In meiner hessischen Heimat taten das nur sehr wenige Frauen. Weder war es „Trend“, noch gab es überhaupt das entsprechende Angebot.
Wer es tat, hatte sich einen großartigen Rechtfertigungskatalog zurechtgelegt: Das Kind sei schließlich nur so glücklich wie seine Mutter (die nunmal kindfrei arbeiten wolle), oder man brauche dieses Einkommen eben für’s Überleben.
Heimchen wollte allerdings auch keine sein. In meiner längst aufgegebenen Lose-Blatt-Sammlung finde ich einen skandalisierenden Artikel aus der „Bild der Frau“ von 1999 über eine Amerikanerin, die sich als „Tradwife“ avant la lettre aufspielte. Das war damals in Deutschland so was von aus der Zeit gefallen!
Was für heftige Diskussionen darüber (Mutter am Kind versus Mutter am Rechner) zogen sich damals durch’s Feuilleton!
Als ich 2002 im „Osten“ angekommen war, stellte sich die Sachlage völlig anders dar. JEDE gab ihren Säugling ganz selbstverständlich in der Krippe ab („Uns hat’s doch auch nicht geschadet“), mit sechs, aber doch spätestens mit zwölf Monaten. Mit Karriere- oder Selbstverwirklichungswünschen hatte das wenig zu tun. Es war hier einfach seit Jahrzehnten Normalität. Seit 2013 hat man in Deutschland ein Anrecht auf einen Krippenplatz ab dem 1. Geburtstag des Kindes.
Über das Für und Wider ist unendlich viel palavert worden. Ich selbst hatte das ganz unterschiedlich gehandhabt. Meine ersten beiden Töchter (Westgeborene) kamen mit drei in den Kindergarten. Das war bereits Drama genug. Damals hatte der nahe Kindergarten (100m von meiner Haustür) just das Konzept auf „Selbstverwirklichung“ umgestellt. Es sollte keine Gruppen mehr geben, es sollte die „Neigung“ gelten: Essen? Draußensein? Malen?
Meine schüchternen Mädchen wollten logisch niemals draußensein mit den wilden Jungs. Sie aßen und malten den ganzen Tag.
Ich meldete sie dann im 3 km entfernten katholischen Kindergarten an, wo es noch „konservativ“ zuging, es also ein „Programm“ gab. Ich hatte meinen morgendlichen Radsport, sie hatten ihre festen Gruppen und ihre Rituale, die so absolut unerläßlich sind für’s kindliche Gedeihen.
Nach dem Umzug in den „Osten“ gingen Tochter drei und vier bereits mit anderthalb Jahren „in die Betreuung“, ebenfalls der Sohn und die fünfte Tochter. Stets als „Mittagskinder“: also um acht hingebracht, um elf abgeholt.
Warum diese knappe Zeitspanne? Mehr aus schlechtem Gewissen denn als Sehnsucht, endlich wieder das Kind bei sich zu haben. „Ein kleines Kind gehört zu seiner Mutter“, ich hab das eingeatmet und würde es auch heute noch verteidigen, weil ich weiß, daß es stimmt. Kinder brauchen ihre Mama, und zwar möglichst viel und oft. Es ist nur natürlich.
Mein letztes, siebtes Kind, die Nachzüglerin & das Nesthäkchen, kam erst ganz spät in den Kindergarten. Sie war als knapp Zweijährige schwerkrank gewesen und hatte Narben (auch im Kopfbereich) davongetragen. Deshalb wurde sie gehänselt. Sie nennt ihre Kindergartenzeit heute deshalb ihre „Horrorzeit“. Da ich nichts vom „Horror“ wußte (Kinder stecken einfach ein), nutzte ich die drei Stunden sehr gern für meine Belange – die nichts mit Nägellackieren etc. zu tun hatten.
Nächste Generation. ICH als Jungmutter war Einzelkämpferin gewesen mit meinen „weltanschaulich rechten“ Ansichten. Meine Kinder – ich habe nun acht Enkel – sind hingegen umgeben von „rechten“ Müttern. Die Parole dort lautet „kindergartenfrei“.
