Aussterben, Durchhalten, Sammeln

Es war eine Bierflasche, die dem Australischen Prachtkäfer beinahe zum Verhängnis wurde. Das senfbraune Insekt wäre in den 1980er Jahren beinahe ausgestorben und schuld daran war der Frauengeschmack der Männchen.

Martin Sellner

Martin Sellner ist Kopf der österreichischen Identitären Bewegung.

Pracht­kä­fer sind recht ein­fach gestrickt: Das Objekt ihrer Begier­de muß gelb, glän­zend und rund­lich sein. Dabei gilt: je grö­ßer das Weib­chen, des­to anzie­hen­der. All die­se Merk­ma­le tra­fen auf die Form aus­tra­li­scher Bier­fla­schen zu. Die männ­li­chen Pracht­kä­fer erla­gen dem »Hyper­rea­lis­mus« die­ser glä­ser­nen Ver­su­chung scha­ren­wei­se. Bald sah man über­all weg­ge­wor­fe­ne Bier­fla­schen, die mit lie­bes­tol­len Männ­chen über­sät waren. Sie lie­ßen ihre Weib­chen links lie­gen, und es kam zum lan­des­wei­ten Ein­bruch der Pracht­kä­fer­po­pu­la­ti­on. Erst eine Ände­rung von Far­be und Form der Bier­fla­schen konn­te das Aus­ster­ben der Insek­ten auf­hal­ten. Das »gro­ße Aus­ster­ben« der zivi­li­sier­ten, ver­west­lich­ten Völ­ker erin­nert frap­pant an die­se Epi­so­de. Doch es gibt einen Ausweg.

 

 

 

I.

 

Im Sci­ence-fic­tion-Film Child­ren of Men wird eine außer­ge­wöhn­li­che Dys­to­pie gezeich­net. In der nahen Zukunft ver­brei­tet sich ein Virus, der fast alle Men­schen unfrucht­bar macht. Die Völ­ker altern und ster­ben lang­sam aus. Die anti­na­ta­lis­ti­sche Geis­tes­hal­tung und Gesell­schafts­struk­tur bewir­ken heu­te in den meis­ten zivi­li­sier­ten Erd­tei­len das­sel­be wie im Film das Virus. Sobald ein Volk die Schwel­le zur moder­nen Indus­trie­ge­sell­schaft über­schrit­ten hat­te, folg­ten Urba­ni­sie­rung, Ratio­na­li­sie­rung und Säku­la­ri­sie­rung. Par­al­lel dazu bra­chen die Gebur­ten­ra­ten ein und san­ken unter das Bestan­der­hal­tungs­ni­veau von 2,1 Kin­dern pro Frau. Dabei garan­tier­te der moder­ne Sozi­al­staat, erst­mals in der Welt­ge­schich­te, die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung und Ver­pfle­gung jedes Men­schen. Ver­gli­chen mit frü­her, war es nie siche­rer und leich­ter, Kin­der zu zeu­gen und am Leben zu hal­ten. War­um ent­schei­den sich so unter­schied­li­che Völ­ker wie Japa­ner, Deut­sche, Rus­sen und Chi­ne­sen gegen Kinder?

