von Roderich Blümel –
Seit dem 16. Juli 2024 fechten Juristen aus, ob das Verbot des Compact-Magazins vor Gericht Bestand haben wird. Sie beantworten mit diametral einander gegenüberstehenden Auffassungen die Frage, ob Leute wie wir uns das hätten denken können, daß es nun soweit gekommen sei mit der Achtung der Politik vor dem Recht und vor allem vor dem Gründungsmythos der deutschen Demokratie: der im Vormärz erfochtenen Pressefreiheit. Das bedeutet: Sie beantworten diese Frage nicht.
Wir verfolgen diese Fechtübungen mit großem Nichtjuristenverstand, weil sie sich wie etwas existentiell Interessantes lesen. Unser Blog hat sich mit Texten von Maximilian Krah direkt und von Thor v. Waldstein grundsätzlich an diesen Übungen beteiligt. Das Online-Format freiburger-standard.de hat umfassend auf Krah geantwortet, sehr stringent, wie wir meinen, und deswegen ersuchten wir darum, den Beitrag in unsere Druckausgabe übernehmen zu dürfen. So erscheint er hier, aus Platzgründen um zwei Absätze gekürzt, die jeweils die europäische Dimension einbezogen.
Wir danken Redaktion und Autor des »Freiburger Standard«, schieben aber folgendes hinterher: Am Ende ist der interessierte, existentiell interessierte Verleger »so unsicher als wie zuvor«, schaut, daß er zurechtkommt, und zieht sich auf die reife These zurück, daß, wer im Compact-Verbot ein Problem des Rechtsstaats sehe, den Begriff des Politischen verkenne.
Ganz Deutschland streitet um das Verbot des Compact-Magazins. Nicht wenige Juristen haben sich bereits zu Wort gemeldet und das Verbot als rechtswidrig erachtet, insbesondere bei rechten Juristen scheint diese Meinung weit überwiegend vorzuherrschen. Der Verfasser kommt zu einem anderen Ergebnis und muß vielen Argumenten widersprechen. Das Verbot wird, so die Einschätzung des Verfassers, vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesverfassungsgericht standhalten. Es ist legal – was nicht heißt, daß es legitim ist. Angesichts der Bedeutung dieser Thematik, offensichtlich fehlender Erfahrung mit Repression und der prognostizierten Verschärfung dieser in den nächsten Jahren scheint ein grundsätzlicher Blick notwendig.
Die Geburt des Verbots aus dem Geist der Repression
Repression ist die Fortführung der Politik mit staatlichen Machtmitteln. Getreu dieser Definition wurde die staatsrechtliche Geburt der Bundesrepublik Deutschland (BRD) weniger vom gleißenden Licht der Freiheit, sondern mehr von dem Zwielicht der Repression geprägt. Berufsverbote, politische Betätigungsverbote, Lagerhaft, Entnazifizierungsverfahren, Aberkennung bürgerlicher Freiheiten, Willkür alliierter Besatzungsmächte und teils offener Mord waren die Geburtswehen jenes Staates, der sich als freiester Staat, den es je auf deutschem Boden gab, sieht.
Man kann dies alles sogar für legitim halten, man kann die Meinung vertreten, man hätte Millionen ehemaliger NSDAP-Mitglieder, Waffen-SS-Soldaten, fanatischer Hitlerjungen und die alten Kaiserreichreaktionäre an einem erneuten politischen Erfolg hindern müssen, denn schließlich waren die Zustimmungsraten zum Nationalsozialismus noch bis weit in die 1950er Jahre hinein weitaus größer, als es den Vertretern der neuen Demokratie lieb sein konnte. Aber auch wenn man dieses Handeln für legitim hält, muß man es als geschichtlichen Fakt anerkennen.
Aberkennung von Grundrechten und Co.
Dieser spiegelt sich auch im Staatsaufbau wider. Sosehr man auch die Implementierung von Grundrechten als Abwehrrechte gegen den Staat als verfassungsrechtliche Reaktion auf das Scheitern der Weimarer Republik für notwendig erachtete, so deutlich vergaß man dennoch auch nicht den Einbau der Möglichkeit der staatlichen Repression. Der Verfassungsschutz ist ein bis heute lebender Ausdruck dieser von Beginn an bestehenden Möglichkeit; Vereinsverbote wurden in den ersten Jahren der BRD in Masse und danach aufgrund geänderter gesetzlicher Regulierungen kontinuierlich ausgesprochen, selbst die Aberkennung von Grundrechten ist im Grundgesetz vorgesehen. Und vor allem enthält das Grundgesetz eine klare Aussage:
Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten. (Art. 9 II GG).
Die Betonung liegt auf »sind«. Nicht können, nicht dürfen verboten werden – sie sind verboten. Die Verbotsverfügung eines verfassungsfeindlichen Vereins besteht damit bereits grundgesetzlich im Zeitpunkt seiner Entstehung, das Verbot ist nur noch nicht vollzogen. Ein staatliches Ermessen sieht das Grundgesetz nicht einmal vor, das Grundgesetz diktiert dem Staat das Verbot und stellt dessen Vollziehung seit 1964 in dessen Opportunität.
