der Bestseller-Autoren der frühen Bundesrepublik Deutschland. Es dürfte zumindest im Westen kaum einen vor 1970 geborenen Leser geben, dem Fernaus Name und die Titel seiner berühmtesten Bücher (Rosen für Apoll und Cäsar läßt grüßen) entgangen sein können. In Mitteldeutschland las man Fernau nicht, er ist dort bis heute nicht bekannt und hat auch die Wende nicht mehr erleben dürfen: Fernau starb am 24. November 1988.
Über sein Leben und Werk gibt die vorliegende Bildbiographie detailliert Auskunft, die Witwe Gabriele Fernau stellte den Herausgebern ihr gutsortiertes Archiv und ihren eigenen Entwurf einer Biographie zur Verfügung. Sie hatte in ihren Geschichten von Herr und Hund schon ein wenig die Decke gelüftet, die Fernau über sich, seine Vergangenheit und sein privates Leben gelegt hatte. Diese Decke wird nun zurückgeschlagen, und ganz sicher wird der ein oder andere Leser nun leichter erkennen, woher Fernau den Stoff, die Bilder, die Dialoge zu seinen Büchern nahm. Längst nicht alles, aber doch recht vieles ist selbst erlebt oder Teil der Beute, die macht, wer die Augen und Ohren offenhält.
Es gibt von Fernau selbst eine Aussage über die „zwei Hälften“ seines Lebens. Er gab in einem Gespräch zu Protokoll, daß ihm die Jahre bis zum Arbeitsbeginn an seiner ersten populärwissenschaftlichen Geschichtsbetrachtung (Deutschland, Deutschland über alles …) als „verlorene Zeit“ gälten. Fernau war vierzig, als er sich an seinen Schreibtisch setzte und diesen ersten Bestseller schrieb. Der Verkaufserfolg verschaffte ihm Spielraum, und spätestens mit Rosen für Apoll (1961) war er finanziell unabhängig. Er sah sich in die Lage versetzte, die er für sich und seine Frau angestrebt hatte, und bezog 1962 räumlich und geistig ein einsames „Haus auf dem Berg“ (bei Florenz), um fortan Zusetzungen jedweder Art aus der Distanz und aus einer hervorragenden Verhandlungsposition heraus begegnen zu können. Diese Menschen-Ferne entspricht zum einen schlicht dem Wesen Fernaus, zu anderen hat sie viel mit dem dringenden Wunsch zu tun, daß ihm niemand ungebeten zu nahe treten konnte.
Zusetzungen nämlich blieben nicht aus. Fernau hatte sich – um drei wichtige Beispiele zu nennen – zum einen aufgrund seines Liebes-Berichts Und sie schämeten sich nicht eines Indizierungsverfahrens zu erwehren (1963), zum andern eine Kampagne durchzustehen, die der Germanist Peter Wapnewski gegen ihn als ehemaligen SS-Kriegsberichterstatter in der Zeit 1967 lostrat. Ein Jahr später folgte dann ein langwieriger Streit mit dem neuen Besitzer des Herbig-Verlags, Herbert Fleissner, der mit harten Bandagen und letztlich mit Erfolg um den Verbleib seines erfolgreichen Autors kämpfte.
Diese für Fernau recht belastenden Streitigkeiten waren jedoch angesichts seines freien, selbstbestimmten, aller materieller Sorge enthobenen Schriftstellerdaseins nur Nebengeräusche. Die zweite Hälfte seines Lebens unterscheidet sich im Rückblick tatsächlich in einem Punkt entscheidend von den ersten vierzig, den „verlorenen“ Jahren: Fernau arbeitete und schrieb mit dem Vorsatz, niemals mehr jemanden über sich verfügen zu lassen. Das, was er fortan äußerte und tat, geschah nicht, weil er sich irgendeiner Idee oder gar einer politischen oder weltanschaulichen Partei angeschlossen hätte. Freunde, die ihm nahestanden, können deshalb von Fernaus menschlicher Wärme berichten, ohne daß dies in Widerspruch stünde zu dem knappen, stets höflichen, aber dennoch jedes Gespräch abschneidenden Ton, mit dem er zwar gutgemeinte, aber unerwünschte Anfragen oder Ehrungen zurückwies. So ist Fernau auch ein Beispiel für jenen Typ, der selbst entscheidet, welchen je Einzelnen er aus der Masse Mensch (den er als Gattung nicht hoch achtet) an sich herantreten lassen möchte. Unabhängigkeit ist die Grundvoraussetzung für diese Form der Grenzziehung.
