Und ja, für uns Heranwachsende sah es in den Sechzigern und Siebzigern so aus, als würde – kindlich gesprochen – am Ende wirklich alles gut. So wie nach den Trostworten aller Mütter. Die dunklen Zeiten, hörten wir, sie lägen schon hinter uns. Mit unserer Geburt, deren Platz auf dem Zeitstrahl, hätten wir Glück gehabt.
Indes: Es wird letztlich nichts gut. Mit dieser Grundeinsicht gilt es zu leben.
Unser kleines Land, hieß es in den Siebzigern, blühte auf. Es strebte auf, wollte in die Höhe wie der gerade neu gebaute Berliner Fernsehturm, der zum Symbol einer Erfolgsgeschichte verklärt wurde, eine Karikatur des Turms zu Babel. Klassenfahrten führten gern ins Zentrum von „Berlin – Hauptstadt der DDR“, denn hier sah man: Es ging voran. So schien es.
Endlich wird’s doch wohl besser, meinten sogar die Alten, die noch den Krieg kannten, von dem uns erzählt wurde wie von einem langsam verblassenden Alptraum. Unvorstellbar war uns Nachgeborenen schon, daß die Eltern, mindestens aber die Großeltern diese Finsternisse direkt erlitten hatten.
Krieg gab’s nunmehr, so schien es, ja nur noch anderswo – dort, wo das Welt-Böse eben noch nicht besiegt war, aber doch schon deutlich zurückwich:
Wir spendeten für die tapferen Vietnamesen, die den „US-Aggressor“ besiegten. Was für ein Triumph dann in Saigon im April 1975, was für eine Niederlage andererseits, sich ikonografisch niederschlagend in den Bildern vom Flucht-Helikopter auf dem Dach der US-Botschaft, diesem Last Exit der „Imperialisten“. Wir sahen’s mit Häme. Ach, wir hatten keine Ahnung, denn noch fehlte uns ein Minimum Übersicht …
Dazu seit den Sechzigern all die „jungen afrikanischen Nationalstaaten“, endlich unabhängig vom „kolonialen Joch“, befreit von jungen Kämpfern – so ähnlich wie 1959 bereits das Kuba Fidel Castros und Che Guevaras.
Die „fortschrittlichen Kräfte“, das Gute in der Welt, schienen durch nichts aufzuhalten, und daß es in Chile dann doch anders kam, daß General Pinochet dort 1973 mit einem von der CIA unterstützten Putsch die Allende-Regierung stürzte, verstärkte mindestens doch unsere Sicherheit, auf der richtigen Seite zu stehen, so wie das in der DDR stattfindende „Festival des politischen Liedes“ die besseren Lieder der besseren Menschen zu präsentieren schien.
Daß sich das alles als so infantile wie gefährliche Illusion erwies, daß aus den „jungen afrikanischen Nationalstaaten“ beinahe ausnahmslos und offenbar unweigerlich brutale Diktaturen und schlimme Kleptokratien wurden, ja daß selbst das letzte progressive Beispiel, das von der Somoza-Diktatur befreite Nikaragua, gleichfalls diesen Weg nahm, auf dem sein sympathischer Befreier Daniel Ortega zu einem Verbrecher am eigenen Volk schrumpfte, daß das alles so lief und sich die Welt eben nicht zum vermeintlich Guten wandelte, sondern genau das blieb, was sie immer war, das ist wohl die Lektion, die jede Generation immer wieder neu zu lernen hat.
So wie wir schließlich eingestehen mußten, daß für Chile die Pinochet-Diktatur perspektivisch eher doch ein Segen war, so anziehend der Allende-Staatsozialismus auch anmutete … -
Die die Welt wieder so einrichten, wie sie nun mal ist, die ihr das Ende gefährlicher Illusionen verordnen, vor allem jener vom guten Menschen, diese ernsten, selbst tragischen Reaktionäre, die Irrwege korrigierten, sich die Hände schmutzig machen und dabei teils brutal Träume beenden, haben nicht das sympathische Gesicht Castros, Ortegas und Allendes, sie sehen nun mal eher so aus wie Francisco Franco, António de Oliveira Salazar, Augosto Pinochet, aber mit der so notwendigen Bitternis ihrer Art retten sie meist gerade noch das, was zu retten ist – ein Minimum an institutionalisierter Stabilität, derer wir alle im großen Drama des Menschlichen doch bedürfen.
Man lernt das nicht in der Schule, man lernt das vom Leben selbst und dann endlich mit einem tieferen Blick in die Geschichte, der doch immer ein Blick in die Abgründe ist.
Die Linke, immer so hoffnungsvoll und vermeintlich menschenfreundlich, gibt sich gern Attribute der Jugend, sie geriert sich etwa im TikTok-Chic Heidi Reichinneks als hippe pubertäre Schönheit, sie meint es besser zu wissen als die lebensernsten Alten, die ihr starrsinnig und unerotisch im Wege stehen.
Und doch:
Noch jede Jugend gewinnt mit den Zügen des Alters jenen Pessimismus, dessen ruhiger Lebensernst irre Turbulenzen beruhigt und dümmliche wie gefährliche Experimente beendet – Wokeneß als letztes eindrucksvolles Beispiel, bizarr komisch, aber gleichsam gefährlich durch die Liaison von luxusgeborenen linken Bügersöhnchen und höheren Töchtern mit dem arroganten Linksliberalismus ihrer Eltern.
Mag sein, ideell war die Linke nie so erledigt wie gegenwärtig. Und wenn sie in der deutschen Linkspartei gerade dennoch 120.000 meist sehr junge Leute versammeln, dann ist das nicht mehr als ein spätsommerliches Festival von Träumern und Neurotikern. Das darf man sogar mit innerem Respekt feststellen: Ach, laßt sie doch noch ein wenig sich selbst feiern und Träumen nachhängen, die – zum Glück – gerade mal wieder ausgeträumt sind. Laßt sie das Böse wegzumogeln versuchen. Aber: Der Winter kommt …
Letztlich erwies sich das „Viva la muerte!“ der Falange gegenüber „Venceremos!“ oder „No pasaran!“ doch als die stärkere Losung, als die letztlich bessere sowieso, so düster sie auch klingt. Allzu grelles Licht bedarf der Düsternis als Widerpart. Unsere gnostisch anmutende Verdammnis ist leichter faßlich als das immer so erwünschte Heil.
„Mit Ausnahme einiger Sonderfälle neigt der Mensch nicht zum Guten“, schreibt E. M. Cioran. „Um die geringste nicht vom Bösen befleckte Tat zu begehen, muß er sich überwinden, sich Gewalt antun. (…) Das Gute, was war oder sein wird, es ist das, was niemals ist. (…) Ob sich unser religiöses Leben auf Hiob oder Paulus bezieht, es ist jedenfalls Streit, Exzeß, Zügellosigkeit.“ – Die einzigen Gegenmittel – Abstand, Demut, Askese – erscheinen nicht vermittelbar, sie sind aber die Empfehlungen der Reaktion.
Faust und Mephistopheles sind keine sich ausschließenden Wesen, sie bedingen sich, sogar als ein und dieselbe Person. „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen …“ – Wir dürfen annehmen, welche die stärkere ist.
Dieter Rose
In jeder Hinsicht ins Herz getroffen.
Man findet sich wieder im eigenen Denken!*
Toll!
*trotz Aufwachsens im "Goldenen" Westen.