Kritik der Woche (79): Die letzte Fahrt des Zaren

Im letzten Jahr veröffentlichte der Osteuropahistoriker Jörg Baberowski (geb. 1961) eine mehr als tausendseitige Untersuchung zur Geschichte des Rußlands im 19. Jahrhundert. Unter dem Titel Der sterbliche Gott legte er die Schwächen des russischen Leviathans frei.

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Denn hin­ter der auto­kra­ti­schen Fas­sa­de zeig­te sich ein fra­gi­les Gebil­de, das durch Gewalt, Gewohn­heit und die reli­gi­ös über­höh­te Per­son des Zaren zusam­men­ge­hal­ten wur­de. Der Ver­such des Pre­mier­mi­nis­ters Sto­lyp­in, das Reich durch Refor­men zu sta­bi­li­sie­ren, schei­ter­te; er wur­de 1911 durch einen sozi­al­re­vo­lu­tio­nä­ren Stu­den­ten, der mit dem Geheim­dienst in Ver­bin­dung stand, ermordet.

In sei­nem neu­en Buch, Die letz­te Fahrt des Zaren, nimmt Bab­e­row­ski den Faden auf und wid­met sich den Ereig­nis­sen, die im Febru­ar 1917 zum Ende der Zaren­herr­schaft führ­ten. Er über­springt dabei den Ers­ten Welt­krieg, des­sen Ver­lauf und Kos­ten dem Zaren­reich den Todes­stoß ver­setz­ten. Denn der Ursprung der Febru­ar­re­vo­lu­ti­on lag in spon­ta­nen Hun­ger­un­ru­hen der Bevöl­ke­rung und der Befehls­ver­wei­ge­rung von Sol­da­ten, die den Front­dienst umge­hen wollten.

Daß die­ser Fun­ke schließ­lich zur Abdan­kung des Zaren, der bol­sche­wis­ti­schen Macht­über­nah­me und zum rus­si­schen Bür­ger­krieg füh­ren konn­te, läßt sich ohne das Wis­sen um die pre­kä­re Lage der Herr­schaft in Ruß­land kaum nachvollziehen.

Aller­dings geht es Bab­e­row­ski gar nicht so sehr um die langan­ge­leg­ten Grün­de des Unter­gangs, als viel­mehr um die Dyna­mik der Revo­lu­ti­on selbst und die Mög­lich­kei­ten, die es gege­ben hät­te, ihren Erfolg zu ver­hin­dern. Denn hät­ten die Regie­rung und der Zar den Auf­stand in Peters­burg gleich im Keim erstickt und gewalt­sam nie­der­ge­schla­gen, wie das 1905 der Fall gewe­sen war, wäre die Geschich­te ver­mut­lich anders verlaufen.

Es gab zu Beginn der Revol­te kei­ner­lei poli­ti­sche Füh­rung, die dem Volks­zorn eine Rich­tung gege­ben hät­te. Die libe­ra­len Kri­ti­ker des Zaren, die bald eine pro­vi­so­ri­sche Regie­rung bil­de­ten, hat­ten kei­ne Alter­na­ti­ve zum Zaren­reich im Kopf und fürch­te­ten sich vor den Volks­mas­sen, und der Arbei­ter- und Sol­da­ten­rat hat­te kei­ner­lei Erfah­rung dar­in, wie man einen Staat führt.

Ent­schei­dend für die Abdan­kung des Zaren waren des­sen Per­sön­lich­keit, die ihn leicht­gläu­big auf jede Fin­te rein­fal­len ließ, von denen die ent­schei­den­de dar­in bestand, dem Zaren ein­zu­re­den, durch die Abdan­kung kön­ne er das Reich retten.