Diese Unabhängigkeit besaß Fernau während seiner „verlorenen Jahre“ nicht. Er sah sich mit seiner Mutter nach dem frühen Tod seines Vaters der Verarmung und nach dem Ersten Weltkrieg der Vertreibung aus Bromberg ausgesetzt. Er arbeitete als Journalist über Jahre für einen mehr als
bescheidenen Lohn und verlor seine Stellung, weil er der NSDAP nicht beitreten wollte. Er brach seine gesellschaftlichen Kontakte ab, nachdem er aufgrund seiner Verlobung mit einer Jüdin der Gefahr der Denunziation ausgesetzt war.
Und der Kriegsbeginn hinderte ihn daran, seiner Verlobten in die Emigration nach England zu folgen. Im Krieg selbst leistete Fernau seinen Dienst zunächst mit der Ungläubigkeit des überzeugten Zivilisten. Als er sich dann gegen seinen Willen zur SS-Kriegsberichterkompanie versetzt sah und begriff, daß es aus dieser Verwendung bis Kriegsende kein Entkommen geben würde, fügte er sich. Er machte den Frankreichfeldzug mit (1940), berichtete aus dem Kessel von Demjansk (Juni 1942), von der Rückeroberung Charkows (1943) und im selben Jahr von den Kämpfen um Kursk. Danach war er in Frankreich am Aufbau einer Abteilung „Skorpion“ beteiligt, die den Durchhaltewillen der eigenen Truppe mittels ungeschminkter Berichterstattung aufrecht erhalten sollte. Man kann in den Flugblättern und Berichten, die Fernau im Rahmen dieser psychologischen Kriegsführung verfaßte, Anklänge an jenen Ton finden, in dem Fernau später seine Bestseller schrieb: direkte Ansprache des „einfachen Mannes“, suggestives Frage- und Antwortspiel sowie die Fähigkeit, vom konkreten Erlebnis aufs darunterliegende Allgemeine zu gelangen.
Auch als der Krieg zu Ende war und Fernau sich mit seiner Frau (er hatte 1943 geheiratet) nach München durchschlug, hatte er noch immer auf Bedingungen zu reagieren, die er nicht selbst gesetzt hatte: Er lebte unter falschem Namen, entzog sich der Verhaftung durch die amerikanischen Besatzer, indem er nächtlich in die Britische Zone wechselte. Dort schlug er sich als Kunstmaler, Gelegenheitspublizist und Klavierspieler durch, während seine Frau mit Bastel- und Näharbeiten ein Kaufhaus belieferte.
Erst 1949 wagte Fernau die Entnazifizierung und den Umzug nach München unter seinem richtigen Namen. Als Angestellter versuchte er sich in zwei publizistischen Projekten, die jeweils nach wenigen Monaten endeten. Als er dann endlich an seinem Schreibtisch saß und sein Deutschland-Buch verfaßte, dauerte es noch einmal zwei Jahre, bis der 21. Verlag (Stalling in Oldenburg) das Manuskript annahm und Fernaus Erstling zu einem Erfolg machte. Das Gelebt-Werden, die „verlorene Zeit“, hatte ein Ende, das Leben-Können nach eigenem Gusto konnte beginnen.
Jedoch: Fernaus Verfassung auf diesen schlichten Gegensatz von Bedingtheit und Unabhängigkeit zu reduzieren, würde diesem Menschen und Autor nicht gerecht. Unter seinen zwei Dutzend Büchern findet sich auch ein Roman über das Leben seiner Eltern und seine eigene Kindheit. Die Sichtung des Archivs von Fernau zeigt, wie detailgenau autobiographisch er arbeitete. Viele Leser werden diese Übereinstimmungen erst anhand der nun vorliegenden Bilder und Dokumente nachvollziehen können. Und wer nun diesen Roman erstmals oder wieder liest und von dem letztlich unerträglichen Schicksal der Mutter Fernaus („Martha Vanseloh“) erfährt, fragt sich, warum das Buch den Titel Ein wunderbares Leben trägt: Martha verliert Vater und Bruder. Dann wartet sie in einer Art Winterstarre auf denjenigen, der ihr die Ehe versprach und dennoch eine andere heiratete. Aber diese Frau stirbt, und der Witwer kehrt zurück, holt Martha zu sich, ein Sohn wird geboren – und dann stirbt der Mann (alles noch autobiographisch, Fernau verlor seinen Vater 1918).