Vereinsverbote – oder die Zerschlagung des organsierten Willens
Ein wesentliches Mittel der Repression und der Grund dieser Betrachtung ist eben jenes Vereinsverbot, eine Materie, die dem Studenten der Rechtswissenschaften und auch dem gewöhnlichen Anwalt in der Regel nicht begegnet. Vielleicht erklärt dies die zahlreichen schlechten juristischen Einschätzungen zum Compact-Verbot – entschuldigt dies aber nicht. Denn das Vereinsverbot ist das für die Opposition vermutlich bedeutsamste Repressionsmittel, dementsprechend notwendig sind die Kenntnisse darüber.
Zwischen 1949 und 1964, ganz überwiegend in der Regierungszeit Konrad Adenauers, ergingen insgesamt 327 Vereinsverbote gegen 64 verschiedene Vereine (aufgrund der Länderkompetenz wurden Vereine oft mehrfach in verschiedenen Bundesländern verboten), links und rechts traf es damals noch relativ ausgeglichen. Man folgte dem Legalitätsgrundsatz und wandte unmittelbar Art. 9 II GG als Verbotsgrundlage an. Erst 1964 hat man ein bundesweites Vereinsgesetz geschaffen.
Ob ein durch Art. 9 II GG diktiertes Verbot auch tatsächlich vollzogen wird, unterliegt seit der Einführung dieses Vereinsgesetzes der Opportunitätsentscheidung – und Verbote richten sich seitdem maßgeblich gegen rechts. Denn ein Vereinsverbot ist seitdem maßgeblich eine politische Entscheidung über die Ausschöpfung der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten. Gegen wen sich die Opportunität richtet, zeigt sich deutlich: Bis 1990 treffen 13 von 16 weiteren Verboten und damit bereits 76 Prozent rechte Vereine. Nach 1990 steigen die Verbotszahlen bis heute weiter, sie richten sich fast ausschließlich gegen rechte, islamistische und ausländische (insbesondere kurdische und türkische) Vereine.
Ein Vereinsverbot kann in Deutschland, weil dies verschiedentlich bezweifelt wurde, im übrigen tatsächlich schlicht der Bundesinnenminister sowie bei ausschließlich in einem Bundesland tätigen Vereinen der jeweilige Landesinnenminister aussprechen. Daß dem so ist, ist eine bewußte, rechtliche und schon vor Jahrzehnten vorgenommene Entscheidung; man hätte sich genausogut dafür entscheiden können, daß es eines Antrags bei Gericht und eines Urteils bedarf. Hat man aber nicht.
Für große Verwirrung, selbst unter Juristen, hat anscheinend gesorgt, daß die GmbH des Compact-Magazins als Verein verboten wurde. Dreh- und Angelpunkt des Vereinsverbots ist jedoch nicht der eingetragene Verein als juristische Person, sondern der Personenzusammenschluß. Dies regelt bereits § 2 I VereinsG:
Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.
Daß auch eine Personengesellschaft darunter fällt, ergibt sich bereits aus dieser Legaldefinition. Um aber eine Interpretation gar nicht erst notwendig zu machen, ist es in § 17 VereinsG noch einmal explizit normiert:
Die Vorschriften dieses Gesetzes sind auf Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, konzessionierte Wirtschaftsvereine nach § 22 des Bürgerlichen Gesetzbuches, Europäische Gesellschaften, Genossenschaften, Europäische Genossenschaften und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit nur anzuwenden, wenn sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten oder wenn ihre Zwecke oder ihre Tätigkeit den in § 74a Abs. 1 oder § 120 Abs. 1 und 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Strafgesetzen oder dem § 130 des Strafgesetzbuches zuwiderlaufen oder wenn sie von einem Verbot, das aus einem der in Nummer 1 oder 2 genannten Gründe erlassen wurde, nach § 3 Abs. 3 als Teilorganisation erfaßt werden, oder wenn sie Ersatzorganisation eines Vereins sind, der aus einem der in Nummer 1 oder 2 genannten Gründe verboten wurde.
Ein einfacher Blick in das Vereinsgesetz hätte die selbst von Anwälten aufgestellte Behauptung, daß eine GmbH nicht nach dem Vereinsrecht verboten werden könne, widerlegt.
Die Deutungshoheit über die Verfassungsfeindlichkeit
Der Verbotsgrund der verfassungsfeindlichen Betätigung wird dabei, praktischerweise, insbesondere durch die Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden begründet, die wiederum den Innenministerien unterstehen und deren fragwürdige Einschätzungen und Behauptungen in der Regel von den Gerichten nicht hinterfragt werden. So wird es auch mit der Verbotsverfügung gegen Compact sein. Daß etwa die These vom »Great Reset« eine »antisemitische« Verschwörungstheorie sei oder mit der Kritik an »globalen Finanzeliten« in Wirklichkeit »die Juden« gemeint seien, sind reine Behauptungen, man kann sogar von bösartigen Unterstellungen sprechen. Höhepunkt der Absurdität ist dabei sicherlich die Behauptung des Verfassungsschutzes, daß Compact »auf antisemitische Art und Weise die politische Einflußnahme jüdischer Gruppierungen, stellvertretend für das Judentum, auf den Staat Israel überhöht dar[stelle]«.
