Wofür kämpft man?

Die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht hat die Rechte kalt erwischt. Grundsätzlich bekennt man sich zur Wehrpflicht und hält eine Berufsarmee für ein willfähriges Werkzeug in der Hand der Globalisten. Das war lange eine bequeme Einstellung, denn daß das Thema so rasch auf die Tagesordnung zurückkehrt, damit haben viele nicht gerechnet.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Nun ist man, vor allem im Osten der Bun­des­re­pu­blik, auf ein­mal gegen eine Wehr­pflicht, zumin­dest zum jet­zi­gen Zeit­punkt. Hier spielt der Arg­wohn einer Rol­le, daß die­se Wehr­pflich­ti­gen in einen fal­schen Krieg in der Ukrai­ne geschickt wer­den könn­ten; ein Sze­na­rio, das nicht beson­ders nahe liegt, weil Wehr­pflich­te bis­lang nur frei­wil­lig an Aus­lands­ein­sät­zen teil­neh­men kön­nen. Mit ande­ren Wor­ten: In Sachen Wehr­pflicht wird die AfD von Leu­ten rechts über­holt, für die noch vor kur­zem alle Sol­da­ten Mör­der waren.

Ein inter­es­san­tes Bei­spiel für die­sen Vor­gang ist das Buch von Artur Weig­an­dt Für euch wür­de ich kämp­fen. Mein Bruch mit dem Pazi­fis­mus. Inter­es­sant, weil Weig­an­dt genau die­ses Milieu reprä­sen­tiert, und weil er die rich­ti­gen Fra­gen in einen heil­los fal­schen Kon­text einbettet.

Wer das Buch liest, ist zunächst abge­sto­ßen von der plum­pen Pro­pa­gan­da, die vor kei­ner Pein­lich­keit zurück­schreckt. Dabei ist Weig­an­dt ein Autor, der die Grat­wan­de­rung mit­un­ter beherrscht, die es braucht, um Pro­pa­gan­da nicht lächer­lich wir­ken zu las­sen, son­dern sie durch ein paar rhe­to­ri­sche Knif­fe als unver­fälsch­ten Aus­druck mensch­li­cher Sor­ge erschei­nen zu las­sen. Nicht ohne Grund muß­te ich bei der Lek­tü­re an Dwin­ger den­ken, dem das in man­chen Büchern ganz ähn­lich gelang.

In Dwin­gers Und Gott schweigt (1936) kehrt ein Kom­mu­nist nach einer Rei­se durch die Sowjet­uni­on geläu­tert in das Drit­te Reich zurück und ver­langt beim Grenz­über­tritt: „Ver­haf­ten Sie mich, ich war Kommunist.“

Bei Weig­an­dt ist es ähn­lich. Er muß zwar kei­ne Lan­des­gren­ze über­schrei­ten, aber eine ideo­lo­gi­sche, um öffent­lich zu beken­nen: „Gebt mir eine Waf­fe, ich war Pazi­fist.“ Der Trick ist im Grun­de der­sel­be: Die tota­le Wand­lung, voll­zo­gen im Anblick der bis­lang sträf­lich idea­li­sier­ten Wirk­lich­keit, die sich ganz anders her­aus­stell­te als ange­nom­men, ist auf die­se Wei­se viel glaub­haf­ter zu machen, als wenn sie nur theo­re­tisch begrün­det und nicht öffent­lich bekannt würde.

Hin­zu kommt bei Weig­an­dt, daß des­sen Pazi­fis­mus öffent­lich nicht wahr­nehm­bar war. Sei­ne Wand­lung könn­te man daher als Pri­vat­sa­che abtun, wenn sie nicht durch die Behaup­tung Pazi­fist gewe­sen zu sein, erst Rele­vanz erhal­ten wür­de. Aber Glaub­wür­dig­keit ist ein rares Gut in Zei­ten des Krie­ges, von Social Media und KI. Daher zieht Weig­an­dt alle Register.

Weig­an­dt wur­de 1994 in Kasach­stan als Sohn eines Ruß­land­deut­schen und einer Ukrai­ne­rin gebo­ren, kam mit einem Jahr nach Deutsch­land, hat hier sein Abitur gemacht und stu­diert. Das Buch beginnt mit einer per­sön­li­chen Erin­ne­rung an sei­ne Schul­zeit, als er gemobbt und ver­prü­gelt wur­de und sich zu weh­ren begann.

Wie­so er mit die­sem Hin­ter­grund zum Pazi­fis­ten wur­de, erklärt Weig­an­dt ganz frei­mü­tig damit, daß er sich ange­paßt habe: an das lin­ke, aka­de­mi­sche Milieu, und damit ist er offen­sicht­lich ganz gut gefah­ren. Inter­es­sant ist, daß er vor dem Hin­ter­grund sei­ner dama­li­gen Anpas­sungs­leis­tung nicht auf die Idee kommt, sei­ne heu­ti­ge, an einen Bel­li­zis­mus, der von dem­sel­ben Milieu getra­gen wird, zu hin­ter­fra­gen. Denn dann wäre die Ant­wort ein­fach: Weig­an­dt ist immer da, wo der polit­me­dia­le Kom­plex gera­de ist.