Die Witwe und das Kind klammern sich aneinander fest, es ist das Jahr 1920, Bromberg wird polonisiert, und Martha muß nach Schlesien umsiedeln. Zuvor aber (und hier verläßt der Roman die Spur der Biographie) ist auch noch ihr Sohn verstorben, an einer „Herzruptur“, an einem zerrissenen Herzen, einer schlummernden Krankheit, die schlagartig und meist tödlich aufbricht.
Was soll das also heißen: Ein wunderbares Leben? Ist dieser Titel zynisch gemeint, als Anklage gegen das Los, das Gott dieser Frau zuwies (der Pastor kommt nicht gut weg in diesem Buch)? Oder steckt in dem Schicksal Marthas der Keim der Poesie, in ihrem Leid die Rechtfertigung für ein zweites, ein glückliches Leben in der Phantasie und somit in der Dichtung? Nach dem Tod ihres Sohnes lebt Martha nämlich „gelöst“ weiter, das heißt: Sie hat sich von der Wirklichkeit losgebunden und lebt nur noch in ihrer Vorstellung: schreibt Briefe an ihren Sohn, von dem sie vorgibt, er sei auf einem Internat; reist ihm nach und geht mit ihm durch Paris, wo er ein Studium aufzunehmen gedenkt; legt sich ins Bett und stirbt, als ihr ein Psychologe auf die Schliche kommt und ihren „Fall“ in einem Fachmagazin bespricht; flieht also aus dem Bereich des Unerträglichen in bester romantischer Manier in eine Welt, die sie sich selbst auf den Leib schneidert. Ist das nicht wunderbar?
Man sollte die Deutung an dieser Stelle nicht strapazieren: Ein Leben kann so verlaufen, daß man es eines Tages nicht mehr hinnehmen, nicht mehr ertragen möchte und ihm im Kopfe ganz einfach einen anderen Verlauf gibt. Viel interessanter ist hingegen der Moment im Roman, in dem Joachim Fernau sich selbst mit zehn, elf Jahren an dem bereits erwähnten Herz-Riß sterben läßt. Das heißt ja nichts anderes, als daß er schriftstellerisch die Möglichkeit durchspielt, wie es wäre, wenn er sein Leben nicht hätte leben müssen. Es ist leicht, aus den Büchern und Briefen Fernaus etliche Stellen zu präsentieren, in denen von einem falschen Zeitpunkt der Geburt die Rede ist („hundert Jahre zu spät“), von Misanthropie, ja geradezu von einem Ekel vor der Masse Mensch und vor der Unverbesserlichkeit dieser Krone der Schöpfung. Ist das „Leben-Müssen“ ein Schlüssel zu Fernau? Ja, es ist einer, zweifelsohne, und im Rückgriff auf das, was er selbst über seine „verlorenen Jahre“ gesagt hat, kann man präzisieren: Wenn schon Leben-Müssen, dann wenigstens unabhängig und nach eigenem Gesetz.
Das geht nicht immer, dieses Leben nach dem eigenen Gesetz. Es ist eigentlich nur in jenen Phasen möglich, die Fernau wahlweise als „den siebenten Tag“ oder als „Biedermeier-Zeiten der Völker“ bezeichnet: Der Staat, die Nation, das Volk, die Geschichte sind nicht in Bewegung, alles kommt zur Ruhe, kann ausreifen, und der Beanspruchungsdruck, dem der Einzelne in Not- und Kampfzeiten ausgesetzt ist, läßt spürbar nach. In seiner grandiosen Interpretation des Nibelungenlieds (Disteln für Hagen) verortet Fernau jene Zeit dort, wo Siegfried mit seiner Frau Kriemhild das Pulverfaß Worms verläßt und ins heimatliche Xanten zurückkehrt, um dort zehn Jahre lang zu bleiben, bevor die verhängnisvolle Einladung an den Hof Gunthers und Brunhilds kommt: „Was will die Welt eigentlich? Der Held liegt im Trockendock. Soll er wieder auslaufen, soll die Flamme wieder aufzischen, das Feuer wieder ausbrechen? Es gibt nur dieses Entweder-Oder, es gibt kein Zwischending. Ein Held ersinnt entweder Bomben oder Gartenzwerge.“
Fernau sprach damit – wie immer in allgemeinverständlichem Ton – das Grundproblem an, das ihn und neunundneunzigkommaneun Prozent seiner Mitmenschen berühren mußte: Er und die anderen waren es, die die Konsequenzen des neuerlichen heldischen Streifzugs zu tragen haben würden. Fernau hat in vielen seiner Bücher vor der Illusion gewarnt, daß es den ewigen siebenten Tag geben könnte. Er sah in der Geschichte so etwas wie eine große Sanduhr am Werk, in der die Körnchen friedlich lagern, bis sie unaufhaltsam in den Trichter zu rutschen beginnen, um nach der Passage durch die Engstelle durcheinandergemischt wieder zu vorläufiger Ruhe zu gelangen. Diese Engstelle, eine Zeitschleuse, ist sozusagen der geschichtliche Ernstfall, und ihn nicht im Blick zu haben, hielt Fernau für unverzeihlich. „Ja, so stellen sich das die Martinsgänse im Oktober vor, ehe sie am 10. November in der Pfanne liegen“, ist einer der Sätze aus Deutschland, Deutschland über alles…, die vor der gefährlichen Naivität und Blindheit bei der Einschätzung der Lage warnen sollten.