Selbst damit werden sie als Inhaber der Deutungshoheit wahrscheinlich durchkommen, jedenfalls der Erfahrung nach mit allem anderen. »Sekundärer Antisemitismus« und weitere Schlagworte im Verbotsverfahren entstammen dabei keinem wissenschaftlichen Diskurs, sondern sind ein wissenschaftlich angestrichener Duktus von Linksradikalen. Solange aber die Definitionshoheit darüber bei den politischen Gegnern in den hegemonialen Strukturen liegt und Antifa-Aktivisten mit Hochschulabschluß als vermeintliche Wissenschaftler definieren, daß dem so sei, und sich die Repressionsbehörden zustimmend darauf berufen, ist eine objektive juristische Verteidigung dagegen aussichtslos – denn die Richter übernehmen diese Behauptungen in aller Regel ungeprüft. Und dadurch, daß die Unterscheidung zwischen ethnischer Volkszugehörigkeit und Staatsbürgerschaft vom Bundesverfassungsgericht selbst als verfassungsfeindlich eingestuft wurde, sind die Möglichkeiten der juristischen Gegenwehr dagegen aussichtslos.
Ein von der Politik eingesetzter Behördenchef kann daher mit fragwürdigen Behauptungen und »wissenschaftlicher« Einschätzung von politischen Gegnern – und das Bundesverfassungsgericht aufgrund eigener Interpretationen – eine Einstufung als verfassungsfeindlich vornehmen, die wiederum die Voraussetzung für ein Verbot darstellt – ein praktisches System, das ein enormes repressives Potential hat und sehr mißbrauchsanfällig ist. Und ein System, das praxiserprobt ist: In der Geschichte der Bundesrepublik war eine einzige Klage gegen ein Vereinsverbot von rechts erfolgreich. Der »Bund für Gotterkenntnis« wurde 1961 verboten, und selbiges wurde erst 1973 aufgehoben, weil zum damaligen Zeitpunkt keine religiösen Vereinigungen durch das Vereinsgesetz verboten werden konnten. Mittlerweile ist auch das normiert.
Die gesetzliche Normierung und die praktische Anwendung von Vereinsgesetz und Vereinsverbot scheinen aber in der Opposition weitestgehend unbekannt zu sein. Auch andere rechte Juristen geben zum Teil falsche Stellungnahmen ab. Beispielhaft soll hier ein Beitrag des AfD-Politikers Dr. Maximilian Krah für die Sezession zitiert werden:
Das mag man sich aus folgender Parallelüberlegung nochmals verdeutlichen: Wenn Jürgen Elsässer das Magazin als Einzelunternehmer herausgegeben hätte, dann könnte man nach Faesers Auffassung nichts tun, sobald er es aber über eine Kapitalgesellschaft vertreibt, soll es durch einfachen Bescheid verboten werden können – daß das Ausmaß der Pressefreiheit an der Rechtsform des Verlegers liegen soll, ist eine ersichtlich absurde Rechtsauffassung.
Diese Rechtslage ist überhaupt nicht »ersichtlich absurd«, sondern durchzieht logisch die gesamte Rechtsordnung. Eine Einzelperson kann Terrorakte begehen – eine terroristische Vereinigung im Sinne des § 129a StGB ist jedoch erst ab drei Personen möglich. Ein Individuum kann eine lange Reihe von Straftaten begehen – eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB benötigt mindestens drei Mitglieder. Man kann sogar alleine oder zu zweit mit Fahnen und Parolen durch die Innenstadt gehen – der Versammlungsbegriff des Versammlungsrechts läßt eine Versammlung erst ab drei Personen zu.
Es ist nach jeder Interpretation logisch und konsequent, daß auch ein Einzelunternehmen keine »Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen« (§ 2 I VereinsG) darstellen kann, eine Personengesellschaft hingegen schon. Im übrigen braucht eine Vereinigung im Sinne des Vereinsgesetzes genausowenig einen Namen, eine Satzung oder eine Rechtsform, wie ja auch eine kriminelle Vereinigung (§ 129 StGB) keinen Namen, Satzung oder Eintragung in das Vereinsregister braucht. Es wird nicht auf einen formellen Vereinsbegriff, sondern auf eine tatsächliche, organisierte Personenmehrheit abgestellt. Auch ein Einzelunternehmen kann demnach verboten werden, wenn es ausreichend Personen vorweist, die es zu einer entsprechenden Vereinigung machen.
Sinn und Zweck der Normen sprechen ebenso dafür, daß eine Vereinigung für das verboten werden kann, was einer Einzelperson erlaubt ist. Der Straftatbestand der kriminellen Vereinigung zielt beispielsweise darauf, die größere Gefährlichkeit, Potentiale und Gruppendynamiken einer solchen Vereinigung gegenüber dem Agieren von Einzelpersonen zu bekämpfen. Ein Einzelunternehmen einer Person oder ein beliebiger Zusammenschluß von zwei Personen kann zwar tatsächlich nicht verboten werden, ist jedoch in seiner Effektivität und damit Gefährlichkeit auch sehr begrenzt. Zwangsläufig benötigt man aber ab einer gewissen Größe, Reichweite und Professionalität mehr Mitwirkende – und ist damit angreifbar im Sinne des Vereinsrechts.