Warum? Um die Kinder möglichst lang von ideologischen Konzepten freizuhalten. (Allerdings, gebe ich zu bedenken, wurde bereits vor zwanzig Jahren diesbezüglich der Teufel an die Wand gemalt. Hier im ländlichen Osten jedenfalls ist die Totale Umerziehung noch nicht angekommen!)
Einerseits bewundere ich diese jungen “kindergartenfreien” Frauen. Es sind ganz schön viele! Und es sind keine Muttchen, sondern solche, die erfindungsreich und mit Entbehrungen es schaffen, sich einen Erwerbsberuf aufzubauen und dennoch in erster Linie Mutter zu sein. (Hauptarbeitsphase zwischen 20 und 23 Uhr, man kennt es.)
Andererseits sehe ich es skeptisch. Ich konfrontiere diese Frauen innerlich mit genau den Fragen, mit denen man mich damals konfrontierte: „Aber du kannst dein Kind doch nicht dauerhaft fernhalten von heutigen Zumutungen? Spätestens mit 10 oder 12 wird es alles aufholen wollen, die Computerspiele, Social Media, womöglich Pornos? Was willst du dagegen tun?“
Ja, das ist alles richtig. Nur habe ich mir immer gesagt, daß die Zeit bis zum sechsten, siebten oder achten Lebensjahr einfach ALLES ist. Danach kann man nur minimal (oder unter größten Anstrengungen) eingreifen, korrigieren, den Weg weisen.
Das erste Jahrsiebt legt den Grundstein. Daß wir späterhin unsere Kinder vom ideologischen Zugriff bewahren könnten, ist reine Illusion. Das Fundament muß stehen, und es wird eben in den ersten sieben, acht Jahren gelegt.
Ich halte, nebenbei, nichts von „unpolitischer“ Erziehung. Die Kinder „rauszuhalten“ ist aus meiner Sicht Bigotterie, zumal ich diese Vorstellung gerade bei Hardlinern oft erlebe: Diejenigen, die sich im Lebensvollzug ganz besonders einer reinen Lehre verpflichtet sehen, machen gern „pssst!“, wenn am Tisch Tacheles geredet wird und Kinder anwesend sind. Es gibt da eine scharfe Trennung zwischen privater und politischer Sphäre. Und natürlich hat man auch Schiß, daß das Kind in der Schule „etwas Falsches“ sagt und man auffliegen könnte.
Für mich ist das Quatsch. Alles, was bei Tisch beredet wird, können auch Kinderohren verkraften. (Meist wird es sie eh langweilen.) Wir stehen auf der richtigen Seite, wir brauchen keinen inneren Zensor. Was wir aussprechen, darf ruhig raus in die Welt.
„Home-Schooling“: Ich meine, es sollte erlaubt sein wie in fast allen Ländern der Welt. Mich selbst hat die Vorstellung, die eigenen Kinder dauerhaft zu belehren, angeödet und abgeschreckt. Das mag erstens daran liegen, daß ich (ich selbst und dann bei meinen Kindern) fast nur ambitionierte Grundschullehrer erlebt habe. JA, es gab auch dumme & böse Lehrkräfte. (Darüber kann man mit den Kindern gut reden.) Zweitens wäre es mir seltsam vorgekommen, die Kinder rund um die Uhr um mich selbst kreisen zu sehen.
Und späterhin? Die höhere Schule ist eine Knochenmühle, ein Unterm Rad (Hermann Hesse), sie war es immer und ist es wohl heute noch stärker. Aber anders, natürlich. Ich persönlich finde, man muß seine Kinder dem aussetzen. Sie sollen doch stark werden, oder? Wie sonst als mit der Auseinandersetzung erwirbt man Immunität?
RMH
"Und späterhin? Die höhere Schule ist eine Knochenmühle, ein Unterm Rad (Hermann Hesse), sie war es immer und ist es wohl heute noch stärker. Aber anders, natürlich."
Schön, dass das hier auch einmal in dieser Klarheit gesagt wird - gegen den allgemeinen Boomer Tenor bis hin zu Bosselmann (der das aber immerhin eher systemisch sieht), nachdem den jungen Leuten heute ja alles quasi "geschenkt" wird.