Jedoch: Fernau war Menschenkenner genug, um politische Klarsichtigkeit nicht von der Masse des Volkes zu erwarten. Es gibt aus seiner Feder über die frühen Berliner Jahre einen wiederum stark autobiographischen Roman: Die jungen Männer umfaßt etwa den Zeitraum von je einem Jahr vor und nach dem 30. Januar 1933. Dieser Tag ist heute als Moment der Machtergreifung Adolf Hitlers ein Schlüsseldatum der deutschen Geschichte. Für Fernau (und für seine Jungen Männer) war es einer der Tage, an dem die Weimarer Republik wieder einmal eine neue Regierung bekam. Ansonsten lebte und arbeitete man einfach weiter, diskutierte vielleicht die Ereignisse und schlug sich sympathisierend auf die eine oder die andere Seite. Die Geschichte aber blieb offen.
Als der Roman 1960 erschien, schrieb eine Rezensentin, daß die Art und Weise, wie die große Geschichte neben dem speziellen Leben der Jungen Männer herlaufe und es oftmals gar nicht berühre, ein hervorragender Trick sei, die Zeit zu fassen. Diese Beobachtung trifft Fernaus Absicht genau, und in seinem „Trick“ stecken drei Botschaften: Fernau wollte zum einen immer zeigen, wie der Mensch die Ereignisse seiner Zeit jeweils als Dickicht erlebt, das er nicht überblickt, und in dem er nicht weiß, welcher Pfad einmal zu einem Hauptweg wird. So kann Epochemachendes vorbeirauschen, ohne daß die Welt den Atem anhält. Fernau wollte zweitens den Menschen (also auch sich selbst) auf diese Weise begriffen sehen und vor der Moral und der Überheblichkeit der Spätergeborenen schützen. Und er wollte darüber zuletzt zu einer grundsätzlichen Ehrlichkeit zurückkehren: Von Verstrickung, Teilhabe und problematischem Lebensvollzug – etwa in einer Diktatur – kann nur schreiben, wer sie als notwendige Normalität begreift und den kleinen und den großen Widerstand gegen die Tyrannis als das bezeichnet, was es ist: als die große und nicht immer unproblematische Ausnahme.
Mit einem subtilen Kunstgriff legte Fernau seinen Lesern diese Zurückhaltung in der Beurteilung der in ihrer Zeit agierenden Figuren nahe: Sein autobiographisches Ich in den Jungen Männern ist stumm und kann die Ereignisse nicht unmittelbar kommentieren oder werten, sondern muß schweigen und hinhören und kann erst später, nach einer Phase der gedanklichen Verarbeitung, etwa in Form eines Briefes oder einer Notiz eine dadurch bereits gültigere Zusammenfassung abgeben. Stumm zu bleiben in dem Sinne, daß man sich beim Blick auf die komplexe Situation des raschen Urteils enthalte und geduldig auf die Stimmen der Beteiligten höre: Das ist Fernaus Rat. Er hat ihn in einem Vortrag mit dem Titel Das Abenteuer des geschichtlichen Denkens als Leitlinie seiner Geschichtsbetrachtung ausformuliert und am Beispiel einer in die Zukunft verlegten, historischen Interpretation des BRD-Grundgesetzes beinahe zynisch veranschaulicht. Fernau beschreibt darin, zu welchen Schlüssen über die Lebenswirklichkeit im Westdeutschland der 60er-Jahre ein Historiker kommen müßte, der sich ausschließlich auf den Text des Grundgesetzes stützte und sein Studium nicht auf die Erforschung der komplexen Lebenswirklichkeit ausdehnte: Eine völlig falsche Gewichtung dessen, was die Menschen in dieser Zeit umtrieb und unter welchen Bedingungen Politik gemacht wurde, ist die Folge, wenn man den schwierigen Blick auf das Dickicht des tatsächlichen Lebens meidet.
