Ist eine Zusammenarbeit der deutschen und polnischen Rechten auf Augenhöhe überhaupt möglich? Gibt es in Polen eine Rechte, die ohne chauvinistisch-revanchistische Untertöne auskommt?
Eines steht fest: Wir müssen reden. Über unser Verhältnis zu Polen, über das Verhältnis der polnischen und der deutschen Rechten, über das gemeinsame historische Erinnern.
Für viele ist es zur Routine geworden, die ständigen Provokationen unseres östlichen Nachbarn zu ignorieren und als Eigenheit der polnischen Innenpolitik abzutun, die für das deutsch-polnische Verhältnis keine Relevanz besitze, weil ja hier wie dort ohnehin niemand Reparationsforderungen und andere Dreistigkeiten ernst nähme und das nun einmal zur Mobilisierung der polnischen Wähler gehöre – jedenfalls handle es sich um eine Forderung, die die politische Führung nicht in Realpolitik umsetzen könne und das ja natürlich auch wisse.
Ich halte diese Ansicht für unpolitisch und für grundsätzlich falsch: Läßt sich eine Seite wiederholt beleidigen, beschimpfen und vorführen, dann verliert sie nicht nur die Achtung vor sich selbst, sondern auch die seiner Nachbarn. Wer das für vernachlässigbar oder nicht politisch relevant hält, der verkennt die zentrale Bedeutung der Erinnerungspolitik und ihrer Symbolik für die innere Ordnung einer Gesellschaft und für die Ordnung der Staaten.
Wer sich infolge von Re-Education und BRD-Sozialisation am Ende der Geschichte wähnt, für den ist diese Denkweise sicher ungewohnt. Dabei ist gerade die BRD am Stärksten von einem erinnerungspolitischen Dogma betroffen. Dieses Dogma, in dessen Folge jeder positive Rückbezug auf das Eigene aus dem öffentlichen Raum verschwunden und kollektiven Bußritualen gewichen ist, ist letztlich wiederum nur ein Spiegelbild der innen- und außenpolitischen Lage dieses Landes.
Wer also der Hollywood-Version des 20. Jahrhunderts nicht widersprechen will, der muß sich nicht wundern, daß Europa und damit auch Deutschland eine Kolonie der USA bleiben. Die erinnerungspolitische entspricht der geopolitischen Lage.
Wer die polnischen Äußerungen zum Anschlag auf Nord Stream II und zugleich die amerikanische Unterstützung unseres östlichen Nachbarn betrachtet, erkennt ein Muster: Polen scheint von den Vereinigten Staaten bewußt in die Rolle eines geopolitischen Keils gedrängt zu werden. Dieser Keil soll eine eigenständige deutsche Politik verhindern – einschließlich einer verläßlichen Energieversorgung aus Rußland und einer Unabhängigkeit von amerikanischer Einflußnahme.
Äußerungen wie die von Donald Tusk, das Problem Europas sei nicht, daß Nord Stream II in die Luft gesprengt, sondern daß es gebaut worden sei, gelten in Polen noch als gemäßigt, ja feige. Dariusz Matecki etwa, Abgeordneter der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im polnischen Sejm, läßt hinsichtlich seiner antideutschen Einstellung an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig:
Der Deutsche wird immer ein Feind bleiben. (…) Wer Freundschaft mit einem Deutschen sucht, muß entweder Agent sein oder ein Idiot.
ließ er erst im Oktober verlauten. Für solche Politiker ist schon der Verweis auf Verfahrensfragen und Gerichtsentscheidungen defensiv, im Grunde wäre es solchen Kreisen lieber, man würde ganz klar sagen: Nord-Stream II war ein Angriff auf Deutschland, und das Letzte, was wir tun werden, ist es, irgendwelche Verdächtigen auszuliefern. Und natürlich ist das im Grunde der politische Kurs, den Polen auch offiziell fährt.
Schon im Sommer 2024 reagierte dort zunächst niemand, als die Bundesanwaltschaft die Spur eines der mutmaßlichen Täter nach Polen verfolgte, sodaß sich dieser in die Ukraine absetzen konnte.
Es ist mehr als ein diplomatischer Affront, daß ein Nachbarstaat den Terroranschlag auf die eigene kritische Infrastruktur gutheißt und auch noch die Verfolgung der Verdächtigen verhindert. Zu anderen Zeiten oder in anderen Teilen der Welt wäre das für einen souveränen Staat ein Anlass für eine ernste politische Krise, wenn nicht gar ein Kriegsgrund.
Der Transatlantiker Roderich Kiesewetter (CDU) freilich mahnte (Zitat ebenfalls aus dem Handelsblatt) dagegen an, daß wir
mehr Demut gegenüber unseren Partnern, insbesondere Polen, an den Tag legen
und uns
mehr mit der Aufklärung der verfehlten und fatalen Russlandpolitik deutscher Regierungen beschäftigen sollten.
Und auch Julian Reichelt, dessen Medienplattform NIUS zuletzt auf eine neokonservative Wendung der AfD hinzuarbeiten scheint, meinte angesichts Chrupallas völlig zutreffender Anmerkung zum Verhalten der polnischen Regierung noch einmal die NATO-Unterwerfung betonen zu müssen – und daß wir als Deutsche den Polen „für ihre Entschlossenheit jeden Tag dankbar sein“ sollten,
besonders vor dem Hintergrund, daß Polen wenig historischen Anlaß haben, Deutsche mit ihrem Leben zu verteidigen
– der antideutsche Seitenhieb scheint Grundlage der ideologischen Westbindung zu bleiben.
