An welche Zyklen sich dieser Rhythmus hält, ist eher schleierhaft. Mal dient als Zündfunke eine bevorstehende Wahl und entsprechende familienpolitische Themen, mal die Veröffentlichung von Gebärstatistiken und Kinderwunschumfragen.
Meistens aber scheint mir bei solchen großangelegten Kinder ja/Kinder nein-Aufsätzen persönliche Betroffenheit zugrunde zu liegen. Vielleicht ist ein Redakteur grad in Elternzeit gegangen und schreibt sich was von der Seele; die Autorin hat eben ihr Kind eingekrippt oder hat erfahren, daß ihre „biologische Uhr“ abgelaufen ist. Was auch immer – die Kinderfrage, auch wo es um Karrierewünsche geht, ist nun mal genuin eine persönliche, auch wenn Politik und Wirtschaft dreinreden wollen.
Im Grunde sind die Bälle längst gewechselt, alle Argumente und Gegenargumente auf dem Tisch. Die einen sagen, gewollt Kinderlose seien Egoisten – die anderen, daß es eh genug Menschen gäbe und der Reproduktionsverzicht in jeder Hinsicht ein Gebot der Vernunft sei. Die einen sagen, Familien würden benachteiligt, die anderen, daß sie mit ihren hohen Steuern das Kindergeld, die Freibeträge, die Schulen, Spielplätze etc. der fremden Brut finanzierten.
Die Trennlinie zwischen Lohnarbeits- und Hausmüttern ist ähnlich harsch und reichlich oft beschritten. Der berüchtigte Mütterkrieg halt: Die außerhäusig Beschäftigten reklamieren Selbstbestimmung und gesellschaftlich- wirtschaftliches Engagement für sich, die Mittagsessenkocherinnen hingegen den Wert des Einfügens in eine kindzentrierte, selbstgewählte Fremdbestimmtheit – sofern man das eigene Kind überhaupt als Fremdbestimmer zählen mag.
So geht’s seit einer kleinen Ewigkeit hin und her. Die Schmähworte lauten wechselweise auf „Hedonisten“, „Karrieristen“, „Heimchen“, „Muttchen“ und dergleichen. Interessant ist in diesem Zusammenhang (der weitgehend ein Zickenkrieg ist – Männer formulieren in diesen Fragen moderater) auch der unten von Baal Müller erwähnte taz-Artikel. Die Autorin Nicola Liebert schrieb, ihr Zorn über verhüllte Moslemdamen rühre daher, daß
das Verhüllen von Körper und Kopf eine Aussage darstellt, die ich persönlich nehme.(…) Sie lautet auch: Seht her, ich bin züchtig und keusch, ich bin keine Schlampe!“ Und solch eine Aussage beinhaltet wohl auch ihr Gegenteil: wer sich nicht so kleidet, ist im Umkehrschluß wohl nicht züchtig und nicht keusch.“
Das deutlich Andere (und allein dessen Symbolwert!) als persönlichen Angriff auffassen: Genau das ist der ganz typische Weiberkram, der sich mit gleichem psychologischem Paradigma auch durch die Kind-Karriere-Mutterschafts-Debatte zieht. Eine Kinderlose hockt in der Bahn neben einer Mutter und empfindet alles – jedes gesungene Lied, jedes Küßchen – als gegen sie gerichtete Provokation. Und vice versa: Wenn der Mutter nicht aufforderungslos zwei, drei, vier Plätze geräumt werden, schwant ihr Kinderfeindlichkeit und ein bewußter Affront. So funktionieren die Befindlichkeiten, Orte und Gelegenheiten sind austauschbar. Frau gönnt sich da im Normafall nichts – außer die „große Krise“. Und Mütter untereinander sind oft nicht besser.
Über den semantischen Wandel des einstigen Schmäh- und heutigen Trendworts Rabenmutter hatte ich in meinem Gender-Büchlein referiert. Die FAZ hat nun eins draufgelegt und eine Serie unter dem (via Interpunktion leicht hysterisch wirkenden) Titel „Rabenmütter?!“ gestartet, die gleich für volle Kommentar- und Leserbriefspalten sorgte.
Vorgezeigt werden die Vereinbarungsstrategien hochdotierter Akademikerinnen, die ihr Leben zwischen Beruf und Familie geschmeidig zu handlen verstehen. Tenor: Eine „gute Mutter“ muß heute nicht viel Zeit für ihre Kindern opfern, was zählt, ist die sogenannte quality time. Na gut. Wer will, wer meint –!
In der FAZ-online-Ausgabe vom Samstag wurde nun eine Dame porträtiert, die kein Kind mehr bekommen konnte, ein Kosmetikunternehmen leitet, und darauf stolz ist. Warum nicht, Frauen sollen sich ruhig hübschmachen. Aber wozu immer diese bissigen Rückzugsgefechte:
„Auf einen dicken Bauch und Stillen war ich nicht scharf“,
sagt sie beispielsweise, usw. Als gäb es reichlich Mütter, die sagen würden: Auf einen dicken Bauch und Stillen war ich so richtig scharf! „Weibliche Solidarität“ ist eines der verlogensten Bauschworte, Solidarität überhaupt eine (linke) Utopie. Das Thema Kind-Krippenkind-Nichtkind ist aber, so scheint´s, dauerhaft heiß. Was vom Ursprung her logisch ist: Täglich fällen hunderttausend Menschen in Deutschland die Entscheidung über safer- oder unsafer Sex, drum zählt die Karriere – und Elternschaftsfrage wohl zwangläufig zu den dauervirulenten Lebensthemen.