In vor­in­dus­tri­el­len und tra­di­tio­nel­len Gesell­schaf­ten sorg­ten vor allem zwei Fak­to­ren für Kin­der­reich­tum. Mate­ri­ell betrach­tet, stell­ten Kin­der kos­ten­freie Arbeits­kräf­te und eine siche­re Alters­vor­sor­ge dar. In Agrar­ge­sell­schaf­ten waren rund 80 Pro­zent der Bevöl­ke­rung in der Nah­rungs­pro­duk­ti­on und Land­wirt­schaft tätig. Kin­der waren nicht vor allem eine Fra­ge der Vor­lie­be, son­dern schlicht lebens­not­wen­dig. Wehe dem, der unter die­sen Umstän­den unfrucht­bar war. Der mate­ri­ell-öko­no­mi­sche Druck ging Hand in Hand mit reli­giö­sen Gebo­ten: Die meis­ten Reli­gio­nen kann­ten Sit­ten­ge­set­ze, die Geschlechts­ver­kehr und Fort­pflan­zung untrenn­bar mit­ein­an­der ver­ban­den. Eine funk­tio­na­lis­ti­sche Ana­ly­se darf uns nicht dar­über hin­weg­täu­schen, daß die dama­li­gen Gesell­schaf­ten ehr­lich glaub­ten, daß Kin­der­reich­tum ein Got­tes­ge­schenk sei, des­sen Ableh­nung eine Sün­de bedeu­te. Die Moder­ne führ­te zur Ratio­na­li­sie­rung und Tech­ni­sie­rung aller Lebens­be­rei­che. Zahl­rei­che Säku­la­ri­sie­rungs­schü­be bau­ten Glau­be, reli­giö­se Moral und ihre sitt­li­chen Prin­zi­pi­en ab. Sexua­li­tät trenn­te sich lang­sam von der Fra­ge der Fort­pflan­zung. Mora­li­sches Pflicht­ge­fühl und gesell­schaft­li­che Kon­ven­tio­nen schwan­den, eben­so wie der mate­ri­el­le Druck zum Kin­der­reich­tum. Im Gegen­teil: Urba­ni­sie­rung, staat­li­che Ren­ten, der Anstieg der Fabrik­ar­beit und des Dienst­leis­tungs­sek­tors mach­ten das Kind bald von »kos­ten­frei­er Arbeits­kraft« zu einem »teu­ren Hob­by«. Erst­mals in der Mensch­heits­ge­schich­te wur­de ein hedo­nis­ti­sches Leben im »Sin­gle­haus­halt« tech­nisch mög­lich und gleich­zei­tig gesell­schafts­fä­hig. Zwar wol­len vie­le die Glücks­ge­füh­le einer Mut­ter- und Vater­schaft wei­ter­hin nicht mis­sen, doch dazu rei­chen ihnen meist ein bis zwei Kin­der. Hohe Schei­dungs­ra­ten tra­gen eben­falls zum Kin­der­man­gel bei. Eine dyna­mi­sche, indi­vi­dua­lis­ti­sche Markt­wirt­schaft, wel­che die stän­di­sche Gesell­schaft ersetzt, drückt eben­falls auf die Gebur­ten­ra­ten. Auch wenn wir heu­te oft unse­re Vor­fah­ren als poli­tisch und reli­gi­ös unter­drückt abtun, so ste­hen wir heu­te nicht min­der unter Druck: Kon­kur­renz­druck, Leis­tungs­druck und Inno­va­ti­ons­druck über­for­dern vie­le Men­schen systematisch.

Im gro­ßen und gan­zen bekräf­tigt am Ende jedes Volk, das aus einer tra­di­tio­nel­len Pha­se in die Moder­ne ein­tritt, die The­se, daß par­al­lel dazu die Bereit­schaft zur Fort­pflan­zung schwindet.

Zurück zum Aus­tra­li­schen Pracht­kä­fer. Wie die Insek­ten, so ent­schei­den sich heu­te welt­weit Mil­li­ar­den Men­schen gegen Kin­der und für eine ste­ri­le Befrie­di­gung ihrer Sexu­al­trie­be. Die Ver­hin­de­rung der Zeu­gung bzw. ihre nach­träg­li­che Rück­gän­gig­ma­chung stel­len eine gigan­ti­sche Indus­trie dar. Als »Repro­duc­ti­ve rights« wird die­ses Fun­da­ment der »frei­en Lie­be« und sexu­el­len Selbst­ver­wirk­li­chung mit fast reli­giö­sem Eifer ver­tei­digt. Auch hier erken­nen wir eine sozia­le Aus­wir­kung des tech­ni­schen Fort­schritts. Er maxi­mier­te zugleich che­misch (Pil­le), kom­mu­ni­ka­tiv (Dating­platt­for­men) und audio­vi­su­ell (Por­no­gra­phie) die Mög­lich­kei­ten, den Sexu­al­trieb fol­gen­los auszuleben.

