Kritik der Woche (80): Die Verkrempelung der Welt

Gabriel Yoran wähnt sich mit seiner Konsumschelte Die Verkrempelung der Welt auf einem schmalen Grat: Einerseits sei „Warenkritik“ miefig altlinks, andererseits hafte der Sehnsucht nach den „guten Dingen“, „wie sie einmal waren“, ein rechtsreaktionärer Hauch an.

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Von letz­te­rem kann der Autor sich mit­tels eines ein­fa­chen Kniffs befrei­en – indem er flei­ßig gen­dert, abge­se­hen von eini­gen Pas­sa­gen, wo es ihm offen­kun­dig zu blöd wurde.

Den Auf­takt lie­fert ein Beweis­pho­to: ein mus­ter­gül­ti­ges Bild für das, was Yoran (*1978) im Fol­gen­den einen Zustand der hoch­gra­di­gen „Ver­krem­pe­lung“ nennt. Wir sehen die Koch­flä­che eines Induk­ti­ons­her­des von AEG. Das in jeder Hin­sicht höchst rät­sel­haf­te Bedien­feld zeigt die Zah­len­fol­ge 0 1 3 5  8 10 14 A, und zwar für jede der vier Kochplatten.

Das Zah­len­rät­sel wird nicht auf­ge­löst, aber geschil­dert wird, was jeder kennt, der sich schon mit die­sen „fut­ze­li­gen Touch­fel­dern“ aus­ein­an­der­set­zen muß­te. Sie reagie­ren nicht, wenn der Fin­ger naß ist, auch nicht, wenn er fet­tig ist (was beim Kochen bei­des vor­kom­men kann), und der Sinn der Pieps­tö­ne erschließt sich schwer. Alles dar­an ist unlogisch.

Wer hat sich das aus­ge­dacht? War­um ist nie­mand bei irgend­ei­ner Pro­dukt­kon­fe­renz auf­ge­stan­den und hat gesagt: Ent­schul­di­gung, aber das ist doch kom­plet­ter Stuss!

Es gibt hun­der­ter­lei ver­gleich­ba­re „Ver­schlimm­bes­se­run­gen“: Autos, bei denen Knöp­fe feh­len, statt­des­sen muß auch hier „getouch­ed“ wer­den. Oder neh­men wir den Ver­kaufs­hit „Tiny-House“, oder über­haupt den Trend, „clean“, mini­ma­lis­tisch zu leben. Wie ver­lo­gen dies in der Sum­me ist, blät­tert Yoran auf. Übri­gens auch, was es mit tol­len deut­schen Mar­ken­na­men wie AEG, Gro­he und vie­len ande­ren auf sich hat. Naiv, wer denkt, das sei­en noch „deut­sche Marken“!

Beson­de­res Augen­merk wird auf die „geplan­te Obso­les­zenz“ gerich­tet, ein Schlag­wort, daß in den letz­ten zehn Jah­ren wohl jeder gehört hat – daß Gerä­te nicht mehr ein Leben lang oder wenigs­tens ein hal­bes hal­ten. Legen­dä­re Aus­nah­me: das oran­ge­far­be­ne DDR- Hand­rühr­ge­rät RG28.

Yoran ent­kräf­tet aber die Annah­me, daß Plan­wirt­schaft womög­lich eine höhe­re Nach­hal­tig­keit erzeu­ge. Auch im Ost­block erlag man dem „kapi­ta­lis­ti­schen Rea­lis­mus“ (Mark Fisher). Neben der öko­no­mi­schen Obso­les­zenz gibt es die psy­chi­sche. Die hat­te Van­ce Packard, wie Yoran anmerkt, bereits 1957 in sei­nem Buch Die gehei­men Ver­füh­rer (ohne die Abfol­ge von dato 38 iPho­nes auch nur ahnen zu kön­nen) beschrie­ben: Immer steht vor der Tür bereits das Nach­fol­ge­pro­dukt mit neu­en „Begeis­te­rungs­merk­ma­len“!

Eine von Yoran ein­ge­führ­te Kate­go­rie heißt „Pre­mi­um­krem­pel“. Dar­un­ter fällt der Kaf­fee­voll­au­to­mat EQ900. Man kann ihn bequem vom Sofa aus mit der Home Con­nect App bedie­nen. Das Apparät­chen, das vom Design her eben­so gut ein Papier­schred­der oder ein Luft­be­feuch­ter sein könn­te und rund 2000 € kos­tet, fällt laut Yoran unter „Bau­haus-Kitsch“.

Jid­disch ver­kit­schen bedeu­tet, so lesen wir hier: jeman­dem etwas andre­hen, das er nicht braucht. Der simp­le Nut­zen (einen Kaf­fee zu kochen) ist hier völ­lig neben­säch­lich. Das Ding soll „etwas bedeu­ten“, einen Distink­ti­ons­ge­winn ausmachen:

Wie eine Lori­ot-Figur ver­sucht der EQ900 die Fas­sa­de von Serio­si­tät und Welt­läu­fig­keit auf­recht­zu­er­hal­ten und kippt dabei ins Lächer­li­che, weil er sei­ne Ver­spielt­heit mit einer sol­chen Ernst­haf­tig­keit leug­nen muß.

