Alles ändert sich rasant. Wie relevant also das folgende zu dem Zeitpunkt, da es gedruckt erscheint, noch ist, weiß keiner.
Bleiben wir im Nahbereich, dort, wo wir die Protagonisten kennen und Hand anlegen zu können vermeinen: Haben die transatlantische Neuausrichtung der Gesamtpartei und Maximilian Krahs Wendung überhaupt etwas miteinander zu tun – jenseits der Tatsache, daß sie etwa zur selben Zeit stattfinden? Ist beides die Korrumpierung der Macht? Und wenn ja, sind das zwei Teile desselben Prozesses? Zwei Phänomene können ja durchaus gleichartig sein, ohne miteinander in Zusammenhang zu stehen.
Daß sich die Führung der AfD, vor allem mit Alice Weidels Auftritt auf der CPAC in Ungarn, stärker transatlantisch orientiert, hat einen tieferen Grund und zwei oberflächliche Ursachen. Die erste dieser beiden Ursachen ist, daß eine Regierungsbeteiligung der AfD nun mit jeder neuen Ziehung der politischen Lotterie erfolgen kann. Dies erhöht die Attraktivität der AfD bei tendenziell ähnlich gesinnten Partnern im Ausland.
Das wirkt natürlich auch auf die Partei zurück, die nun eben auf dem Parkett der innerwestlichen Beziehungen Angebote erhält, die sie so bis vor kurzem nicht hatte. Die zweite oberflächliche Ursache ist der Regierungswechsel in den USA von Joe Biden zu Donald Trump. Was immer man sonst über Trump sagen mag: Mit seiner Wahl wurden die ideologischen Gegner einer Zusammenarbeit mit der AfD aus der US-Regierung entfernt. Beides hat dazu geführt, daß nun für eine deutsche Partei rechts der Union eine transatlantische Option besteht.
Diese transatlantische Option hat den tieferen Grund hinter der Transatlantisierung nur freigelegt, und zwar allein dadurch, daß es sie nun gibt: Die Transatlantiker haben sich gegenüber den Multipolaristen im selben Moment durchgesetzt, als das, was an geopolitischen Möglichkeiten theoretisch ventiliert wurde, durch einen einzigen konkreten Moment vom Tisch gewischt wurde – von Musk und Vance und jetzt von Orbán und seiner transatlatischen CPAC-Konferenz.
Wir hören ja viel von der multipolaren Welt, von Rußland und China; aber Deutschland liegt auch und gerade in einer multipolaren Welt in Europa. Da ist Frankreich, da ist Polen, und wir sind in der Mitte. Wer wissen will, was passiert, wenn man vergißt, wo sein Land auf der Karte liegt, der kann sich das in der Ukraine ansehen. Kein europäisches Land würde in einem Konflikt mit einem anderen die Hilfe Uncle Sams ausschlagen.
Kein europäisches Land ist stark genug, Europa zuverlässig gegen raumfremde Großmächte abzuriegeln. Die NATO ist die Institutionalisierung dieser Tatsache. Für eine europäische Einigung fehlen Preußen oder Piemont. Auch Deutschland ist dafür zu klein, war es sogar 1939, hat außerdem keine Atomwaffen. Das Ende der transatlantischen Ordnung Europas wird eines Tages von Ereignissen in Amerika ausgehen, nicht von solchen in Europa. Bis dahin müssen rechte Bewegungen in einem europäischen Land, vor allem aber in einem zentralen europäischen Land, damit leben. Das heißt de facto: die Erwartungen anpassen.
Der italienischen Ministerpräsidentin Meloni wird oft vorgeworfen, sie habe für ihre außenpolitische Kapitulation nichts als die bloßen Regierungsämter bekommen. Stimmt und stimmt nicht ganz: Der Deal – außenpolitischer Gehorsam gegen innenpolitische Gestaltungsmacht – funktioniert nicht wie eine glatte Rechnung. Aber so zynisch es klingt: Wenn Meloni diesen Deal nicht eingegangen wäre, dann hätte sie nicht einmal die Regierungsämter bekommen – und nicht ein kleines bißchen von dem, was man Gestaltungsmacht nennt.
Auf Ungarn und Orbán blicken wir da großzügiger. Warum eigentlich? Und ist der Umstand, daß Kickl in Österreich keinen Kompromiß eingehen wollte und einen solchen ausschlug, tatsächlich genau das richtige gewesen? Für jeden, der eine Partei führt, gilt an dieser Stelle doch: Wenn ich es nicht mache, macht es ein anderer. Dieser andere wird dann auch Staatsmittel und Strukturen übernehmen und zum Einsatz bringen.
