Immerhin gibt’s Wahlen. Es ist, marxistisch gesprochen, vor allem der politische Überbau, der – im Wortsinne – „realsozialistisch“ anmutet. Dazu phänomenologisch ein paar Notizen zu signifikanten Veränderungen, die allerdings längst bundesrepublikanischer Alltag sind.
1. Verphrasung – Wesentlich an der Phrase: Sie will suggerieren, was so gar nicht ist, sie beschwört, was das vermeintliche Selbstverständnis ausmacht, sich jedoch nicht realisiert findet.
„Toleranz“ etwa, eine Forderung der Aufklärung, sicherte oder forderte in ursprünglicher Bedeutung den Respekt gegenüber oppositioneller Auffassung, um kultiviert den produktiven Diskurs zu ermöglichen, wird aber neuerdings – gänzlich unsinnig – nur jenen gewährt, die schon von sich aus zum Bündnis der jeweils Willigen und zu den selbsterklärt „Anständigen“ gehören. Unter Gleichgesinnten jedoch bedarf es gar keiner Toleranz, da es keinen Dissens gibt.
Toleranz wird gerade jenen verweigert, die ihrer bedürften. Hat je irgendwo ein parlamentarischer Antrag einer AfD-Fraktion auch nur die Ausschußebene erreicht, ohne vorher mit üblichem Reflex abgewiesen zu werden?
„Vielfalt“ wiederum versteht sich gerade nicht als ein reiches Spektrum des Verschiedenen, sondern als gleichgeschaltete „Buntheit“ in Regenbogen-Uniform. Und „unsere Demokratie“ ist eben nicht unsere Demokratie, sondern jene der anderen, deren Hauptziel genau darin besteht, uns auszuschließen, was nicht demokratisch ist, pluralistisch schon gar nicht.
Gern werden in der Politik Begriffe dauergebraucht, die positiv konnotiert sind, mit denen verschiedene Kräfte aber inhaltlich sehr Verschiedenes verbinden, so daß die jeweilige Semantik nicht klar ist, und man aneinander vorbeispricht.
Daher gibt es „Europa“ und Europa sowie „Bildung“ und Bildung. Überhaupt sollte man immer mehr Worte in Anführungszeichen setzen, weil sie im offiziellen ganz anders als im inoffiziellen Gebrauch gefärbt sind. Wie einst in der DDR erscheint es wichtig zu bedenken, wo man nun genau was sagt und wo man welchem Duktus folgt.
Konsequenz: Die lebendige Diskussion weicht in die sozialen Medien aus, die neuerdings politisch verteufelt werden, weil dort finstere Tech-Milliardäre zum eigenen Vorteil Algorithmen manipulierten. Aber wohin sonst? Das Establishment hat fast alle öffentlichen Podien geschlossen und bevorzugt die Hermetik mit Gleichgesinnten, während die „öffentlich-rechtlichen“ Medien immer didaktischer werden.
2. Ideologisierung – Längst dürfte die politische Einflußnahme DDR-Niveau erreicht haben – insbesondere über „politische Bildung“, realisiert von der Schule, von staatlichen Einrichtungen und immer offensiver von den Anhangsvereinen politischer Parteien, die direkt oder indirekt staatlich alimentiert, aber als „Teil der Zivilgesellschaft“ deklariert werden.
Im rot-rot regierten Mecklenburg-Vorpommern avancierte ein solcher Verein, die „Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie e. V.“, inspiriert u. a. von der extrem indoktrinierenden „Amadeu Antonio Stiftung“, sogar zur „Serviceagentur Ganztägig lernen“ und nimmt so, finanziell generös ausgestattet, direkten Einfluß auf die Schulen –intensiv politideologisch. Kaum jemand stört sich daran!
Bekenntnis-zu ist den Ideologen wichtiger als Wissen-über oder gar die Herausbildung einer differenzierend-kritischen Urteilskraft, die wiederum einer umfassenden Bildung bedürfte, auf deren Gewährleistung mehr und mehr verzichtet wird. Die Rahmenpläne, hört man, wären „überfrachtet“, es käme auf Methoden und „Kernkompetenzen“ an, dann erschlössen sich Schüler die Inhalte selbst.
Insgesamt soll weniger nachgedacht als artig nachgesprochen werden. Hinterfragen unerwünscht. Bewertet wird die offiziell als richtig angeregte Positionierung, für die der Staat unterrichtlich die Argumentationen liefert.
Dazu passen oktroyierte Sprachregelungen. Sie erzwingen eine staatlich erwünschte Korrektheit, u. a. über willfährigen Gebrauch der Gendersprache, dem massivsten Eingriff in Sprachgepflogenheiten überhaupt. Gendersprache avancierte zur Herrschaftssprache.
