Die Äußerlichkeiten scheinen den Charakter widerzuspiegeln, das erkennt der Leser, wenn er die Mussolini-Biographie von Hans Woller mit Verweis auf den Faschismus-Experten Arrigo Petacco zu Rate zieht. Pavolini war eine Art »faschistischer Jakobiner«, und mit dieser inbegriffenen Härte organisierte er den Schauprozeß gegen die Abtrünnigen des Großen Faschistischen Rates, die im Juli 1943 Mussolini abgesetzt hatten.
Mit diesem Hintergrundwissen liegt die Vermutung nahe, daß Pavolinis Erzählungen im Band Die Lichter des Dorfes ein In Stahlgewittern des Grauens darstellen. In ihnen weisen Leichenberge – diesmal nicht der an Ehren gleichwertigen Soldaten, sondern des würdelosen und entmenschlichten politischen Gegners – die Orientierung zur sicheren heimischen Stellung.
Ringt sich der Leser durch und nimmt den mit reichlich Attributen versehenen Band zur Hand – unter ihnen wird sicher »faschistisch« fallen –, erschließt sich ein breites Panorama:
In der dem Band den Namen gebenden Erzählung erscheint Filippo in einem typisch italienisch wirkenden Dorf. Gekleidet in einem Gabardinerock mit aufgeschlagenem Kragen und weißem Besatz, umgibt ihn eine militärische Aura. Er und seine Männer machen einen Rundgang durchs Dorf und kehren in ein Lokal ein, in dem eine blutrote Versammlung tagt. Es ist eine eisige Atmosphäre, die mit den Erfahrungen der politischen Unruhe jederzeit mit einem Flaschenwurf oder Revolverschuß eskalieren könnte.
Die Lichter im Dorf erlöschen, die Bewohner lachen. Wenig später stellt sich heraus, daß der Gewerkschaftsfunktionär und despotische Herrscher des Dorfes, gegen den sich die Bewohner ohne Hilfe von außen nicht behaupten können, hinter der regelmäßigen Verdunklung steckt und in diesen Momenten zu seiner Geliebten schleicht.
Das unsichtbare Band, das alle Erzählungen zusammenhält, ist keine Ideologie oder der Faschismus, der in den Erzählungen »Die Lichter des Dorfes« und »Das ganz schwarze Hemd« politisch identifizierbar in Kleidung und militärischer Haltung am stärksten zutage tritt. Es ist die atmosphärische Melancholie, in der die Figuren und die Handlung beschrieben werden, und es scheint, als wüßten sie – allen voran der Autor –, welche Umbrüche die nahe Zukunft bringt.

Auf literarischer Ebene sind Die Lichter des Dorfes soziale Vergrößerungsgläser, die sich in der ausgeprägten Beobachtungsgabe und Symbolik allenfalls in Gabriele D’Annunzios Roman Das Feuer finden lassen. Im Kontext der Intensität ist es verwunderlich, daß die Erzählungen im deutschsprachigen Raum zwar mit einer Gesamtauflage von 40 000 Exemplaren erschienen, aber eine literaturwissenschaftliche Einordnung nicht erfolgte.
Eine Publikation unter diesen Vorzeichen wird das klassische Feuilleton – wenn es sich überhaupt dazu durchringt, sie wahrzunehmen – kaum als Provokation werten, weil es der unspektakuläre Inhalt, abseits der hohen literarischen Qualität, kaum zulässt. Das Dogma der Trennung zwischen Werk und Autor mag zwar im literaturwissenschaftlichen Rahmen funktionieren, findet in der öffentlichen Auseinandersetzung keine Anwendung.
Diese Erzählungen werden ein Beispiel dafür sein, wie der Biographismus, der Ort der Veröffentlichung und die Tatsache, daß dem Werk überhaupt Raum gegeben wird, über eine textuelle Auseinandersetzung hinwegtäuschen – wie es der Poststrukturalist Roland Barthes in Der Tod des Autors idealerweise fokussierte. Denn Texte entwickeln unabhängig von ihren Umständen ein Eigenleben, und am Ende zählt nichts außerhalb des Textes!
Die gesellschaftlich prägende Norm verdrängt mit Die Lichter des Dorfes ein exzellentes Werk, das bislang nur unter der Hand kursierte – nun bietet sich die Möglichkeit, es breiter, selbstverständlich in den Ausprägungen kritisch, zu diskutieren. Für diese Diskussion muß Raum geschaffen, vielleicht sogar erobert werden!
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Alessandro Pavolini: Die Lichter des Dorfes, Schnellroda: Antaios 2025. 152 S., 22 € – hier bestellen.
Hans Carl Bohr
Vielen Dank, Herr Brockschmidt, für Ihren Beitrag. Ich kann nur bestätigen, daß die Faszination, die diese Geschichten auszeichnet und verbindet, von Ihnen gut getroffen ist. Dicke Empfehlung für alle die, die Pavolini noch nicht kennen.