Letzt­lich sind sol­che Din­ge Spiel­zeu­ge für Erwach­se­ne mit Tages­frei­zeit und Sinn­va­ku­um. Leu­te ver­si­chern sich durch deren Besitz ihrer eige­nen „Indi­vi­dua­li­tät“ oder Milieuzugehörigkeit.

Der Drei­klang aus a) vie­ler­lei per­sön­lich durch­lit­te­nen Exem­peln des Nie­der­gangs der Pro­dukt­welt, b) einer hoch­gra­dig süf­fi­gen, zugäng­li­chen, doch nie auf bil­li­gen Affekt zie­len­den Spra­che und c) eines strin­gen­ten Theo­rie­ver­suchs (klar hat Yoran Flus­ser gele­sen, Mark Fisher, Hart­mut Rosa, Ágnes Hel­ler uvm.; gut: Die­ter Wie­land fehlt) macht die­ses Buch zu einem ech­ten Knaller.

Die zehn Kapi­tel wecken bereits durch ihre Über­schrif­ten Lese­lust: „Kauf halt was ande­res, wenn es dir nicht passt“, „Das hat doch alles schon mal funk­tio­niert“, „Ein Bund gegen den Schund“ und so weiter.

Gera­de letzt­ge­nann­tes Kapi­tel ist inter­es­sant. Yoran erin­nert dar­an: Wenn etwas „typisch deutsch“ sei, dann wohl „Nach­hal­tig­keit“. Die­sen Begriff hat­te uns der säch­si­sche Beam­te und Uni­ver­sal­ge­lehr­te Carl von Car­lo­witz im frü­hen 18. Jahr­hun­dert geschenkt: „Fäl­le nie mehr Bäu­me, als nach­wach­sen kön­nen.“ Nach­hal­tig­keit, ein „über­ge­schmack­li­ches Qualitätskriterium“!

Aller­dings gibt es in der banals­ten Dimen­si­on der Nach­hal­tig­keit, näm­lich der Lebens­dau­er eines Gegen­stands, längst kei­nen Fort­schritt mehr, son­dern Regres­si­on. Die Din­ge wer­den zuneh­mend funk­ti­ons­wid­rig gestal­tet, nach­läs­sig ver­ar­bei­tet und sind schon bei ihrer Pro­duk­ti­on durch das längst geplan­te Nach­fol­ge­mo­dell ver­al­tet. (Dies alles zu sehen und zu ana­ly­sie­ren und dabei in kei­nen trie­fen­den Kul­tur­pes­si­mis­mus zu ver­fal­len – Kom­pli­ment an den Autor!)

Yoran macht über die Waren­welt hin­aus auch auf „Krem­pel­kom­mu­ni­ka­ti­on“ auf­merk­sam: Wir stim­men tag­täg­lich lang­at­mi­gen Bestim­mun­gen („Coo­kies“) zu, die wir nie gele­sen haben. Zuneh­mend wird auch KI dazu benutzt „to flood the zone with shit“.

Das alles ist mit einem federn­den Intel­lekt, mit Beob­ach­tungs­freu­de und gründ­li­cher Kennt­nis des „Waren­dis­kur­ses“ ge- und beschrie­ben, daß die­se Lek­tü­re ein ein­zi­ges gro­ßes Ver­gnü­gen ist.

– – –

Gabri­el Yoran: Die Ver­krem­pe­lung der Welt, 185 S., 22 € – hier bestel­len

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (8)

Laurenz

8. Oktober 2025 11:20

Letzte Woche hatte ich meine Waschmaschine für immer gelyncht. Ich war so blöd, kleine Kissen zu waschen, was aber schon mal funktioniert hatte. Aber diesmal sind die beim Schleudern wohl geplatzt. Der Handwerker sagte, nachdem er reingeschaut hatte, das war's, wollte mir aber keine neue verkaufen, weil, jetzt kommt's, ich eine kleine Waschmaschine für meine ewige Junggesellenbude brauche. Meine bisherige, Electrolux (AEG)  war gut für 3 KG Wäsche. Es gibt diese Maschinen aber gar nicht mehr. Mußte einen kleinen Umbau vornehmen, um eine 5KG-Maschine, von der Größe es auch nur max. 2-3 Angebote gibt, bestellen zu können. Mediamarkt/Saturn sind bereits chinesisch. Miele gilt bei den Jacht-Werften immer noch als beste Qualität. Miele baut auch noch in Europa & wird die Obsoleszenzen einfach nach hinten verlegen. Aber Miele baut keine kleinen Waschmaschinen mehr. Gibt es keine Haushalte mehr in denen Alleinstehende leben?