Was Mit­te des 20. Jahr­hun­derts lang­sam begann, explo­dier­te mit der Erfin­dung des Inter­nets und des Smart­phones. Pro­mis­kui­tät und Por­no­gra­phie sind heu­te all­ge­gen­wär­tig. Inter­net- und Por­no­sucht gras­sie­ren. Gegen den digi­ta­len Hyper­rea­lis­mus und die stän­di­ge, anony­me Ver­füg­bar­keit sind vor allem jun­ge Män­ner ähn­lich wehr­los wie die Pracht­kä­fer. Dabei ver­küm­mert die natür­li­che Erfah­rung von Lie­be und Ero­tik. Wie der Aus­tra­li­sche Pracht­kä­fer an der Glas­fla­sche, so klebt ein guter Teil der Jugend an ihren Bild­schir­men. Per­ver­se Fixie­run­gen bis hin zu Potenz­stö­run­gen sind auch bei jun­gen Men­schen kei­ne Sel­ten­heit mehr. Auch ande­re, weni­ger anrü­chi­ge For­men der »Selbst­ver­wirk­li­chung« (exzes­si­ver Kraft­sport, aus­ge­dehn­te Welt­rei­sen, aller­lei Selbst­op­ti­mie­rung, fern­öst­li­che Reli­gio­si­tät), erfül­len die Funk­ti­on der Glas­fla­schen. Die Kon­sum­ge­sell­schaft wirkt wie ein gro­ßer demo­gra­phi­scher Fla­schen­hals. Ein guter Teil der Men­schen, die heu­te in moder­nen Gesell­schaf­ten leben, wird sei­ne Gene nicht wei­ter­ge­ben. Die­se Men­schen schei­den frei­wil­lig aus dem Strom des Lebens aus und amü­sie­ren sich ins Nichts. Die­ses Aus­lö­schungs­er­eig­nis hat epi­sche Aus­ma­ße. Die Fra­ge, wie man es über­le­ben und der »Ver­lo­ckung der Glas­fla­schen« wider­ste­hen kann, ent­schei­det über Leben und Tod gan­zer Kul­tu­ren. Auch ohne die Bedro­hung des »gro­ßen Aus­tauschs« stellt das »gro­ße Aus­ster­ben« eine exis­ten­ti­el­le Her­aus­for­de­rung dar. Ost­eu­ro­päi­sche Län­der, die von Über­frem­dung noch ver­schont sind, kämp­fen seit Jahr­zehn­ten gegen den Ein­bruch ihrer Gebur­ten­ra­ten an.

 

 

II.

 

»Zehn Bäu­me für jedes Kind!« ver­sprach Vik­tor Orbán Anfang 2020 in einer pro­gram­ma­ti­schen Rede. Es war der sym­bo­li­sche Höhe­punkt eines regel­rech­ten »Gebur­ten­feld­zugs«, den er in Ungarn star­te­te. Seit der Revo­lu­ti­on von 1989 sank die Bestands­er­hal­tungs­ra­te von knapp zwei Kin­dern pro Frau auf einen Tief­stand von 1,23. Orbáns Maß­nah­men dage­gen kön­nen als vor­bild­lich betrach­tet wer­den. Neben zehn sym­bo­li­schen Setz­lin­gen, die für jeden neu­en Ungarn gepflanzt wer­den, gibt es groß­zü­gi­ge Kre­di­te. Jedes Paar bekommt 30.000 Euro, die nicht zurück­ge­zahlt wer­den müs­sen, sobald das drit­te Kind auf die Welt kommt. Dazu wer­den Woh­nun­gen und Klein­bus­se für Fami­li­en groß­zü­gig geför­dert. Die Gebur­ten­ra­te stieg bis zum Jahr 2020 aller­dings ledig­lich auf 1,56, um in der Coro­na-Zeit wie­der abzu­sa­cken. Orbáns Ziel, sie bis zum Jahr 2030 auf 2,1 zu heben, ist daher sehr ambi­tio­niert. Län­der mit ähn­li­chen nata­lis­ti­schen Ansät­zen wie Polen und Süd­ko­rea ste­hen kaum bes­ser da. Offen­bar wiegt eine staat­li­che Ein­mal­zah­lung die Opfer der Eltern­schaft nicht auf. Solan­ge jun­ge Unga­rin­nen lie­ber Tik­Tok-Influen­ce­rin­nen und jun­ge Ungarn lie­ber »Digi­tal nomads« wer­den wol­len, hat auch Orbán mit einer »Bestechung« von 30.000 Euro wenig Chan­cen. Eine hedo­nis­ti­sche Gesell­schaft mit Geld zu bewer­fen führt offen­bar nicht dazu, daß die Gebur­ten­ra­te auf das Niveau der Bestands­er­hal­tung steigt.

