Dieser Wahlkärntner, der in Klagenfurt zum „Volkslandeshauptmann“ wurde, weil er im „direkten Kontakt mit der Bevölkerung“ deren Interessen in „konkrete, sozial geleitete Politik“ übersetzte, wie der freiheitliche Parteichef Kickl im Vorwort zum neuen Haider-Porträt rühmt, macht noch heute neugierig.
Die Autorinnen Daniela Fürstauer-Schmölzer, Soziologin, und Sabrina Staudacher, Kommunikationswissenschaftlerin, haben keinerlei Stallgeruch des freiheitlichen Lagers – sie stammen aus der Wissenschaft bzw. dem Journalismus. Das schadet der Intensität und Wissensvermittlung des vorliegenden Werkes über den „Visionär“ Haider keineswegs: Die professionelle Distanz wird durch zahlreiche O‑Töne von Familienmitgliedern, Konkurrenten und Freunden Jörg Haiders „aufgelockert“.
Es bietet sich an dieser Stelle an, über den Charakter dieses Buches aufzuklären: Es ist keine wissenschaftliche Studie, keine Apotheose, keine politische Kampfschrift. Es handelt sich um ein Haider-Lesebuch, reich bebildert, mit zahlreichen Zitaten ausgestattet, außerdem mit exklusiven Einblicken in Haiders Tagebücher. Wen dieser lockere und zugängliche „Sound“ nicht stört, wer sich mitnehmen läßt auf eine Reise durch Haiders Vita, wird garantiert etwas „mitnehmen“: „Haider war erfolgreich, weil er zu seinem Wort stand.“ Das klingt wie das Einfache, das schwer zu machen ist, speziell in einem Haifischbecken wie der Parteipolitik.
Deutlich wird, daß Haider als smarter, herzlicher und zugleich kämpferischer „Populist“ keineswegs auf Bildung und Weiterbildung verzichtete. Die Autorinnen rufen Haiders programmatische Standpunkte in Erinnerung, die über das hinausgehen, was heute hierzulande oft als tonangebender Rechtspopulismus firmiert. „Freiheit“, diesen überstrapazierten Begriff, der für Haider zeitlebens der zentrale blieb, definierte er dabei explizit im Kontext einer „Verantwortung für die Gemeinschaft“.
Es gehe nicht darum, zu tun, was man wolle, denn:
Es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung, ohne Schranken, denn die Freiheit des Einzelnen findet dort ihre Grenzen, wo sie die Freiheit des anderen berührt.
So klar, so selbstverständlich umriß Haider seinen Freiheitsbegriff, dessen Essenz heute so fern scheint, in Zeiten von Kettensägen-Rhetorik und einem vulgärlibertären Verständnis von negativer „Freiheit“ als perpetuierter Bindungslosigkeit und „Nach mir die Sintflut“-Egomanien. Das Leitbild Haiders war schon früh, so die journalistische österreichische Institution Erwin H. Aglas, „die freie Persönlichkeit, die sich ihrer Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft bewußt ist“, womit er den Grundstein für die spätere, höchst erfolgreiche Selbstidentifikation der FPÖ als „sozialer Heimatpartei“ legte.
Daß er Teile seiner Bezüge über Jahrzehnte hinweg für solidarische Zwecke spendete, trug ebenfalls dazu bei wie realpolitische Erfolge wie das Pflegegeld, den „Familienfonds neu“, Heizkostenaktionen für schwächer Gestellte oder die Errichtung sogenannter Sozialmärkte. Haider suchte als Politiker und Denker konsequent den Weg ins Volk, das ihn umgab; über ihn stammt das Bonmot, wonach er „jeden Kärntner kennt und jeder Kärntner hat ihm die Hand gegeben“, was heute thüringisch variiert in bezug auf Björn Höcke zirkuliert.
Haider selbst kannte nicht nur „seine“ Kärntner, sondern auch deren Kultur: Als Ministerpräsident (= Landeshauptmann) fokussierte er sich zentral auf den Bereich der Volkskultur, auf eine positive nationale und landsmannschaftliche Geschichtsschreibung, auf Heimat und Verwurzelung. Doch verlor er sich nicht in kulturellen Sphären: Der Parteikampf, der interne zumal, band viele seiner Energien.
Der „Opportunismus“, mahnte er nicht nur einmal seine Parteifreunde,
erzeugt Enttäuschung und wird zum Vertrauensbruch gegenüber den Anhängern einer politischen Idee.
Diese Idee definierte Haider selbst als „Österreich zuerst“. Dazu gehört im Kern, wie Haider bereits 1992 zeitlos zusammenfaßte, der Kampf um innere und soziale Sicherheit. Die innere Sicherheit sei bedroht durch den Einwanderungsstrom; die soziale Sicherheit durch die fehlende Einhegung der „großen“ Wirtschaft und den „Austausch“ einheimischer Arbeitnehmer durch fremde.
Natürlich war Haider nicht nur Kultur- und Ideenmensch, sondern auch Lebe‑, Ehe-und Regierungsmann. Die Koalitionseskapaden unter seiner direkten und indirekten Beteiligung werden durch Fürstauer-Schmölzer und Sabrina Staudacher erörtert und anhand von Stellungnahmen damaliger Weggefährten kommentiert. Auch die Spaltung der FPÖ in Rest-FPÖ und BZÖ wird dargeboten, bevor der Leser über Haiders Ziehsöhne wie HC Strache oder auch die für Haider schwierige Situation, daß er, der als Erzfeind des Opportunismus galt, nun selbst desselbigen geziehen wurde, informiert wird. Wie ein Drama liest sich dann das Finale: Haiders ungeklärter Unfalltod, dem er ausgerechnet wenige Tage vor der durch ihn orchestrierten Versöhnung von FPÖ und BZÖ erlag, läßt Raum für Zweifel an offiziösen Darstellungen. Der Mythos Haider – er lebt weiter.
Daniela Fürstauer-Schmölzer/Sabrina Staudacher: Jörg Haider. Visionär und politischer Rebell: Spuren eines Systembrechers, Graz 2025. 256 S., 22 € – hier bestellen
Ekstroem
"Es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung..." Dieses Zitat und das zum Opportunismus sind herausragend. Beide Zitate illustrieren die Causa Krah. Der deutsche Standpunkt ist gefragt, wie es Björn Höcke kürzlich auf den Punkt brachte: https://www.freilich-magazin.com/politik/deutscher-standpunkt-das-sagt-bjoern-hoecke-zum-nahostkonflikt