewertung der AfD doch bitte „undifferenzierte, unsaubere, unseriöse und pauschalisierende Logik“ zu unterlassen, in allen Ehren. – Aber es ist im Endeffekt, um es einfach wie Lothar Matthäus 😊 zu sagen, wie „Perlen vor die Säue werfen“.
 
Und dann noch, ich wäre da vorsichtiger, dass Sie das Urteil über ein Verbot bzw. die Existenz der AfD so arglos treudeutsch in die Hände des Bundesverfassungsgerichts legen wollen: „Verbindlich feststellen tut dies einzig und allein das Bundesverfassungsgericht und - aus guten, übrigens verfassungsrechtlichen Gründen …“
 
Vollständig sagte Jesus im Evangelium nach Matthäus (Mt 7,6) zu seinen Jüngern: „Gebt das Heiligtum nicht den Hunden, und werft eure Perlen nicht vor die Säue, denn sie könnten sie mit ihren Füßen zertreten und sich umwenden und euch zerreißen."

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