Natürlich wurde die Weltbühne anno 1933 verboten. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg kamen ausschließlich die Bürger der DDR in den Genuß einer Neugründung – Peter Hacks durfte darin die Ausbürgerung von Wolf Biermann begrüßen. In der Frühzeit des wiedervereinigten Deutschlands erschien 1993 dann die vorerst letzte Ausgabe.
Die Weltbühne ist also eine geschichtsträchtige Publikation, deren Glanzzeit jedoch 100 Jahre zurückliegt. Und jetzt ist sie auf einmal wieder da.
Hinter dem Remake steckt der Verleger Holger Friedrich, Besitzer des (ehemals von der SED geführten) „Berliner Verlags“, der hauptsächlich die Tageszeitung Berliner Zeitung herausgibt. Friedrich ist natürlich ein Linker, aber einer von der umstrittenen Sorte. Der ostdeutsche Historiker und Ulbricht-Biograf Ilko-Sascha Kowalczuk nennt die Berliner Zeitung in unzähligen Tweets liebevoll „Berlinskaja Prawda“ und bezeichnet sie als „das Sprachrohr neoimperialer und neokolonialer Politik“ (Tweet vom 5. Mai. 2025).
Der Vorwurf gegenüber Friedrich und seiner Publikation ist also klar: Kreml-Propaganda, Schwurbeljournalismus, nicht auf Linie! Ein interessanter Typ also, dieser Holger Friedrich. Und jetzt hat er die Weltbühne wiederbelebt und als Herausgeber zwei interessante Typen verpflichtet: Thomas Fasbender und Behzad Karim Khani. Beide sind den Lesern der Sezession nicht unbekannt.
Khani ist Schriftsteller und „linker Kreuzberger Asylant“ (Khani über Khani), dessen erster Roman Hund, Wolf, Schakal sogar von der Literatur-Redakteurin dieses Magazins und Uwe Tellkamp gelobt wurde.
Fasbender schrieb schon für die Junge Freiheit und veröffentlichte im Verlag Manuscriptum eine Putin-Biografie, aber selbstverständlich hält er „die AfD für gefährliche Spinner“ (Khani über Fasbender). Kuriose Typen stecken also hinter der neuen Weltbühne. Aber was steht überhaupt in der ersten neuen Ausgabe?
Auf mageren 30 Seiten versammeln sich 8 Beiträge, ein schreckliches Gedicht und das Editorial der Herausgeber. Darin wird auch gleich die Blattlinie vorgegeben:
Die alte Weltbühne, zu gleichen Teilen als links und bürgerlich beschrieben, war nie ein Parteiblatt. Sie war auch nie ideologisch, und dogmatisch nur in diesem einzigen Punkt: Soldaten sind Mörder.
Links, pazifistisch und antimilitaristisch soll es also zugehen. Thematisch behandeln die Beiträge jedoch Verschiedenstes und reichen von einer kurzen Geschichte der Weltbühne („Neue Bühne. Neue Welt“ von Daniela Dahn) bis zu einer philosophischen Betrachtung des Freiheitsbegriffes („Der über seinen Hals verfügt“ von Michael Andrick). Lesenswert sind jedoch nur vier der kurzen Texte. Wirklich gut nur zwei.
Kontrovers wurde der Beitrag der jüdischen Spiegel-Bestsellerautorin Deborah Feldman „Die Deutsche Lebenslüge“ in den Mainstreammedien aufgenommen. Darin vermutet Feldman beim Chefredakteur der „Jüdischen Allgemeinen“ Philipp Peyman Engel eine auf das Jüdischsein „zurechtgebogene“ Lebensgeschichte. Laut taz gibt es „wiederum erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt von Feldmans Argumentation“. Ihr Text ist nett geschrieben, aber die ganze Thematik ist mir einfach nur egal.
Skandalöser für Rechte ist da sicherlich der Text „Biologie ist eine Bitch“ von der Journalistin Anne Waak. Ein dreiseitiges Plädoyer gegen das Kinderkriegen, dessen erster Satz „Menschliches Sperma ist eine der gefährlichsten Substanzen, denen sich eine Frau aussetzen kann“ immerhin ziemlich witzig ist. Der Rest ist weniger witzig, dafür umso mehr an der Realität vorbei. Die „Fortpflanzung zu verweigern“ rät Waak den Frauen in diesem Land, „zumal der gesellschaftspolitische Rollback längst in vollem Gange ist.“ Gemeint ist damit natürlich die neue Regierung in „Trump-Manier“ unter Kanzler Friedrich Merz. Schön wär’s.
