Als ich heute früh um fünf Uhr aufwachte und nicht mehr einschlafen konnte, begann diese Szene ein Eigenleben zu führen, wie etwas, von dem man hofft, es sei nur geträumt worden. Aber so ist es nicht.
Es ist ein Urbild, ein Nachtmahr von der dunklen Seite der Gebrüder Grimm her, in deren Sammlung es ja solches zu finden gibt, also grausame, unheimliche, albtraumhafte Skizzen, vor zweihundert Jahren vom Mund einer alten Bäuerin abnotiert, ohne Anfang und Ende, nur so ein mythischer Fetzen, eine archaische Konstellation: das schmächtige Ding und der Tod, und irgendwo die Sanduhr, die man mit 23 nicht einmal rieseln hört, geschweige denn, daß man vor den Stundengläsern säße, von denen das eine sich schon merklich geleert hat und das andere das Ausgerieselte einsammelt.
Wie dieses dunkle, irgendwie lethargische – “Tier”? (Nein, das ist ja ein Mensch, ein Mensch, aber verrottet, zerstört, ein Endstadium, und einer, der den nach beiden Richtungen offenen Satz, daß der Mensch dem Menschen ein Mensch sei – eben kein Wolf – mit Blut auf den Boden sudelt, weil ihm keiner in den Arm fällt …)
Wie dieser dunkle, irgendwie lethargische, in einen Hoodie gehüllte – Mensch, dem die Strähnen übers Gesicht hängen wie Tang, weil da etwas aus der Tiefe aufgetaucht ist und an Land steigt; wie der also schaut und prüft, ungeübt in solchen Dingen sich noch einmal vergewissern muß, wo der Stich zu setzen sei, damit die Frau ausbluten kann; wie er das Messer hervornestelt und aufklappt, auch das so, als sei es ihm neu.
Dann der zähe Traum: man weiß, man sollte rennen, wegspringen, aber die Füße stecken im Morast, sind bleischwer, Lähmung hat eingesetzt, und deshalb kommt auch der Stich nicht jäh, sondern fast schwerfällig, nicht unter Adrenalin, sondern wie ein Versuch – als probierte jemand einen neue Zaubertrick aus und studierte die Bewegungen.
Iryna Zarutska unter Schock, die Kappe fällt ihr vom Kopf, es ist der Tod in der für sie vorgesehenen Gestalt, den sie sieht, wie er mit tropfendem Messer nach vorn an ihr vorbeigeht, nicht vorbeistürzt oder abfeiert oder herumfuchtelt, sondern bloß geht und eine Spur kleckert, während sich das Persönchen die Hände vors Gesicht legt und hofft, daß es ein Traum, ein Albtraum sei, und nicht jetzt und wirklich, und deshalb nicht weiß, daß es mit ihr vorbei sein wird in wenigen Sekunden. Und sie sackt vor die Sitzbank und rollt sich ein und stirbt.
Währenddessen verlassen Fahrgäste den Wagen, nicht in Panik, sitzen zuvor noch ein kleines Weilchen auf ihren Plätzen, anderthalb Meter von der jungen Frau entfernt, die ausblutet, und keiner, kein einziger eilt zur Hilfe, sie schauen bloß kurz, wundern sich.
Das ist der zweite Bruch: Nachdem das Böse das Unschuldige streifte und dabei ums Leben brachte, verschiebt sich nun das Raum-Zeit-Kontinuum; denn diejenigen, die gehen und über die Lache steigen, können nicht zur selben Zeit im Abteil sein, das geht nicht, das ist – irgendwie unmöglich: Sie müssen um ein Kleines früher schon gegangen sein, um ein Weilchen verschoben, als sei jemand gnädig und spulte kurz vor (oder zurück), um die Seele zu schonen.
Anders ist das nicht vorstellbar, es sei denn, es wäre, wie es niemals hätte kommen dürfen: auf eine Weise abgestumpft und fühllos, wahrnehmungsunfähig nach außen, das Gehirn ein Schmelztiegel aus Bildfetzen, reals, gekappten Antennen, Gefühllosigkeit – der Mensch ist dem Menschen eine fette Monade
Ich bin nicht fürs Sensationelle gemacht, bin kein Voyeur, der nach Schnipseln schaut und sehen will, wie der Mensch so sein kann.
Nachdem ich – lange ist es her – über die Drohnenjagd auf einzelne Soldaten in den Schützengräben der Ukraine geschrieben hatte, verbot ich mir, die tägliche Show zu schauen, die so leicht auffindbar ist im Netz wie ein Verlag in Schnellroda. Es reicht, dies ein Mal zu sehen und danach zu wissen.
Auch der Mord an Iryna Zarutska ist ikonisch, das ist wie die in den Tod springenden Menschen am 11. September 2001: Es muß sich einprägen, und deshalb muß man es schauen, ein einziges Mal.

Majestyk
Danke Herr Kubitschek für diesen einfühlsamen und besonnenen Text.
Der terroristische Anschlag auf Charlie Kirk ist ein weiteres Stück in diesem Puzzle. Wirklich entlarvend sind Reaktionen in den Medien oder sozialen Netzwerken, wo Linke die Toten noch verhöhnen und tatsächlich ob der Taten jubilieren. Kein "Mainstreammedium", welches nicht darauf verweist, daß Kirk ein Rechter war, der Deutschlandfunk spricht gar von einem Extremisten als ob dies eine Rechtfertigung sei.
Diese Morde müssen sich in der Tat einprägen und sollten Weckruf sein, daß aus dem Kampf von Links und Establishment gegen Rechts, Konservativen, Einheimischen, Christen, Europäern, Weißen längst ein existentieller Kampf zwischen Gut und Böse geworden ist. Wie man unter solchen Bedingungen, wo Linke auf einen demokratisch herbeigeführten Machtwechsel nur mit Haß und Gewalt reagieren können, gesellschaftliche Probleme noch demokratisch aushandeln will, ist mir persönlich schleierhaft. Für Deutschland kann man jetzt schon erahnen, wie "unsere Demokratie" reagieren wird, wenn die Opposition jemals an echte Schaltstellen der Macht gelangen wird. Und Bilder von Unschuldigen die mit Messern niedergemetzelt werden gibt es auch aus Deutschland längst viel zu viele.