Fehlende Verhältnismäßigkeitserfordernis
Wo sonst bei jedem noch so lapidaren Verwaltungsakt eine Angemessenheitsprüfung vorgenommen wird, ob die eingesetzten Mittel nicht unverhältnismäßig sind, ist gerade das Vereinsverbot als einer der schwersten Eingriffe überhaupt aufgrund seiner verfassungsrechtlichen Implementierung davon ausgenommen. Oder, wie es rechtlich tatsächlich zutreffend in der Verbotsverfügung heißt:
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Erwägungen der Verbotsbehörde zur Verhältnismäßigkeit eines Verbots auf der Rechtsfolgenseite des § 1 S. 1 VereinsG aufgrund der durch Artikel 9 II GG vorgegebenen Struktur des Vereinsverbots grundsätzlich ausgeschlossen. Den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist statt dessen – wie auch hier erfolgt – auf der Tatbestandsseite der Norm bei der Prüfung Rechnung zu tragen, ob die Voraussetzungen eines Verbotsgrundes vorliegen.
Zwar wird, gewissermaßen als Ersatz der Verhältnismäßigkeit, eine »aggressiv-kämpferische« Ablehnung der verfassungsmäßigen Ordnung benötigt. Dafür benötigt es aber keine Gewalt, eine »aggressive« Propaganda bzw.
Haltung reicht dafür bereits völlig aus. Was aber »aggressiv« ist, liegt im Auge des staatlichen Betrachters. In diesem ist der »aggressiv-kämpferische« Aspekt bei Compact unzweifelhaft gegeben, wobei die Beweiswürdigung für eine solche Auslegung tatsächlich einfach fällt, da Elsässer und Co. sich immer wieder entsprechend über den Sturz der Regierung, des Regimes oder des Systems geäußert haben.
Die Frage des Schutzbereichs – in deine Rechte kann eingegriffen werden
»Aber die Pressefreiheit«, kann man vielerorts hören. Tatsächlich wurde zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik ein Magazin als Vereinigung verboten, auch wenn schon Internetseiten und mindestens ein kurdischer Buchverlag (wenn auch teils mit anderer rechtlicher Begründung) verboten wurden. Dennoch gibt es bislang keine Rechtsprechung dazu, und auch die wissenschaftlichen Beiträge sind begrenzt. Bei der Auslegung der Normen und der Interpretation der bisherigen Rechtsprechung kommt der Verfasser dennoch zu der Ansicht, daß das Verbot Bestand haben wird. Doch der Reihe nach:
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt
heißt es in Art. 5 I GG. Richtig – aber in Art. 5 II GG heißt es auch:
Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
Die Pressefreiheit findet damit ihre Grenzen in den allgemeinen Gesetzen, wozu auch das Vereinsrecht und selbstverständlich Art. 9 II GG gehören. Schon die Pflicht, einen Verantwortlichen im Sinne des Pressegesetzes (V.i.S.d.P.) aufzuweisen, ist ein Eingriff in die Pressefreiheit – aber ein legaler und begründet durch einfaches Gesetz. Wenn also Dr. Krah die – vielfach aufgekommene – Meinung vertritt, Presserecht sei Ländersache, deswegen könne das Bundesinnenministerium kein Magazin verbieten (»Der juristische Befund ist eindeutig. Das Verbot einer Zeitschrift ist der Regierung, zumal der Bundesregierung, nicht erlaubt. Das beginnt schon ganz formal damit, daß nach der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern das Presserecht Ländersache ist«), so findet diese Behauptung keine Stütze im Gesetzestext (etwa: »Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften des Presserechts«).
Das Vereinsgesetz stellt ein allgemeines Gesetz dar, und das Presserecht steht auf einer Normhierarchiestufe wie das Vereinsgesetz, es ist daher genauso zur Einschränkung der Pressefreiheit geeignet. Daß der Bundesexekutive zudem die Hände gebunden seien, weil die Länder die Gesetzgebungskompetenz hätten, stimmt nicht. Auch die Vorstellung, daß gegen Presseorgane nur aufgrund des Pressegesetzes eingegriffen wird, ist falsch. Der Grundsatz lex specialis derogat legi generalis gilt hier nicht, da das Bundesrecht dem Landesrecht vorgeht und der Bund beim Vereinsgesetz von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 I Nr. 3 GG Gebrauch gemacht hat. Bei einer verfassungskonformen Auslegung behalten die Länder zwar das inhaltsbezogene Medienrecht, ein Vereinsverbot durch das Bundesinnenministerium bleibt davon aber unberührt. Das ist auch in der Rechtsprechung anerkannt:
Das Vereinsrecht ist hier anwendbar, weil es auch Organisationen erfaßt, deren Zweck Pressetätigkeit i. S. v. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist
und
eine Anwendung des Vereinsgesetzes aus Gründen der Gesetzgebungskompetenz oder eines
Vorrangs medienrechtlicher Eingriffsbefugnisse [erweist sich] als [nicht] ausgeschlossen (BVerwG 6 A 1.19, Urteil vom 29. Januar 2020).
