Im vorpolitischen Raum, oder: Dunkle Ökologie

Vor mir auf dem Schreibtisch liegt ein schmales, grünes Heftchen in Reclam-Größe. Dunkle Ökologie lautet der Titel dieses Textes. Er paßt auf 50 Seiten, auch das Papier des Innenteils ist grünlich.

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Sein Ver­fas­ser, Paul King­sn­orth, hat ihn bereits vor acht Jah­ren ver­öf­fent­licht. Daß er erst jetzt ins Deut­sche über­setzt wor­den ist und in der Rei­he Natur­kun­den bei Matthes & Seitz Ber­lin erscheint, tut ihm kei­nen Abbruch: Die Gedan­ken, die King­sn­orth in selbst­er­grün­den­dem, zor­ni­gem, hoff­nungs­lo­sem und vor allem ehr­li­chem Ton vor­trägt, sind nicht an aktu­el­le Ereig­nis­se gebun­den. Es sind Gedan­ken, die sich jeder, der die Ober­flä­che nicht mit den tie­fe­ren Schich­ten ver­wech­selt, längst gemacht hat und wohl immer wie­der macht.

King­sn­orth ver­zwei­felt an der Zer­stö­rung der Welt. Gut ist, daß er die­se Welt von Anfang an her­un­ter­bricht auf sei­ne Welt, sei­ne unmit­tel­ba­re Umge­bung, auf das also, was sei­nen All­tag, sein Leben aus­macht und wor­auf er über­haupt die Hand legen kann. Zer­stö­rung, das meint: die unauf­halt­sa­me und plan­mä­ßi­ge Aus­beu­tung und Ver­nut­zung von allem Schö­nen, Geord­ne­ten, Gege­be­nen, aber auch Wil­den und Unge­bahn­ten durch die Gefrä­ßig­keit des Menschen.

Die Ablei­tun­gen, die King­sn­orth aus die­ser Lage vor­nimmt, sind zum einen bra­chi­al, zum ande­ren läh­mend: Man lan­det ent­we­der bei Ted Kac­zyn­ski oder bei den Namen­lo­sen, die aus ihrer Ver­zweif­lung den­noch ein gan­zes Leben abzu­lei­ten ver­su­chen. Auf den einen bezieht sich King­sn­orth. Von den ande­ren kennt er wel­che, ganz sicher, und viel­leicht ver­sucht er, selbst ein sol­cher zu sein. Jeden­falls beschreibt er einen Weg dorthin.

Ich will nicht nur andeu­ten, ich ken­ne den Vor­wurf, man rau­ne nur, wenn man nicht klar sage, wor­auf hin­aus man wol­le. Aber ein Wort zum Rau­nen: Längst nicht alles, was gesagt wer­den muß, kann mit kla­ren Begrif­fen auf den Punkt gebracht, kann abge­legt wer­den wie eine Akte. Es gibt ein umkrei­sen­des, ein asso­zia­ti­ves Den­ken und Sagen, des­sen Prä­zi­si­on nicht im deut­li­chen Umriß, son­dern im wie­der­hol­ten Hin­weis auf den Kern der Sache besteht. So etwas gelingt mit Geschich­ten und mit Fet­zen und Bruch­stü­cken aus dem unauf­ge­räum­ten, wil­den Erfah­rungs- und Lese­schatz suchen­der Men­schen sehr viel bes­ser als dadurch, daß man sich aus der Abla­ge auf­ge­räum­ter Natu­ren bediente.

Wer sind die­je­ni­gen, die ich oben erwähn­te: die­se »Namen­lo­sen, die aus ihrer Ver­zweif­lung den­noch ein gan­zes Leben abzu­lei­ten ver­su­chen«? Ich kann das nicht exakt fas­sen, kann nur sagen: Es steckt in die­sen Lebens­ent­wür­fen viel von dem, was man als »das wah­re Leben im Fal­schen« schon vor fünf­zig Jah­ren umkreis­te und wahl­wei­se mit einem »zurück zur Natur« und einer Selbst­ein­pas­sung in »die Wild­nis« und einen gleich­gül­ti­gen Natur­kreis­lauf über­setz­te. Damit sind wir wie­der bei Kac­zyn­ski: Er hät­te ein sol­cher Namen­lo­ser wer­den kön­nen, blei­ben kön­nen, aber es kam ganz anders, und das hat ihn welt­be­kannt gemacht – und zu einem, mit dem man nicht fer­tig wird.

