Das September-Gedicht: Abendphantasie

Hatte Besuch, gestern, ein älterer Bekannter aus Schwaben war überraschend aufgetaucht, in der Hand eine Flasche Weißwein...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

von einer Rebe, die ich bis­lang nicht kann­te: Höl­der, zu Ehren Höl­der­lins in den 50er-Jah­ren gezüch­tet, und heu­te noch auf gan­zen 7 Hekt­ar in Deutsch­land ange­baut. Weil die Kin­der noch nicht im Bett lagen, ließ ich den Gast für eine hal­be Stun­de allein.

Ich fand ihn lesend im Büro und schlug vor, für die Däm­me­rung in den Gar­ten zu wech­seln. Dort zog er die Fla­sche auf, schenk­te ein und sag­te, wäh­rend wir leicht anstie­ßen: “Auf den Frie­den.” Im sel­ben Moment stach mich der Hafer.

“Auf den raschen Sieg”, erwi­der­te ich. “Auf den raschen Sieg, den Blitzkrieg!”
Mein Gast sah mich an.
“Ja”, sag­te ich sehr auf­müp­fig, “die­se über­wäl­ti­gen­de Zusam­men­set­zung aus Kön­nen und Arro­ganz, die­ser schnel­le Schnitt, was hast Du dage­gen?” Und ich trank. “Haben wir erfunden.”
Mein Gast kipp­te sei­nen Höl­der neben den Tisch und stand auf: “Auch Du wirst noch höf­lich irgend­wann – und bescheiden.”
Ich warf ihm sein Glas nach und schrie: “Und es spart Blut, wenn man rasch gewinnt, dar­an hast Du noch nicht gedacht, oder?”
Ich hör­te die Auto­tür schla­gen und den Wagen vom Hof rollen.Ich trank allei­ne weiter.

Spä­ter im Büro woll­te ich das Buch wie­der ins Regal stel­len, das mein Gast gele­sen hat­te. Es waren die Gedich­te Höl­der­lins, und er hat­te die Abend­phan­ta­sie aufgeschlagen.

Vor sei­ner Hüt­te ruhig im Schat­ten sitzt
Der Pflü­ger, dem Genüg­sa­men raucht sein Herd.
Gast­freund­lich tönt dem Wan­de­rer im
Fried­li­chen Dor­fe die Abendglocke.

Wohl keh­ren itzt die Schif­fer zum Hafen auch,
In fer­nen Städ­ten, fröh­lich ver­rauscht des Markts
Geschäft­ger Lärm; in stil­ler Laube
Glänzt das gesel­li­ge Mahl den Freunden.

Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen
Von Lohn und Arbeit; wech­selnd in Müh’ und Ruh
Ist alles freu­dig; war­um schläft denn
Nim­mer nur mir in der Brust der Stachel?

Am Abend­him­mel blü­het ein Früh­ling auf;
Unzäh­lig blühn die Rosen und ruhig scheint
Die gold­ne Welt; o dort­hin nimmt mich,
Pur­pur­ne Wol­ken! und möge droben

In Licht und Luft zer­rin­nen mir Lieb’ und Leid! -
Doch, wie ver­scheucht von töri­ger Bit­te, flieht
Der Zau­ber; dun­kel wirds und einsam
Unter dem Him­mel, wie immer, bin ich -

Komm du nun, sanf­ter Schlum­mer! zu viel begehrt
Das Herz; doch end­lich, Jugend! ver­glühst du ja,
Du ruhe­lo­se, träumerische!
Fried­lich und hei­ter ist dann das Alter.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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