Maximilian Krah: Seine Wendung beruht auf einem ganz anderen Problem, das aber zu einer ähnlichen Situation führt. Es gibt in der Einwanderungspolitik etwas, das in Analogie zum magischen Viereck der Wirtschaftspolitik das magische Dreieck der Migrationspolitik genannt werden könnte: Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Erhalt des Volkes. (2)
Diese drei Ziele passen nicht zusammen. Denn in einer Demokratie können Migrationsgegner und Migrationsbefürworter gleichermaßen Wahlen gewinnen. Gewinnen die Migrationsbefürworter, dann können sie Menschen ins Land lassen und ihnen subjektive Aufenthaltsrechte geben. Kommen dann die Migrationsgegner wieder an die Macht, so ist es für sie viel schwieriger, diese Rechte wieder zu kassieren.
Im Falle der Staatsbürgerschaft ist es nach geltender Verfassungslage unmöglich, und schon das Nachdenken darüber wird als verfassungsfeindliches Ansinnen markiert. Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Volk – mindestens eines der drei muß weichen. Die bundesrepublikanische Justiz hat entschieden, daß das deutsche Volk weichen muß. Damit ist allen, die nicht wollen, daß das deutsche Volk in einem importierten Bevölkerungsbrei verschwindet, gesagt: Ihr könnt in diesem System nicht gewinnen!
Ungeachtet dieser juristischen Lage steigt die nationale Karte im politischen Wert. Die Masseneinwanderung hat Konsequenzen, die im ganz realen Leben spürbar sind. Abgesehen davon: Menschen mit halbwegs gesunder seelischer Verfassung wollen nicht ausgetauscht werden, wollen nicht, daß ihr Volk verschwindet, und es ist ihnen da auch recht egal, was irgendein Richter dazu sagt.
Das liegt nicht zuletzt an etwas, das einmal klar ausgesprochen werden muß: Ein Vielvölkerstaat kann allenfalls dann Rechtsstaat sein, wenn, wie im alten Habsburgerreich, sehr ähnliche Völker unter einer Herrschaft zusammengefaßt werden. In einer heutigen Einwanderungsgesellschaft, deren Bevölkerung aus allen Ecken des Erdballs kommt, gleitet der Rechtsstaat unvermeidlich in die Anarchotyrannei ab.
Der Grund ist ganz einfach: Die Kosten der Rechtsdurchsetzung sind bei unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich hoch. Unter dem Grundsatz der Gleichberechtigung sind aber die Mittel, die der Staat einsetzen darf, gegenüber allen dieselben.
Auch unter den besten Umständen hat daher jeder Rechtsstaat einen Hang zur Anarchotyrannei: Man wird immer finden, daß die Justiz harmlose Bürger mit Schwachsinn schikaniert, während asoziale Elemente dem Staat auf der Nase herumtanzen. In einem ethnisch homogenen Staat kann man aber die Rechtslage an die psychometrischen Mittelwerte dieses einen Volkes anpassen. In einer heutigen Einwanderungsgesellschaft ist das nicht möglich. Hier bekommt Kai Uwe die Tür eingetreten, weil er einen Politiker Schwachkopf genannt hat, während Yussuf schon mit 15 eine Polizeiakte bis zum Mond hat, ohne daß irgendwas daraus folgte.
Das ist nicht die Bösartigkeit irgendeiner herrschenden Partei, das ist die Logik des Rechtsstaats in der multiethnischen Realität. Auch der Teil, bei dem Kai Uwe die Tür eingetreten bekommt. Irgendwie muß dieser Staat sich ja vor den politisch Unzufriedenen absichern.
Der Deutsche auf der Straße kann das nicht so formulieren. Das braucht er aber auch gar nicht, um zu bemerken, daß er den Polizeistiefel ins Gesicht bekommt, ohne sich auf den Schutz des Staates gegenüber denjenigen verlassen zu können, die laut Gesetz und Verfassung nun seine gleichberechtigten Mitbürger sind.
Und der Deutsche muß auch kein Buch über politische Theorie gelesen haben, um zu verstehen, daß er den Polizeistiefel abbekommt, nicht obwohl, sondern weil er rechtstreu und vor allen Dingen in seinem Temperament ganz gut berechenbar ist: Denn Gesetz und Strafe sind in Mitteleuropa auf die Kulturstufe, das Rechtsverständnis und den Gehorsam von Mitteleuropäern ausgerichtet, nicht auf die jener, die aus failed states zuströmen und sich in Sippenordnungen verhalten, weil es für sie nie etwas anderes gab.