Für uns hat vor allem Mar­tin Licht­mesz aus­führ­lich über die­sen Mann geschrie­ben, über die­sen hoch­be­gab­ten Mathe­ma­ti­ker, der eines Tages sein Büro ver­ließ, um in einer Wald­hüt­te zu ver­schwin­den. Zum Ter­ro­ris­ten, zum Unab­om­ber wur­de er erst, als ihm die Welt, vor der er geflo­hen war, sei­nen Rück­zugs­ort zerstörte.

King­sn­orth reka­pi­tu­liert auf den ers­ten Sei­ten sei­nes schma­len Bänd­chens bei­de Kip­punk­te im Leben Kac­zynskis: Im Alter von 24 Jah­ren habe ihn die Erkennt­nis gelähmt, daß es kei­ne Mög­lich­keit geben wer­de, der moder­nen Zivi­li­sa­ti­on zu ent­kom­men, also der von ihr auf­ge­stell­ten Fort­schritts­fal­le, ihren bril­lan­ten Metho­den der Mani­pu­la­ti­on, ihrer rück­sichts­lo­sen und uner­sätt­li­chen Ver­nut­zung, also dem, was Erhart Käst­ner (den Kac­zyn­ski nicht ken­nen konn­te) die »Welt-Aus­rech­nung« nann­te und die »Ent­sie­ge­lung von allem«.

Mar­tin Licht­mesz hat in sei­nem Kapla­ken-Essay Smar­te Welt den Begriff der Ent­sie­ge­lung nicht ver­wen­det, aber genau die­sen Vor­gang beschrie­ben. Ihn traf der Schlag, als ihm vor Jah­ren klar­wur­de, daß er nie­mals mehr in einer Welt leben wür­de, in der die Men­schen nicht draht­los ver­drah­tet, mobil trans­pa­rent, erreich­bar, auf­find­bar sein wür­den – ohne Chan­ce, sich zu ver­ste­cken und zu ver­ber­gen, umstellt von einem Gestell, in dem fast jeder aus Spiel­trieb, Eitel­keit und Nai­vi­tät auf eine ent­klei­den­de Art und Wei­se glä­sern sei – und damit ausgeliefert.

Kac­zyn­ski hat­te das schon vor fünf­zig Jah­ren gese­hen und sei­ne Gedan­ken in dem berühm­ten Essay Die indus­tri­el­le Gesell­schaft und ihre Zukunft zusam­men­ge­faßt. Im Gegen­satz zu uns allen hat er sich danach für einen radi­ka­len Rück­zug in ein Leben als Selbst­ver­sor­ger ent­schie­den und dann, als ihn die Welt­ver­nut­zung nicht in Ruhe ließ, für eine radi­ka­le Gegen­wehr: Er ver­schick­te Rohr­bom­ben, die sei­ne Opfer töte­ten oder schwer ver­wun­de­ten, und er tat es, bis man ihn faß­te und weg­sperr­te. Er starb vor gut zwei Jah­ren im Gefängnis.

King­sn­orth lehnt einen sol­chen Weg natür­lich ab, aber er gibt in sei­nem Essay sei­nem Ver­ständ­nis für radi­ka­le Ent­schei­dun­gen Aus­druck. Sein Text ist vol­ler Anspie­lun­gen auf Bücher und Autoren, die er stu­dier­te, um die eige­ne Welt­an­schau­ung nicht nur bestä­tigt zu fin­den und abzu­si­chern, son­dern nach Wegen in eine bes­se­re Zukunft zu suchen und dem Gestell, der Ver­suchs­an­ord­nung, der Fort­schritts­fal­le zu ent­kom­men: Jaques Ellul und Ivan Illich, D. H. Law­rence und C. S. Lewis, Neil Post­man und sogar Edward Golds­mith, des­sen Werk Der Weg kaum mehr jemand kennt und der doch dar­in schon alles Grund­le­gen­de aus­ge­führt hat, wovon unse­re Technik‑, Fort­schritts- und Kon­sum­kri­tik zehrt und wor­auf sie gegrün­det ist. Der Weg – was für ein zuver­sicht­li­cher Titel im Gegen­satz zu King­sn­orth’ Dunk­ler Öko­lo­gie, die­sem Gang in den Schat­ten, die­sem Schritt fort von allen groß­an­ge­leg­ten Orga­ni­sa­ti­ons­be­mü­hun­gen hin auf ein Stück Land, an eine Böschung, ins Unter­holz, in einen Win­kel, in die Wäl­der, die­ser Flucht vor der Vernutzung.