Jetzt aber zu den zwei besten Texten und Glanzstücken der neuen Weltbühne, die die Lektüre des Heftes dann doch noch lohnen. Beide sind von den Herausgebern, flott und poppig geschrieben und richtige Literatur.
„Der Vergangenheit nicht gewachsen“ (Fasbender) und „Der Anarchosaurier“ (Khani) beschreiben jeweils einen Besuch in „Rafael Horzons Deutschem Design Museum“. Dort werden auf ultraironische postmoderne Weise „fünf große Manifeste“ vorgetragen. „Vom kommunistischen 1849 bis zu Horzons eigenem Manifest der Neuen Wirklichkeit 2024“. Dazwischen finden noch das futuristische, surrealistische und das Manifest des (auch unter Rechten sehr beliebten) Technikfeindes und Teilzeitbombers Ted Kaczynski Platz.
Fasbender reflektiert jedenfalls vor dem Hintergrund der Veranstaltung unsere weichgespülte Zeit („Die Gegenwart mag’s lau und augenzwinkernd, ohne rotes Blut.“) und kommt zu dem Schluß: „Saftiges Leben in einer Umbruchphase sieht anders aus.“ Sehr richtig das alles und auch sehr schön.
Khani geht direkter heran. Er wartet auf den verspäteten Fasbender, beobachtet das blütenweiße Publikum („Ob ich mich hier wohl fühle, habe ich noch nicht entschieden“), trinkt Gin Tonic („Eis gibt es nicht“) und schreibt den besten Satz des ganzen Heftes:
Hat man sich erstmal für Ironie als Lebensweg entschieden, hilft nur noch die Erhöhung der Dosis.
Diese Worte trafen mich tief. In Herz und Hirn. Zum Abschluß noch ein paar Worte zur Optik und der Preisgestaltung der neuen Weltbühne:
Beides ist schrecklich! So ein dünnes Heftchen (30 Seiten im Format A5, zusammengeheftet à la Groschenroman) für 11€ zu verkaufen sollte unter Strafe stehen. (Zum Vergleich: Die Druckausgabe der Sezession mit mindestens 68 Seiten aus edelstem Papier im Großformat kostet 12 €.)
Kurt Tucholsky schrieb 1932 in der Weltbühne (also der alten und echten): „Macht unsre Bücher billiger! Macht unsre Bücher billiger!“ Unsre Magazine und Zeitschriften bitte auch!
– –
Die Weltbühne erscheint jeden dritten Dienstag im Monat, ist im Zeitschriftenhandel zu haben und unter weltbuehne.com.
Rheinlaender
Mit der unreflektierten Berufung auf das gerade vor vor dem Hintergrund des Zeitpunkts seiner Entstehung unsäglich dumme Tucholsky-Zitat ("Soldaten sind Mörder") hat dieses publizistische Vorhaben bereits mit der ersten Ausgabe seine geistige Bankrotterklärung abgegeben. Die wie Tucholsky der Linken zuzurechnende jüdisch-französische Philosophin Simone Weil schrieb nach der Niederlage ihrer Nation 1940, dass diese Form des Pazifismus Teil der "Krankheit" der "Entwurzelung" sei, die die Linke befallen habe. Indem sie diese Krankheit auf die ganze Nation übertragen habe, habe sie diese wehrlos gemacht: „Ein Baum, dessen Wurzeln beinahe ganz abgefressen sind, fällt schon beim ersten Stoß.“
Da diese Niederlage aufgrund ihrer Abstammung für sie und ihre Familie existenziele Folgen hatte, habe sie danach rasch gelernt, den ethischen Wert der Nation und des Patriotismus schätzen zu lernen. Patriotismus könne im Krieg eine Form praktizierter Liebe darstellen, wenn es ihm darum gehe, „seine Kinder oder seine alten Eltern beschützen“. Der vom "Mitleid mit dem Vaterland" genährte Dienst des Soldaten und dessen "zärtliche Sorge, es vor Unheil zu bewahren“, hätten etwas "Heiliges“. Sie schlug vor, Pazifisten künftig "mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit" zu bestrafen "und zudem mit Ausweisung, verbunden mit dem Verbot, jemals in das Land zurückzukehren, oder mit ständigen Demütigungen als öffentliches Merkmal ihrer Ehrlosigkeit“.