Demut scheint hier kaum das Mittel der Wahl zu sein. Angesichts der Maßlosigkeit polnischer Politiker, für die ein Viertel des deutschen Staatsgebietes, das Polen 1945 annektierte, und deutsche Dauersubventionen via Brüssel noch lange nicht genug sind; die meinen, daß man normale Gespräche erst führen werde, wenn zusätzlich Milliarden-Reparationen geflossen sind und sich die BRD die polnischen Bedingungen zu seiner Energieversorgung hat diktieren lassen, scheint ein Ausgleich kaum vorstellbar.
Es ist eine Überheblichkeit, die geopolitisch nur durch die transatlantische Rückendeckung und erinnerungspolitisch erst durch die eklatante Verdrängung polnischer Verantwortung auf der einen und die deutschen Erniedrigungsrituale auf der anderen Seite möglich wird. Die geopolitische entspricht der erinnerungspolitischen Lage.
Schon das „Überfall“-Narrativ, das übrigens US-amerikanische Stellen (in Form der „Anti-Defamation-League“) explizit so von der BRD eingefordert haben (Stefan Scheil: Transatlantische Wechselwirkungen), ist eine erinnerungspolitische Kapitulation. Die Kniefall-BRD hat dem polnischen Opfermythos dann nicht nur nichts entgegengesetzt, sondern ihn noch befeuert.
Steinmeiers jüngste Äußerungen zum 70. Gründungsjubiläum der Bundeswehr, demnach Deutschland „Anfang der 50er Jahre noch ein verwahrlostes Land“ gewesen sei, „auch moralisch“, entsprechen der Internalisierung der amerikanischen Umgestaltung unserer nationalen Selbstwahrnehmung.
Die deutsche Rechte sollte nicht denselben Fehler machen, sondern der einseitigen Opfererzählung entschieden widersprechen. Ich habe daher auf Äußerungen des polnischen Sejm-Abgeordneten Krzysztof Bosak reagiert, indem ich seiner Darstellung deutscher Verbrechen die Politik der ethnischen Säuberungen und militärischen Aggressionen Polens in der Zwischenkriegszeit gegenübergestellt habe.
Natürlich dürfen und sollen Polen ihrer Opfer gedenken, aber die Einseitigkeit und Überbetonung der polnischen Verluste wird dem historischen Zusammenhang nicht gerecht. Diese Art Äußerungen sind gedacht als moralische Erpressung und die im Wochentakt in Polen erhobenen Forderungen nach Reparationen sind der tagespolitische Ausfluß dieser erinnerungspolitischen Schieflage.
Die nicht abreißenden Anmaßungen und Forderungen haben allerdings einen Preis: Wer vor Selbstüberschätzung kaum laufen kann – faktisch aber von der amerikanischen Hegemonie abhängig ist – und gleichzeitig in Richtung Deutschland und in Richtung Rußland austeilt, den könnte der Mut verlassen, wenn die USA eines Tages ihren Fokus aus Europa abwenden, weil etwa China oder neue Krisenherde ihre ganze Aufmerksamkeit fordern. Es wäre für alle Beteiligten besser, aus den Fehlern des 20. Jahrhunderts zu lernen.
Warum betont man als polnische Rechte nicht die deutsch-polnischen Gemeinsamkeiten, etwa die begeisterte Unterstützung der deutschen Nationalbewegung für den polnischen Freiheitsdrang im 19. Jahrhundert? Warum betont man nicht das Verbindende unserer gemeinsamen europäischen Geschichte, wie die Befreiung Wiens unter der Führung Sobieskis? In meinen Augen sind das Ereignisse, die sich für ein positiv besetztes, gemeinsames historisches Erinnern anbieten.
Es muß als kleinster gemeinsamer Nenner genügen, daß wir unser geraubtes Land nicht zurückfordern. Politikern aus den Reihen von PiS und Konfederacja, denen ihre nationalen Chauvinismen des 20. Jahrhunderts wichtiger sind als der Kampf um Europa als Heimat der Europäer, muß man vielleicht einmal deutlich sagen: Wenn es ohne eine vollständige Selbstaufgabe unserer Interessen keine Verständigung gibt, dann muß die deutsche Rechte ihren Weg ohne euch gehen. An ausgestreckten Händen hat es nicht gemangelt.
Beta Jas
Das was Dariusz Matecki gesagt haben soll, erinnert an unzählige dumme Äußerungen von rechtsextremen Politikern oder Aktivsten aus Deutschland, die Forderungen nach der Rückgabe der Ostgebiete heute noch stellen, ein Schwachsinn sondersgleichen, oder das man grundsätzlich die "Geschichte anders zusehen hätte", denn der Krieg hatte angeblich viele Väter. Die Polen haben halt Jacek Saryusz-Wolski oder Matecki in dieser Kategorie.
Alles in allem können sich die Menschen, die als sogenannte "Flüchtlinge" nach Europa seit 2015 kommen können, darüber freuen, das solch schlechte Charaktere als Krebsgeschwür in Europa destruktiv wirken, anstatt das die europäische Rechte zusammenarbeitet, wo es eben ein geschlossenes Europa bräuchte. Ein fragmentiertes Europa, darüber freut sich nur die übrige Welt.