- sowohl eine bedeutende relative als auch absolute Ausweitung der AfD-Wählerschaft;
- die Konsolidierung räumlicher Schwerpunkte in urban-industriellen Räumen;
- eine organisatorische Verfestigung innerhalb der eigenen Binnenstrukturen im Westen, durch kommunalen und Mandats- und Fraktionszuwachs.
Mit 14,5% konnte das Ergebnis im Vergleich zur letzten Kommunalwahl 2020 fast verdreifacht werden. Statt 186 kommunaler Mandate ist die AfD nun mit 552 Stadt- Gemeinde- und Ratsvertretern im einwohnerstärksten Bundesland der Republik präsent.
In den Städten Gelsenkirchen (die Stadt mit dem geringsten Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland, wo man schon zur Bundestagswahl bei den Zweitstimmen stärkste Kraft wurde), Duisburg und Hagen schafft es die Partei erstmals im Westen in eine Bürgermeister-Stichwahl. Bisher war die Partei von solchen Zweikampflogiken in den alten Bundesländern ausgeschlossen. Nun bietet sich eine neuerliche Polarisierungszone, die örtliche Sichtbarkeit und Präsenz erhöht, auch wenn die realen Siegeschancen gen null tendieren.
In 208 von den 260 Gemeinden und Städten konnte die Partei ein zweistelliges Ergebnis verbuchen. In 17 davon sogar über 20%. Mit dem signifikanten Mandatszuwachs entstehen strukturelle Dreh und Angelpunkte über Fraktionen, neue Geschäftsstellen und Ausschußsitze.
Die regionalen Schwerpunkte lagen im Ruhrgebiet, insbesondere in Städten mit traditioneller Arbeiterprägung, sozialstrukturellem Wandel und industriellem Strukturabbau. Dort gelingt der Partei der Zugriff auf Wählermilieus, die über Jahrzehnte eng an die SPD gebunden waren.
Daß Kommunalwahlen organisatorisch die anspruchsvollsten Urnengänge sind, macht diese Bilanz besonders bemerkenswert. Kandidatenrekrutierung, Listenaufstellung, lokale Kampagnenlogistik und die Belastung ehrenamtlicher Strukturen sind hier entscheidend. Ein mitgliederstarker Landesverband wie NRW mit ziemlich genau 10.000 Mitgliedern muß zunächst mehrere tausend Bewerber für kommunalpolitische Ämter finden.
Häufig muß dabei auch auf einen Pool an Sympathisanten außerhalb der eigenen Mitgliederstrukturen zurückgegriffen werden, was in der Vergangenheit in anderen Verbänden schon häufiger zu fragilen kommunalen Fraktionsallianzen geführt hat und einiges an Disziplinierungsaufwand erfordert.
Nicht nur muß man zunächst geeignete Bewerber finden, sondern auch solche, die trotz möglichen Reputationsverlust, Antifa-Outings und linker Gewalt bereit sind, für die AfD Gesicht zu zeigen – ohne üppige Diäten wie in den Landtagen oder dem Bundestag.
Aus diesem Grund blieben 136 Gemeinden offen, in denen die AfD überhaupt nicht auf dem Wahlzettel stand. Auch dies dürfte das unter dem Trend liegende Ergebnis von 14,5% noch etwas gedrückt haben.
Generell reagierten manche rechte Akteure auch auf X und anderen Plattformen ernüchtert auf die Ergebnisse in Nordrhein-Westfalen. 14,5% lägen immer noch unter dem allgemeinen Bundestrend und sogar unter dem Bundestagswahlergebnis in NRW, das im Februar 2025 erzielt wurde. Schnell nutzt man dann solche Zahlen für ein ritualisiertes AfD-Westbashing.
Doch die alte Regel gilt: Kommunalwahlen sind mit Bundes- oder Landtagswahlen nur schwerlich zu vergleichen und liegen im Ergebnis tendenziell immer unter den sonstigen Landestrends. Die Faktoren sind vielfältig: Stärkere Personalisierungslogik bei Regionalwahlen, geringere Wahlbeteiligungen, andere Wahlsysteme und durch fehlende 5%-Hürden auch ein deutlich größerer Parteienwettbewerb zwischen Etablierten und kleineren Bürgerbündnissen, die hier und dort eigene regionale Schwerpunkte und Akzente setzen.
Auch in den ostdeutschen Bundesländern liegen die Kommunalwahlergebnisse teilweise deutlich unter denen von Landtags- oder Bundestagswahlen. Das ist also kein NRW-Spezifikum.
Thematisch bleibt Migration der stärkste Treiber unter AfD-Wählern. Bei Nachwahlbefragungen gaben 75 % der AfD-Wähler diesen Themenkomplex als wahlentscheidend an, was insbesondere in Nordrhein-Westfalen nicht überraschend sein dürfte, wo die sozialen und kulturellen Verwerfungen der Massenmigration für die Menschen direkt vor der Haustür liegen.
Nahe liegt die Frage, warum die Partei trotz dieser migrationskritischen Zuspitzung in den NRW-Hotspots nicht längst deutlich stärker abschneiden würde. In meinem letzten Beitrag habe ich bereits erläutert, daß kollektives Wahlverhalten nicht immer nur auf aktuelle Ereignisse oder eine objektive Sichtbarkeit der Problemlagen reagiert. Insbesondere in Westdeutschland haben sich über mehrere Jahrzehnte milieuspezifische Wahlverhaltensmuster eingeschrieben, die sich über mehrere Generationen in bestimmten örtlichen Bezügen fortsetzen.
Die traditionellen Volksparteien wie SPD und CDU sind dort über 40 Jahre länger als etwa im Osten in lokalen Verbandsstrukturen, Vereinen und anderen Zivilinstitutionen verwurzelt. Dies ist auch in den regionalen Hochburgen der Parteien noch klar erkennbar. Zwar kamen SPD und CDU bei der Kommunalwahl 2004 zusammen noch auf 75% und landeten nun bei 55%. Aber immer noch sind die Schwerpunktregionen sichtbar: Kernmilieus katholischer Prägungen mit hohen CDU-Stimmenanteil im Münsterland und südlichen NRW und analog dazu für die SPD in den alten industriellen Arbeitersiedlungen des Ruhrgebiets (wo jedoch die AfD als disruptiver Faktor am stärksten durchschlägt).
Im Ruhrgebiet bleibt die SPD zwar weiter die dominierende Kraft, wird aber mit einem überdurchschnittlichen Ergebnis von 18,2% der AfD Schritt für Schritt unter Druck gesetzt.
Nun gilt es die hinzugewonnenen Stimmen auch in örtliche Strukturarbeit zu transformieren. Zentral dabei sollte der Landesverband entsprechende Koordinatorenstrukturen zu schaffen, die die Vielzahl neuer Fraktionen und Mandatsträger betreuen, schulen, inhaltlich verzahnen und Scharniere zu den nächsthöheren Parlamentsebenen bei der Landtags- und Bundestagsfraktion aufbauen.


Le Chasseur
Götz Kubitschek: "Die ersten 100 Tage - Eine Vision" | Bürgerhaus Bilk, AfD Düsseldorf
https://www.youtube.com/watch?v=j73_lpmSKTs