Hin­zu kam der Kada­ver­ge­hor­sam des auto­kra­ti­schen Sys­tems, das streng auf die Spit­ze aus­ge­rich­tet und in dem Eigen­in­itia­ti­ve nicht erwünscht war. In dem Moment, in dem die Ent­schei­dungs­trä­ger durch die Beset­zung der Tele­gra­phen­sta­tio­nen von Infor­ma­tio­nen abge­schnit­ten waren, und es durch die Blo­cka­de der Schie­nen­we­ge kei­ne Mög­lich­keit mehr gab, loya­le Trup­pen in die Haupt­stadt zu ver­le­gen, setz­te die Läh­mung ein. Was auch unter den neu­en Herr­schern funk­tio­niert, sind die Beam­ten, die sich schnell an die neu­en Ver­hält­nis­se gewöhnen.

Bab­e­row­ski rekon­stru­iert die Ereig­nis­se der ent­schei­den­den Tage aus den Quel­len und den Erin­ne­run­gen der Betei­lig­ten, so daß ein leben­di­ges Bild aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven ent­steht. Bri­sanz gewinnt das Buch aber durch Bab­e­row­skis an den Klas­si­kern des Herr­schafts­den­kens geschul­ten Blick auf die Fra­gen der Machtergreifung.

Daher fin­det sich die beklem­mend aktu­el­le Quint­essenz des Buches in eini­gen Ein­sich­ten: “Macht hat, wer war­ten kann.“ Dazu brau­che es Distanz zu den Ereig­nis­sen. „Distanz allein aber ver­schafft noch kei­ne Macht. Was man will, das muß man auch kön­nen.“ Die Macht­fra­ge stel­len, bedeu­te­te 1917 in Ruß­land, den Bür­ger­krieg pro­vo­zie­ren. Des­halb über­nimmt schließ­lich Lenin die Macht, der an der Spit­ze einer klei­nen Grup­pe zu allem Ent­schlos­se­ner, die sich durch Recht und Moral nicht belas­ten, steht. Bei all dem ist Bab­e­row­ski aber kein Zyni­ker, son­dern jemand, der den Men­schen (mit Odo Mar­quard) vor Schlim­me­rem bewah­ren will:

Wo sich die Zukunft von der Her­kunft eman­zi­piert, ist die Gefahr groß, daß mensch­li­ches Han­deln maß­los und beden­ken­los wird.

Wer will, kann die­ses Buch als eine grund­sätz­li­che und brand­ak­tu­el­le Aus­ein­an­der­set­zung lesen. Das kann man im Hin­blick auf Ruß­land (was pas­siert, wenn Putin abdankt) und auch auf unse­re eige­ne Lage (wer Kom­pro­mis­se macht, ver­liert) tun. Wie auch immer: Lesen soll­te man das Buch in jedem Fall.

– –

Jörg Bab­e­row­ski: Die letz­te Fahrt des Zaren. Als das alte Ruß­land unter­ging, Mün­chen 2025, 380 Sei­ten, 28 Euro – hier bestel­len.

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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Kommentare (20)

Laurenz

27. September 2025 10:58

@Dr. EL ... Wenn ich Ihre Beschreibung dieses Werkes lese, hat das emotional mehr mit Unterhaltungsliteratur zu tun, warum auch nicht. Zar Nikolaus II war eben nicht die hellste Kerze am Himmel des meist Deutschen Adels Europas & jeder Lebenswirklichkeit der Russen entrückt. Seine Familie war auch nicht besser. Trump empfängt sogar den christlichen Ketzer der Neuzeit, Herrn Jäger, zur kurzen Photo-Audienz in Mar-a-Lago, Putin küßt & umarmt die Lehrerin Seiner Kindheitstage zu Petersburg im Kreml, wirkt echt, also glaubwürdig. Das sieht beides mehr nach zumindest formaler Bodenhaftung aus, als beim doch etwas minderbemittelten Adel Europas. Ich sehe überhaupt keinen Grund dafür, warum man diesen Schrott-Zaren hätte behalten sollen? Hier könnten Sie den Vergleich zum Neo-Feudalismus unserer Tage mit privilegierten Minderheiten ziehen. Statt lächerlichem Preußischem Karneval bei Kaiserwetter, haben wir heute Schwachkopf-CSD. Wo ist der Unterschied? Beides gleich schwul.

