Nun ist man, vor allem im Osten der Bundesrepublik, auf einmal gegen eine Wehrpflicht, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Hier spielt der Argwohn einer Rolle, daß diese Wehrpflichtigen in einen falschen Krieg in der Ukraine geschickt werden könnten; ein Szenario, das nicht besonders nahe liegt, weil Wehrpflichte bislang nur freiwillig an Auslandseinsätzen teilnehmen können. Mit anderen Worten: In Sachen Wehrpflicht wird die AfD von Leuten rechts überholt, für die noch vor kurzem alle Soldaten Mörder waren.
Ein interessantes Beispiel für diesen Vorgang ist das Buch von Artur Weigandt Für euch würde ich kämpfen. Mein Bruch mit dem Pazifismus. Interessant, weil Weigandt genau dieses Milieu repräsentiert, und weil er die richtigen Fragen in einen heillos falschen Kontext einbettet.
Wer das Buch liest, ist zunächst abgestoßen von der plumpen Propaganda, die vor keiner Peinlichkeit zurückschreckt. Dabei ist Weigandt ein Autor, der die Gratwanderung mitunter beherrscht, die es braucht, um Propaganda nicht lächerlich wirken zu lassen, sondern sie durch ein paar rhetorische Kniffe als unverfälschten Ausdruck menschlicher Sorge erscheinen zu lassen. Nicht ohne Grund mußte ich bei der Lektüre an Dwinger denken, dem das in manchen Büchern ganz ähnlich gelang.
In Dwingers Und Gott schweigt (1936) kehrt ein Kommunist nach einer Reise durch die Sowjetunion geläutert in das Dritte Reich zurück und verlangt beim Grenzübertritt: „Verhaften Sie mich, ich war Kommunist.“
Bei Weigandt ist es ähnlich. Er muß zwar keine Landesgrenze überschreiten, aber eine ideologische, um öffentlich zu bekennen: „Gebt mir eine Waffe, ich war Pazifist.“ Der Trick ist im Grunde derselbe: Die totale Wandlung, vollzogen im Anblick der bislang sträflich idealisierten Wirklichkeit, die sich ganz anders herausstellte als angenommen, ist auf diese Weise viel glaubhafter zu machen, als wenn sie nur theoretisch begründet und nicht öffentlich bekannt würde.
Hinzu kommt bei Weigandt, daß dessen Pazifismus öffentlich nicht wahrnehmbar war. Seine Wandlung könnte man daher als Privatsache abtun, wenn sie nicht durch die Behauptung Pazifist gewesen zu sein, erst Relevanz erhalten würde. Aber Glaubwürdigkeit ist ein rares Gut in Zeiten des Krieges, von Social Media und KI. Daher zieht Weigandt alle Register.
Weigandt wurde 1994 in Kasachstan als Sohn eines Rußlanddeutschen und einer Ukrainerin geboren, kam mit einem Jahr nach Deutschland, hat hier sein Abitur gemacht und studiert. Das Buch beginnt mit einer persönlichen Erinnerung an seine Schulzeit, als er gemobbt und verprügelt wurde und sich zu wehren begann.
Wieso er mit diesem Hintergrund zum Pazifisten wurde, erklärt Weigandt ganz freimütig damit, daß er sich angepaßt habe: an das linke, akademische Milieu, und damit ist er offensichtlich ganz gut gefahren. Interessant ist, daß er vor dem Hintergrund seiner damaligen Anpassungsleistung nicht auf die Idee kommt, seine heutige, an einen Bellizismus, der von demselben Milieu getragen wird, zu hinterfragen. Denn dann wäre die Antwort einfach: Weigandt ist immer da, wo der politmediale Komplex gerade ist.
Seine damaligen Anpassungsleistungen schildert er in den grellsten Farben: Er sei auf jede Russenpropaganda hereingefallen:
Ich war blind für all die Lügen, die ich geschluckt hatte – Lügen, die Moskau ausspuckte, um den Westen zu verwirren, mich in meiner Naivität zu wiegen.