Auf eine der ein­drück­li­chen Pas­sa­gen des Tex­tes stößt man, wenn King­sn­orth den Ein­bruch die­ser Ver­nut­zung, die­ser Über­grif­fig­keit in den Win­kel schil­dert, in dem Kac­zyn­ski sich ver­kro­chen hat­te. Er woll­te von dort aus die tota­le Durch­drin­gung der Welt nicht mehr wahr­neh­men – und sah genau die­se Welt den­noch anbran­den, sah es und hat­te kei­ne Chan­ce, den Damm noch höher zu bau­en. Es muß in der Nähe der Hüt­te, die Kac­zyn­ski sich gebaut hat­te, ein Pla­teau gege­ben haben, einen Lieb­lings­ort, einen, der eben spen­de­te und nicht ver­plant war, und eines Tages, als Kac­zyn­ski sich dort­hin zurück­zie­hen woll­te, um Kraft zu schöp­fen, sah er, daß man gera­de im Begriff war, eine Stra­ße über die­ses klei­ne Pla­teau zu bau­en und es dadurch zu zerstören:

Sie kön­nen sich ein­fach nicht vor­stel­len, wie wütend ich war. Von da an beschloß ich, daß ich, anstatt mir noch wei­te­re Über­le­bens­tech­ni­ken anzu­trai­nie­ren, es dem Sys­tem heim­zah­len wür­de. Rache.

Das sind die Wor­te Kac­zynskis. King­sn­orth zitiert sie nur, um von einer inne­ren Weg­ga­be­lung aus, die kei­nem von uns unbe­kannt ist, den Abzweig in einen erbit­ter­ten, rück­sichts­lo­sen, gewalt­sa­men Rache­feld­zug zu beschrei­ben. Natür­lich emp­fiehlt er nicht, die­sen Weg ein­zu­schla­gen – nie­mand von uns emp­fiehlt so etwas. Aber gewiß denkt der ein oder ande­re so scho­nungs­los wie mög­lich dar­über nach, ob die Kon­se­quen­zen, die wir aus der Ver­hee­rung der Welt zie­hen, radi­kal genug sind. Es gibt ja Wege genug, die weit, weit ab von dem Kac­zynskis ver­lau­fen und den­noch radi­kal sind.

Ich den­ke etwa an jun­ge Leu­te, die für eini­ge Mona­te auf Bäu­men woh­nen, um zu ver­hin­dern, daß man sie fäl­le. Es ist mir egal, ob die­se jun­gen Leu­te von den Medi­en gehät­schelt und von der Kli­ma­be­we­gung ver­ein­nahmt wer­den und ob sie von ihren Bäu­men her­un­ter dum­mes Zeug gegen rechts und für Diver­si­ty quat­schen. Denn wenn sie zu Ende gere­det haben, sind die Repor­ter und die Kame­ras weg, und dann kom­men ein­sa­me Tage, und die Öffent­lich­keit hat sich zwar erregt und eine Spen­de dage­las­sen: Wochen­lang aber auf einer Ast­ga­bel zu sit­zen und aus­zu­har­ren, um etwas zu ret­ten – das ist weit ent­fernt von jedem real­po­li­ti­schen Kal­kül und jeder situa­ti­ven Insze­nie­rung, und des­we­gen ist es radi­kal, ein radi­ka­les Zei­chen, ein hilf­lo­ses, radi­ka­les Zei­chen, jeden­falls auch einer der Wege, die von jenem Punkt aus weg­füh­ren, von wo aus Kac­zyn­ski in die Dro­ge­rie mar­schier­te und sich Sal­pe­ter besorgte.

King­sn­orth: Er setzt sich weder auf Bäu­me, noch ver­schickt er Bom­ben. Sein Text ist aber eben­so wie das eine und das ande­re ein Abschied von der Über­zeu­gung, daß es sich loh­ne, im poli­ti­schen Raum wei­ter­hin etwas auf­zu­bau­en, über­haupt: auf ihn zu bau­en. Nicht die Geg­ner der Öko­lo­gie, des Natur- und Hei­mat­schut­zes haben King­sn­orth ent­waff­net und ihm die Zuver­sicht genom­men. Es waren die Schlaue­ren und die Gewief­ten inner­halb sei­ner Bewe­gung selbst.