Auch in einem weiteren Punkt irrt Dr. Krah in seinem Beitrag:
»Die Pressefreiheit des Artikels 5 Grundgesetz kennt keine Verpflichtung zur Verfassungstreue. Allein das Bundesverfassungsgericht darf zum Schutz der Verfassungsordnung die Verwirkung von Grundrechten, einschließlich der Pressefreiheit, anordnen (Artikel 18).«
Das Verbot von Compact stellt keine Verwirkung des Grundrechts nach Art. 18 GG dar, sowohl Elsässer als auch alle anderen Betroffenen können sofort weiter ihre Meinung kundtun (was sie ja auch ungehindert bereits machen), als Journalisten arbeiten und theoretisch sogar sofort ein neues Magazin gründen. Theoretisch deshalb, weil die Gründung eines Nachfolgevereins bzw. eine Weiterführung des Vereins strafrechtlich verboten ist. In der gleichen Zusammensetzung ein neues Magazin gründen und den bisherigen Journalismus weiterbetreiben hieße, selbst die Tinte unter die Anklage zu setzen. Eine neue Magazingründung unter Wahrung des Strafrechts wäre jedoch grundsätzlich möglich. Alle sind noch Inhaber des Grundrechts, und es wurde in dieses eingegriffen. Dies stellt jedoch noch keine Verwirkung im Sinne des Art. 18 GG dar – eine Haftstrafe bedeutet ja auch keine Verwirkung des Grundrechts auf Freiheit aus Art. 2 I GG, sondern nur einen Eingriff in dieses.
Die Interpretation der Verfassung – das Grundgesetz als repressive Ordnung
Nach der Interpretation des Verfassers darf ein Verbot sehr wohl auf Meinungsäußerungen und Pressetätigkeiten gestützt werden, die den Schutz des Art. 5 I S. 1 und 2 GG genießen, wenn sich diese aggressiv-kämpferisch gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten – was Compact unterstellt wird. Dafür spricht auch eine (entsprechende) Interpretation des Grundgesetzes. Bei der Interpretation von Verfassungsrecht sind nicht nur die allgemeinen juristischen Interpretationstechniken anzuwenden, was anscheinend kaum einer der sich zu Wort meldenden Juristen bislang beachtet hat. Hinzu kommen das Prinzip der praktischen Konkordanz, das der Einheitlichkeit der Verfassung sowie die Effektivität des Rechts und seines Vollzugs. Sie alle sprechen für eine Legalität des Verbots, wenn man das Grundgesetz entsprechend interpretieren will:
Das Prinzip der Konkordanz besagt eine am Gemeinwohl orientierte Lösung einander widersprechender Verfassungsrechte und ‑normen. Hier das Recht auf Pressefreiheit nach Art. 5 I GG des Compact-Magazins und das sich unmittelbar aus der Verfassung ergebende Verbot verfassungsfeindlicher Organisationen aus Art. 9 II GG – das Gemeinwohl ist hier natürlich im Sinne des Bundesinnenministeriums als Abwehr von Verfassungsfeinden interpretierbar. So wird es auch in der Verbotsverfügung getan:
Wie sich aus den in Art. 5 II GG festgelegten Schranken und einer Abwägung mit den verfassungsrechtlichen Verbotstatbeständen des Art. 9 II GG ergibt, haben Meinungs‑, Presse- und Rundfunkfreiheit dort zurückzutreten, wo sie ausschließlich der Verwirklichung verbotswidriger Vereinszwecke dienen. […] Als Ergebnis der Güterabwägung müssen Meinungs‑, Presse‑, und Rundfunkfreiheit folglich hinter dem mit dem Vereinsverbot verfolgten Ziel – drohenden Gefährdungen des Staates, seines Bestandes und seiner Grundordnung, die aus verfassungswidrigen Bestrebungen erwachsen können, wirksam entgegenzuwirken – zur Wahrung der durch Artikel 9 II GG verfassungsrechtlich geschützten, überragend wichtigen Rechtsgüter zurückstehen.
In bezug auf diese Konkordanz gibt es mit der sogenannten Mutzenbacher-Entscheidung hinsichtlich der Kollision von Jugendschutz und Kunstfreiheit folgende Aussage:
Gerät die Kunstfreiheit mit einem anderen Recht von Verfassungsrang in Widerstreit, müssen vielmehr beide mit dem Ziel der Optimierung zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden. Dabei kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Bedeutung zu […]. Bei Herstellung der geforderten Konkordanz ist daher zu beachten, daß die Kunstfreiheit Ausübung und Geltungsbereich des konkurrierenden Verfassungsrechtsgutes ihrerseits Schranken zieht (vgl. BVerfGE 77, 240 [253]). All dieserfordert eine Abwägung der widerstreitenden Belange und verbietet es, einem davon generell – und sei es auch nur für eine bestimmte Art von Schriften – Vorrang einzuräumen (BVerfGE 83, 130, 143).