Weigandt nahm sich offensichtlich schon damals so wichtig, daß Rußland ihn in Sicherheit wiegen mußte (was die Bedeutung seines Bekenntniswandels noch einmal unterstreicht). Nun ist Weigandt durch seine Abstammung womöglich tatsächlich empfänglicher für russische Propaganda gewesen, jedenfalls schildert er sein Elternhaus so. Allerdings steht das im Widerspruch zum linksliberalen Milieu, wo man als Pazifist vor 2022 sicher nicht besonders rußlandfreundlich war.
Jedenfalls speist sich aus dieser Abstammung die zweite Ebene seiner Wandlung, die Vergangenheitsbewältigung. Putin ist nämlich Hitlers Widergänger, Rußland ist das Monster, das es zu töten gilt. Und hier findet Weigandts Ausstieg aus der Geschichte der Rußlanddeutschen statt, die unter den Sowjets sehr zu leiden hatten:
Meine sowjetischen Urgroßväter kämpften und starben im Krieg gegen die deutschen Faschisten. Dabei bluteten sie auch für die spätere Freiheit ihrer Feinde.
Um später wieder ins Gewand des schuldbewußten Deutschen zu schlüpfen:
Vielleicht haben wir in Deutschland nie verstanden, was Verteidigung wirklich bedeutet – weil wir selbst immer die waren, die angegriffen haben.
Weigandt entdeckt also eine doppelte moralische Verpflichtung zum Mittun im Kampf gegen Rußland: Damit seine sowjetischen Vorfahren nicht umsonst gestorben sind, und damit Deutschland endlich mal auf der richtigen Seite steht. Denn:
Der 8. Mai ist kein Abschluss – er ist ein Prüfstein. Nicht dafür, ob wir erinnern können, sondern ob wir begriffen haben, was Erinnerung verlangt. ‚Nie wieder‘ hieß nie: nie wieder kämpfen. Es hieß: Nie wieder darf ein Angreifer durchkommen. … Wer glaubt, daß es bei der Ukraine bleibt, belügt sich selbst.
Deswegen meldet sich der ungediente Weigandt bei der Bundeswehr als Sprachmittler, um die Ausbildung ukrainischer Leopard-Besatzungen zu unterstützen. Er will etwas tun, das ist zunächst mehr als den meisten bellizistischen Grünen einfällt, immerhin.
Bei der Bundeswehr wird ihm dann schnell klargemacht, daß er seinen Beitrag an anderer Stelle viel sinnvoller leisten kann, nämlich schreibend im Dienst der Propaganda. Und das macht er stellenweise ziemlich überzeugend. Die Bundeswehr und die auszubildenden Ukrainer schildert er als eine Ansammlung rauer Gesellen, die das Herz am rechten Fleck haben und den ganzen Tag über den Krieg reden. Weigandt ist fasziniert von der Welt der „Stahlkolosse“ und Befehle, die ihm sehr männlich vorkommt (was sie zweifellos auch ist).
Auf seinen Reisen ins Kriegsgebiet geht der Kitsch dann endgültig mit Weigandt durch, als ihm eine Kalaschnikow in die Hand gedrückt wird:
Ich nehme die Waffe. Vorsichtig. So, als könnte sie zerbrechen – oder explodieren. Der Körper der Waffe ist kalt. Kälter als ich erwartet hatte, obwohl die Luft im Raum nicht besonders frisch ist. Die Oberfläche fühlt sich rau an, stellenweise glattpoliert vom Gebrauch, an anderen Stellen klebrig von altem Öl. Sie liegt schwer in meinen Händen, aber nicht unhandlich. Mehr wie ein Werkzeug, das genau weiß, wozu es gebaut wird – und das keine Skrupel kennt. […] Ich spüre mein Herz klopfen, in den Handflächen, im Hals, sogar in den Schläfen.