Das ist näm­lich der ent­schei­den­de Schnitt, den King­sn­orth macht. Er erklärt die öko­lo­gi­sche Bewe­gung für geschei­tert. Sie sei auf­ge­gan­gen in etwas, das er als »Neo­um­welt­schutz« bezeich­net und das sich von der frü­hen, gras­wur­ze­li­gen Umwelt­be­we­gung fun­da­men­tal unter­schei­de: Wäh­rend das Urgrü­ne der Natur, der Wild­nis, der Krea­tur einen Eigen­wert zuge­spro­chen habe, eine nicht bezif­fer­ba­re see­li­sche, ganz­heit­li­che, uner­gründ­li­che, spi­ri­tu­el­le und dadurch aus sich her­aus spen­den­de Kraft, taxier­ten die Neo­um­welt­schüt­zer die Natur als etwas, das einen Nut­zen für die Mensch­heit habe und des­we­gen nach­hal­tig auf den Men­schen hin aus­ge­rich­tet, geord­net und grün bewirt­schaf­tet wer­den müsse.

Der Neo­um­welt­schutz, von dem er schreibt: Das ist der grü­ne Kapi­ta­lis­mus, das ist die kli­ma­neu­tra­le Ren­di­te, das grün­ge­wa­sche­ne Invest­ment, der Emis­si­ons­han­del, die absur­de Welt­kli­ma­kon­fe­renz, die, wenn sie zusam­men­tritt, mehr Res­sour­ce ver­braucht als eine gan­ze Stadt in einem Jahr. Auch die­se Erkennt­nis­se sind alles ande­re als neu: daß es näm­lich noch nie sinn­voll und logisch war, das Zuviel mit »noch mehr« ein­zu­däm­men und zu reduzieren.

Es wird Zeit, die Kat­ze aus dem Sack zu las­sen. Soviel ana­ly­ti­scher Furor, soviel Beschrei­bung nicht gang­ba­rer Wege: Wohin wen­det sich nun aber Herr King­sn­orth? Zunächst ver­wirft er noch ein­mal gründ­lich, zieht Zäh­ne – und das ist ein län­ge­res Zitat wert:

Wenn man glaubt, daß wir uns wie magisch mit neu­en Ideen oder neu­en Tech­no­lo­gien aus der Fort­schritts­fal­le befrei­en kön­nen, dann ver­schwen­den wir nur unse­re Zeit. Wenn man glaubt, daß das übli­che ›poli­ti­sche Enga­ge­ment‹ heut­zu­ta­ge noch funk­tio­niert, obwohl es doch schon ges­tern nicht funk­tio­niert hat, dann ver­schwen­det man nur sei­ne Zeit. Wenn man tat­säch­lich glaubt, daß sich die Maschi­ne refor­mie­ren, zäh­men oder zer­stö­ren läßt, dann ver­schwen­det man nur sei­ne Zeit. Wenn man Jäger und Samm­ler roman­ti­siert oder Bom­ben an die Besit­zer von Com­pu­ter­ge­schäf­ten ver­schickt, dann ver­schwen­det man nur sei­ne Zeit. Und so ste­he ich nun also hier und fra­ge mich: Was wäre an die­sem Punkt der Geschich­te eigent­lich kei­ne Zeitverschwendung?

In der Tat, das ist die Fra­ge. Bloß: Was nun kommt, näm­lich »fünf vor­läu­fi­ge Ant­wor­ten«, ist nichts ande­res als eine Kapi­tu­la­ti­ons­er­klä­rung. In Kür­ze lau­ten die Vor­schlä­ge, die King­sn­orth macht, wie folgt: ers­tens Rück­zug, um »der Maschi­ne alle Unter­stüt­zung zu ver­wei­gern, die Schrau­ben noch enger zu dre­hen«; zwei­tens: »nicht­mensch­li­ches Leben schüt­zen«; drit­tens: »Machen Sie sich die Hän­de schmut­zig«, will sagen: das meis­te selbst machen und dabei ler­nen, was real ist; vier­tens: der Natur einen Wert zuspre­chen, der weit über ihre Nütz­lich­keit hin­aus­geht; und fünf­tens: Rück­zugs­or­te bauen.