Es ist durch­aus wider­sprüch­lich, wenn moder­ne, säku­la­re Staa­ten ver­su­chen, die kol­lek­ti­ve Fort­pflan­zungs­ver­wei­ge­rung mit zen­tra­lis­ti­schen Maß­nah­men und öko­no­mi­schen Anrei­zen zu über­win­den. Denn Zen­tra­li­sie­rung, Säku­la­ri­sie­rung und die Ato­mi­sie­rung orga­ni­scher Gemein­schaf­ten zur Zucht des staats­un­mit­tel­ba­ren Bür­gers waren gera­de die gro­ßen Trei­ber der Kin­der­ar­mut. Doch auch die­se teils ver­geb­li­chen Ver­su­che sind um vie­les bes­ser als die Opti­on der »Erset­zungs­mi­gra­ti­on«.

 

 

III.

 

Rund 1,5 Mil­lio­nen Ein­wan­de­rer pro Jahr wird Deutsch­land in Zukunft benö­ti­gen, um das demo­gra­phi­sche Faß ohne Boden zu stop­fen. So ver­kün­de­te es kürz­lich die soge­nann­te Wirt­schafts­wei­se Moni­ka Schnit­zer. Die Bevöl­ke­rungs­po­li­tik der BRD ist damit eine Vari­an­te des »demo­gra­phi­schen Vam­pi­ris­mus«. Er begann mit dem Import von Fremd­ar­bei­tern. Nach dem Fall der Sowjet­uni­on saug­te man die Bal­kan­staa­ten regel­recht aus. Seit den 1990er Jah­ren ver­lo­ren bei­spiels­wei­se Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na 24 Pro­zent, Bul­ga­ri­en 21 Pro­zent und Mol­da­wi­en 32 Pro­zent ihrer Bevöl­ke­rung. Nach­dem in Ost­eu­ro­pa nichts mehr zu holen war, wand­te sich der nim­mer­sat­te Wes­ten Afri­ka und dem ara­bi­schen Raum zu.

Lang­fris­ti­ge Lie­fer­zo­nen für Erset­zungs­mi­gra­ti­on stel­len nur noch die tra­di­tio­nel­len, vor­mo­der­nen Gesell­schaf­ten dar. Die Ver­ach­tung, die man etwa gegen den dor­ti­gen »Stein­zeit­is­lam« hegt, steht in grel­lem Kon­trast zum demo­gra­phi­schen Heiß­hun­ger, mit dem der »Youth Bul­ge« impor­tiert wird. Ohne Islam, ohne Patri­ar­chat und Stam­mes­struk­tu­ren gäbe es wohl kei­nen der­ar­ti­gen Über­schuß an abwan­de­rungs­wil­li­gen Jungmännern.