Das tatsächliche Leben hat Fernau unter anderem sechs prägende Jahre lang als Soldat kennengelernt. Wie viele Männer seiner Generation empfand auch er das ungerechte Glück, im Kriege weder gefallen, noch als Versehrter heimgekehrt zu sein. Diese Erkenntnis äußerte sich bei Fernau nicht geradezu als schlechtes Gewissen, wohl aber in dem Bewußtsein, den Gefallenen etwas zu schulden.
Neben den im besten Sinne des Wortes eine Revision betreibenden Geschichtsbetrachtungen sind es vor allem zwei literarische Werke, mit denen Fernau etwas von der Bürde des Überlebens ablegen konnte. Völlig unbekannt und nur in einem Privatdruck veröffentlicht ist das Theaterstück Des Sommers Grün, das Fernau unmittelbar nach dem Krieg schrieb. Er verarbeitete darin Erlebnisse aus dem Kessel von Demjansk, in den er im Sommer 1942 zur Berichterstattung eingeflogen worden war. In Fernaus Zeitungsbeiträgen aus jenen Monaten findet sich der Stoff zur späteren dramatischen Bearbeitung, bis hin zu namenleihenden Hauptfiguren.
Ungleich bekannter ist das zweite Werk, das 1954 zunächst unter dem Titel Bericht über die Furchtbarkeit und Größe der Männer erschien und später als Taschenbuch und umbenannt in Hauptmann Pax hohe Auflagen sowie einige Übersetzungen erlebte. Der Stoff für diesen Bericht fiel Fernau in die Hände, als er 1948 für eine Illustrierte eine Serie launiger Gefangenschafts- und Ausbrecheranekdoten verfaßte – immer basierend auf Einsendungen, in denen die Leser ihre Erlebnisse als Rohmaterial zur Verfügung stellten. Der Bericht, aus dem später Hauptmann Pax entstand, war gar nicht launig und muß Fernau tief erschüttert haben. Er sah in der Schilderung einer Flucht von hundert Männern aus der russischen Kriegsgefangenschaft eine jener „unerhörten Begebenheiten“, die für eine Novelle im Kleistschen Sinne geeignet sind. Jahre später suchte Fernau den Leserbriefschreiber, einen Offizier aus Freising, auf, um sich die Umstände des Marsch nach Westen über 1000 Kilometer in allen Einzelheiten schildern zu lassen. Die Niederschrift quälte ihn körperlich, aber vielleicht gelangen ihm gerade deshalb Szenen von einmalig suggestiver Kraft. Der Offizier gestand später, er könne sich mitunter nur noch in den Bildern Fernaus an sein eigenes Erleben erinnern.
Hauptmann Pax gehört zweifellos zu den ernsten Büchern Fernaus. Es ist ein Kniefall vor der Männlichkeit und ein geradezu rücksichtsloses Beiseitefegen jedes weiblichen Einmischungsversuchs in eine Sphäre, in der es nichts abzumildern und aus der es sozusagen keinen „weiblichen“ Ausweg gibt. Wenn man den literarischen Ton Fernaus, um den es im nächsten Abschnitt gehen wird, vorläufig einmal als geschmeidig bezeichnet – in Hauptmann Pax läßt sich kein einziger geschmeidiger Satz finden. „Wenn ein Mann sagt: Dieses oder jenes, was ich getan habe, oder dieses oder jenes, was ich ertragen habe, das hätte kein Tier ertragen, so ist es das Höchste. Ein Leben eines Mannes, in dem es das nie gegeben hat, war ein vertanes Leben.“ So heißt es gleich im 1. Kapitel, und Fernau beschrieb vorausahnend auch gleich die Leser, die nach solchen Setzungen ihren Vorbehalt anmelden: „Wenn sie das hören, werden sie sich natürlich zeigen wollen, sich aufrichten und nach der Art der Tiere, die Lemminge heißen, vor Wut zerplatzen. Aber ich sage, was ich will.“
Man kann diese selbstbewußte Äußerung als Motto über Fernaus gesamtes Werk schreiben, sie drückt seine Unabhängigkeit, seinen Mut, aber auch seinen pädagogischen Eifer aus: Im Zusammenhang gelesen, entfaltet die Sentenz aus Hauptmann Pax eine erzieherische Wirkung, denn nur wenige Männer möchten zu den Lemmingen gehören, und so wird bis heute ein bestimmter Teil der Leser den Vorsatz fassen, sich auf die Seite derer zu stellen, die etwas zu ertragen imstande sind. Jedoch: So direkt, so unverblümt und ungeschmeidig formulierte Fernau nur in wenigen Büchern und auch darin nur an wenigen Stellen. Zu pädagogischer Meisterschaft lief er auf, wenn er im Vorübergehen erzog.