MarkusMagnus

27. September 2025 12:13

Danke für die Buchempfehlung. Genau mein Metier.
Leider war der Zar ein guter Familienmensch, aber ein schlechter Politiker der Russland UND Deutschland in den Abgrund gezogen hat. Er war - im Gegensatz zur Propaganda - zu weich. Ähnlich wie Assad. Beide waren auch nicht für das Spitzenamt vorgesehen, sondern ihre älteren Brüder. 
Unser Kaiser Willi hatte immerhin noch versucht die Kinder des Zaren zu retten, George hat für sie keinen Finger krumm gemacht.
Natürlich hatten wir Deutschen auch unseren Anteil daran ( Lenin im Zug) , aber Deutschland stand mit dem Rücken zur Wand. Der Zar hat jedoch unnötig einen Krieg gegen das Heimatland seiner Frau provoziert. War er so dumm? Er hätte doch wissen müssen, wie ein Krieg gegen Deutschland ausgeht, wenn schon die Japaner zehn Jahre vorher mit den Russen Schlitten gefahren sind. Der Zar lebte nicht mehr in der Realität. Weiss Gott was ihn dazu geritten hat, aber er hat damit sein Land und seine Familie zerstört. Er hätte auf Rasputin hören sollen. Böse Menschen haben keine Kräfte, die Kinder heilen.
 
 
 
 

MarkusMagnus

27. September 2025 22:55

@ Laurenz
Nette Videos von Wladimir Putin. Mein Lieblingsvideo ist das, wo er die Oligarchen, die eine Firma schliessen wollen, übelst rund macht und als Kakerlaken beschimpft ;)
https://youtu.be/3GsDLrUieJg?si=LZgAx9_CFSaLb2B
Leider auf Englisch, eine deutsche Fassung finde ich gerade nicht mehr. Natürlich ist das auch eine Inszenierung, die Oligarchen alle in Anzügen und Putin leger gekleidet. Aber wenn man das Video sieht, dann sieht man auch das Putin wirklich sauer ist. 
Als Boris Nemzow in Moskau um 21.00 Uhr im Radio von einer neuen Revolution fabulierte, war er schon um 23.00 Uhr kalt. Er hätte wissen müssen das dies eine direkte Bedrohung für Putin und seiner Familie darstellte. Da versteht er zurecht keinen Spaß.  Eben gerade wegen dem Mord an der Zarenfamilie. 

Le Chasseur

28. September 2025 08:12

@ Laurenz 
"Trump empfängt sogar den christlichen Ketzer der Neuzeit, Herrn Jäger, zur kurzen Photo-Audienz in Mar-a-Lago"
Wer soll das sein? Und was hat Trump mit dem Christentum oder Deutschland zu tun?

Karl Otto

28. September 2025 08:40

Die Russen hatten zwei mal im 20. Jahrhundert die Chance, eine vernünftige Nation zu werden, 1917/18 und 1990/91. Beide male endete es damit, dass sie einem starken Mann nachliefen. Ich denke, denen ist nicht zu helfen.

Laurenz

28. September 2025 10:13

@Le Chasseur @L. ... "Und was hat Trump mit dem Christentum oder Deutschland zu tun?" ... Warum empfielt EL ein Buch über einen toten Zaren? Wenn Sie Sich in der Deutschen konservativen Influencer-Szene nicht auskennen, ist das doch nicht mein Problem. Immerhin hat der "Ketzer der Neuzeit" 569k YouTube-Abos. Ich warf die mangelnde völkische Bodenhaftung von Zar Nikolaus II in die Debatte & verglich diese mit der Putins & Trumps. Angemessener Vergleich, oder? Vielleicht lesen Sie mal den EL-Artikel, statt nur die Kommentare. @Karl Otto ... Das Problem ist Ihr/unser Standpunkt. Bevor die Russen umkippen, kippt Europa. @MarkusMagnus @L. ... Der Unterschied zwischen Nikolaus & Putin ist, Nikolaus war blöd & nutzlos. Was auch der Teilnehmer @Karl Otto nicht verstanden hat, ist, daß man ein Riesenreich nicht divers regieren kann, meist diplomatisch regieren muß. Und den demokratischen Vergleich zwischen UvdL & Putin muß erst noch einer hinlegen. Putin wuirde immerhin formal gewählt, UvdL nicht.