Die Masche der Erset­zungs­mi­gra­ti­on scheint auf den ers­ten Blick auf­zu­ge­hen: Die impor­tier­ten Human­res­sour­cen »ver­jün­gen« die Bevöl­ke­rung deut­lich. Eine Bedui­nen­fa­mi­lie, die ihre pro­na­ta­lis­ti­sche Hal­tung in den west­li­chen Sozi­al­staat impor­tiert, erlebt in einer Sozi­al­woh­nung in Ber­lin oder Wien meist einen klei­nen »Baby­boom«. Eben­so folgt aber auch bei Migran­ten ein »Baby­bust« – meist ab der zwei­ten Gene­ra­ti­on. Die Nach­kom­men pas­sen sich der anti­na­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft an.

Ganz abge­se­hen davon, daß die impor­tier­ten »Fach­kräf­te« nicht das hal­ten, was die Migra­ti­ons­lob­by ver­sprach, ist die­se Opti­on kei­ne lang­fris­ti­ge Ant­wort auf das »gro­ße Aus­ster­ben«. Anstatt die demo­gra­phi­sche Kri­se zu lösen, erzeugt die Erset­zungs­mi­gra­ti­on wei­te­re Pro­ble­me. Das Land wird eth­nisch frag­men­tiert. Über­frem­dung und die Über­las­tung des Gesund­heits- und Schul­sys­tems drü­cken wei­ter auf ein­hei­mi­sche Gebur­ten­ra­ten. Ein­hei­mi­sche müs­sen für ihre Kin­der Mehr­kos­ten für Pri­vat­schu­len, Pri­vat­ärz­te und ande­res Aus­weich­ver­hal­ten leisten.

Remi­gra­ti­on wäre die ange­mes­se­ne Ant­wort auf Isla­mi­sie­rung und Über­frem­dung. Doch auch Mil­lio­nen Abschie­bun­gen sind kei­ne Lösung für das »gro­ße Aus­ster­ben« der Ein­hei­mi­schen. Gibt es einen Aus­weg? Hier lohnt es sich, von jenen zu ler­nen, die das Aus­lö­schungs­er­eig­nis über­stan­den haben.

 

IV.

 

Eini­gen Grup­pen gelingt es, auch unter den Bedin­gun­gen eines moder­nen, säku­la­ren Staa­tes dem Nie­der­gang zu wider­ste­hen. Pro­mi­nen­te Bei­spie­le sind die Amish und die Mor­mo­nen in den USA und die ortho­do­xen Juden in Isra­el. Letz­te­re könn­ten mit einer Gebur­ten­ra­te von vier bald die rela­ti­ve Mehr­heit in ihrem Staat stel­len. Die­se pro­na­ta­lis­ti­schen Gemein­schaf­ten sam­meln sich um eine mobi­li­sie­ren­de Idee und eine moti­vie­ren­de Erzäh­lung, die sie nach innen ver­eint und nach außen abschirmt. Die­se ideo­lo­gi­sche Sphä­re immu­ni­siert ihre Insas­sen gegen vie­le anti­na­ta­lis­ti­sche Effek­te einer moder­nen, säku­la­ren Gesell­schaft. Gleich­zei­tig kön­nen sie die moder­nen mate­ri­el­len Mög­lich­kei­ten von Sozi­al­hil­fe bis zur medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung voll aus­kos­ten, was ein enor­mes Wachs­tum bewirkt. Star­ker Zusam­men­halt und öko­no­mi­sche Soli­da­ri­tät federn die Ato­mi­sie­rung und den moder­nen Kon­kur­renz­druck moder­ner Gesell­schaf­ten ab. Sie schaf­fen es, ihre Sub­sys­te­me, in denen nach wie vor pro­na­ta­lis­ti­sche mora­li­sche Prin­zi­pi­en domi­nie­ren, in moder­ne Gesell­schaf­ten zu inte­grie­ren. In dem Buch The Pragmatist’s Gui­de to Craf­ting Reli­gi­on ana­ly­sie­ren Simo­ne und Mal­colm Coll­ins die­sen Trend. Ihre The­se lau­tet: Fun­da­men­ta­lis­ti­sche und pro­na­ta­lis­ti­sche Gemein­schaf­ten könn­ten die moder­nen west­li­chen Staa­ten nach deren »demo­gra­phi­schem Kol­laps« über­neh­men. In den USA wur­de eine Zeit­lang sogar die The­se des demo­gra­phi­schen »Mor­mon Take­over« diskutiert.