Sei­ne dama­li­gen Anpas­sungs­leis­tun­gen schil­dert er in den grells­ten Far­ben: Er sei auf jede Rus­sen­pro­pa­gan­da hereingefallen:

Ich war blind für all die Lügen, die ich geschluckt hat­te – Lügen, die Mos­kau aus­spuck­te, um den Wes­ten zu ver­wir­ren, mich in mei­ner Nai­vi­tät zu wiegen.

Weig­an­dt nahm sich offen­sicht­lich schon damals so wich­tig, daß Ruß­land ihn in Sicher­heit wie­gen muß­te (was die Bedeu­tung sei­nes Bekennt­nis­wan­dels noch ein­mal unter­streicht). Nun ist Weig­an­dt durch sei­ne Abstam­mung womög­lich tat­säch­lich emp­fäng­li­cher für rus­si­sche Pro­pa­gan­da gewe­sen, jeden­falls schil­dert er sein Eltern­haus so. Aller­dings steht das im Wider­spruch zum links­li­be­ra­len Milieu, wo man als Pazi­fist vor 2022 sicher nicht beson­ders ruß­land­freund­lich war.

Jeden­falls speist sich aus die­ser Abstam­mung die zwei­te Ebe­ne sei­ner Wand­lung, die Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung. Putin ist näm­lich Hit­lers Wider­gän­ger, Ruß­land ist das Mons­ter, das es zu töten gilt. Und hier fin­det Weig­an­dts Aus­stieg aus der Geschich­te der Ruß­land­deut­schen statt, die unter den Sowjets sehr zu lei­den hatten:

Mei­ne sowje­ti­schen Urgroß­vä­ter kämpf­ten und star­ben im Krieg gegen die deut­schen Faschis­ten. Dabei blu­te­ten sie auch für die spä­te­re Frei­heit ihrer Feinde.

Um spä­ter wie­der ins Gewand des schuld­be­wuß­ten Deut­schen zu schlüpfen:

Viel­leicht haben wir in Deutsch­land nie ver­stan­den, was Ver­tei­di­gung wirk­lich bedeu­tet – weil wir selbst immer die waren, die ange­grif­fen haben.

Weig­an­dt ent­deckt also eine dop­pel­te mora­li­sche Ver­pflich­tung zum Mit­tun im Kampf gegen Ruß­land: Damit sei­ne sowje­ti­schen Vor­fah­ren nicht umsonst gestor­ben sind, und damit Deutsch­land end­lich mal auf der rich­ti­gen Sei­te steht. Denn:

Der 8. Mai ist kein Abschluss – er ist ein Prüf­stein. Nicht dafür, ob wir erin­nern kön­nen, son­dern ob wir begrif­fen haben, was Erin­ne­rung ver­langt. ‚Nie wie­der‘ hieß nie: nie wie­der kämp­fen. Es hieß: Nie wie­der darf ein Angrei­fer durch­kom­men. … Wer glaubt, daß es bei der Ukrai­ne bleibt, belügt sich selbst.

Des­we­gen mel­det sich der unge­dien­te Weig­an­dt bei der Bun­des­wehr als Sprach­mitt­ler, um die Aus­bil­dung ukrai­ni­scher Leo­pard-Besat­zun­gen zu unter­stüt­zen. Er will etwas tun, das ist zunächst mehr als den meis­ten bel­li­zis­ti­schen Grü­nen ein­fällt, immerhin.

Bei der Bun­des­wehr wird ihm dann schnell klar­ge­macht, daß er sei­nen Bei­trag an ande­rer Stel­le viel sinn­vol­ler leis­ten kann, näm­lich schrei­bend im Dienst der Pro­pa­gan­da. Und das macht er stel­len­wei­se ziem­lich über­zeu­gend. Die Bun­des­wehr und die aus­zu­bil­den­den Ukrai­ner schil­dert er als eine Ansamm­lung rau­er Gesel­len, die das Herz am rech­ten Fleck haben und den gan­zen Tag über den Krieg reden. Weig­an­dt ist fas­zi­niert von der Welt der „Stahl­ko­los­se“ und Befeh­le, die ihm sehr männ­lich vor­kommt (was sie zwei­fel­los auch ist).

Auf sei­nen Rei­sen ins Kriegs­ge­biet geht der Kitsch dann end­gül­tig mit Weig­an­dt durch, als ihm eine Kalasch­ni­kow in die Hand gedrückt wird:

Ich neh­me die Waf­fe. Vor­sich­tig. So, als könn­te sie zer­bre­chen – oder explo­die­ren. Der Kör­per der Waf­fe ist kalt. Käl­ter als ich erwar­tet hat­te, obwohl die Luft im Raum nicht beson­ders frisch ist. Die Ober­flä­che fühlt sich rau an, stel­len­wei­se glatt­po­liert vom Gebrauch, an ande­ren Stel­len kleb­rig von altem Öl. Sie liegt schwer in mei­nen Hän­den, aber nicht unhand­lich. Mehr wie ein Werk­zeug, das genau weiß, wozu es gebaut wird – und das kei­ne Skru­pel kennt. […] Ich spü­re mein Herz klop­fen, in den Hand­flä­chen, im Hals, sogar in den Schläfen.