Das war’s, das gab es aber alles schon, das ist alles schon vor­ge­schla­gen und von ein­zel­nen, man­chen, vie­len umge­setzt wor­den, und gül­tig aus­for­mu­liert ist es auch schon längst, und zwar auch bereits und beredt in jenem resi­gna­ti­ven Ton, in dem King­sn­orth es vorträgt.

Wahr­schein­lich han­delt es sich dabei um das Ent­ste­hen einer per­sön­li­chen Phi­lo­so­phie für eine dunk­le Zeit – um eine dunk­le Ökologie.

Das ist immer­hin ein Begriff, und man blickt auf Ver­su­che, sich und das, was man schüt­zen kann, in den Schat­ten zu ret­ten, in den Wind­schat­ten: in eine Hüt­te, ein unin­ter­es­san­tes Stück­chen Land, an etwas, das links lie­gen blieb, das nicht der gro­ßen Rede wert ist.

Ver­schwin­den also, Rück­zugs­or­te auf­su­chen. Wie ent­kommt King­sn­orth? Er beschreibt, und das ist glaub­haft, die Tech­nik einer belast­ba­ren Lebens­freu­de: Er eröff­net sei­nen Text mit der Beschrei­bung einer Sen­se und schließt ihn, indem er einen Tag schil­dert, an dem er mit die­ser Sen­se Heu macht – eine Arbeit, die ihn begeis­tert und mit Freu­de erfüllt, nicht zuletzt des­halb, weil es an einer Sen­se seit tau­send Jah­ren nichts mehr zu ver­bes­sern gebe und weil sie ihrer abar­ti­gen Toch­ter, der Motor­sen­se, in jeder Hin­sicht über­le­gen sei – funk­tio­nal, aber vor allem aus der Per­spek­ti­ve des­sen, der die Natur nicht mit stin­ken­den, lau­ten Mord­werk­zeu­gen trak­tie­ren und ihr die See­le aus­trei­ben wolle.

Was ist nun das Lesens­wer­te an die­sem schma­len Text, der vie­les reka­pi­tu­liert, was längst vor­liegt? Um es ein wenig pathe­tisch aus­zu­drü­cken: Er holt uns zurück an die Weg­kreu­zung, an der die Ver­zwei­fel­ten ste­hen – die­je­ni­gen, denen beim Blick auf die Mas­sen­ge­sell­schaft, den Mas­sen­kon­sum, das Immer-Mehr für immer mehr die Zuver­sicht abhan­den gekom­men ist, hier kön­ne noch etwas ein­ge­dämmt und im gro­ßen Stil geord­net werden.

Und mehr: King­sn­orth gehör­te natür­lich auch zu den­je­ni­gen, die die Din­ge nicht nur gesche­hen las­sen woll­ten, son­dern zu ver­bes­sern, umzu­ge­stal­ten und Poli­tik zu betrei­ben ver­such­ten. Aber nun hält er von alle­dem nichts mehr. In sei­ner Ver­zweif­lung ist King­sn­orth zum Glück nicht zum Zyni­ker gewor­den, zu einem, der sich wei­ter­hin betei­ligt und zugleich dar­über spot­tet. Er ist ernst­haft geblie­ben und möch­te das, was er bedacht hat, durch eine Lebens­ent­schei­dung legi­ti­mie­ren. Jedoch hat die Ver­zweif­lung sei­nen Blick­win­kel ver­engt. Er sieht nur noch radi­ka­le Rache und radi­ka­len Rück­zug. Das eine lehnt er ab, das ande­re emp­fiehlt er. Das ist sein Aus­weg aus der Ver­zweif­lung. Ein Drit­tes gibt es nach sei­nem Dafür­hal­ten nicht mehr. Sei­ne Abscheu gilt zwei­fel­los den­je­ni­gen, die den Motor hoch­ja­gen und dies grün bemän­teln; war­nen und bera­ten aber möch­te er alle, die noch immer mei­nen, man müs­se auf den Zug auf­sprin­gen, um ihn zu steu­ern und zu bremsen.