Wer sich ihr verweigert, wird als Dissident kenntlich, insbesondere an den Universitäten, die mit vorauseilendem Gehorsam auf ihre einstige Autonomie verzichten, darin nur noch von den Kirchen überboten.
3. Staatssicherheit – Gesinnungsschnüffelei, Kontaktschuld, negative Konsequenzen für publizistische Tätigkeit. Dank Suchmaschinen und KI bedürfen die Staatsorgane nicht mehr der gedungenen informellen Mitarbeiter, abgesehen davon, daß Denunzianten heute ja als vorbildlich „couragiert“ gelten. Ganze Plattformen leben davon, Kritiker zu diffamieren.
Dem Verfassungsschutz reicht es daher, ganz zurückgelehnt am Schreibtisch mit Suchbefehlen zu arbeiten und bürokratisch gründlich Mißliebiges aufzulisten. Der jüngste Verfassungsschutzbericht ist dafür beredtes Beispiel – drei Bände akribisch gesammelter Linienüberschreitungen. Bei der Lektüre fragt man sich häufig: Und das soll die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ gefährden? Weshalb?
In meinem Fall reichte für Nennung und somit Stigmatisierung ein moderat kritischer Vortrag zur Bildungspolitik. Zum Berufsverbot langt’s ja sowieso. Dafür müssen nicht mal Inhalte von Publikationen geprüft werden; hinreichend ist allein der inkriminierte Publikationsort.
Fragt man die Exekutivorgane höflich nach Gründen und Erläuterung des Berufsverbots, gar nach Rechtfertigung des Vorgangs, stößt man auf Schweigen. Man lese dazu Franz Kafkas „Vor dem Gesetz“. Einmal geschaßt, scheint Kommunikation mit der Herrschaft nur noch juristisch möglich, obwohl doch gerade das offene Gespräch miteinander juristische Akte vermeiden hilft. Neuerdings schreibt man mir, ich würde „in persönlicher Hinsicht nicht dem Anforderungsprofil an eine Lehrkraft“ entsprechen.
Früher gab man noch, freilich verlogen, „schulorganisatorische Gründe“ vor. Jetzt meint man den Defekt in meiner Persönlichkeit zu erkennen. Ich bat höflich um Erläuterung. – Schweigen, klar.
Legitimiert werden Ausspähen und Ausschluß über dekretierte Vorgaben:
Wer etwa konservativ oder nationalliberal bzw. einfach nur alltagssprachlich von einem traditionellen Volksbegriff ausgeht, wird bekanntlich als Staatsfeind markiert, indem unterstellt werden darf, er folge einem „völkisch-abstammungsmäßigem Gesellschafts- und Volksverständnis“. Der Ausdruck „völkisch“ ist bewußt gewählt, weil er – als gängiges Adjektiv aus der Lexik des frühen 20. Jahrhunderts – recht umstandslos in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt werden kann.
Jedenfalls verstoße der „ethnische Volksbegriff“ von vornherein gegen die „Menschenwürde“, stehe also dem Artikel eins des Grundgesetzes entgegen, mithin wäre er „verfassungswidrig“. Was zu beweisen war … -
Mit Blick auf andere „Völker“ darf noch „ethnisch“ argumentiert werden, dem eigenen gegenüber aber nicht.
4. Der neue Mensch – Grundverordnet wird von den Meinungsführerschaft ein Menschenbild, das pauschal positiv ist. Auch daher die hohe Weihe für Margot Friedländers recht einfachen Appell: „Seid menschlich!“
Daß der Mensch genau das vielfach eben nicht ist, daß vielmehr höchst problematische und widerstreitende Anteile zu seinem Wesen gehören, die nun mal sein inneres Drama ebenso bedingen wie sein gesellschaftliches, wird ignoriert.
Auffällig, daß jene, die solche Verkürzungen vertreten, selbst offenbar in sich nie um das Gute und Richtige ringen müssen, sondern es ganz selbstverständlich zu verkörpern meinen. Ist aber nicht genau dies unheimlich?
