Im Windschatten baut sich auch eine Fragestellung auf, die sich mit einem möglichen migrantischen Wählerpotenzial für die AfD auseinandersetzt. Remigration sei laut mancher AfD-Akteure nicht nur ein Minenfeld für die Exekution staatlicher Repressionsmaßnahmen, sondern darüber hinaus auch eine strategische Sackgasse, die ein noch unentschlossenes Migrantenpotenzial für die AfD auf dem Weg zur bundesweiten 30 %-Zielmarke bremsen würde.
Martin Sellner hat bereits vielfach zur Theorie und Realität der „ethnischen Wahl“ in Ländern wie Frankreich oder Großbritannien geschrieben – auch über die Versuchung verschiedener Rechtsparteien, sich den multiethnischen Realitäten anzupassen und Migranten als wachsende Wählergruppe in die eigenen Mobilisierungsstrategien zu integrieren.
Für das europäische Ausland sind die Befunde eindeutig. In der jüngst erschienenen Studie „Muslims’ Vote Choice: Exclusion and Group Voting in Europe“ wurden in 18 europäischen Ländern Befragungen zum Wahlverhalten und zur politischen Positionierung von Muslimen durchgeführt. 55,9 % der Muslime zeigen eine klare Präferenz für linke Parteien. Bei Nicht-Muslimen lag dieser Wert bei lediglich 25 %. Die generationalen Unterschiede sind dabei marginal. Eher tendieren Muslime der zweiten Generation sogar noch stärker zu linken Parteien.
Diese Erkenntnisse bestätigen sich auch in den meisten Umfragen und Nachwahlbefragungen. Bei den Präsidentschaftswahlen 2022 in Frankreich votierten 69 % der Muslime für den linken Kandidaten Mélenchon (Macron: 14 %) im ersten Wahlgang. Insbesondere in den migrantisch geprägten Pariser Vororten fahren linke Bündnisse immer wieder starke Ergebnisse – deutlich über 50 % – ein.
Auch Großbritannien, als zweites Land mit regelmäßigen Datenerhebungen zum ethnischen Wahlverhalten, zeigt einen stabilen Trend zugunsten mitte-links orientierter Parteien unter ethnischen Minderheiten. Mehr als 60 % der ethnischen Minderheiten entscheiden sich dort für die sozialdemokratische Labour-Party.
Es gibt noch bedeutend mehr internationale Studien, aber in unserem Fall soll uns vor allem die aktuelle Datenlage für Deutschland interessieren. Die Untersuchung migrantischen Wahlverhaltens in Deutschland ist noch frisch. Zur Europawahl 2024 wurde in Exit-Polls auch erstmals die muslimische Konfession für den westdeutschen Raum abgefragt. Die AfD kommt dort nur auf magere 3 %, wohingegen sonstige Parteien 36 % erhalten – darunter mit 17 % die klar ethnozentristisch und religiös ausgerichtete Partei „DAVA – Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“.
Auch die Forschungsgruppe Wahlen (FGW) hat für die letzte Bundestagswahl Wahldaten aus muslimischen Milieus erhoben. Dort kommt die AfD ebenfalls nur auf 6 % Stimmenanteil unter muslimischen Wählern, während SPD und Linkspartei im Verhältnis teilweise mehr als doppelt so stark sind wie zu ihrem Gesamtergebnis. Auch unabhängig von der konkreten konfessionellen Zugehörigkeit läßt sich in der ethnischen Dimension kein klarer Zusammenhang zwischen Migranten und einem erhöhten AfD-Wählerpotenzial feststellen.
In einer Nachwahlbefragung zur Bundestagswahl 2021 in Duisburg – für die „Immigrant German Election Study“ – wurde insbesondere bei türkischem Migrationshintergrund nur eine verminderte AfD-Zustimmung festgestellt. Allerdings weisen Migranten aus dem postsowjetischen Raum – hier insbesondere die Rußlanddeutschen – eine überdurchschnittliche Wahlpräferenz für die AfD auf.
Im Übrigen wurden auch schon für die Bundestagswahl 2017 vereinzelte Nachwahlbefragungen in Studiendesigns zum migrantischen Wahlverhalten eingebaut. Dort wurde für die AfD bei den Deutschtürken der Wert „0“ ausgegeben, da die Stichprobe für die Partei schon viel zu klein gewesen ist.
Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung hat zu Beginn dieses Jahres das erweiterte Wählerpotential der Parteien unter Migranten untersucht. Über eine entsprechende Bewertungsskala kam die AfD in den entsprechenden Befragtengruppen auf die schlechtesten Gesamtpotentialergebnisse unter 20%.
Eine Studie des Sachverständigenrates für Integration und Migration hat zwischen 2016 und 2018 ebenfalls die Entwicklung der Parteipräferenzen verschiedener Migrantengruppen untersucht. Unter Menschen mit Migrationsgrund ist die AfD dort nur halb so stark wie bei Personen ohne Migrationshintergrund. Bei Spätaussiedlern hat man in dieser Studie eine überdurchschnittliche Zustimmung von 12 % festgestellt. Das niedrige Gesamtergebnis wird jedoch vor allem durch die türkeistämmige Wählergruppe (1,1 % AfD-Anteil) heruntergezogen.