RMH

28. September 2025 10:22

@Karl-Otto, jetzt triggern Sie aber wieder x-fache Whataboutisms über die doofen Deutschen etc, die angeblich auch nix auf die Kette bringen. Es endet dann so, wie es immer hier endet. Der europ. Hochadel war eine Sippe, welche sich selber genetisch ruinierte & den Idealismus der loyalen Royalisten in den Mist gefahren haben. All die  dreckigen kleinen Staat (Joseph Roth in "Radetzkymarsch"), denen jedes Ideal fehlt, versuchen ihre schmierige kleinen Vorteile irgendwie zu erzielen, damit wieder irgend eine degenerierte Sippe, die diesesmal nicht duch Blutlinien zusammengehalten wird sondern durch Gier, Korruption, Machtgeilheit & Eitelkeit, stetig neue Pressen für immer die gleichen Zitronen errichten, in der Hoffnung, der Saft fließt weiter & wird noch mehr. @Laurenz hat Recht, diese Penner braucht keiner, Russland hat das Schicksal, in einen Ersatzfeudalismus zu fallen, wie die meisten anderen Länder auch, nur dass man es in Russland prächtiger sieht, als anderen Ortes. Evtl. dann doch eine Parallele zum Zarismus, der auch länger seine Pracht auf morschen, faulem Gebälk zeigte, wo andere bereits nur noch als Bodenpflanzen sprießten.

Le Chasseur

28. September 2025 10:27

@Karl Otto
"Die Russen hatten zwei mal im 20. Jahrhundert die Chance, eine vernünftige Nation zu werden"
Wenn man das Chaos nach dem Zusammenbruch der UdSSR nicht am eigenen Leib erlebt hat, lässt sich leicht reden. Wenn der Wertewesten an etwas kein Interesse hatte, dann daran, dass Russland eine "vernünftige Nation" wird. Schließlich brauchte der amerikanische MIK eine beeindruckende Bedrohung, um den Rüstungsetat weiterhin aufzublähen (2024 waren es 997 Milliarden US-Dollar). Der islamistische Terrorismus reichte als Popanz nicht aus.

Le Chasseur

28. September 2025 12:03

@Laurenz
"Ich warf die mangelnde völkische Bodenhaftung von Zar Nikolaus II in die Debatte & verglich diese mit der Putins & Trumps."
Und Sie glauben, Trump hätte "völkische Bodenhaftung"? Wegen Auftritten wie diesem vermutlich? Und von welchem Volk sprechen Sie auf Bezug zu den USA?

Laurenz

28. September 2025 16:15

@Le Chasseur @L. ... Die USA sind ein Vielvölkerstaat, wie Rußland. Trump hat weder was gegen Indianer, Schwarze noch gegen Schwule. Daß Trump kein Bad mehr in der Menge nimmt, ist nachvollziehbar, oder? https://youtu.be/uyY3QOmGJOw Auch als Jäger nach Mar-a-Lago reindurfte, war doch den Sicherheitsleuten Trumps klar, wen sie da reinlassen. Hier ein kleines Beispiel für die Diplomatie Putins. Hier bei den Musels in Dagestan, kurz nach dem Wagner-Zwergenaufstand. https://www.youtube.com/shorts/dLQhM2zUFRo?feature=share wo folgendes passiert ist. https://www.youtube.com/shorts/UhZjvUCsuFI?feature=share Wie man sieht, hat Putin das Mädchen & Seine Eltern in den Kreml zum Tee geladen & mit dem Mädchen Seinen Finanzminister angerufen, damit der noch ein paar Rubel mehr für die Region Derbent (Kaspisches Meer) locker macht. https://youtu.be/2X5bKLwoBdw Natürlich ist das inszeniert. Aber sehen Sie irgendwelche Berührungsängste seitens Putins? Der Mann weiß noch, wo Er herkommt.

