Punkt 2 ist vielsagend, aber wenig spektakulär: Mitglieder der AfD-Fraktion im bayrischen Landtag hatten angefragt, ob ich als Sachverständiger vor einem Ausschuß vortragen wolle, in dem es unter anderem um politische Bildung und Demokratieförderung gehe.
Ich sagte zu, aber für die Ausschuß-Mitglieder der anderen Fraktionen wäre meine Teilnahme so “unerträglich” und eine solche Provokation gewesen, daß sie am Gewohnheitsrecht vorbei ein Mehrheitsvotum gegen meine Teilnahme herstellten. Das war absehbar, und natürlich ist es amüsant, die demokratischen Verrenkungen zu beobachten, mit denen die Opposition immer wieder am normalen Ablauf ihrer Arbeit gehindert wird.
Weil sich aber eine Demokratie daran messen lassen muß, wie ihr Umgang mit der Opposition ist, verdampft das Humorige am panischen Gehaspel aus überfordertem Mund wie Wasser auf heißen Steinen: Eigentlich ist hier gar nichts mehr lustig, eigentlich ist hieran alles so, daß zu allen Alarmglöckchen, die längst bimmeln, sich ein weiteres Tönchen gesellt hat: Diejenigen, die überhaupt und schon lange an der Macht sind, sichern ihre Macht ab, indem sie alle Türen vernageln.
Das ist es, was ich beschrieben hätte, wäre ich zu Wort gekommen: Demokratische Reife bemißt sich daran, ob jene zu Wort kommen können, deren Denk- und Meinungsrichtung tatsächlich in Opposition zu allen anderen steht, und zwar fundamental, nicht bloß ein wenig theatralisch abweichend wie von CSU nach Grün und umgekehrt.
Denn die Demokratie ist jenes Regierungssystem, in dem der Machtwechsel friedlich, verbal, geregelt ablaufen darf, wenn es zu ihm kommen könnte. Natürlich ist auch das ein Macht-Kampf, aber keiner im Colosseum, sondern allenfalls einer im Boxring und manchmal bloß am Schachbrett.
Aus solchen Bildern läßt sich fast alles ableiten, was zum Umgang miteinander gehören müßte, der Selbstbeschreibung der “Demokraten in diesem Lande” nach. Nur: Es fällt ihnen nicht mehr auf, daß sie längst und maßlos an dem vorbeiagieren, was die “Würde” ihrer Mandate eigentlich ausmachen sollte.
Ob ich dort nun sprach oder nicht: unerheblich. Bloß ist es bezeichnend, daß wiederum die Presse solches Handeln nicht kritischer hinterfragte, sondern denen, die es kaum “ertrugen”, jene demokratische Reife attestierte, an der es ihnen fehlt.
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Von überragend größerer Bedeutung sind ja nun die Vorgänge rund um die bundesweite Einstufung der AfD als einer “gesichert rechtsextremistischen” Bestrebung. Das 1000-seitige Gutachten ist längst geleakt worden – seltsam genug, warum man es unter Verschluß hielt und warum der SPIEGEL es so viel früher hatte schon auswerten dürfen.
Er durfte es wohl, um die Interpretationsrichtung vorzubahnen – also das schlagend Schlimme an den zusammengetragenen Tweets und Likes und Sätzen und Memes. Denn mehr ist es nicht: ein nicht zusammengelegtes 1000-Teile-Puzzle, die ins Absurde gehende Sammelleidenschaft einer riesigen Behörde, ein vollgestopftes Zimmer mit Groschenheftchen, Boulevard, bißchen Politschmuddel, vergilbter Post und Petz-Notizen darüber, was der Onkel sagte, als er einen sitzen hatte.