fw87

8. Oktober 2025 13:19

"Einerseits sei „Warenkritik“ miefig altlinks, andererseits hafte der Sehnsucht nach den „guten Dingen“, „wie sie einmal waren“, ein rechtsreaktionärer Hauch an."
Das Problem ist doch, dass heute Sachverhalte aus Angst vor falscher Etikettierung nicht mehr klar benannt werden. Es geht weniger um die Inhalte von Äußerungen, sondern um die Wirkung, die sie erzielen (wie kommt etwas bei den Menschen an, wie wird es eingeordnet?). Das gilt auch im Zusammenhang eines Schlagwortes wie "Planwirtschaft". Man möchte damit nicht in Verbindung gebracht werden und sagt deshalb gewisse Dinge lieber nicht. Was soll man aber unter dem Begriff verstehen? Kann man das überhaupt präzise definieren?
Im Parteiprogramm der CSU aus dem Jahr 1946 kann man folgendes lesen: "Wir anerkennen das Recht des Staates, die Wirtschaft nach den Gesichtspunkten des Gemeinwohls zu lenken! (...) Wir kämpfen gegen den Wirtschaftsliberalismus und treten ein für die freie Entfaltung der Einzelpersönlichkeit im Rahmen seiner sozialen Pflichten."
Nach heutigen Maßstäben sind solche Einlassungen schon Planwirtschaft reinsten Wassers. Man sollte sich doch von diesen ganzen bigotten Etikettierungen einmal freimachen. Stattdessen fragen: Was tut unserem Volk gut? Was führt uns in die richtige Richtung?

Majestyk

8. Oktober 2025 15:42

Bin ich eigentlich der einzige Mensch in Deutschland, der noch nie eine Kaffeemaschine besessen hat und seinen Kaffee noch völlig antiquiert mit dem Filter aufgießt? Ich seh mich in einer Kaffeewerbung der 90er. "Isch 'abe gar keine App, Signorina".

RMH

8. Oktober 2025 19:09

EQ900? Kenne nur den Tomatobrotomat
https://www.youtube.com/watch?v=P56pk5mDewU

Majestyk

8. Oktober 2025 19:38

@ fw87:
Kritik an Hedonismus, Konsumgeilheit oder Wegwerfware ist weder links noch rechts, sondern einfach richtig.
Umgekehrt muß man auch die Perspektive der Hersteller sehen, die unter enormen Kostendruck stehen, erst recht seit Beginn der 90er. Wer ist heute noch bereit für Fernseher oder Waschmaschine mehrere Monatsgehälter auf den Tisch zu legen? Wo Geiz geil ist, kann man keine Ware erwarten, die ewig hält.
Mein Handmixer ist noch aus der Aussteuer meiner Mutter. Marke Vorwerk Bj. 1962, bei mir wöchentlich mindestens einmal Gebrauch. Das ist Qualität, andererseits für den Hersteller auch wieder schlecht fürs Geschäft.

MarkusMagnus

8. Oktober 2025 20:22

Der unbeschränkte Kapitalismus ist schon ein kaputtes System. Ich glaube nicht das in der DDR  einem Ingenieur in den Sinn gekommen wäre, seine Ausbildung und sein Talent dazu zu benutzen, Dinge mit Absicht schlechter zu machen.  
Abgesehen davon wäre das in der DDR mit Sicherheit eine schwere Straftat gewesen. Sabotage am sozialistischen System oder sowas. Geplante Obsoleszenz galt lange Zeit als "Verschwörungstheorie". Vor etwa zwanzig Jahren sah ich eine Doku von Arte, wo so ein Ingenieur mal ausgepackt hatte.

Herold

8. Oktober 2025 21:40

@MajestykEs gibt eine ganze Subszene an Menschen, für die du mit dem Filterkaffee schon deine Menschenwürde aufgegeben hast und nur Pressstempelkanne (musste ich nachschlagen, french press ist der terminus technicus), korrekte Brühtemperatur, richtig Röstung, etc. dich retten werden.
@fw87 res PlanwirtschaftEs gibt dafür eine feststehende Definition, aber die aktuelle Begriffsnutzung trifft so wenig zu die von (sozialer) Marktwirtschaft für unser Modell. Und ja, ich halte Planwirtschaft, so wie sie definiert und gelebt wurde, für das unterlegene Modell.
@ LaurenzDas ist nur ein wirtschaftlicher Totalschaden, beheben lässt sich sowas mit unter drei Werkzeugen und vielleicht 3-4 Stunden Handwerkskunst. War da, tat es.

anatol broder

9. Oktober 2025 01:30

der wahllose käufer ist ein vulgäroptimist. er kauft nur dann weniger krempel, wenn ihm die mittel dazu fehlen. keine weitere ursache hält ihn davon ab, es weiter zu tun.
nutzlose nahrungsmittel gehören auch zum krempel. deshalb führen viele krümelspuren zu vulgäroptimisten.
@ majestyk 15:42
in meinem haushalt wird kein bohnenkaffee getrunken. ich halte allerdings einen kleinen vorrat für die gäste. das getränk wird auf dem herd in einer esspressokanne (papierlos) gekocht. angeblich schmeckt es gut. die espressokanne lernte ich in italien kennen.

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