dojon86

28. September 2025 19:30

Ich werde das Buch lesen. Allerdings glaube ich nicht, dass es meine Überzeugungen über historische Abläufe ändern wird. Es sind Zufälligkeiten, die sich zum Schicksal einer Nation verdichten. Im Nachhinein ist jeder General. Historiker entdecken überall Muster, das ist ihr Beruf. Analysiert man das Handeln der Personen anhand der Informationen, die diese Personen damals haben konnten erkennt man oft, daß sie Gründe für ihre Entscheidungen hatten. Ich glaube nicht dass ein Nikolaus der II die Möglichkeit gehabt hätte, den Nationalistischen Massenwahn der damals in Russland und in ganz Europa herrschte, zu stoppen. Es erschien ihm wahrscheinlich klüger, sich nicht gegen den Krieswunsch auch und gerade der liberalen Eliten seines Landes zu stellen, sondern sich an die Spitze dieses Kriegswunsches zu setzen. 1917 will's dann keiner gewesen sein. Da war dann der Zar an allem schuld. Ich kann mich noch gut erinnern, wie 2015 durchaus normale Menschen am Wiener Hauptbahnhof jeden abgerissenen Syrer auf der Durchreise nach Deutschland am liebsten umarmen wollten. Die Opportunistin Merkel wußte nur zu genau, wie das wankelmütige Volk auf die ersten unschönen Bilder bei einer robusten Grenzverteidigung (denn es war ein Invasionsversuch) reagieren würde. Ich gebe zu, ich halte nicht viel vom Volk. Das Problem ist, wie die Eliten selektiert werden. Und da sieht es in Deutschland traurig aus. Vielleicht sogar schlechter als 1914.

Laurenz

28. September 2025 21:26

@Dojon86 ... Sie pauschalisieren viel zu sehr. Es ist ja nicht so, daß damals jeder Regierung keine Zahlen vorgelegen hätten. Habsburg hatte zu viel Geld in Bosnien versenkt, bis zum heutigen Tage sinnlos. Serbien hatte bereits den Schweine-Krieg gegen Habsburg gewonnen. Die Rüstung Rußlands, vor allem im heute immer noch eminenten Bereich der Munition, war 4x so hoch, wie die Habsburgs. Die Gewehre für die eingezogenen Reserven stammten (1914) noch aus 1865. Und so gingen auch die Schlachten für Habsburg gegen Rußland aus. Wie blöd kann man sein? Und es bringt auch nichts, sich auf Deutschland zu verlassen, wenn man sich über die politischen Absichten der anderen Mächte (Frankreich, Britannien, USA) nicht im Klaren ist. Dafür waren die Geheimdienste zu schlecht. & die Geheimdienste sind dann zu schlecht, wenn man im debilen Größenwahn die eigene Position als unanfechtbar erachtet. Die Rüstung Rußlands war in Frankreich finanziert worden, weil das in Deustchland verboten wurde. Weder Deutschen, noch Russen war klar, daß die Versorgungslage die eigene Stabilität bestimmt, den Alliierten schon. Britannien & Frankreich ließen deswegen rücksichtlos ihre Kolonien verhungern, was am Ende auch diese Kolonien kostete.

dojon86

29. September 2025 12:29

@Die Informationen die die k.u.k. Monarchie und das deutsche Reich von Russland hatten, waren schlecht. Nicht nur die Habsburgermonarchie verkalkulierte sich, auch das deutsche Reich. Beide stützten ihre Berechnungen auf das blamable Versagen der Russen im Russisch japanischen Krieg. So mobilisierten die Russen bedeutend schneller als das die Mittelmächte gedacht hatten. PS. Beim Schweine Krieg handelte es sich nicht um einen Krieg sondern um eine Zollsperre für Schweine Importe aus Serbien. Da von Gewinnen oder Verlieren zu sprechen ist doch unpassend.

