Wie kann man heute bitte “Farbe bekennen”? Ob einer geradesteht, sollte eigentlich an seinem Lebensvollzug zu messen sein. Ist er faul oder fleißig? Ehrlich oder verdruckst? Kümmert er sich oder kümmert er sich nicht? Erfüllt er das, was man früher „die Standespflichten“ nannte?
Das ist leider alles passé. Es ist so kompliziert geworden. Es gibt keine Standespflichten mehr. Du kannst heute mit guten Gründen vegan sein oder carnivor. Du kannst Tradwife sein oder in „offener Beziehung“. Du kannst Deutschland lieben oder abgrundtief hassen. Mit einer Handvoll Argumente, die du auch aus entlegenen Abgründen klauben kannst, geht eigentlich alles: Frau trotz Penis, „Schwarz“ trotz heller Haut, antifaschistisch mit brutaler Gewalt.
Wir leben in einem Basar. In diesem Basar des Allesmöglichen ist die Drogerie ROSSMANN allerdings kein öläugiger Händler unter vielen, sondern ein bedeutender Spieler.
Zu sagen, man kaufe nun nicht mehr bei ROSSMANN, ist kein kindisches, belangloses Spiel. Als Shell 1995 die Ölplattform Brent Spar im Atlantik versenken wollte und Greenpeace daraus eine Kampagne machte, erlebte die Benzinmarke einen überaus drastischen Einbruch.
Ähnliches galt, als Jacques Chirac im gleichen Jahr Kernwaffentests wiederaufnahm. Der darauffolgende Boykott französischer Produkte war kein Kinderspaß, sondern beeinflußte die Handelsbilanz heftig. Ähnlich war es bei #DeleteUber 2017.
Und besonders kraß, als die einarmige (durch einen Haiangriff) Surferin Bethany Hamilton 2024 als Werbepartnerin für die einschlägige Marke Rip Curl einer Transgender-Person wich. Die Einbrüche bei Rip Curl bezifferten sich auf eklatante Millionenhöhe, zahlreiche Filialen mußten schließen – die Konsumenten hatten einfach mit dem Geldbeutel abgestimmt.
Der moralische Impetus solcher (Nicht-)Kaufentscheidungen widerstrebt mir in der Hinsicht, daß ich gegenüber jeglichem „Massenwahn“ skeptisch bin. „Kauft nicht bei…“ ist kein guter Impuls!
Nun leben wir aber in einer gesichtslosen Konsumwelt. Die Nichtkaufentscheidung betrifft hier & heute nicht Familie D. oder R., kein alteingesessenes Geschäft von „nebenan“, sondern einen Riesen, der politisch agitiert. Angeblich sind Dreiviertel der bei ROSSMANN erhältlichen Non-Food-Produkte chinesischen Ursprungs. (Konnte es nicht verzifieren, aber laßt es ein Viertel sein.)
Ob es bei den Konkurrenten besser ausschaut, kann ich nicht sagen. Ich würde generell dafür plädieren, sich künftig bei Kloduft, Zahnweiß, Haar-Fit, Wellbeing-Tee, Duftkerzen etc. pp .zurückzuhalten und sich stets die Frage zu stellen: „Brauch ich das wirklich?“, „Macht es mich glücklicher?“, „Wären diese 5,99 nicht anderswo besser eingesetzt?“, “Von welchen Reizen laß ich mich triggern?”
Persönlich habe ich mich entschieden, nicht mehr bei ROSSMANN einzukaufen. Das ist so unbequem (ich war tatsächlich Kundin, seit ich im Osten lebe; die nächste andere Drogerie ist weit entfernt) wie unspektakulär. Mit REWE, amazon et al. habe ich es ähnlich gehandhabt, als die rabiat politisch wurden. Es sind die allerwinzigsten Stellschrauben im Getriebe. Ich esse kein Fleisch aus Massenhaltung, ich trage keine Kleidung, die in Drittweltländern gefertigt wurde. Ich kaufe möglichst kein Zeug bei Konzernen, die sich dezidiert gegen meine Weltanschauung richten.
Das ist sehr wenig und unterm Strich (des gesamten Lebensvollzugs) sicher immer noch inkonsequent. Ich lese nach wie vor Bücher aus Verlagen, die hassen, was Antaios ist, und Antaios vertreibt sie sogar. Ich höre Sender, deren Macher uns bekämpfen. Usw., usf.
Insofern hat es sicher etwas Hilfloses, Konsequenz zu bemühen innerhalb eines Lebens, das auf Inkonsequenz und Kompromisse aufgebaut ist. (Ich weiß von einer Familie in Thüringen, die DAS ALLES boykottiert. Sie leben nicht nur ohne Impfungen, Schulen, Drogeriekonsum, sondern sogar ohne Strom. Es scheint zu funktionieren. Sie ziehen das durch. Danke! Aber nein danke. Für mich persönlich.)
Nicht mehr bei ROSSMANN zu kaufen hat eine Entlastungsfunktion, zumal eine solche Nicht-Kaufentscheidung auch ganz anonym geht. Man macht einen Schnitt, der an sich unbedeutend ist und einen selbst wenig mehr kostet als ein Innehalten und (in diesem Fall, für mich) einen weiteren Weg. Wenn ihn Zigtausende machen, sieht es bereits anders aus.
Große Unternehmen sollten aus meiner Sicht gar nichts „bekennen“. Sie sollen ihren Dienst tun. Wenn sie sich genötigt sehen, weltanschauliche/politische Bekenntnisse auszurufen, ist das ein bedenklicher Schritt. Man kann hier leicht “klare Kante” zeigen.
Nicht mehr bei ROSSMANN zu kaufen ist insofern ein Micro-Akt. Auch ein Ausweichmanöver ist ein Manöver.

RMH
Nach all dem canceln, welches sich AfDler & ihre Wähler haben gefallen lassen müssen & weiterhin gefallen lassen zu haben, ist es natürlich eine berechtigte Frage, ob ab heute zurück-gecancelt wird. Bei 20-30% Wähleranteil & bestimmt noch größerem Sympathisantenanteil ist man ja mittlerweile durchaus mit beachtlicher Marktmacht ausgestattet. Die Vielschichtigtkeit & zwangsläufig damit auftretende Inkonsequenz, die damit verbunden ist, hat der Artikel gut herausgearbeitet. Der bedeutsamste Ansatz dabei ist das Reflektieren des eigenen Konsumverhaltens. Brauche ich das wirklich? Das ist der klassisch konservativere Ansatzpunkt als ein effekthascherisches, gut, dann kauf ich halt woanders. Bei R. arbeiten sicher auch zahlreiche AfD-Wähler & Sympathisanten. Die sollte man nicht im Regen stehen lassen. Wie man das dann unter einen Hut mit einem Boykott bringt, weiß ich nicht. Die Geschäftsleitung meint offenbar autoritär, im Zweifel feuere ich die dann eben, so dass diese aktuell sicher besser auch Ruhe geben. Evtl. wäre ein Aufruf, Arbeitnehmer, sucht Euch woanders einen job, eine Sache, welche den Laden auch heftig treffen kann. Ich kann mir bei dem Thema einen schlanken Fußs machen, da bei uns "dm" dominiert & die wenigen R- Filialen ohnehin nur - nach Müller - Anlaufstelle c waren.