Das Beispiel Friedländer gewann in letzter Zeit eine geradezu quasireligiöse Bedeutung, zudem die Dame als Verkünderin der erlösenden Botschaft extrem leiderfahren und als Jüdin Zeitzeugin und Opfer des Holocaust ist. Nach ihrem Vortrag wirken Jugendliche laut „Tagesspiegel“ wie nach einem Erweckungserlebnis:
„Julie, 15 Jahre: Durch Margot Friedländer habe ich gelernt, alle so zu akzeptieren, wie sie sind. Keine Religion, kein Aussehen oder Stand in der Gesellschaft macht einen zu einem anderen Menschen. Wir sind alle Menschen und sollten uns gegenseitig respektieren. Es ist wichtig, seine Mitmenschen nicht nur anzuhören, sondern auch zu versuchen, zu verstehen. Alle Menschen sind auf ihre eigene Weise besonders und verschieden und doch so gleich!“
Sie sind’s aber auf so vereinfachte Weise eben nicht! Und respektiert werden gegenwärtig ohnehin nur jene, die politisch folgsam formulieren und handeln. Wie gesagt: Allen anderen darf nach offizieller Lesart nicht mal Toleranz gewährt werden; sie gelten – siehe oben – „in persönlicher Hinsicht“ als defekt.
Der neue Mensch wünsche und realisiere „Gerechtigkeit“, er sorge für „Teilhabe“ und umfassende „Inklusion“, er wende sich stets gegen „Diskriminierung“, „Rassismus“, „Sexismus“, „Populismus“ und die „allzu einfachen Lösungen der AfD“.
Mit Goethe: Edel sei der Mensch, hilfreich und gut! Im Gegensatz zu Goethes Konjunktiv formulieren unsere Chefideologen aber indikativisch. Gut wiederum ist nur, wer sich ganz botmäßig politisch ein- und zurichten läßt.
Weil der Mensch per se gut ist, was sich primär in seinem politischen Credo äußere, darf er sich auf Förderung verlassen. Er kann seine „Bedarfe“ anmelden, auf daß ihm mit „Maßnahmen“ geholfen werde.
Forderungen im Sinne von Pflicht, Leistung, Selbstüberwindung, Haltung und Eigenverantwortung, so mittlerweile die Wahrnehmung, diskriminierten eher, sie erscheinen also schnell als Überforderungen und lösten insbesondere an den Schulen Depressionen, Ängste und Eßstörungen aus.
Daher fordert der „Landesschülerrat Mecklenburg-Vorpommerns“ weitere Erleichterungen und zudem die Einführung eines Faches zur Resilienz und Streßbewältigung. Am liebsten wäre ihm das Zuerkennen von Leistungsnachweisen und Abschlüssen ohne das Erfordernis von Engagement und Selbstregulierung. Um so konformer aber sind die politischen Stellungnahmen des Rates. Reiner GEW-Sprech, absolut staatstreu.
Wer sich auf den Staat und dessen Wohlfahrtsgarantien verläßt, wer in den Genuß all der Nachteilsausgleiche und Inklusionsbemühungen kommt, wird sich mit Kritik zurückhalten. Wichtig nur: Linientreu bleiben!
In der Weise, wie der gute, der wünschenswerte, der politisch angepaßte Mensch als positiv herausgestrichen wird, als Staatsbürger, wie wir ihn alle wollen müssen, findet sich das Gegenbild als pathologisch böse gezeichnet: Trump, Putin und sowieso die AfD. Wie Voldemort und jene Todesser, die zu ihm halten.
Gefordert ist, solche Persönlichkeiten und Kräfte auszuschließen und zu eliminieren. Schon schlimm genug, daß es sie gibt.
Um nur bei der AfD zu bleiben:
Allein nach den Ursachen ihrer Entstehung zu fragen, also nach einer historischen oder politischen Situation, die ganz offenbar nach Korrektur und Korrektiv verlangen ließ, ist längst reine Ketzerei.
1Niedersachse
Ich habe nie in der DDR gelebt, aber dennoch behaupte ich nach vielen Unterhaltungen mit Bürgern die aus der "Ehemaligen" kommen: Der Vergleich mit der verblichenen DDR hinkt! Mag sein, das sich vieles ähnelt, die alltägliche Propaganda, die alle gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen wie ein Schimmelpilz durchzog, das Denunziantentum, die Bestrafung von Meinungsabweichlern. Dennoch: Trotz allem antifaschistischen Klassenkampf- Getöse war der Moskauer Satellitenstaat für das deutsche Volk weniger gefährlich als die heutige Bunte Republik, denn diese (also der politisch/ mediale Komplex) stellt ja schon die bloße Existenz eines deutschen Volkes in Frage. Die DDR dagegen leugnete die Existenz eines deutschen Volkes meines Wissens nach aber nicht. Die Gleichschaltung dürfte mittlerweile ähnlich oder schlimmer sein wie in der DDR, aber dazu kommen noch die Überfremdung und die stetig anwachsende Alltagsgewalt. Ich denke, mann konnte in Magdeburg, Chemnitz oder Dresden vor 40 Jahren sicherer durch die Straßen gehen, als heute. Wobei es im Vergleich zum "Westen" immer noch weitaus besser ist.