Laurenz

29. September 2025 14:34

@Dojon86 ... wenn die Informationen über Rußland schlecht sind, wessen Problem ist das? Wer ist dafür verantwortlich? Daß Japan die Expansion Rußlands gegen China in Port Arthur ausbremsen konnte, ist wessen Versagen? Wohl der des Russischen Geheimdienstes & dem Versagen der politischen Fürhung Rußlands. Umgekehrt rächte sich Stalin 1939 in der Schlacht von Chalkin Gol, in der die Japaner wieder überrascht wurden. Überraschung liegt immer dann vor, wenn man pennt. Natürlich zahlten die Russen erst in den 1990ern die Schulden des Zaristischen Rußlands in Frankreich zurück. Aber die rigorose Politik des II. Reichs gegenüber Rußland nach Bismarck hatte seine Ursache u.a. in Trump'scher Zollpolitik (zugunsten von ca. 24k ostelbischen Junkern,) welche sich vielleicht die USA leisten kann, aber Deutschland eben nicht. Das führte fast zur völligen internationalen Isolation Deutschlands aus politischer Sicht. Natürlich war der Schweine-Krieg ein Wirtschaftskrieg, den Habsburg klar verlor. Die EU führt auch gerade einen Wirtschaftskrieg gegen Rußland & verliert ihn, was katastophale Auswirkungen nach sich zieht.

RMH

29. September 2025 15:47

@Laurenz u Dojon86, ihre historischen Betrachtungen greifen am Ende ein bisschen zu kurz. Letztlich wurde Russland bereits mit dem Krimkrieg sehr stark angezählt & mit dem damit verbundenen Zerfalls der sog. "heiligen Allianz" war das Ende der Trias im Osten Europas besiegelt (mit den bekannten Folgen bis heute). Zwar hat Bismarck stellenweise eine erfolgreiche Reanimation betrieben (den Keil zwischen k.u.k. Öst und RUS aber nie beseitigen können), aber dies hat er dann ja nicht mehr für die einzelne Macht Preußen, sondern für das erheblich bedeutsamere dt Reich gemacht. Ideengeschichtlich spielt dann noch die spezifisch-russische Spielart des Panslawismus eine Rolle, die das geschwächte Zarentum in einer für eine Fürstenherrschaft gänzlich unopportunen populistschen Anwandlung nicht an sich abperlen lies (dabei sind die "Pan"-Bewegungen zutiefst bürgerlich, nationalistisch & der europäische Hochadel war antinationalistisch & von den "ismen" nur dem Imperialismus zugewandt. In einem Imperium wiederum spielen Völker nur die Rollen von nach Graden der Günstlingschaft unterschiedenen Untertanen). Am Ende spülte es die Zaren weg - zum großen Teil wegen falscher Rollenverständnis u.- Ausübung. Braucht keiner Nachtrauern. Chance gehabt, Chance verspielt.

Diogenes

29. September 2025 17:34

@dojon86: "@Die Informationen die die k.u.k. Monarchie und das deutsche Reich von Russland hatten, waren schlecht. Nicht nur die Habsburgermonarchie verkalkulierte sich, auch das deutsche Reich."
 
Lenin hat doch genau das gemacht was er sollte: Mit dem Friedensvertrag von Brest-Litoswsk hat das Deutsche Kaiserreich sein Zielsetzung im Osten erreicht. Ruiniert wurde der Sieg über Russland durch Nordamerikas Präsidenten Wilson, der seine Zusicherungen nicht einhielt. 'Zeigt natürlich aber auch die dt. Naivität auf bzw. die Schwachköpfe in alleiniger Verantwortung zum Kaiser.  

