Die Parkplätze vor der Festhalle sind hoffnungslos zugestellt, im Saal mußte ein Seitenflügel geöffnet werden, um dem Andrang Herr zu werden. Keiner der 1300 Stühle bleibt leer, wir hatten im November bestellt und bekamen für über 40 Euro nur noch einen Platz am Katzentisch. Wenn Lisa Eckhart in der ostdeutschen Provinz auftritt, dann ist das ein Heimspiel.
Aber die Menge jubelt nicht: sie lauscht. Man spürt förmlich den Respekt, den das Volk Eckhart entgegenbringt, und es wäre Majestätsbeleidigung, wenn man bei ihr – wie das bei anderen Kabarettisten und Komikern oft der Fall ist – am falschen Platz oder mit verstelltem Gelächter lacht oder gar dazwischenruft.
Mit „Genossinnen und Genossen!“ betritt sie das Bühnen-Piedestal und als Kaiserin „Stasi“ stellt sie sich vor, das ist eine Kreuzung aus Stalin – der den Osten – und Sissi – die Österreich – symbolisieren soll. Bereits hier hätte es doch Protest geben müssen, denn Stalin ist im Osten das Gegenteil einer Identifikationsfigur … aber die Menge schluckts und feixt huldvoll.
Daß sie, die exotische und enigmatische Frau aus der Steiermark den Osten als Lebensmittelpunkt gewählt hat, geht den Leuten hier runter wie Öl. Sie sei amourös verschleppt worden und habe erst im Nachhinein die Faszination Sachsens und die Liebe zu seinen Menschen entdeckt und ein wichtiges sächsisches Wort habe sie sich auch schon angeeignet: sinnlooas! Und sie wirft es dann ein, wenn die Stimmung absackt – mit wiederkehrendem Erfolg!
Immer wieder stichelt sie gegen ihr eigenes Publikum – das nimmt es mit Humor. Den Professionalismus hört man spätestens dann heraus, wenn sie wiederholt auf die Erzgebirgler einhackt, mutmaßlich nicht ahnend, daß das hier das Vogtland ist und das Erzgebirge sich 20 km weiter östlich hinter den sieben Bergen befindet. Man kann ihre Routiniertheit bis in die letzten Reihen spüren, vielleicht auch eine gewisse Müdigkeit, immerhin tourt sie schon mehr als ein Jahr mit dieser minimalistischen Nummer. Knochenarbeit. Es ist gute, seriöse Unterhaltung, aber der Kracher wird es nicht.
Auf der Bühne steht nur ein Stuhl, eine Art Thron und auch der steht meist verwaist. Mit Krone oder monstranziösem Strahlenkranz, ganz in Gold, tritt sie auf die Bühne, einen Reifrock um die schmalen Hüften, der nur aus einem Gerüst besteht, ohne verdeckenden Stoff – exhibitionistische Züge kann man ihr nicht absprechen. Auch der Body ist fleischfarben gehalten, so daß man meinen könnte: Steht die Kaiserin nackt da?
Auch das Stasi-Konzept entpuppt sich schnell als mageres und durchsichtiges Gestell. Sie hält die Erzählung nicht lange durch, mäandert thematisch wild herum, hängt sich an einzelnen Ideen und Begriffen auf, läßt sich von Bildern und Metaphern leiten und zu Exkursen verleiten, hat dann Mühe, zum Narrativ zurückzufinden … man weiß nicht recht, ob das improvisiert oder auswendiggelernt ist.
Erfahrene Fans haben manche Punchline aus Funk und Fernsehen wiedererkannt. Sie bricht auch immer wieder das Leitmotiv und wechselt von hier auf dann dramatisch die Erzählebenen: gerade noch in der Rolle der Gottkaiserin, schiebt sie einen Schwenk über das praktische Schreiben von Sketchen ein, wird also sie selbst und meint dann ansatzlos wieder in eine Kunstrolle schlüpfen zu können. Auch der Vorrat dieser hochkreativen Menschen ist offensichtlich begrenzt.
Überhaupt ist der Medienkonsument hier im Vorteil – weshalb ich eigentlich die Klappe halten sollte –, denn immer wieder wird auf Zusammenhänge angespielt, die vom Abstinenten nur ahnungsweise erfaßt werden können, dann etwa, wenn sie Dieter Nuhrs Show ins Spiel bringt, die eigentlich eine Eckhart-Show sei … nur wisse Nuhr das noch nicht. Tatsächlich überragt sie den Gebrauchskomiker, wenn es um Stil, Witz, Hintergründigkeit und ‑fotzigkeit geht um mehrere Haupteslängen (will mir scheinen).
Ihre Vulgarität kam für mich als Schock! Die meisten Leute kamen vermutlich aufgrund ihrer politischen Subversivität, sie wollten das Linke und Falsche, die Politik in die Pfanne geworfen sehen und sie wurden auch bedient, aber der Unterleib dominierte fast das Programm. Von spermageweißten Skipisten über steinharten Stuhl bis hin zum Waten im Mensesblut war alles dabei.