Dunk­le Öko­lo­gie ist also ein Text, der uns aus die­sem Zug zerrt und noch ein­mal an die Kreu­zung stellt. Er holt uns aus dem poli­ti­schen zurück in den vor­po­li­ti­schen Raum, das ist sein Ver­dienst. Aber der Schnitt, den er macht, ist zu radi­kal, zu sehr aus der eige­nen, der per­sön­li­chen Lage des Autors her­aus gedacht und voll­zo­gen. Ich selbst hal­te es für not­wen­dig, durch Tex­te wie den von King­sn­orth aus dem Zug geholt und erneut an die Kreu­zung gestellt zu wer­den. Jedoch soll­ten wir dort nicht als Ver­zwei­fel­te stehen.

Das ist näm­lich der Irr­tum, dem King­sn­orth auf­sitzt: An der Kreu­zung ste­hen nicht nur Ver­zwei­fel­te. Unter ande­rem wir ste­hen an die­ser Kreu­zung (von der aus King­sn­orth nur noch Wege in die Rache und den Rück­zug skiz­ziert), und wir ste­hen dort noch immer als die­je­ni­gen, die vom Ich zu abs­tra­hie­ren ver­ste­hen. Das ist eine grund­sätz­lich ande­re Hal­tung: Wir sind die­je­ni­gen, die immer wie­der grund­sätz­lich dar­über nach­den­ken, wie die Beschrei­bung unse­rer Lebens­auf­ga­be im Sin­ne des Gan­zen lau­tet. Wir zie­hen uns nicht zurück in eine Nicht-Betei­li­gung, an einen Rück­zugs­ort, umbran­det, nicht halt­bar auf Dauer.

Wir ste­hen nicht ohne Grund immer wie­der an der Kreu­zung, an die uns auch die Lek­tü­re der Dunk­len Öko­lo­gie ver­setzt. Jedoch unter­zeich­nen wir, indem wir reka­pi­tu­lie­ren, kei­ne Kapi­tu­la­ti­on, son­dern ver­ge­wis­sern uns unse­rer Auf­ga­be: Wir haben von dort aus einen Weg vor­zu­ge­ben, der weder in Rache noch Rück­zug mün­det, son­dern den vor­po­li­ti­schen Raum nicht gegen den Raum der Poli­tik aus­spielt. Wir bege­ben uns immer wie­der dort­hin, wo es auch in ver­meint­lich aus­sichts­lo­ser Lage um die Ord­nung des Staa­tes, des Gemein­we­sens geht – um das, was gedeih­lich ist für die­je­ni­gen, die als Volk eine selbst­be­wuß­te Nati­on zu for­mu­lie­ren und ihr eine ange­mes­se­ne Gestalt zu geben haben.

Das sind kei­ne Durch­hal­te­pa­ro­len. Das ist, solan­ge wir im Wir den­ken, das Not­wen­di­ge, die Auf­ga­be. Ich kann King­sn­orth ver­ste­hen, und viel­leicht kommt es irgend­wann zu sei­ner Art Rück­zug. Aber: jetzt noch nicht, und dies nicht, obwohl bei­spiels­wei­se ich mich im vor­po­li­ti­schen Raum sehr viel woh­ler füh­le als in der Politik.

Ein Wort also zu die­sem vor­po­li­ti­schen Raum: Das »vor« bedeu­tet nicht, daß der damit bezeich­ne­te Raum auf das Feld des Poli­ti­schen hin­wei­se und hin­füh­re. Es bedeu­tet, daß er vor aller Poli­tik besteht und nicht­über­trag­ba­re Ver­hal­tens­leh­ren aus­ge­bil­det hat. In ihm ist es wild, undis­zi­pli­niert, gewagt, in ihm wer­den Din­ge geformt und geord­net, die mit der Poli­tik nichts zu tun haben, und es ist rat­sam, daß die Poli­tik die Fin­ger vom vor­po­li­ti­schen Raum läßt und aus die­sem Urwald kei­nen Forst zu machen versucht.

Anders­her­um hat sich die­ser Raum davor zu hüten, das, was in ihm jäh auf­blit­zen und magne­tisch wer­den kann, auf das Feld der Poli­tik zu trans­por­tie­ren und sie nach Maß­stä­ben zu beur­tei­len, die dort nicht gel­ten kön­nen. Im vor­po­li­ti­schen Raum geht es nicht um die For­mie­rung einer Mas­sen­ge­sell­schaft. Es geht in ihm um die Rück­bin­dung an etwas, das vor jeder Poli­tik liegt und die­je­ni­gen, die Poli­tik betrei­ben, hof­fent­lich immer wie­der zurück an die Kreu­zung holt: Es geht dar­um, nicht vor allem zu funk­tio­nie­ren, son­dern das, was da läuft und abläuft, nicht für den unab­än­der­li­chen Gang der Zeit zu halten.