Zwar verbietet sich eine generelle Bevorzugung eines der beiden widerstreitenden Rechte, eine klare Entscheidung für eines davon nach einer entsprechenden Abwägung ist dennoch möglich. Die Abwägung zwischen Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung und Pressefreiheit wird hier, so die Prognose, zuungunsten von Compact ausfallen. Auch die Einheitlichkeit der Verfassung spricht für das Verbot, zumindest, wenn man das Grundgesetz – wie das Bundesverfassungsgericht in seiner berühmten Wunsiedel-Entscheidung – als Gegenentwurf zum Nationalsozialismus sieht, der auch Sondergesetze gegen »rechtsextreme« Meinungen erlaubt:
Das Grundgesetz kann weithin geradezu als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes gedeutet werden und ist von seinem Aufbau bis in viele Details hin darauf ausgerichtet, aus den geschichtlichen Erfahrungen zu lernen und eine Wiederholung solchen Unrechts ein für allemal auszuschließen. Die endgültige Überwindung der nationalsozialistischen Strukturen und die Verhinderung des Wiedererstarkens eines totalitär nationalistischen Deutschlands war [sic!] schon für die Wiedererrichtung deutscher Staatlichkeit durch die Alliierten ein maßgeblicher Beweggrund und bildete – wie etwa die Atlantik-Charta vom 14. August 1941, das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 und das Kontrollratsgesetz Nr. 2 zur Auflösung und Liquidierung der Naziorganisationen vom 10. Oktober 1945 zeigen – eine wesentliche gedankliche Grundlage für die Frankfurter Dokumente vom 1. Juli 1948, in denen die Militärgouverneure die Ministerpräsidenten aus ihren Besatzungszonen mit der Schaffung einer neuen Verfassung beauftragten. (BVerfG, Beschluß des Ersten Senats vom 4. November 2009)
Nicht zuletzt spricht auch die Effektivität der Rechtsdurchsetzung für ein Verbot, denn der Effektivität im Kampf gegen »Haß und Hetze« wären große Grenzen gesetzt, wenn man eine kleine Jugendgruppe verbieten kann, die Flugblätter verteilt, aber beispielsweise kein verfassungsfeindliches Magazin, das eine Millionenauflage erreicht. Auch dies ist unter der Berufung auf eine Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung in der Verbotsverfügung impliziert:
Dem Vereinsverbot stehen die Kommunikationsgrundrechte der Meinungs‑, Presse- und Rundfunkfreiheit nach Art. 5 I GG nicht entgegen. Wie sich aus den in Art. 5 II GG festgelegten Schranken und einer Abwägung mit den verfassungsrechtlichen Verbotstatbeständen des Art. 9 II GG ergibt, haben Meinungs‑, Presse- und Rundfunkfreiheit dort zurückzutreten, wo sie ausschließlich der Verwirklichung verbotswidriger Vereinszwecke dienen.
Eine entsprechende Interpretation des Grundgesetzes nach den hier genannten Maximen wäre nichts Neues. Denn mit dem Ausbau der staatlichen Strukturen erfolgte in den vergangenen Jahrzehnten eine Uminterpretation des Grundgesetzes, von einem antitotalitären Grundkonsens zu einem antifaschistischen. Verfassungen sind regelmäßig durch ihre Abstraktheit und damit durch ihre Interpretierbarkeit, aber auch Interpretationsnotwendigkeit geprägt. Dies wird vom Bundesverfassungsgericht auch fleißig getan, leider nur gegen die Opposition.
Daß es etwa gegen die Menschenwürde aus Art. 1 GG verstößt, eine Unterscheidung zwischen ethnokultureller Volkszugehörigkeit und Staatsangehörigkeit vorzunehmen, ist reine Interpretation des Bundesverfassungsgerichts; nicht anders sieht es mit der Vorstellung aus, das Grundgesetz verpflichte zum Klimaschutz. Die Hüter der Verfassung sind längst zu Wahrern der gesellschaftlichen Hegemonie des herrschenden Apparats geworden. Eine Änderung des Grundgesetzes ist für einen noch schärferen Kampf gegen die Opposition daher in der Regel gar nicht notwendig, es reicht oftmals die Änderung der Interpretation. Auch dies erfolgt nicht erst seit dem zweiten NPD-Verbotsprozeß; wie dargestellt hat das Bundesverfassungsgericht bereits 2009 eine Berechtigung zu Sondergesetzen gegen »rechtsextreme« Meinungen in die Meinungsfreiheit hineininterpretiert.
Zuletzt darf man auch einen weiteren Aspekt nicht unberücksichtigt lassen: Ein repressiver Charakter ist dem Grundgesetz immanent und drückt sich seit Jahrzehnten aus. Denn das Grundgesetz stellt nicht nur eine Wertordnung dar, es erhebt den Anspruch auf Ewigkeit (»Ewigkeitsklausel« des Art. 79 III GG) und auf Selbsterhaltung, wie sich in den verschiedenen repressiven Möglichkeiten wie Parteiverboten zeigt. Die Anwendung der Repression hängt daher maßgeblich von der Freund-Feind-Unterscheidung ab: Wer ist Verfassungsfeind und wer nicht? Es ist damit, wie so oft, am Ende keine Frage des Rechts, sondern des Politischen. Welche Möglichkeiten ein weit interpretierbares Normengefüge mit Absolutheits- und Selbsterhaltungsanspruch gegen die von ihm ausgemachten Feinde beinhaltet, werden wir voraussichtlich in den nächsten Jahren sehen.
Die Ausweitung des Apparats
Aus all diesen Gründen wird nach Einschätzung des Verfassers das Verbot einer gerichtlichen Prüfung standhalten. Eine Betrachtung der Repression wäre aber unvollständig, würde man sich nur auf eine Gesetzesauslegung reduzieren. Denn die logische Konsequenz in den nunmehr sieben Jahrzehnten der Bundesrepublik war ein kontinuierlicher Ausbau des bereits bei ihrer Gründung aufgebauten Repressionsapparats. Das Bundesamt für Verfassungsschutz etwa hatte 1950 noch 83 Mitarbeiter, 1960 immerhin schon 501, 1990 2435 und 2023 mehr als 4400.