Kann jemand, der so schreibt, einen klaren Gedanken fassen? Nimmt man die Dystopie „Berlin, Jahr 2033 der Okkupation“, die der Autor in sein Buch eingebaut hat, als Maßstab, wird man daran berechtigte Zweifel haben: Die Russen haben das pazifistisch-degenerierte Deutschland erobert und ein Regime aus Angst, Hass und Not errichtet. AfD und BSW regieren von Moskaus Gnaden, angeführt „von einem ehemaligen Europa-Abgeordneten der AfD“. Glücklicherweise alles nur ein Alptraum…
Es ist daher leicht, sich über den Autor und sein Buch lustig zu machen. Allerdings wäre es leichtfertig, bei diesem ersten Impuls stehen zu bleiben. Denn der Autor kommt in seinem Wust aus Propaganda und Kitsch nicht umhin, einige Fragen zu berühren, die auch die Rechte beantworten muß, wenn sie Deutschland wieder zu einem souveränen, wehrhaften Land machen will.
Mit einem „Nein“ zum Krieg ist es nicht getan, wenn man sich nicht von jeglicher Einsicht in die Existentialien des Menschen verabschieden möchte. Weigandt bricht eine Lanze für die Wehrhaftigkeit, die man haben muß, um im Ernstfall zu bestehen. Worin dieser Ernstfall besteht, darüber wird sich mit dem Autor keine Einigkeit erzielen lassen, aber daß der Ernstfall Wehrhaftigkeit erfordert, wenn man ihn bestehen will, dürfte unabhängig davon klar sein.
Würdest Du in den Krieg ziehen? – Was für eine dämliche Frage, wenn gerade kein Krieg vor deiner Tür steht. Die eigentliche Frage ist: Was bedeutet es für dich, wenn der Krieg kommt? Und was bist du dann bereit zu tun? Wer sich dieser Frage nicht stellt, verdrängt, feige und bequem, das Unvermeidliche – und macht sich damit mitschuldig.
Und der Soldat, ja, der muß im Zweifel sterben, damit andere leben können. Auch das gehört auch zur Wahrheit, und Weigandt verschweigt sie nicht. Die Vorstellung, daß es eine Wehrpflicht nur dann geben sollte, wenn einem die Regierung oder die Verbündeten passen, verkennt, daß der Parteienstreit nicht darüber entscheiden kann, wem man Dienst schuldig ist, weil diese Einstellung das Ende von Staat und Nation bedeutet. Vor dem Hintergrund, daß bis 1989 nur wenige ein Problem damit hatten, im Zweifel als Deutsche auf Deutsche zu schießen, wird diese Einstellung nochmal fragwürdiger.
Weigandt macht es sich in dieser Frage natürlich auch zu einfach, was niemanden überraschen dürfte, der weiß, daß Propaganda keine Differenzierung verträgt. Weigandt will einfach die westlichen Werte verteidigen. Damit hat er sich gewissermaßen vom unappetitlichen Teil seiner Nation zugunsten der übernationalen Werte verabschiedet.
Wehrhaftigkeit setzt aber gerade voraus, daß es um das Ganze geht und dabei keine Unterschiede gemacht werden, was Weigandt sogar mit Blick auf die Ukraine, wo er kein Problem damit hat, daß dort Rechtsradikale mitkämpfen, auch bewußt ist. Wir sollten es uns daher nicht so leicht machen wie Weigandt, der sich trotz aller widersprechenden Einsichten für die westlichen Werte entschieden hat. Der Pazifismus kann für die Rechte keine Weltanschauung sein, wenn sie rechts bleiben will.
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Artur Weigandt Für euch würde ich kämpfen. Mein Bruch mit dem Pazifismus, München: C.H. Beck 2025, 208 Seiten, 18 Euro – hier bestellen.