Es steht völlig außer Frage, daß Fernau einen eigenen, unverwechselbaren Ton gefunden und zelebriert hat. Unverwechselbar heißt gerade nicht, daß man ihn nicht nachahmen könnte: Fernau ist parodiert worden, auch in böswilliger Absicht. Unverwechselbar heißt, daß der einmal entwickelte Stil mit diesem und keinem anderen Autor in Verbindung gebracht wird, ganz egal, in welcher epigonalen Form Nachahmer auftreten.
Der Publizist Armin Mohler hat in einem Aufsatz als einer der wenigen die Tonlage der Bücher Fernaus in ihrer Bedeutung begriffen und beschrieben. Er spricht von einer „Narrenkappe“, deren Fernau sich bediente. Man muß Mohler ausführlich zu Wort kommen lassen, um zu verstehen, was er damit meint:
„Wer Fernau persönlich kennenlernte, war von seinem verschlossenen Ernst beeindruckt, der sich eher in Sarkasmus als in Heiterkeit aufzulösen vermochte. Fernaus Ein-Mann-Feldzug gegen Umerziehung, Gehirnwäsche und Bewältigungsrummel, zu dem er als Allererster ansetzte, wurde oft mißverstanden. Es ging ihm nicht darum, den verlorenen Krieg doch noch zu gewinnen. Nicht Vorsicht gegenüber den Siegern hat ihn zur Narrenkappe greifen lassen. Wenn Joachim Fernau in seinem Buch Deutschland, Deutschland über alles… den richtigen Ton zum Thema ‚Vergangenheitsbewältigung’ gefunden hat, so lag das daran, daß er erkannt hatte, welches die wichtigsten Adressaten für seine Fastenpredigt waren. Bei Auseinandersetzungen innerhalb der Familie wählt man am besten einen lockeren Ton, mit dem unnötige Scherben vermieden werden können. Die Fastenpredigt Fernaus richtet sich an diejenigen Deutschen, die eine zur Routine gewordene Vergangenheitsbewältigung als Vorwand mißbrauchten, um unter dem Ableiern einiger Bußformeln sich ganz dem Wohlleben im Jetzt hinzugeben – ohne jede Rücksicht auf den Ernstfall, der früher oder später kommen würde.
Gewiß war die Vergangenheitsbewältigung in jenen 50er Jahren zunächst ein von den Siegern aufgegebenes Pensum. Sie erreichte jedoch ihre besondere Virulenz erst dadurch, daß sie für die Deutschen – zum mindesten für die Westdeutschen – auch eine Verlockung war. Die Schlaumeier unter ihnen merkten bald, welch handfeste Vorteile ihnen die bedingungslose Unterwerfung unter das Bewältigungsritual einbringen konnte. Der ‚deutsche Herbst’ von 1989 und seine erst langsam spürbar werdenden Folgen beginnen uns die Struktur Westdeutschlands als ein Gemisch aus Bodenlosigkeit (außer im Wirtschaftlichen) und Blindheit bewußt zu machen.
Die Eigenwilligkeit des passionierten Einzelgängers Joachim Fernau wird gerade in seinem frühen Spürsinn für diese Entwicklung deutlich. Schon zu Beginn der 50er Jahre, als das Wirtschaftswunder erst anzulaufen begann, erkannte er, welche Blößen sich seine Landsleute mit ihrer einseitig wirtschaftlichen Ausrichtung gaben: sie mußte notwendig in Geschichtsvergessenheit und damit auch in Zukunftsblindheit münden. Beides zusammen macht eine Gesellschaft, ein Volk äußerst verwundbar. Fernaus skeptisches Bild vom Menschen bewahrte ihn allerdings davor, vor seinen zwischen Genuß und Buße hin und her taumelnden Mitbürgern als Moralprediger aufzutreten. Sie hätten das mühelos weggesteckt, denn an ‚öffentlicher Moral’ war in jenen ersten Nachkriegsjahren kein Mangel. Joachim Fernaus schriftstellerische Genialität bestand darin, den Deutschen so ganz nebenher und lässig das Groteske ihrer Situation bewußt zu machen.
