Bulgarien führt die Statistik mit 1,8 Kindern pro Frau an. Malta als Ligaletzter (1,1) liegt Kopf an Kopf mit Litauen, Italien und Spanien. Deutschland: 1,35. Ja, erbärmlich.(Knapp drei Millionen Abgetriebene seit 2000… anderes Thema.)
Wenn man solche Zahlen liest, liegt der Ausruf nahe: „Wir haben es wohl nicht anders verdient!“
Oft wird argumentiert, Kinder könne man sich heute kaum leisten. Dabei ist Bulgarien eines der ärmsten Länder in der EU. Andere Länder wie Moldawien, Kosovo und Georgien sind NOCH ärmer und haben Fertilitätsraten, die teils an der 2‑Kinder-Zahl kratzen.
Es gab in den letzten fünf Jahren hierzulande exakt 4089 Artikel zum Thema Gebärstreik. Unsere “Leitmedien” produzieren wöchentlich Texte mit Überschriften wie “Warum Mutterschaft die Liebe killt”, “Weshalb kinderlose Paare glücklicher sind” oder “Kinderfrei? Ja bitte!” Vielleicht wird eine meiner Urenkelinnen im Rahmen einer Masterarbeit mal die vehement antinatalistische Stimmungsmache in den deutschsprachigen Medien “damals” beleuchten.
Ich möchte, befördert aus eigener Erfahrung, das Dilemma zusammenfassen.
Was gegen eigene Kinder spricht:
- etliche Jahre nicht ausschlafen können,
- etliche Jahre auch ansonsten kein Lotterleben nach Gusto führen können,
- heftige Abneigung gegen Matsch-Winter entwickeln,
- Elternabende besuchen müssen,
- mit Läusen und Verletzungen konfrontiert werden,
- Pubertät.
Mehr fällt mir nicht ein. Ist ja auch viel. Es war wahrlich kein Ponyhof. Ich fand es SEHR anstrengend, sieben Kinder großzubekommen. Noch mehr: Es hatte mich gelegentlich an den Rand der Verzweiflung gebracht. Eine Gefühlslage, die ein wahnsinnig guter Motor sein kann – wenn all das stimmt & paßt, was man heute “Mindset” nennt: innere Einstellung, grundsätzliches Wertegerüst, feste Überzeugungen. Ich würde es wieder tun.
Was für eigene Kinder spricht:
- du warst ganz gut. Sie sind besser. Du wolltest dich ja auch „hinaufpflanzen“. Die einen mögen ihre Traumata vererben, die anderen machen aus den Kindern kein “Projekt”, aber wissen, was zählt. Ich selbst habe 24 Fehler, die meine (lieben) Eltern notorisch machten, einfach unterlassen;
- du mußt dich nie fragen, was eigentlich als nächstes dran ist. Du bist stets gefragt. Das heißt:
- Daseinszweifel? Fehlanzeige
- ab 4+ Kindern hast du quasi einen eigenen Verdienst – und bist der Boss. Deutschland entlohnt Elternschaft weitaus fürstlicher als die meisten anderen Länder. Ein vergessener oder schlechtgeredeter Fakt
- du erwirbst Managerqualitäten. (Gut, vielleicht nicht bei einem Einzelkind.) Früher fand ich das Argument hausbacken und verbrämend. (Ich fand auch die Erhebung vom Hausfrauenstand in die Managerriege entwürdigend.) Aber es ist so. Von einer gestandenen Mehrfachmutter wirst du nie hören, sie könne xy nicht erledigen, weil nächste Woche der 80. Geburtstag der Oma anstehe. Sie kann erstens delegieren, sie kann zweitens drei, vier Dinge quasi auf einmal erledigen. Leichter Streß beginnt für sie dort, wo andere bereits wegen “Nervenzusammenbruch” den Notruf gewählt haben. Im Mainstreamfeuilleton nennen sie das “Selbstausbeutung”. Wir sagen stolz Stahlbad
- du wirst alt. Jeder wird, und es ist ein Makel, wenn du kinderlos bist. Als Vater/Mutter ist das normalerweise durch Respekt begleitet. (Mit dem Argument Kinder als Altenpflegerhelfer fremdele ich…)
- du kriegst eine Bank einfach mal so restauriert (Wissende wissen, was ich meine)
- du kannst tausend aberwitzige Geschichten erzählen, die sonst fehlten (Kind sucht Klo auf im Baumarkt. Und zwar in der Sanitärausstellung. Dies nur eine von 1000.)
