Prachtkäfer sind recht einfach gestrickt: Das Objekt ihrer Begierde muß gelb, glänzend und rundlich sein. Dabei gilt: je größer das Weibchen, desto anziehender. All diese Merkmale trafen auf die Form australischer Bierflaschen zu. Die männlichen Prachtkäfer erlagen dem »Hyperrealismus« dieser gläsernen Versuchung scharenweise. Bald sah man überall weggeworfene Bierflaschen, die mit liebestollen Männchen übersät waren. Sie ließen ihre Weibchen links liegen, und es kam zum landesweiten Einbruch der Prachtkäferpopulation. Erst eine Änderung von Farbe und Form der Bierflaschen konnte das Aussterben der Insekten aufhalten. Das »große Aussterben« der zivilisierten, verwestlichten Völker erinnert frappant an diese Episode. Doch es gibt einen Ausweg.
I.
Im Science-fiction-Film Children of Men wird eine außergewöhnliche Dystopie gezeichnet. In der nahen Zukunft verbreitet sich ein Virus, der fast alle Menschen unfruchtbar macht. Die Völker altern und sterben langsam aus. Die antinatalistische Geisteshaltung und Gesellschaftsstruktur bewirken heute in den meisten zivilisierten Erdteilen dasselbe wie im Film das Virus. Sobald ein Volk die Schwelle zur modernen Industriegesellschaft überschritten hatte, folgten Urbanisierung, Rationalisierung und Säkularisierung. Parallel dazu brachen die Geburtenraten ein und sanken unter das Bestanderhaltungsniveau von 2,1 Kindern pro Frau. Dabei garantierte der moderne Sozialstaat, erstmals in der Weltgeschichte, die medizinische Versorgung und Verpflegung jedes Menschen. Verglichen mit früher, war es nie sicherer und leichter, Kinder zu zeugen und am Leben zu halten. Warum entscheiden sich so unterschiedliche Völker wie Japaner, Deutsche, Russen und Chinesen gegen Kinder?
In vorindustriellen und traditionellen Gesellschaften sorgten vor allem zwei Faktoren für Kinderreichtum. Materiell betrachtet, stellten Kinder kostenfreie Arbeitskräfte und eine sichere Altersvorsorge dar. In Agrargesellschaften waren rund 80 Prozent der Bevölkerung in der Nahrungsproduktion und Landwirtschaft tätig. Kinder waren nicht vor allem eine Frage der Vorliebe, sondern schlicht lebensnotwendig. Wehe dem, der unter diesen Umständen unfruchtbar war. Der materiell-ökonomische Druck ging Hand in Hand mit religiösen Geboten: Die meisten Religionen kannten Sittengesetze, die Geschlechtsverkehr und Fortpflanzung untrennbar miteinander verbanden. Eine funktionalistische Analyse darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß die damaligen Gesellschaften ehrlich glaubten, daß Kinderreichtum ein Gottesgeschenk sei, dessen Ablehnung eine Sünde bedeute. Die Moderne führte zur Rationalisierung und Technisierung aller Lebensbereiche. Zahlreiche Säkularisierungsschübe bauten Glaube, religiöse Moral und ihre sittlichen Prinzipien ab. Sexualität trennte sich langsam von der Frage der Fortpflanzung. Moralisches Pflichtgefühl und gesellschaftliche Konventionen schwanden, ebenso wie der materielle Druck zum Kinderreichtum. Im Gegenteil: Urbanisierung, staatliche Renten, der Anstieg der Fabrikarbeit und des Dienstleistungssektors machten das Kind bald von »kostenfreier Arbeitskraft« zu einem »teuren Hobby«. Erstmals in der Menschheitsgeschichte wurde ein hedonistisches Leben im »Singlehaushalt« technisch möglich und gleichzeitig gesellschaftsfähig. Zwar wollen viele die Glücksgefühle einer Mutter- und Vaterschaft weiterhin nicht missen, doch dazu reichen ihnen meist ein bis zwei Kinder. Hohe Scheidungsraten tragen ebenfalls zum Kindermangel bei. Eine dynamische, individualistische Marktwirtschaft, welche die ständische Gesellschaft ersetzt, drückt ebenfalls auf die Geburtenraten. Auch wenn wir heute oft unsere Vorfahren als politisch und religiös unterdrückt abtun, so stehen wir heute nicht minder unter Druck: Konkurrenzdruck, Leistungsdruck und Innovationsdruck überfordern viele Menschen systematisch.
Im großen und ganzen bekräftigt am Ende jedes Volk, das aus einer traditionellen Phase in die Moderne eintritt, die These, daß parallel dazu die Bereitschaft zur Fortpflanzung schwindet.