So ernst es Fernau auch meint – er überrascht seinen Leser durch den Verzicht auf große Worte. Schon sein erstes Buch, das ihn mit einem Schlage berühmt machte, hat seine Tücken. Man weiß nicht recht, ob er in diesem Buch über die deutsche Geschichte lacht, oder ob er weint über ihren so gar nicht beschönigten Verlauf. Das hängt sicherlich damit zusammen, daß Fernau sich in seinen Büchern eng an die gesprochene Sprache, nicht die der Theorie, hält. Seine Bücher sind im Deutsch des Normalverbrauchers verfaßt – über den sind in diesem Jahrhundert schon so viele Stürme hinweggebraust, daß man ihm kaum mehr etwas vormachen kann. Es ist das Deutsch, das du und ich sprechen, mit all den Verständigungs-Kürzeln, die dazu gehören, den mitgedachten Einverständnissen, den Bockigkeiten und manchmal auch den Saloppheiten, die genauer treffen als das Umständliche. Es ist eine Sprache, die keine ideologischen Voreingenommenheiten kennt oder sie doch sichtbar in Anführungsstriche setzt, sie ironisch relativiert.“
Dem ist nicht viel hinzuzufügen, und deutlich wird, warum Mohler über Fernaus Cäsar läßt grüßen sagen konnte, daß er diese „Geschichte der Römer“ für das vielleicht „mutigste Buch“ hält, das ein Deutscher nach dem Krieg geschrieben hat. Denn, so Mohler: „Wer die Fernausche Art des Erzählens von Geschichte einfach als ein Berichten aus ironischer, spöttischer oder gar schnoddriger Distanz definiert, macht es sich zu leicht. Der Vorgang ist viel komplizierter. Fernau setzt sich die Narrenkappe bloß auf, um dafür an jenen Stellen, auf die es ihm ankommt, um so unmittelbarer und ernster zu sprechen.“
In keinem anderen Buch hat Fernau den Tonwechsel zwischen lockerer Schilderung und eindringlicher, todernster Lehre so deutlich vollzogen wie in seiner Nacherzählung und Interpretation des Nibelungenliedes: Disteln für Hagen erschien 1966, und es gibt gute Gründe, diese „Bestandsaufnahme der deutschen Seele“ als den Kern des Werks von Fernau zu bezeichnen. Die Geschichte der Griechen mag unter dem Titel Rosen für Apoll das erfolgreichste Buch gewesen sein – es wurde allein in der gebundenen Fassung über 400 000 Mal verkauft; aber es erreicht keinesfalls jene Eindringlichkeit, die in Disteln für Hagen jeden nicht abgestumpften Leser vor die Frage stellt, ob er sich wiedererkenne oder nicht. Denn Fernau legte die tief angelegte Deutung der kollektiven, seelischen Verfaßtheit der Deutschen vor, und man kann das Buch bis heute ebenso existentiell lesen wie auch als mutiges metapolitisches Unterfangen begreifen.
Nun wäre Fernau nicht Fernau, wenn er nicht auch bei diesem Buch auf möglichst weite Verbreitung geachtet hätte. In einem Brief an seinen Verleger schrieb er vor Beginn der Arbeit am Manuskript: „Ich werde die Nibelungen schreiben. Ich sehe Sie jetzt erbleichen und in Gedankenschnelle wieder zurückversetzt in Ihr altes Klassenzimmer mit dem Deutschlehrer und der schwarzen Tafel. Aber ich kann Ihnen versichern, daß es wie bei den ‚Rosen für Apoll’ ganz, ganz anders werden wird. Ich habe das Thema gewählt, weil es mich latent seit langem beschäftigt (ich werde Ihnen gleich sagen, in welchem Sinne), und dann offengestanden auch, weil ich es sehr gern habe, wenn ich meine Bücher nicht als Höhlenmalerei schreibe, sondern wenn sie das für jeden Menschen so reizvolle Klingeln der Registrierkasse gebären. Jetzt sehe ich Sie wieder Farbe gewinnen, mein Herr!“
Disteln für Hagen wurde in der gebundenen Ausgabe über 120 000 Mal verkauft, zusammen mit den Taschenbuch-Auflagen sollte mindestens eine halbe Million Exemplare wenigstens ebenso viele Leser gefunden haben. Und bei keinem anderem Buch Fernaus wäre die Klärung der nicht beantwortbaren Frage so aufschlußreich wie bei diesem: Was hat Fernaus deutsche Seelen-Schau in erzieherischer, erkenntnisstiftender Weise ausgetragen? Welche Bedeutung hat es, daß er seine Gedanken und geradezu ketzerischen Auslegungen so massiv dem nicht ungebildeten, sondern dem lesenden Teil des deutschen Volkes vortragen konnte?