Nicht alle wenden sich gegen die politische Opposition, gewiß, das Amt ist beispielsweise auch zuständig für den Bereich der Spionageabwehr. Und doch kann angenommen werden, daß sich ein Großteil der Mitarbeiter der politischen Opposition widmet, allein schon, weil heutzutage sicherlich nicht mehr Spionageabwehr zu leisten ist als in den Hochzeiten des Kalten Krieges mit der Staatssicherheit und dem KGB direkt auf der anderen Vorhangseite. Hinzu kommt ein ganzes Geflecht an unterschiedlichen Stellen. Da sind die Staatsschutzabteilungen, also die Kriminalbeamten für politische Kriminalität, und natürlich die Landesverfassungsschutzämter, und auch der MAD sammelt, wie spätestens aus der Affäre um den heutigen Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow bekannt ist, über so manchen politischen Aktivisten Daten. LKA und BKA haben ebenfalls Abteilungen für Staatsschutzdelikte, und da dies nicht ausreicht, haben verschiedene Bundesländer noch Sonderkommissionen. Es gibt »Task Forces« gegen »Hetze im Netz«, »Sonderkommissionen Rechtsextremismus«, eine bundesweite »Neonazidatei« und vieles mehr. Allein das LKA Sachsen unterhält ein »Polizeiliches Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum« mit 240 Mitarbeitern.
Es ist wohl nicht zu hoch gegriffen, wenn man schätzt, daß mehr als 10 000 Geheimdienstmitarbeiter und Polizisten in Deutschland in Repressionsbehörden arbeiten: ausgebildete Geheimdienstmitarbeiter, Juristen und Kriminalpolizisten, deren beruflicher Auftrag im wesentlichen der »Kampf gegen rechts« ist. Nicht wenige davon sind mittlerweile politische Überzeugungstäter und haben sich als solche gezielt für diese Behörden beworben, von nach politischen Kriterien ausgewählten Behördenleitern ganz zu schweigen. Jeden Tag werden Zehntausende Arbeitsstunden dafür aufgebracht, die Opposition auszuleuchten, abzuhören und zu bekämpfen. Über Repression zu sprechen heißt zunächst einmal, sich das Ausmaß des dahinterstehenden Apparats bewußt zu machen. Ein Apparat mit jahrzehntelanger Übung.
Denn das Compact-Verbot kommt für all jene, die nicht erst 2015 ff. angefangen haben, Deutschland zu lieben, nicht überraschend. Die Repression richtete sich davor vor allem gegen die revolutionäre Rechte, die freilich isoliert war, weswegen selbst viele heute führende Oppositionelle anscheinend nichts von dieser Repression wissen. Eine dreistellige Zahl von Vereinsverboten, das Erfinden von Vereinigungen, die es nie gab – um sie dann zu verbieten oder als kriminelle Vereinigung anzuklagen –, Abhörmaßnahmen, Ausreiseverbote, V‑Mann-Skandale und vieles mehr: Die Geschichte der Repression in der BRD ist lang. Natürlich erstreckt sich die Repression dabei nicht nur auf Vereinsverbote: Allein nach dem Extremistenbeschluß im Jahr 1972 kamen mehr als 1000 Personen nicht in den öffentlichen Dienst, unbekannt sind weitere Zahlen wie die der politischen Strafprozesse, V‑Mann-Skandale, Ausreiseverbote und aller weiteren Mittel des Staates. Die Praxis ist jedenfalls erprobt, seit Jahrzehnten und in Tausenden Fällen.
Was daher in den vergangenen Jahren erfolgte, ist keine neue Erfindung, es ist nur die Ausweitung der seit Jahrzehnten bestehenden Repression auf einen weit größeren Kreis. Für eine noch größere Ausweitung in den nächsten Jahren ist alles vorhanden: Die rechtlichen Grundlagen einer potentiell repressiven Ordnung sind gegeben, und es steht ein umfassender, stets größer werdender Behördenapparat für die Durchsetzung dieser parat – vom politischen Willen ganz zu schweigen. Das Compact-Verbot ist daher nur als ein weiterer Schritt in der Ausweitung der Repression zu sehen, weitere werden voraussichtlich folgen. Wer sich heute in der Opposition befindet, muß diesem Faktum Rechnung tragen.
Legal – aber nicht legitim
»Der juristische Befund ist eindeutig« – hier ist Dr. Krah zuzustimmen, leider aber in einem entgegengesetzten Ergebnis zu dem, was er vertritt. Viele Reaktionen, insbesondere des rechten Spektrums, scheinen schockierter Art zu sein. Schockiert kann aber nur der sein, der sich weder mit der tatsächlichen Repression noch mit ihren rechtlichen Grundlagen auseinandergesetzt hat. Das Compact-Verbot hat dahingehend auch etwas Gutes – es zeigt einem Millionenpublikum, was an Repression in diesem Staat möglich ist. Die richtige Schlußfolgerung muß spätestens jetzt sein, sich ausführlich und vor allem auch juristisch korrekt mit der Repression in der BRD und ihren gesetzlichen Grundlagen auseinanderzusetzen. Ein Aspekt, der bislang offensichtlich sträflich vernachlässigt wurde. Hinsichtlich des Jubels von links und von dort erhobenen Forderungen nach einer Ausweitung der Repression sei nur angemerkt, daß ein anderes Orchester auf der Klaviatur des Behördenapparats auch ganz andere Melodien spielen kann als die linksliberale Begleitmusik der staatlichen Repression der vergangenen Jahrzehnte.