Zurück zum Australischen Prachtkäfer. Wie die Insekten, so entscheiden sich heute weltweit Milliarden Menschen gegen Kinder und für eine sterile Befriedigung ihrer Sexualtriebe. Die Verhinderung der Zeugung bzw. ihre nachträgliche Rückgängigmachung stellen eine gigantische Industrie dar. Als »Reproductive rights« wird dieses Fundament der »freien Liebe« und sexuellen Selbstverwirklichung mit fast religiösem Eifer verteidigt. Auch hier erkennen wir eine soziale Auswirkung des technischen Fortschritts. Er maximierte zugleich chemisch (Pille), kommunikativ (Datingplattformen) und audiovisuell (Pornographie) die Möglichkeiten, den Sexualtrieb folgenlos auszuleben.
Was Mitte des 20. Jahrhunderts langsam begann, explodierte mit der Erfindung des Internets und des Smartphones. Promiskuität und Pornographie sind heute allgegenwärtig. Internet- und Pornosucht grassieren. Gegen den digitalen Hyperrealismus und die ständige, anonyme Verfügbarkeit sind vor allem junge Männer ähnlich wehrlos wie die Prachtkäfer. Dabei verkümmert die natürliche Erfahrung von Liebe und Erotik. Wie der Australische Prachtkäfer an der Glasflasche, so klebt ein guter Teil der Jugend an ihren Bildschirmen. Perverse Fixierungen bis hin zu Potenzstörungen sind auch bei jungen Menschen keine Seltenheit mehr. Auch andere, weniger anrüchige Formen der »Selbstverwirklichung« (exzessiver Kraftsport, ausgedehnte Weltreisen, allerlei Selbstoptimierung, fernöstliche Religiosität), erfüllen die Funktion der Glasflaschen. Die Konsumgesellschaft wirkt wie ein großer demographischer Flaschenhals. Ein guter Teil der Menschen, die heute in modernen Gesellschaften leben, wird seine Gene nicht weitergeben. Diese Menschen scheiden freiwillig aus dem Strom des Lebens aus und amüsieren sich ins Nichts. Dieses Auslöschungsereignis hat epische Ausmaße. Die Frage, wie man es überleben und der »Verlockung der Glasflaschen« widerstehen kann, entscheidet über Leben und Tod ganzer Kulturen. Auch ohne die Bedrohung des »großen Austauschs« stellt das »große Aussterben« eine existentielle Herausforderung dar. Osteuropäische Länder, die von Überfremdung noch verschont sind, kämpfen seit Jahrzehnten gegen den Einbruch ihrer Geburtenraten an.
II.
»Zehn Bäume für jedes Kind!« versprach Viktor Orbán Anfang 2020 in einer programmatischen Rede. Es war der symbolische Höhepunkt eines regelrechten »Geburtenfeldzugs«, den er in Ungarn startete. Seit der Revolution von 1989 sank die Bestandserhaltungsrate von knapp zwei Kindern pro Frau auf einen Tiefstand von 1,23. Orbáns Maßnahmen dagegen können als vorbildlich betrachtet werden. Neben zehn symbolischen Setzlingen, die für jeden neuen Ungarn gepflanzt werden, gibt es großzügige Kredite. Jedes Paar bekommt 30.000 Euro, die nicht zurückgezahlt werden müssen, sobald das dritte Kind auf die Welt kommt. Dazu werden Wohnungen und Kleinbusse für Familien großzügig gefördert. Die Geburtenrate stieg bis zum Jahr 2020 allerdings lediglich auf 1,56, um in der Corona-Zeit wieder abzusacken. Orbáns Ziel, sie bis zum Jahr 2030 auf 2,1 zu heben, ist daher sehr ambitioniert. Länder mit ähnlichen natalistischen Ansätzen wie Polen und Südkorea stehen kaum besser da. Offenbar wiegt eine staatliche Einmalzahlung die Opfer der Elternschaft nicht auf. Solange junge Ungarinnen lieber TikTok-Influencerinnen und junge Ungarn lieber »Digital nomads« werden wollen, hat auch Orbán mit einer »Bestechung« von 30.000 Euro wenig Chancen. Eine hedonistische Gesellschaft mit Geld zu bewerfen führt offenbar nicht dazu, daß die Geburtenrate auf das Niveau der Bestandserhaltung steigt.
Es ist durchaus widersprüchlich, wenn moderne, säkulare Staaten versuchen, die kollektive Fortpflanzungsverweigerung mit zentralistischen Maßnahmen und ökonomischen Anreizen zu überwinden. Denn Zentralisierung, Säkularisierung und die Atomisierung organischer Gemeinschaften zur Zucht des staatsunmittelbaren Bürgers waren gerade die großen Treiber der Kinderarmut. Doch auch diese teils vergeblichen Versuche sind um vieles besser als die Option der »Ersetzungsmigration«.