Für diejenigen, die in dieser Zeit mit der nationalen Karte Politik machen wollen, ergibt sich daraus eine paradoxe Situation:
Auf der einen Seite müssen sie dem Volk, und zwar dem ethnischen Volk, versprechen, daß es wieder Herr im eigenen Haus sein wird und zumindest die sichtbaren und greifbaren Mißstände abgestellt werden. Zum anderen ist dies innerhalb des juristischen Rahmens nicht möglich.
In Deutschland, wo die Brandmauer steht, machen wir uns das nicht bewußt, aber im Rest der westlichen Demokratien bestand die rechte Politik der vergangenen zehn Jahre aus diesem Spagat. Das ist auch der Grund, aus dem die politischen Vertreter der Rechten, die in irgendwelche Ämter kommen, sich bisher stets als Enttäuschungen herausgestellt haben. (3)
Aber sine ira et studio betrachtet: Auch das ist ein Problem, das denjenigen belohnt, der es löst. Wie kann man die Unzufriedenheit über Umstände, die man nicht ändern kann, in Wählerstimmen ummünzen und diese Wähler möglichst lange halten?
Die Lösung ist der Rechtspopulismus. Man verspricht den Wählern die Ergebnisse: von nationaler Identität und einem Recht auf Heimat über bezahlbaren Wohnraum und einen Rückgang der Sozialtransfers bis zu sauberen Bahnhofstoiletten – alles, was nur durch eine Rückführung der Einwanderer erreicht werden könnte. Und natürlich redet man über sichere Grenzen und die Abschiebung illegaler Einwanderer.
Versucht man dann, die letzten beiden Forderungen umzusetzen, gerät man in Konflikt mit der Justiz. Trump, Salvini, Meloni haben das alle erfahren. Aber weil es niemanden gibt, der einen anderen Weg vorschlägt, scheint es zum Rechtspopulismus keine Alternative von rechts zu geben. Seine Methode ist der Zirkus (4), der das Scheitern unter einer bis ins Groteske verzogenen Tagespolitik zu verstecken versucht. Vor allem aber liefert man Nationalismus als Gefühl, ohne nationale Politik. Donald Trump ist darin der unübertroffene Meister.
Maximilian Krah ist hier insofern eine sehr seltene Ausnahme, als er derzeit versucht, eine ernstzunehmende Alternative dazu aufzubauen. Frappierend daran ist, daß er sein Abrücken intellektuell rechtfertigt und das ausspricht, was bisher kaum einer zu sagen wagte: daß die Deutschen ihr Recht auf Land und Staat aufgeben sollen, welches ihnen nach der freiheitlichen demokratischen Ordnung des Grundgesetzes sowieso nicht gehört, sondern der rechtlich verfaßten Gemeinschaft der Staatsbürger, über deren Zusammensetzung der mächtige, antideutsche Gegner entscheidet.
Krah hätte sich neu aufstellen und diese Überzeugung vertuschen können. Das machen viele so in der AfD: denken so, spielen aber weiterhin die rechtspopulistische Karte. Krah aber entwirft Pläne dafür, wie das deutsche Volk sich ohne Staatsmacht in intermediären gesellschaftlichen Strukturen als Volksgruppe innerhalb eines Vielvölkerstaates organisieren könnte. (5)
Ob er ernst nimmt, was er sagt, ob er es ehrlich so meint, ist Streitpunkt einer leider längst vergifteten Debatte – vergiftet, weil Krah Martin Sellners Remigrationskonzept öffentlich in der Feindpresse (Correctiv, t‑online) als verfassungsfeindlich markierte.
Aber das Gift nun einmal beiseite gelassen: Krahs Ansatz ist die Flucht aus dem vermeintlich Illegalen in das offensichtlich Unmögliche. Er schlägt Parallelgesellschaften vor, einen Binnenethnopluralismus, eine Art ausgehandeltes Nebeneinander. Aber er bringt dabei die Gleichheit der Staatsbürger mit ihrer Unmittelbarkeit zum Staat durcheinander.
Letztere kann der moderne Staat tatsächlich nicht aufgeben, ohne sich selbst aufzugeben. Das heißt aber, daß er echte intermediäre Gewalten in der Gesellschaft nicht dulden wird, nicht bei einer Volksgruppe, die immer noch mehr als groß genug ist, ihm gefährlich zu werden.
Gleichzeitig hat Krah damit recht: Dies aufzubrechen wäre nur möglich durch Veränderungen, die herbeizuführen eine parlamentarische Partei die Macht nicht hat. Hat sie statt dessen die Macht, den Status quo zu halten? Krahs Versprechen, man könne auf dieser Basis weitere Einwanderung verhindern, ist unpolitisch. Sobald wieder irgendwoher eine Mehrheit für weitere Einwanderer kommt, werden auch die ihre Aufenthaltstitel und früher oder später ihre Staatsbürgerschaften haben.