Verstörend auch, daß Mann, Kind und eigener Körper immer wieder hineingezogen werden, auch im intimen Bereich, im ganz persönlichen – des Mannes fehlende Vorhaut z.B. war ihr einen Exkurs wert, oder der Pimmel des Sohnes, und ihre Brüste oder deren Abwesenheit gaben auch eine Mediation her und ihren Spalt nannte sie „Polen“, um den Gag von „Da ist Polen offen“ reißen zu können. Im Publikum mußten manche hörbar schlucken.
Die Leute sind auch längst schon angstkonditioniert, die Schranken sind verinnerlicht. Witzeleien, oft eher Ideen, die man heute im Mainstream als „rassistisch“ deklariert, oder Späße über Behinderte, über Kriegsopfer, über Krebskranke führten sichtbar zu Verunsicherung, aber hier und da auch zu befreiendem Lachen: Daß man das noch sagen kann! Straffrei!
Dabei scheint sie sich auch selbst zu befreien – das wurde deutlich, als sie einen Gag über einen Erhängten mit einer persönlichen Geschichte einer Freundin garniert, deren Mann sich erhängt habe und wie dieses Wissen ihr ein Gewissen schuf …, das sie einfach abschüttelte. Und so geht es mit allem und gegen alle: Behinderte, ADHS-Kinder und deren Eltern, Kranke, Männer, Frauen, Transen, Zwerge, Fette, Dürre, Perverse und Stinos … Man kann das grundsätzlich Lösende begreifen, aber ahnt auch das Wagnis, wenn alle Hemmungen fallen.
Ob die Verschmelzung aus hochästhetisierter vornehmer, aristokratischer, pompöser, ja ludovicischer Sprache mit dem Menschlichen, Allzumenschlichen, sogar Unmenschlichen im Stile des Marquis de Sade Kunst oder Trash ergibt, mag die Exegese bestimmen. Ob die Ähnlichkeit, bis in die Optik, zu de Sade schon jemandem aufgefallen ist, weiß ich nicht, mit ihm teilt sie jedenfalls auch die philosophische Tiefe, vielleicht sogar das Aufklärerische (nach Adorno und Horkheimer), weshalb man sie ernst nehmen sollte, auch wenn man das Abgründige nicht goutiert.
Indem sie nach allen Richtungen austeilt, sichert sie sich auch ab. Einerseits der Jubel darüber, daß es in der Bundeswehr nur Rechte gäbe – denn was wäre eine Armee aus Linken, Queeren und Woken wert? – und dann gleich im Nachklapp ein gleichgelagerter Witz über die Rechten, deren Gefährlichkeit man nicht unterschätzen dürfe. Das brachte ihr spontanen Inselapplaus aus zwei, drei Ecken. Die CDU-FDP-Fraktion war also auch vertreten. An anderen Plätzen wurde hier gegrummelt. So macht man sich unangreifbar.
Oder zur Projektionsfläche. Ein Blick ins Publikum ergab Erstaunliches. Hundert Prozent weiß, eher gutbürgerlich als proletarisch, Typ Büromensch, Lehrer, kleiner Chef …, 95% Boomer, mindestens aber 40+, Jugend abwesend, 90% Paare in der traditionellen Kombination und alle machten den Eindruck glücklicher Ehen, zufrieden zu sein, es „geschafft zu haben“. Da kann man sich die Selbstbeschmutzung gern mal leisten.
Der Spagat zwischen exzellierender Hochkultur – in Sprache, Kleidung und Habitus verwirklicht – und Gassenvulgarität ging für mich nicht auf; auf andere mag genau diese Spannung faszinierend wirken. Das Verbleiben im politisch Angedeuteten, im Unklaren, im Bekenntnisunwillen ist Teil der Kunst und kann nicht zwangsläufig eingefordert werden. Sie sitzt auf ihrem Theaterthron als Unikum zwischen allen Stühlen.
Die Gefahr für diese Art Künstler – der letzte dieser, wenn auch ganz anderer Art, war Helge Schneider – ist die Abnutzung. Wenn sie als Ikone in Erinnerung bleiben wollen, müssen sie auf dem Höhepunkt ihrer Macht und Kraft abdanken oder mit etwas ganz anderem wiedererscheinen. In einem halben Jahr gastiert die Eckhart schon wieder im Vogtland, mit neuem Programm. Möge es ihr bestes und letztes sein.
ofeliaa
Nun wem mag das Zünglein nicht genauso spitz gewachsen sein wie Lisa Eckhart. Man weiß nicht, wie lange der Prozess bis zum Resultat, also dem, was man auf der Bühne präsentiert bekommt, tatsächlich ist, aber das Endresultat ist einfach schlecht. Schlecht an sich wäre verkraftbar, vieles ist schlecht und hat trotzdem Wert, aber ihres ist zusätzlich leider hochgradig primitiv.