III.
Rund 1,5 Millionen Einwanderer pro Jahr wird Deutschland in Zukunft benötigen, um das demographische Faß ohne Boden zu stopfen. So verkündete es kürzlich die sogenannte Wirtschaftsweise Monika Schnitzer. Die Bevölkerungspolitik der BRD ist damit eine Variante des »demographischen Vampirismus«. Er begann mit dem Import von Fremdarbeitern. Nach dem Fall der Sowjetunion saugte man die Balkanstaaten regelrecht aus. Seit den 1990er Jahren verloren beispielsweise Bosnien-Herzegowina 24 Prozent, Bulgarien 21 Prozent und Moldawien 32 Prozent ihrer Bevölkerung. Nachdem in Osteuropa nichts mehr zu holen war, wandte sich der nimmersatte Westen Afrika und dem arabischen Raum zu.
Langfristige Lieferzonen für Ersetzungsmigration stellen nur noch die traditionellen, vormodernen Gesellschaften dar. Die Verachtung, die man etwa gegen den dortigen »Steinzeitislam« hegt, steht in grellem Kontrast zum demographischen Heißhunger, mit dem der »Youth Bulge« importiert wird. Ohne Islam, ohne Patriarchat und Stammesstrukturen gäbe es wohl keinen derartigen Überschuß an abwanderungswilligen Jungmännern.
Die Masche der Ersetzungsmigration scheint auf den ersten Blick aufzugehen: Die importierten Humanressourcen »verjüngen« die Bevölkerung deutlich. Eine Beduinenfamilie, die ihre pronatalistische Haltung in den westlichen Sozialstaat importiert, erlebt in einer Sozialwohnung in Berlin oder Wien meist einen kleinen »Babyboom«. Ebenso folgt aber auch bei Migranten ein »Babybust« – meist ab der zweiten Generation. Die Nachkommen passen sich der antinatalistischen Gesellschaft an.
Ganz abgesehen davon, daß die importierten »Fachkräfte« nicht das halten, was die Migrationslobby versprach, ist diese Option keine langfristige Antwort auf das »große Aussterben«. Anstatt die demographische Krise zu lösen, erzeugt die Ersetzungsmigration weitere Probleme. Das Land wird ethnisch fragmentiert. Überfremdung und die Überlastung des Gesundheits- und Schulsystems drücken weiter auf einheimische Geburtenraten. Einheimische müssen für ihre Kinder Mehrkosten für Privatschulen, Privatärzte und anderes Ausweichverhalten leisten.
Remigration wäre die angemessene Antwort auf Islamisierung und Überfremdung. Doch auch Millionen Abschiebungen sind keine Lösung für das »große Aussterben« der Einheimischen. Gibt es einen Ausweg? Hier lohnt es sich, von jenen zu lernen, die das Auslöschungsereignis überstanden haben.
IV.
Einigen Gruppen gelingt es, auch unter den Bedingungen eines modernen, säkularen Staates dem Niedergang zu widerstehen. Prominente Beispiele sind die Amish und die Mormonen in den USA und die orthodoxen Juden in Israel. Letztere könnten mit einer Geburtenrate von vier bald die relative Mehrheit in ihrem Staat stellen. Diese pronatalistischen Gemeinschaften sammeln sich um eine mobilisierende Idee und eine motivierende Erzählung, die sie nach innen vereint und nach außen abschirmt. Diese ideologische Sphäre immunisiert ihre Insassen gegen viele antinatalistische Effekte einer modernen, säkularen Gesellschaft. Gleichzeitig können sie die modernen materiellen Möglichkeiten von Sozialhilfe bis zur medizinischen Versorgung voll auskosten, was ein enormes Wachstum bewirkt. Starker Zusammenhalt und ökonomische Solidarität federn die Atomisierung und den modernen Konkurrenzdruck moderner Gesellschaften ab. Sie schaffen es, ihre Subsysteme, in denen nach wie vor pronatalistische moralische Prinzipien dominieren, in moderne Gesellschaften zu integrieren. In dem Buch The Pragmatist’s Guide to Crafting Religion analysieren Simone und Malcolm Collins diesen Trend. Ihre These lautet: Fundamentalistische und pronatalistische Gemeinschaften könnten die modernen westlichen Staaten nach deren »demographischem Kollaps« übernehmen. In den USA wurde eine Zeitlang sogar die These des demographischen »Mormon Takeover« diskutiert.