Kann jemand, der so schreibt, einen kla­ren Gedan­ken fas­sen? Nimmt man die Dys­to­pie „Ber­lin, Jahr 2033 der Okku­pa­ti­on“, die der Autor in sein Buch ein­ge­baut hat, als Maß­stab, wird man dar­an berech­tig­te Zwei­fel haben: Die Rus­sen haben das pazi­fis­tisch-dege­ne­rier­te Deutsch­land erobert und ein Regime aus Angst, Hass und Not errich­tet. AfD und BSW regie­ren von Mos­kaus Gna­den, ange­führt „von einem ehe­ma­li­gen Euro­pa-Abge­ord­ne­ten der AfD“. Glück­li­cher­wei­se alles nur ein Alptraum…

Es ist daher leicht, sich über den Autor und sein Buch lus­tig zu machen. Aller­dings wäre es leicht­fer­tig, bei die­sem ers­ten Impuls ste­hen zu blei­ben. Denn der Autor kommt in sei­nem Wust aus Pro­pa­gan­da und Kitsch nicht umhin, eini­ge Fra­gen zu berüh­ren, die auch die Rech­te beant­wor­ten muß, wenn sie Deutsch­land wie­der zu einem sou­ve­rä­nen, wehr­haf­ten Land machen will.

Mit einem „Nein“ zum Krieg ist es nicht getan, wenn man sich nicht von jeg­li­cher Ein­sicht in die Exis­ten­tia­li­en des Men­schen ver­ab­schie­den möch­te. Weig­an­dt bricht eine Lan­ze für die Wehr­haf­tig­keit, die man haben muß, um im Ernst­fall zu bestehen. Wor­in die­ser Ernst­fall besteht, dar­über wird sich mit dem Autor kei­ne Einig­keit erzie­len las­sen, aber daß der Ernst­fall Wehr­haf­tig­keit erfor­dert, wenn man ihn bestehen will, dürf­te unab­hän­gig davon klar sein.

Wür­dest Du in den Krieg zie­hen? – Was für eine däm­li­che Fra­ge, wenn gera­de kein Krieg vor dei­ner Tür steht. Die eigent­li­che Fra­ge ist: Was bedeu­tet es für dich, wenn der Krieg kommt? Und was bist du dann bereit zu tun? Wer sich die­ser Fra­ge nicht stellt, ver­drängt, fei­ge und bequem, das Unver­meid­li­che – und macht sich damit mitschuldig.

Und der Sol­dat, ja, der muß im Zwei­fel ster­ben, damit ande­re leben kön­nen. Auch das gehört auch zur Wahr­heit, und Weig­an­dt ver­schweigt sie nicht. Die Vor­stel­lung, daß es eine Wehr­pflicht nur dann geben soll­te, wenn einem die Regie­rung oder die Ver­bün­de­ten pas­sen, ver­kennt, daß der Par­tei­en­streit nicht dar­über ent­schei­den kann, wem man Dienst schul­dig ist, weil die­se Ein­stel­lung das Ende von Staat und Nati­on bedeu­tet. Vor dem Hin­ter­grund, daß bis 1989 nur weni­ge ein Pro­blem damit hat­ten, im Zwei­fel als Deut­sche auf Deut­sche zu schie­ßen, wird die­se Ein­stel­lung noch­mal fragwürdiger.

Weig­an­dt macht es sich in die­ser Fra­ge natür­lich auch zu ein­fach, was nie­man­den über­ra­schen dürf­te, der weiß, daß Pro­pa­gan­da kei­ne Dif­fe­ren­zie­rung ver­trägt. Weig­an­dt will ein­fach die west­li­chen Wer­te ver­tei­di­gen. Damit hat er sich gewis­ser­ma­ßen vom unap­pe­tit­li­chen Teil sei­ner Nati­on zuguns­ten der über­na­tio­na­len Wer­te verabschiedet.

Wehr­haf­tig­keit setzt aber gera­de vor­aus, daß es um das Gan­ze geht und dabei kei­ne Unter­schie­de gemacht wer­den, was Weig­an­dt sogar mit Blick auf die Ukrai­ne, wo er kein Pro­blem damit hat, daß dort Rechts­ra­di­ka­le mit­kämp­fen, auch bewußt ist. Wir soll­ten es uns daher nicht so leicht machen wie Weig­an­dt, der sich trotz aller wider­spre­chen­den Ein­sich­ten für die west­li­chen Wer­te ent­schie­den hat. Der Pazi­fis­mus kann für die Rech­te kei­ne Welt­an­schau­ung sein, wenn sie rechts blei­ben will.

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Artur Weig­an­dt Für euch wür­de ich kämp­fen. Mein Bruch mit dem Pazi­fis­mus, Mün­chen: C.H. Beck 2025, 208 Sei­ten, 18 Euro – hier bestel­len.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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