Über die Frage, wann man diesen “Anfang” setzt, gehen die Auffassungen freilich auseinander. Einig dürfte man sich hingegen sein, daß es den Schwund überall zu beobachten gibt.
Warum schaffen es Architekten nicht mehr, einen schönen Bahnhof zu bauen? Warum sehen alle Straßenlaternen gleich aus? Und warum sind Möbel heute Wegwerfprodukte? Michael von Poser hat in der Zeitschrift Mut eine einleuchtende Antwort gefunden: “Das Aussehen der Frauen prägt die Welt”. Wenn diese alle die gleiche, uniforme Kleidung tragen und auf eine “Ästhetik der Selbststilisierung” verzichten, habe das Folgen für das Aussehen der Welt.
Die Kunst degeneriert, Häuser werden zu unmodellierten Kästen, abstrakte Formeln bestimmen das Gesicht der Städte. Über Geschmack braucht man dann nicht mehr zu reden, denn es fehlt der Ansporn, eine Kennerschaft darin zu erwerben, und damit entfällt ein wesentlicher Einwand gegen den puren Kommerz.
Doch warum gerade die Frauen? Ja doch wohl, weil es bis vor kurzem ausschließlich Männer waren, die das Aussehen der Welt zu verantworten hatten. Also gab es eine Beziehung zwischen den Geschlechtern, die darauf beruhte, daß die einen schön anzuschauen waren und die anderes sich davon inspirieren ließen.
Von Frauen würde man am ehesten erwarten, daß sie sich nicht uniformieren lassen, sondern als Einzelwesen hervorstechen wollen. Dazu gehört Mut, und wenn der erkennbar fehlt, dann hat das Gründe. Zwar gibt es einen Mut zur Provokation (Beispiel: grüne Haare und Unterweltshabit), aber die Provokation geht fast immer in Richtung Selsbtverhäßlichung. Weil das längst selbst ein Standard ist und sich in stets ähnlichen Formen abspielt, wird dadurch kein wirkliches Aufsehen mehr erregt, während jede Frau, die sich ganz individuell anzieht und sich nicht scheut, ein richtiges Kleid zu tragen, eine Sensation darstellt.
Diese Erwartung muß enttäuscht werden: Die Voraussetzungen dafür existieren heute nicht mehr. Seitdem sich die Frauen ebenfalls am Machtkampf beteiligen dürfen, wollen, müssen, bleibt die Inspiration auf der Strecke. Die Frau hat sich mittlerweile das Recht erstritten, “als Individuum Masse” zu sein (Peter Sloterdijk). Mit verheerenden Folgen.