Die Autoren setzen auf die Gründung pronatalistischer liberaler, humanistischer »Tribes«. Doch diese Idee ist vermutlich zum Scheitern verurteilt. Nur ein Wert, der größer ist als das Leben an sich, erschafft den Idealismus und die Opferbereitschaft, die notwendig sind, damit solche Gemeinschaften gegründet werden. Dieser Wert muß gelebt und geglaubt und kann nicht konstruiert und gesetzt werden. Orthodoxe Juden bekommen beispielsweise nicht primär deshalb viele Kinder, weil sie bloß ihre Gene verbreiten wollen. Sie verstehen sich und ihre Gemeinschaft als Träger und Verkörperung eines göttlichen Willens. Fortpflanzung wird damit eine Art Gottesdienst: je mehr Kinder, desto größer die Chance auf die Wiederkehr des Messias und desto sicherer die Bewahrung der sakralen Tradition.
Überall da, wo starke Erzählungen in Form von Religionen oder Ideologien generationenübergreifende Gemeinschaften bilden, halten die Geburtenraten stand. Gerade, weil in diesen Gemeinschaften keine biologische Fixierung auf Geburten und Demographie vorherrscht, scheint dieser Effekt einzutreten. Sie geben eine für ihre Mitglieder überzeugende Antwort auf die Frage: »Wozu überhaupt leben und das Leben weitergeben?« Der Rettungsanker gegen das »große Aussterben« sind anscheinend transzendente, überlebensgroße Ideen und die aus ihnen folgenden Prinzipien für Familie und Sexualität.
Wie könnte eine identitäre Familien- und Geburtenpolitik diesen Erkenntnissen Rechnung tragen? Müßte dazu die gesamte Gesellschaft remissioniert oder gar in eine Theokratie verwandelt werden? Müßte man wie die Amish die moderne Technologie aufgeben? Realistischer scheint ein »demographisches Zweikammernsystem«. Anstatt wie mit der Gießkanne Geburtenprämien über das ganze Volk auszuschütten (und damit gerade in westlichen Staaten einen massiven »Pullfaktor« für Migranten zu schaffen), käme es zu einer gezielten Förderung ausgewählter Gemeinschaften. In Deutschland kämen hier vor allem traditionelle Katholiken, der erzgebirgische »Bible Belt«, familienorientierte Nationalkonservative und ähnliche Gruppen in Betracht. Diese Milieus könnten mit großzügigen Privatschulgesetzen, Kulturförderungen, Steuervergünstigungen usw. direkt und indirekt subventioniert werden. Der Staat Israel betreibt diese Politik seit langem für ultraorthodoxe Juden. Diese maßgeschneiderte Familienpolitik entspricht teilweise dem Konzept des »Notfallibertarismus« (Martin Lichtmesz) und der »Strategie der Sammlung«.
Statt allgemeiner, zentralistischer Maßnahmen unterstützt der Staat gezielt pronatalistische, einheimische Milieus, indem er sie vor allem freier gewähren läßt. Im demographischen Flaschenhals des »großen Aussterbens« würde der hedonistisch-individualistische Teil des Volks freiwillig aus der Geschichte scheiden. Parallel dazu könnte aus einem lebensbejahenden, traditionalistischen Keim das Volk nachwachsen. Diese Politik setzt keine gesamtnationale kulturelle Renaissance voraus. Liberale Hedonisten müßten ihren sterilen hedonistischen Lebensstil in urbanen Milieus nicht aufgeben. Sie leisteten statt dessen durch erhöhte Steuern einen Beitrag zur Unterstützung pronatalistischer Milieus. Diese finanzielle Mehrleistung ist mehr als gerechtfertigt. Untersuchungen der Verbraucherzentrale Bayern ergaben, daß Eltern rund 175.000 Euro Mehrkosten für jedes Kind selbst tragen müssen. Ab einer gewissen Familiengröße sollten Eltern, wenn sie das wollen, weitgehend zur Erziehung ihrer Kinder und Pflege ihrer Gemeinschaften freigestellt werden. Da diese Kinder im Unterschied zu importierten Fachkräften auch tatsächlich die Renten für den einsamen Ruhestand der Hedonisten bezahlen werden, liegt ihre Förderung in deren eigenem Interesse.
Zwischen dem hedonistischen und dem lebensbejahenden Milieu könnte so eine friedliche Koexistenz und das besagte »demographische Zweikammernsystem« entstehen. Wer will, kann jeweils sein Milieu verlassen und sich im anderen ansiedeln. Die Mitglieder pronatalistischer Gemeinschaften müßten jene, die sich aus freien Stücken für einen liberalen, hedonistischen Lebensstil entscheiden, nicht verachten oder übereifrig missionieren. Zeitgenossen, die sich für die »Versuchung der Glasflasche« gegen die Weitergabe des Lebens entschieden haben, kann man kaum den eigenen Lebenswillen aufnötigen. Der Subkultur des Lebens genügt der Glaube an ihren leitenden Lebenssinn, die Freude an ihren Kindern – und die stille Gewißheit, daß sie die Zukunft erben werden!