For­mung ist mög­lich. Das lehrt der vor­po­li­ti­sche Raum, gera­de dann, wenn wir die Unüber­sicht­lich­keit, das Chao­ti­sche und inein­an­der ver­strick­te moder­ner Mas­sen­ge­sell­schaf­ten als etwas wahr­neh­men, das der Poli­tik, der Ord­nungs­be­mü­hung ent­zo­gen ist, und wenn wir dar­an ver­zwei­feln wol­len. Denn im vor­po­li­ti­schen Raum gelin­gen die Din­ge. Dort geht es um kon­kre­te Form­ge­bung, Lust am Moment, an der Gestal­tung der klei­nen Sache, an der Ver­wirk­li­chung von etwas, das nicht da wäre, täte man es nicht. Das ist kei­ne Blind­heit für das Gro­ße und Gan­ze. Nur wird die Fra­ge anders gestellt: Was habe ich in der Hand, was kann ich for­men, was wird mir gelingen?

Viel zu sehr ist doch der vor­po­li­ti­sche Raum auf das hin aus­ge­rich­tet wor­den, was die Poli­tik zu sein hat – und vor allem der »poli­ti­sche Arm«. Denn dort muß man sich am Betrieb betei­li­gen, muß ihn ver­grö­ßern und bespie­len. Wild­nis ist dort nicht, dafür viel Auf­ge­räum­tes, viel Kom­pro­miß und Tun-als-ob.

Aber auch jen­seits aller Par­tei bedeu­tet Poli­tik: einen Ver­nut­zungs­ab­schnitt orga­ni­sie­ren und opti­mie­ren, hier den deut­schen, andern­orts einen ande­ren. Was bedeu­tet das? Ver­nut­zungs­ab­schnitt – das ist, was die gefrä­ßi­ge Mas­sen­ge­sell­schaft tut (Ver­nut­zung) und was jeder Staat für sich abzu­si­chern hat (sei­nen Abschnitt in der Welt). Die Fra­ge ist, inwie­fern wir unse­ren Ver­nut­zungs­ab­schnitt (sprich: unser Land) auf eine bes­se­re Wei­se ein­zu­rich­ten ver­ste­hen als ande­re. Aber ein Ver­nut­zungs­ab­schnitt bleibt es alle­mal, auch wir krat­zen aus der Welt zusam­men, was wir zu brau­chen ver­mei­nen und was in hohem Maße einem sehr sinn­lo­sen Kon­sum zum Opfer fällt.

Das darf der vor­po­li­ti­sche Raum nicht wol­len. Hier muß er einen Schnitt machen, an die­sem Punkt ist er unkor­rum­pier­bar, und nur dann ist er: der Raum für eine dunk­le Öko­lo­gie, für einen Roman, ein Kunst­werk, der Sinn eines anar­chi­schen Impul­ses, der schmut­zi­ger Hän­de und der von Rückzugsorten.

Laßt uns den vor­po­li­ti­schen Raum vor der Poli­tik und ihrem Zugriff ret­ten, vor der Ver­nut­zung und der Ein­be­rech­nung sei­nes Poten­ti­als – und vor zuviel Zuver­sicht. Wer grund­sätz­lich denkt und wach wahr­nimmt, betei­ligt sich an man­chem, obwohl er es bes­ser weiß. Das hat sei­ne eige­ne Wür­de. Aber Poli­tik ist nicht alles, längst nicht, und die Kraft für sie kommt anders­wo her. Davon kön­nen die­je­ni­gen Poli­ti­ker berich­ten, die nicht nur Poli­ti­ker sind.

Des­halb, mei­ne Freun­de: Wir tref­fen uns an der Weg­kreu­zung und im Unter­holz, immer wie­der. Nicht wahr?

Die Hör­fas­sung die­ses Tex­tes fin­det sich hier.

Dunk­le Öko­lo­gie von Paul King­sn­orth kann man hier bestel­len.

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