Von letzterem kann der Autor sich mittels eines einfachen Kniffs befreien – indem er fleißig gendert, abgesehen von einigen Passagen, wo es ihm offenkundig zu blöd wurde.
Den Auftakt liefert ein Beweisphoto: ein mustergültiges Bild für das, was Yoran (*1978) im Folgenden einen Zustand der hochgradigen „Verkrempelung“ nennt. Wir sehen die Kochfläche eines Induktionsherdes von AEG. Das in jeder Hinsicht höchst rätselhafte Bedienfeld zeigt die Zahlenfolge 0 1 3 5 8 10 14 A, und zwar für jede der vier Kochplatten.
Das Zahlenrätsel wird nicht aufgelöst, aber geschildert wird, was jeder kennt, der sich schon mit diesen „futzeligen Touchfeldern“ auseinandersetzen mußte. Sie reagieren nicht, wenn der Finger naß ist, auch nicht, wenn er fettig ist (was beim Kochen beides vorkommen kann), und der Sinn der Piepstöne erschließt sich schwer. Alles daran ist unlogisch.
Wer hat sich das ausgedacht? Warum ist niemand bei irgendeiner Produktkonferenz aufgestanden und hat gesagt: Entschuldigung, aber das ist doch kompletter Stuss!
Es gibt hunderterlei vergleichbare „Verschlimmbesserungen“: Autos, bei denen Knöpfe fehlen, stattdessen muß auch hier „getouched“ werden. Oder nehmen wir den Verkaufshit „Tiny-House“, oder überhaupt den Trend, „clean“, minimalistisch zu leben. Wie verlogen dies in der Summe ist, blättert Yoran auf. Übrigens auch, was es mit tollen deutschen Markennamen wie AEG, Grohe und vielen anderen auf sich hat. Naiv, wer denkt, das seien noch „deutsche Marken“!
Besonderes Augenmerk wird auf die „geplante Obsoleszenz“ gerichtet, ein Schlagwort, daß in den letzten zehn Jahren wohl jeder gehört hat – daß Geräte nicht mehr ein Leben lang oder wenigstens ein halbes halten. Legendäre Ausnahme: das orangefarbene DDR- Handrührgerät RG28.

Eine von Yoran eingeführte Kategorie heißt „Premiumkrempel“. Darunter fällt der Kaffeevollautomat EQ900. Man kann ihn bequem vom Sofa aus mit der Home Connect App bedienen. Das Apparätchen, das vom Design her ebenso gut ein Papierschredder oder ein Luftbefeuchter sein könnte und rund 2000 € kostet, fällt laut Yoran unter „Bauhaus-Kitsch“.
Jiddisch verkitschen bedeutet, so lesen wir hier: jemandem etwas andrehen, das er nicht braucht. Der simple Nutzen (einen Kaffee zu kochen) ist hier völlig nebensächlich. Das Ding soll „etwas bedeuten“, einen Distinktionsgewinn ausmachen:
Wie eine Loriot-Figur versucht der EQ900 die Fassade von Seriosität und Weltläufigkeit aufrechtzuerhalten und kippt dabei ins Lächerliche, weil er seine Verspieltheit mit einer solchen Ernsthaftigkeit leugnen muß.
Letztlich sind solche Dinge Spielzeuge für Erwachsene mit Tagesfreizeit und Sinnvakuum. Leute versichern sich durch deren Besitz ihrer eigenen „Individualität“ oder Milieuzugehörigkeit.
Der Dreiklang aus a) vielerlei persönlich durchlittenen Exempeln des Niedergangs der Produktwelt, b) einer hochgradig süffigen, zugänglichen, doch nie auf billigen Affekt zielenden Sprache und c) eines stringenten Theorieversuchs (klar hat Yoran Flusser gelesen, Mark Fisher, Hartmut Rosa, Ágnes Heller uvm.; gut: Dieter Wieland fehlt) macht dieses Buch zu einem echten Knaller.
Die zehn Kapitel wecken bereits durch ihre Überschriften Leselust: „Kauf halt was anderes, wenn es dir nicht passt“, „Das hat doch alles schon mal funktioniert“, „Ein Bund gegen den Schund“ und so weiter.
Gerade letztgenanntes Kapitel ist interessant. Yoran erinnert daran: Wenn etwas „typisch deutsch“ sei, dann wohl „Nachhaltigkeit“. Diesen Begriff hatte uns der sächsische Beamte und Universalgelehrte Carl von Carlowitz im frühen 18. Jahrhundert geschenkt: „Fälle nie mehr Bäume, als nachwachsen können.“ Nachhaltigkeit, ein „übergeschmackliches Qualitätskriterium“!
Allerdings gibt es in der banalsten Dimension der Nachhaltigkeit, nämlich der Lebensdauer eines Gegenstands, längst keinen Fortschritt mehr, sondern Regression. Die Dinge werden zunehmend funktionswidrig gestaltet, nachlässig verarbeitet und sind schon bei ihrer Produktion durch das längst geplante Nachfolgemodell veraltet. (Dies alles zu sehen und zu analysieren und dabei in keinen triefenden Kulturpessimismus zu verfallen – Kompliment an den Autor!)
Yoran macht über die Warenwelt hinaus auch auf „Krempelkommunikation“ aufmerksam: Wir stimmen tagtäglich langatmigen Bestimmungen („Cookies“) zu, die wir nie gelesen haben. Zunehmend wird auch KI dazu benutzt „to flood the zone with shit“.
Das alles ist mit einem federnden Intellekt, mit Beobachtungsfreude und gründlicher Kenntnis des „Warendiskurses“ ge- und beschrieben, daß diese Lektüre ein einziges großes Vergnügen ist.
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Gabriel Yoran: Die Verkrempelung der Welt, 185 S., 22 € – hier bestellen

Laurenz
Letzte Woche hatte ich meine Waschmaschine für immer gelyncht. Ich war so blöd, kleine Kissen zu waschen, was aber schon mal funktioniert hatte. Aber diesmal sind die beim Schleudern wohl geplatzt. Der Handwerker sagte, nachdem er reingeschaut hatte, das war's, wollte mir aber keine neue verkaufen, weil, jetzt kommt's, ich eine kleine Waschmaschine für meine ewige Junggesellenbude brauche. Meine bisherige, Electrolux (AEG) war gut für 3 KG Wäsche. Es gibt diese Maschinen aber gar nicht mehr. Mußte einen kleinen Umbau vornehmen, um eine 5KG-Maschine, von der Größe es auch nur max. 2-3 Angebote gibt, bestellen zu können. Mediamarkt/Saturn sind bereits chinesisch. Miele gilt bei den Jacht-Werften immer noch als beste Qualität. Miele baut auch noch in Europa & wird die Obsoleszenzen einfach nach hinten verlegen. Aber Miele baut keine kleinen Waschmaschinen mehr. Gibt es keine Haushalte mehr in denen Alleinstehende leben?