Erstes Gespräch darüber: mit einem Spitzenanwalt, Staatsrecht, mit dem ich ab und an rede, wenn ichs nicht glauben kann. Er sagt, daß er mit seinem juristischen Latein vollkommen am Ende sei. Er wäre, hätte er den Auftrag, weder in der Lage, dieses Behördenverhalten plausibel zu erklären noch würde er vor Gericht irgendetwas substantiell Greifbares aus diesem Wust herausklauben und verteidigen können. Es sei schlechterdings nichts mehr greifbar, es sei juristisches Würfeln, das Werk von Stumpfsinnigen.
Zweites Gespräch – mit einem politisch Kreativen: Er ist der Auffassung, daß es sich bei diesem Papierbündel um den Racheakt aus der Behörde heraus an der scheidenden Chefin Faeser handeln müsse, ganz ohne Zweifel. Wer nämlich ein Partei-Verbotsverfahren verhindern wolle, müsse einfach exakt auf diese Weise alles möglicherweise doch Faßbare unter Kauderwelsch begraben, ersticken, verschütten. Wörtlich:
Das sind 1000 Seiten Störsender, und zwar nicht von einem IQ-Neunziger, der im Keller Kuverts aufdampft, sondern von ganz oben installiert, Funkwellen aus dem Geheimdienst, sogar unter Verschluß, alle rätseln, alle haben Schiß, und dann ist es doch bloß der Papiersalat aus einem heißgelaufenen Kopierer.
Drittens: Nicht nur der VS-Experte Mathias Brodkorb, sondern auch andere Publizisten stehen vor dem Gutachten wie vor beschlagnahmten Leitz-Ordnern. Soll man das nun auswerten? Ist nicht gerade dies die Aufgabe jener Behörde, die vorgab, mit der Nicht-Veröffentlichung des Gutachtens “geheimdienstliche Quellen” zu schützen?
Selbst Bundeskanzler Merz lehnt mittlerweile die Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die AfD ab, das der Bundestag beantragen könnte. Selbst ihm ist zu dünn, was da definitiv ohne “geheimdienstliche Quellen” zusammenkopiert worden ist, selbst er spricht nun von “Konkurrentenbeseitigung” – ein Wort, das die AfD seit Jahren ventiliert.
Natürlich: Repressionen können unter Gelächter ihren Druck, ihr politisches Potential verlieren. Aber das, was wir da zu protokollieren haben, ist grundsätzlich nicht witzig, sogar überhaupt nicht.
Die politische Konsequenz aus einer solchen Einstufung durch eine vermeintlich neutrale Behörde ist nämlich tatsächlich die Einleitung eines Verbotsverfahrens. Wenn die Begründung dafür aus 1000 Seiten Sammelsurium und nicht aus fünf Seiten knallharter, glasklarer, unzweifelhafter Bewertung und Beweisführung besteht, dann darf tatsächlich jeder Jurist am Ende seines Lateins, jeder Publizist erschüttert, jeder Politiker ratlos und jeder Betroffene empört sein.
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Aber es gibt sie, die Überwachung mit geheimdienstlichen Mitteln. Acht Aktivisten der Identitären Bewegung haben das gestern und heute vorgeführt bekommen: Sie waren unterwegs zum “Remigration Summit” in Mailand – zu einem Kongreß also, auf dem mit internationalen Rednern und Gästen europaweit der Begriff “Remigration” noch fester im Wortschatz, als politisches Programm und als Strategie gegen die Überfremdung verankert werden soll.
Die deutsche Bundespolizei griff nun acht angemeldete Aktivisten der Identitären Bewegung an deutschen Flughäfen ab, verhörte sie und erließ Ausreiseverbote bis zum Ablauf des 17. Mai. Der Twitterer “Arminius” wurde sogar aus dem Flugzeug geholt, das er bereits bestiegen hatte. Die Begründung ist wie das Gutachten des VS: irrwitzig, aber nicht lustig.