Daß das Verbot legal ist, heißt aber nicht, daß es auch legitim ist. Legalität und Legitimität sind, wie schon der deutsche Staatsrechtler Carl Schmitt ausführlich in seiner gleichnamigen Schrift darlegte, zwei verschiedene Aspekte. Legal ist die durch Normen und Gesetze begründete staatliche Machtausübung. Im System einer lückenlos geschlossenen Legalität liegt das Ideal des Liberalismus. Der deutsche Staats- und Verfassungsrechtler Rudolf Smend erklärte schon vor rund hundert Jahren zutreffend, daß
der Liberalismus und der auf ihm beruhende Parlamentarismus […] kein besonderes Pathos [hätten], keinen ›Wertgeltungsanspruch‹ und daher auch keine ›ihm eigentümliche legitimierende Kraft‹, er habe auch gar nicht das Bedürfnis, sich um irgendwelche entsprechende Legitimierung zu bemühen.
Diesem Gebilde bleibt daher gar nichts anderes als das Klammern an die Legalität. Ein System lückenloser Legalität, also der Ableitung jeder Norm von einer anderen Norm, läßt sich jedoch nicht erreichen – es kennzeichnet eine Verfassung gerade, daß sie sich als einzige Norm nicht von anderen Normen ableitet und gewissermaßen frei für sich steht. Sie kann sich auf überpositives Recht berufen, sie kann sich durch religiöse Bezüge oder durch die Geschichte, durch eine Revolution und den Volkswillen legitimieren, sie muß es aber nicht.
Das Grundgesetz etwa nimmt keine entsprechende Legitimität in Anspruch, höchstens die als Manifestation der Lehren aus der Weimarer Republik. Es braucht auch keine, denn die Legalität des Liberalismus verfolgt im Gegenteil den Sinn und die Aufgabe, jede Form von Legitimität und vorkonstitutioneller Autorität überflüssig zu machen und ihre Bedeutung zu verneinen. Nach Jahrzehnten sind wir an dem Punkt angelangt, an dem nicht nur die Bedeutung vorkonstitutioneller Aspekte wie der ethnokulturellen Identität des deutschen Volkes verneint wird, sondern sogar deren Existenz. Konsequent zu Ende entwickelt, haben wir eine Ordnung, die Absolutheits- und Ewigkeitsanspruch hat und Repression gegen jeden, der als Feind dieser Ordnung definiert wird, aus sich selbst heraus begründet und sogar diktiert. All dies legal und aufgrund der Legalität.
Die Legitimität wiederum kommt auch ohne Norm aus, da ihre Prinzipien über dem positiven Recht stehen. Es gibt damit legale Handlungen, die nicht legitim sind, genauso wie es legitime Handlungen geben kann, die nicht legal sind. Der Widerstand gegen die Unterdrückung in der DDR war genauso illegal wie der gegen das stalinistische System, dafür aber legitim; die jeweilige Unterdrückung aber war legal, nicht jedoch legitim.
Wenn aber ein legales Handeln als nicht mehr legitim gewertet wird, kommt die Frage nach einer grundsätzlichen Wende wieder langfristig auf den Tisch der Geschichte, denn in der Wahrnehmung des Volkes wird meist ein weit größeres Gewicht auf die Legitimität des staatlichen Handelns gelegt als auf die Wahrung der kleinsten Verwaltungsvorschriften. Die Frage wird nicht als ein »Aufstand gegen das Unrecht« oder ähnliche romantische
Vorstellungen auftauchen, dafür aber mit zunehmender Schleifung der Zustimmung zur bestehenden Herrschaft. Denn abstrakte Verfassungsjuristen mögen ein rein legales System ohne Legitimitätsbezug akzeptieren, das Volk spätestens im Ausnahmefall nicht mehr. Das Verbot von Vereinen, Zeitschriften und mit Blick auf die Zukunft sogar von Parteien mag legal sein, genauso die Überwachung, die Bespitzelung und weitere Repressionshandlungen gegen die Opposition – das Verbot von Compact wird von erheblichen Teilen des Volkes als nicht mehr legitim erachtet. Was dies langfristig bewirken kann, läßt ein Blick auf die Geschichte hoffen. Die Opposition wiederum kann ein gutes Gewissen haben, denn ihr Einsatz für den Erhalt der ethnokulturellen Identität des deutschen Volkes ist legitim. Dem Anwaltsteam von Compact wird daher trotz der vom Verfasser als schlecht eingestuften Erfolgsaussichten viel Erfolg gewünscht. Für den Fall des Scheiterns bleibt am verwaltungsrechtlichen Grab des Magazins nur die Wiederholung von Rudi Dutschkes berühmten Worten: »Der Kampf geht weiter.«