MarkusMagnus

30. September 2025 00:33

@ dojon86
Die Russen hatten nicht schneller, sondern eher mobilisiert. Das war den Deutschen tatsächlich entgangen. Russland wollte den Krieg. Die ersten Kriegsgefangenen waren "Russen" aus dem fernen Sibirien. Das heisst der Zar hatte schon lange vor der Juli-Krise mobil gemacht. Damals hat es Wochen gedauert Truppen von Sibirien nach Europa zu schaffen. 
Spätestens bei den Schlachten von Tannenberg und bei den Masuren war klar,  daß die russische Armee der Deutschen nicht das Wasser reichen kann. Sie sammelten ihr Spielzeug ein und zogen sich zurück. Dabei hätte es der Zar belassen sollen.
Deutschland Fehler war es aus Rücksicht auf die USA nicht sofort einen unbeschränkten, totalen U-Boot Krieg gegen England zu führen. Gegen die deutschen U-Boote hatten die Allierten im ersten Weltkrieg keine wirklichen Mittel. Sonar und Radar steckten noch in den Kinderschuhen.
Es gibt schon Gründe wieso die Akten über die Versenkung der Lusitania bis heute in England unter Verschluss liegen.

RMH

30. September 2025 10:14

"Sie sammelten ihr Spielzeug ein und zogen sich zurück. Dabei hätte es der Zar belassen sollen."
Ist eben immer auch die Frage, was der Zar noch ernsthaft eigenständig entschieden hat. Mit der maßgeblich auf Druck der lieben Verbündeten stattgefundenen Brussilow-Offensive hat Russland im Jahr 1916 nochmals durchaus seinen Dienst für seine "Verbündeten" getan. Mit dieser wurden insbesondere die k.u.k. Armeen erheblich geschwächt (worüber sich insbes. Italien und Fr freuten), was sich dann an anderer Stelle deutlich bemerkbar machte. Die dt Armeen mussten immer mehr Kamerad Schnürschuh ersetzen. Das Schicksal der auch bei dieser Offensive gefangengenommen K.uk. (alleine ca. 400.000 tsd Mann?) und deutschen Soldaten in Russland nahm schon das vorweg, was deusche Soldaten dann im WK 2 erleiden mussten. Insgesamt gibt es Linien aus dem zaristischen Russland, die bis heute überdauern, so u.a. auch eine Führung des Militärs, welches auf einzelne Soldaten 0,0 Rücksicht nimmt & hohe, eigene Verluste stets billigend in Kauf für (oft nur geringe) Erfolge nimmt. Der miese, verbrecherische Umgang mit Gefangenen hat sich leider auch nur wenig geändert. Immerhin: Brussilow steht für eine Veränderung der Taktik an der Front, welche Deutschland adaptierte (Stoßtrupp - war bis zu meiner BW- Zeit durchaus taktisch gepflegter Brauch (kein Angriff ohne Deckungsgruppe). Ob das heute noch der Fall ist, weiß ich nicht).

dojon86

30. September 2025 10:31

@Laurenz Dass die ostelbischen Junker ein Interesse an einem Zollkrieg mit Russland hatten, ist mir neu, erscheint aber angesichts ihrer agrarischen Produktpalette logisch. Ich vermute ja, dass es beim Schweinekrieg der k.u.k. Monarchie mit Serbien ähnliche Motive gab da ja die Ungarische Landwirtschaft, auch diese übrigens durch den Adel dominiert, gleichenfalls am Zollkrieg mit Serbien profitierte. Aber im übrigen wollte ich mit meinem Erstposting genau diese Richtung der Diskussion kritisieren (Im Nachhinein ist jeder General). Vielmehr wollte ich die Neigung vieler, in der Geschichte überall Muster und Gesetzmäßigkeiten zu entdecken, kritisieren, da diese Herangehensweise oft mutlos macht, sondern die Rolle des Zufalls zu betonen.