Machen wir uns nichts vor: Der fortschreitende Bevölkerungsaustausch schafft Raum für Politiker und Parteien, die ihn und seine Folgen anprangern, ohne aber, daß diese Politiker und Parteien hoffen können, etwas Grundlegendes daran zu ändern. Was immer ihre persönlichen Leistungen und Fehler sind: Sie sind genauso wie ihre Wähler austauschbare Komparsen in einem Stück, das nun zu Ende gespielt werden wird.
Es gibt einen großen Markt für politische Rhetorik von rechts. Aber noch keine Möglichkeit, Politik von rechts zu gestalten. Das ist es, was am Ende die transatlantische Neuausrichtung der AfD und die Wendung Maximilian Krahs miteinander verbindet: daß zwischen den Erwartungen und dem innerhalb der Rechtsordnung möglichen Ergebnis eine gewaltige Lücke klafft.
Das ist immer so, wenn ein altes System reformunfähig ist. Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte und wird nicht das letzte Mal bleiben. Die Geschichte selbst geht weiter, entwickelt sich, so oder so. Und jede Zeit hat ihre Protagonisten.
Wer im Hier und Heute an der Spitze Politik machen will, muß vor allem Erwartungsmanagement betreiben. Wer das nicht machen will, der darf zum jetzigen Zeitpunkt nicht an der Spitze stehen wollen. Er würde sich dort auch nicht halten können. Bis sich das ändert, gibt es Erwartungsmanagement von rechts. Wie lange? Zwei Monate? Zwei Jahre? Zwanzig Jahre?
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(1) Vgl. Bundesverwaltungsgericht: »Bundesverwaltungsgericht hebt COMPACT-Verbot auf«, Pressemitteilung
Nr. 48/2025 vom 24. Juni 2025 (bverwg.de).
(2) Vgl. Johannes Konstantin Poensgen: »Das magische Dreieck der Migrationspolitik«, fragenzurzeit.de vom 10. Februar 2024.
(3) Johannes Konstantin Poensgen: »Die Neue Rechte ist gescheitert. Was nun?«, fragenzurzeit.de vom 21. April 2025: »Aus dem inneren Widerspruch des migrationspolitischen Dreiecks zieht der Rechtspopulismus seine innere Überlegenheit gegenüber der Neuen Rechten. Der Rechtspopulismus nämlich führt die metapolitische Strategie der Neuen Rechten bis zu ihrer äußersten Konsequenz als reiner Symbolpolitik. So konsequent metapolitisch wie der Rechtspopulismus kann die Neue Rechte gar nicht sein, weil sie realpolitische Ziele hat, die nicht meta-irgendwas sind.«
(4) Vgl. Neema ‑Parvini: »Slopulism: 5 Tricks Populists Use To Manipulate Follower«, youtube.com vom 9. April 2025.
(5) Maximilian Krah: »Jetzt!«, sezession.de vom 28. Juni 2025: »Die Bewahrung des Deutschen kann daher nicht über den Staat erfolgen, sondern nur neben ihm. Die Bundesrepublik Deutschland ist eben nicht der Staat des deutschen ethnischen Volkes, sie ist der Staat ihrer jeweiligen Staatsbürger. Das große Problem der Anhänger Martin Sellners ist, daß sie diese evidente Tatsache nicht anerkennen wollen. Das Problem meiner Argumentation ist, ihnen diese Wahrheit zumuten zu müssen.«

Laurenz
@JKP ... Die Haltung Krahs ist nicht un- oder apolitisch, sondern selbstmörderisch. Was passiert denn, wenn der Staat tatsächlich nicht mehr kreditwürdig ist & kein Migrantengeld mehr zahlen kann? Dieser Tag liegt auch ohne Krah in nicht allzu weiter Ferne. Habsburg ist ein schlechtes Beispiel, weil Habsburg an den überproportionalen Investitionen in Bosnien scheiterte & sich nicht gerüstet auf einen Krieg einließ, ähnlich unseren Berliner Trotteln. Rußland ist das bessere Beispiel für einen einigermaßen funktionierenden Vielvölkerstatt, besser als die USA. Los Angeles ruft quasi den Notstand aus, um die illegalen Migranten vor Trumps ICE (Inlandstruppen) zu schützen. In den USA geht es schon zur Sache. In der Meloni-Frage habe Sie sicherlich Recht, aber es liegt an Meloni, unmißverständliche Gesetze zu schaffen. Orban führt einen kleinen 10 Mio. Staat. Aufgrund mangelnder militärischer Option wahrt Orban eher außenpolitische Neutralität & kauft Russischen Sprit & setzt sich damit auch gegen EU & Trump durch, & empfängt auch jeden Politiker, ob Lawrow oder Bibi.