Im Falle der Ausreise deutscher Rechtsextremisten besteht die erhebliche Gefahr der Ansehensbeschädigung der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Aufenthalte von deutschen Rechtsextremisten, die die transnationale Vernetzung der rechtsextremistischen Szene vorantreiben,
undsoweiter. Jedenfalls wissen diese acht Aktivisten nun, daß man mitschneidet, wann sie wohin reisen möchten, um wen wozu anzutreffen. Sie wissen, daß Deutschland das einzige Land ist, das im Vorfeld zum Kongreß solche Ausreiseverbote aussprach, und sie wissen, daß sich denen, die es bis nach Mailand geschafft haben, ein auch mit deutschen Antifa-Schlägern aufgefütterter Mob entgegenwerfen wird – ohne, daß so etwas als “Ansehensbeschädigung der Bundesrepublik Deutschland” gewertet würde.
Die Reaktion der Aktivisten, die nun nicht reisen dürfen, trägt Züge der Otpor-Bewegung, die vor zwei Jahrzehnten gegen Milosevic antrat: eine Mischung aus Gelassenheit, Spott, Kreativität und Wettbewerb. Damals gab es T‑Shirts in drei Farbstufen – je nachdem, wer wie oft in Gewahrsam saß oder wegverhaftet wurde.
Wir sind auf dem Weg dorthin. Mit Martin Sellner, der sich bereits in Mailand befindet, haben wir gleich einen Podcast zum Thema aufgenommen – hier kann man ihn hören.
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Das sind nun nur drei Beispiele. Sie stammen aus drei unterschiedlichen Ebenen, sie tragen deutliche Merkmale absurder Hilflosigkeit und Übertreibung, streifen das Lächerliche, führen aber zu Konsequenzen von geringem (Landtagsausschuß) und schwerem (VS-Gutachten) Gewicht und zu krassen Maßnahmen (Ausreiseverbot).
Ich halte jene Lehre für entscheidend, die der Staatsrechtler und einige Publizisten ziehen: Wir stehen vor Machtproben und sind “rechtsstaatlich” am Ende. Es geht nicht mehr um Recht, sondern um Macht. Wie porös der ganze Laden bereits ist, vermag niemand zu sagen. Vielleicht fällt die Mauer morgen ein, ganz ohne Lärm und Laut; vielleicht sitzen in einem Jahr einige von uns hinter Schloß und Riegel; vielleicht ist alles ziemlich egal und geht so weiter, willkürlich, grotesk, spießig-verboten, verquengelt, dilettantisch. Vielleicht geht zuvor noch sehr vieles kaputt.
RMH
Es ist richtig, auf die bleibende Gefährlichkeit der Lage hinzuweisen. Die jüngsten Einlassungen von Merz würde ich nicht unbedingt als Signal der Entwarnung bewerten (hier halte ich mehr davon, dass mir berichtet wurde, dass gerade auf der am lautesten bellenden Ebene der CSU es noch Verbindungen zwischen interessanten Personen CSU/AfD aus alten, vergangenen JU Tagen existieren, die nicht gekappt worden sein sollen), sie können genauso Vorbereitung eines "Ich wasche meine Hände in Unschuld"-Spiels sein, bei dem es dann eben die anderen "aus der Mitte des Parlaments" oder der BL waren, die es los getreten haben. Was die Bewertung des sog. Gutachtens angeht, bin ich eindeutig im Team Kafka, was braucht es Argumente oder gar eine Begründung, um einen den "Process" zu machen? Das Gericht hat man ohnehin auf seiner Seite & mehr als 1000 Seiten Gutachten erfordern dann, damit die bienenfleißigen Anwälte etwas zu tun haben, 10000 Seiten Erwiderung, mit Beweisangeboten in Form von 50000 Seiten Anlagen. Das ist die Methode SPAM, kein Richter dieser Welt liest das durch & am Ende fertig, aus, Amen, so wie es das jeweilige Parteibuch befiehlt. Die Dimension der IB- Unterdrückung ist auch wieder die Methode, bestrafe einen erziehe 100. Wer von den smarten Jungen will sich dafür noch "verbrennen" lassen?