- mal ganz banal, die Bilder! Die Gemälde meine ich! Eins meiner Lieblingsbilder begann laut Kind „mit A“. Es war wunderschön und irgendwie technisch. Es war: eine Afindung. (Ich bin eine große Ausmisterin. Aber ca. 100 Gemälde auf 7 Kinder sind wohl nicht zu viel.)
- kalligraphische Skizzen. Mit 8 sehr unbeholfen, mit 10 artig, mit 13 ehrgeizig, und dann mit 16 auf Rudolf-Koch-Niveau;
- all die klassischen Konzerte. Und Opern. Sie kinderfrei durchzuhören stelle ich mir nachgerade langweilig vor. Ich habe meine Kinder von kleinauf immer mitgeschleppt. Das war anstrengend. Sie durften nämlich nie stören. Ja, das war streng, aber es sind sieben Kulturgutträger daraus geworden;
- die ganzen Spiele, die du geliebt hattest (bei mir vor allem Verstecken und Parcours auf Zeit) kannst du mit Abstand erneut spielen. Je mehr Kinder/ Enkel, desto öfter;
- Leselust. Wer eh gern liest, hat mit Kindern ein verzigfachtes Vergnügen. Keiner komme mir damit, daß es „heute“ keine guten Kinderbücher mehr gäbe. Großer Quatsch;
- Leben geben. Du hast tausende Ahnen. Und noch mehr. Wer bist du, jetzt einfach Schluß zu machen? Nichts toppt dieses Argument.
- Postpubertät. Im schlimmeren Fall hattest du zwei, drei Jahre einen wirklich unausstehlichen Menschen bei dir wohnen. Dann die Entpuppung. Es ist wie einen ätzend steilen Berg zu besteigen. Du fluchst. Alles schmerzt. Du willst einfach nur aufgeben. Dann bist du oben und siehst wie zufällig, wie aus einem häßlichen Kokon ein Schmetterling schlüpft. Nichts könnte schöner sein!
- Wenn sie groß sind und nichts Schlimmes dazwischengekommen ist, hast du echte Freunde. Zum Reden, Tratschen, zum gegenseitig Helfen. Es sind ja Leute, die mehr oder minder wie du denken. (Im geglückten Fall jedenfalls. Glaube, es hat geholfen, Gott regelmäßig für sieben geglückte Fälle zu danken)
- nicht zuletzt: Wer seine Kinder so RICHTIG und aus vollem Herzen und aus Leidenschaft liebte, wird Kinder haben, die gleichziehen. Sprich: auch viele Kinder haben! Und dann kommt es zu solchen kleinen weichen Wesen, die dir irgendwann in den Schoß gelegt werden: Niedlichkeiten, Fortsetzung, solche, die vielleicht dein musikalisches Gen oder das schriftstellerische geerbt haben oder auch bloß dein Grübchen in der rechten Wange. Oder die Sehnsucht, die Leidenschaft und das furchtbar Sture.
Morgen werden mir sicher zehn gute Gründe einfallen, die ich heute vergessen habe. Oder zwanzig. Es gibt einfach gar keinen guten Grund dagegen.
Ernestine
Als gläubiges katholisches Ehepaar waren wir selbstverständlich offen für Kinder. Wir haben diese Entscheidung nie bereut. Die Kleinkinderzeit war für uns als kontemplativ veranlagte Eltern extrem anstrengend. Die zusätzliche psychische Verarbeitung eines frühkindlichen Traumas brachte mich zeitweise an den Rand des Erträglichen. Unsere beiden Söhne sind jetzt Anfang 20 und unser ganzer Stolz. Kinder gehören zur Selbstwerdung und Vollendung eines Menschenlebens einfach dazu. Das begreift man erst, wenn man älter ist... Und je mehr Kinder man geschenkt bekommt, desto reicher wird das Leben...