Die Autoren set­zen auf die Grün­dung pro­na­ta­lis­ti­scher libe­ra­ler, huma­nis­ti­scher »Tri­bes«. Doch die­se Idee ist ver­mut­lich zum Schei­tern ver­ur­teilt. Nur ein Wert, der grö­ßer ist als das Leben an sich, erschafft den Idea­lis­mus und die Opfer­be­reit­schaft, die not­wen­dig sind, damit sol­che Gemein­schaf­ten gegrün­det wer­den. Die­ser Wert muß gelebt und geglaubt und kann nicht kon­stru­iert und gesetzt wer­den. Ortho­do­xe Juden bekom­men bei­spiels­wei­se nicht pri­mär des­halb vie­le Kin­der, weil sie bloß ihre Gene ver­brei­ten wol­len. Sie ver­ste­hen sich und ihre Gemein­schaft als Trä­ger und Ver­kör­pe­rung eines gött­li­chen Wil­lens. Fort­pflan­zung wird damit eine Art Got­tes­dienst: je mehr Kin­der, des­to grö­ßer die Chan­ce auf die Wie­der­kehr des Mes­si­as und des­to siche­rer die Bewah­rung der sakra­len Tradition.

Über­all da, wo star­ke Erzäh­lun­gen in Form von Reli­gio­nen oder Ideo­lo­gien gene­ra­tio­nen­über­grei­fen­de Gemein­schaf­ten bil­den, hal­ten die Gebur­ten­ra­ten stand. Gera­de, weil in die­sen Gemein­schaf­ten kei­ne bio­lo­gi­sche Fixie­rung auf Gebur­ten und Demo­gra­phie vor­herrscht, scheint die­ser Effekt ein­zu­tre­ten. Sie geben eine für ihre Mit­glie­der über­zeu­gen­de Ant­wort auf die Fra­ge: »Wozu über­haupt leben und das Leben wei­ter­ge­ben?« Der Ret­tungs­an­ker gegen das »gro­ße Aus­ster­ben« sind anschei­nend tran­szen­den­te, über­le­bens­gro­ße Ideen und die aus ihnen fol­gen­den Prin­zi­pi­en für Fami­lie und Sexualität.

Wie könn­te eine iden­ti­tä­re Fami­li­en- und Gebur­ten­po­li­tik die­sen Erkennt­nis­sen Rech­nung tra­gen? Müß­te dazu die gesam­te Gesell­schaft remis­sio­niert oder gar in eine Theo­kra­tie ver­wan­delt wer­den? Müß­te man wie die Amish die moder­ne Tech­no­lo­gie auf­ge­ben? Rea­lis­ti­scher scheint ein »demo­gra­phi­sches Zwei­kam­mern­sys­tem«. Anstatt wie mit der Gieß­kan­ne Gebur­ten­prä­mi­en über das gan­ze Volk aus­zu­schüt­ten (und damit gera­de in west­li­chen Staa­ten einen mas­si­ven »Pull­fak­tor« für Migran­ten zu schaf­fen), käme es zu einer geziel­ten För­de­rung aus­ge­wähl­ter Gemein­schaf­ten. In Deutsch­land kämen hier vor allem tra­di­tio­nel­le Katho­li­ken, der erz­ge­bir­gi­sche »Bible Belt«, fami­li­en­ori­en­tier­te Natio­nal­kon­ser­va­ti­ve und ähn­li­che Grup­pen in Betracht. Die­se Milieus könn­ten mit groß­zü­gi­gen Pri­vat­schul­ge­set­zen, Kul­tur­för­de­run­gen, Steu­er­ver­güns­ti­gun­gen usw. direkt und indi­rekt sub­ven­tio­niert wer­den. Der Staat Isra­el betreibt die­se Poli­tik seit lan­gem für ultra­or­tho­do­xe Juden. Die­se maß­ge­schnei­der­te Fami­li­en­po­li­tik ent­spricht teil­wei­se dem Kon­zept des »Not­fall­i­ber­ta­ris­mus« (Mar­tin Licht­mesz) und der »Stra­te­gie der Sammlung«.