Ältere Studien zeigen für Deutschland bis in die 2010er Jahre ein ähnliches Wahlmusterbild, wie es schon in Frankreich und Großbritannien festgestellt wurde. Arabische Migranten bevorzugen eher sozialdemokratische Parteien – osteuropäische eher christdemokratische Parteien. In den letzten 15 Jahren hat sich diese starre Wählerzuordnung zwar etwas aufgelöst und ein wenig über das gesamte Parteienspektrum verteilt. Von einer Rechtsverschiebung ist die Entwicklung jedoch noch sehr weit entfernt.
Zusammenfassend läßt sich festhalten:
1.) Es gibt kein signifikantes migrantisch-rechtes Wählerpotenzial – weder in Westeuropa noch in Deutschland im Speziellen. Eine Ausnahme bilden Spätaussiedler und Migranten aus dem postsowjetischen Raum. Egal ob man nach Frankreich, Großbritannien, Deutschland oder die Niederlande schaut: Migranten mit vordergründig türkischen oder nahöstlichen Wurzeln, wählen verstärkt linke und sozialdemokratische Parteien. Diese Tendenz wurde über die Jahre etwas fluider, hält sich aber in den Daten immer noch recht robust.
2.) Die innere AfD-Debatte um migrantische Wählerpotenziale ist ausschließlich von ideologischer Projektion und anekdotischer Evidenz geprägt. Klar, jeder kennt den türkischen Taxifahrer, der seit 20 Jahren in seiner Stadt fährt und nun über die Verdrängung durch syrische Uber-Fahrer schimpft. Auch die Dönerverkäufer haben im Zuge von Inflation und Wirtschaftskrise über die Ampel-Politik geschimpft.
Über die Ansprache geopolitischer Themenfelder oder Anti-Regenbogen-Agitation soll angeblich eine ideologische Kongruenz mit migrantischen Wählermilieus und der AfD hergestellt werden. Auch hier wird jedoch völlig außer Acht gelassen, daß sich die Themen- und Problemmatrix migrantischer Wähler nicht wesentlich von der autochthonen Bevölkerung unterscheidet.
3.) Die Wahlbeteiligung liegt bei Migranten im Schnitt 15 % niedriger als bei allen Wahlberechtigten. Der Anteil am Gesamtelektorat beträgt ca. 12 %. Warum manche ausgerechnet in dieser Gruppe eine mobilisierende Schlüsselressource erkennen wollen, bleibt schleierhaft. Es gibt durchaus noch andere und größere demografische Gruppen (Frauen, Akademiker, Großstädter), bei denen die AfD unterdurchschnittlich abschneidet und zum Teil deutlich größere Wählerbrocken für sich gewinnen könnte.
Stattdessen wollen einige ihre eigene intellektuelle Experimentierfreudigkeit mit strategischen Mobilisierungs- und Kampagnenfragen vermischen. Reale oder auch vielfach eingebildete Positionsübereinstimmungen etwa mit „konservativen Muslimen“ sind jedoch noch keine Zielgruppenarchitektur. Wahlmotivationen hängen an einer Vielzahl von sozialen und individuellen Faktoren – und einer davon ist für Migranten, wie die europäische Studienlage zeigt, eben auch der konkrete ethnokulturelle Bezugsrahmen.
Man muß als rechte und migrationskritische Partei gewiß nicht in billige und vulgäre Ressentiments verfallen und migrantische Wähler grundsätzlich abschrecken. Aber man sollte durchaus Realität und Erhebungsdaten zur Kenntnis nehmen und daraus auch die richtigen Schlüsse ziehen.
Ist es dann noch immer das richtige Bild ist, sich mit Falafel-Teller auf dem Hermannplatz in Neukölln für die Medien ablichten zu lassen – und entgegen jeglicher Datenlage weiterhin vom migrantischen Phantompotential zu träumen?.
RMH
Danke für die Darstellung. Sie zeigt, dass es migrantisches Wählerpotential durchaus gibt, nur eben nicht bei denen, von denen man es sich aufgrund ihres islamischen Kulturkonservatismus erhofft (wobei die genannten bspw 6% so beachtlich sind, dass es eben zu der im Artikel benannten Wahrnehmungsdissonanz kommen kann). Ergänzend werden kann die sehr gute Darstellung durch den Fakt, dass die Partei die Linke mit ihrer Positionierung Pro-Palästina/ gegen Isreal stark gepunktet haben soll, gerade in Berlin. Hier wäre die AfD aber mit dem berühmten Klammerbeutel gepudert, wenn sie jetzt copy & paste die Israelkritik von der Linken übernähme. Gerade die exemplarisch genannten Berliner MiHiGru-Kreise wissen, dass die Linke die für sie günstigste Partei auch ganz ohne Israelkritik ist, da gerade Linke, Sozaildemokratische Parteien es MiHiGrus ermöglichen, dass sie es sich mit dem Diskriminierungsticket sehr bequem machen können, kein Polizist, kein Mitarbeiter einer Arge/Agentur traut sich doch noch etwas, aus Furcht, er könne "diskriminieren". Selbst bei jedem Autounfall rennen gleich ein dutzend herbei & sorgen z.T. handfest dafür, dass nicht "diskriminiert" wird. So etwas kann die AfD eben nicht bieten, daher sollen die ganze Pro-Palis, Diskriminierungs-Ticket-Fahrer eben weiter die Linke wählen. Eigentlich müsste die AfD im Sinne einer Polarisierungsstrategie noch christlicher, noch mehr pro-Israel werden.