Statt all­ge­mei­ner, zen­tra­lis­ti­scher Maß­nah­men unter­stützt der Staat gezielt pro­na­ta­lis­ti­sche, ein­hei­mi­sche Milieus, indem er sie vor allem frei­er gewäh­ren läßt. Im demo­gra­phi­schen Fla­schen­hals des »gro­ßen Aus­ster­bens« wür­de der hedo­nis­tisch-indi­vi­dua­lis­ti­sche Teil des Volks frei­wil­lig aus der Geschich­te schei­den. Par­al­lel dazu könn­te aus einem lebens­be­ja­hen­den, tra­di­tio­na­lis­ti­schen Keim das Volk nach­wach­sen. Die­se Poli­tik setzt kei­ne gesamt­na­tio­na­le kul­tu­rel­le Renais­sance vor­aus. Libe­ra­le Hedo­nis­ten müß­ten ihren ste­ri­len hedo­nis­ti­schen Lebens­stil in urba­nen Milieus nicht auf­ge­ben. Sie leis­te­ten statt des­sen durch erhöh­te Steu­ern einen Bei­trag zur Unter­stüt­zung pro­na­ta­lis­ti­scher Milieus. Die­se finan­zi­el­le Mehr­leis­tung ist mehr als gerecht­fer­tigt. Unter­su­chun­gen der Ver­brau­cher­zen­tra­le Bay­ern erga­ben, daß Eltern rund 175.000 Euro Mehr­kos­ten für jedes Kind selbst tra­gen müs­sen. Ab einer gewis­sen Fami­li­en­grö­ße soll­ten Eltern, wenn sie das wol­len, weit­ge­hend zur Erzie­hung ihrer Kin­der und Pfle­ge ihrer Gemein­schaf­ten frei­ge­stellt wer­den. Da die­se Kin­der im Unter­schied zu impor­tier­ten Fach­kräf­ten auch tat­säch­lich die Ren­ten für den ein­sa­men Ruhe­stand der Hedo­nis­ten bezah­len wer­den, liegt ihre För­de­rung in deren eige­nem Interesse.

Zwi­schen dem hedo­nis­ti­schen und dem lebens­be­ja­hen­den Milieu könn­te so eine fried­li­che Koexis­tenz und das besag­te »demo­gra­phi­sche Zwei­kam­mern­sys­tem« ent­ste­hen. Wer will, kann jeweils sein Milieu ver­las­sen und sich im ande­ren ansie­deln. Die Mit­glie­der pro­na­ta­lis­ti­scher Gemein­schaf­ten müß­ten jene, die sich aus frei­en Stü­cken für einen libe­ra­len, hedo­nis­ti­schen Lebens­stil ent­schei­den, nicht ver­ach­ten oder über­eif­rig mis­sio­nie­ren. Zeit­ge­nos­sen, die sich für die »Ver­su­chung der Glas­fla­sche« gegen die Wei­ter­ga­be des Lebens ent­schie­den haben, kann man kaum den eige­nen Lebens­wil­len auf­nö­ti­gen. Der Sub­kul­tur des Lebens genügt der Glau­be an ihren lei­ten­den Lebens­sinn, die Freu­de an ihren Kin­dern – und die stil­le Gewiß­heit, daß sie die Zukunft erben werden!

Martin Sellner

Martin Sellner ist Kopf der österreichischen Identitären Bewegung.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)