Zu den beliebten Verfahren in Fernaus Geschichtsbetrachtungen zählt die verblüffende Umwertung einer sicher geglaubten historischen Sicht auf die Dinge. Fernau trieb diese Methode der überraschenden Wendung bis an die Grenze des Erträglichen, und an der ein oder anderen Stelle in seinem Werk kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß er eines solchen Hakens wegen einer geschichtlichen Figur keine Gerechtigkeit widerfahren ließ. So fällte er beispielsweise in seinem Preußen-Buch, der „Geschichte der armen Leute“, ein vernichtendes Urteil über den Soldatenkönig, den Vater Friedrichs des Großen, obwohl sich die Geschichte einig darüber ist, daß erst auf der Grundlage der Staatskunst Friedrich Wilhelms I. und aufgrund seiner eisernen Sparsamkeit und seinem Gerechtigkeitswahn Preußen unter Friedrich dem Großen das werden konnte, was es dann war: die Ordnungsmacht aus der Mitte Europas und der Hegemon, um den herum die Reichsgründung gezimmert werden konnte.
Nun ist der Fall des Soldatenkönigs nicht idealtypisch: Fernau entzauberte nicht gerade einen Liebling des Volkes, wenn er ihn schwarzmalte. Dies tat er aber in den Disteln für Hagen: Siegfried, der strahlende, unbefleckte Held, trägt plötzlich Züge eines polternden, naiven, mitunter sogar dümmlichen Emporkömmlings, während Hagen, der Mörder Siegfrieds, zur zentralen Figur wird: Er betreibt als einziger Politik in jenem von Fernau immer wieder betonten Sinne Bismarcks, daß nämlich Politik immer Außenpolitik sei. Er begreift die Gefahr, die von Siegfried für das Haus der Burgunder ausgeht. „Längst hat er das Gesetz des Handelns seinem König von den schwachen Schultern genommen“, er ist es, auf dessen Vorschlag Siegfrieds Stärke außenpolitisch gegen die Sachsen und Dänen ausgenutzt wird. Und später beendet er den Streit der Königinnen Kriemhild und Brunhild kalt und im Sinne burgundischer Staatsraison, indem er den Mordplan gegen Siegfried durchsetzt und ausführt und den Schatz der Nibelungen unter die Verfügungsgewalt Gunthers bringt. Hagen rät ab, als sich Gunther mit seinen Brüdern Gernot und Giselher zur Besuchsfahrt an Etzels Hof entschließt, „er erkennt die Auspizien der Einladung an den Hunnenhof“, aber er fährt ohne zu Zögern mit, nachdem die Entscheidung gefallen ist. „Er begegnet Etzel mit ausgesuchter Höflichkeit und wirft das Steuer erst herum, als er nach der Begegnung mit der haßerfüllten Kriemhild sieht, daß nichts mehr zu ändern ist. Dann aber ist seine Mobilmachung eine totale. Er ist es, der wacht, während die anderen schlafen“.
Diese Respektsbezeugung vor Hagen steht auf den letzten Seiten der Disteln, und zwar in einem jener Teile, die Fernau mit „Rondo“ überschrieb: Diese Einschübe sind den im lockeren Ton geschriebenen, nacherzählenden Passagen zwischengeschaltet, sie enthalten die Interpretation dessen, was Fernau an Substantiellem für die Deutung der deutschen Seele aus dem Nibelungenstoff destilliert. Die kleine Zitatreihe von eben darf nicht täuschen: Fernau kreiste den Begriff der „Treue“ ein, indem er das bestechend Beständige und zugleich die unmenschliche Kälte der besonderen Treue Hagens herausarbeitete. Er kam zu dem Schluß, daß sich in der ebenso faszinierenden wie lebensverachtenden Gradlinigkeit Hagens die „Treue zu einer Idee“ und nicht die „Treue zum Leben“ manifestiere – und daß deshalb Etzels Saal der Ort sei, an dem sich die deutsche Seele in ihrer Unverwechselbarkeit zeige. „Hagen – das sind wir“, schrieb Fernau. „Wie im Nibelungenlied: der letzte, der aufrecht stehend fällt.“
Das war – auch 1966, als das Buch erschien – eine steile Behauptung, aber Fernau konnte sich sicher sein, daß ein Gutteil seiner Leser die in den Disteln nie ausgesprochene, aber mehrmals angedeutete Parallele zog: Stalingrad und andere Kessel im Osten sind Wiederauflagen von Etzels Saal, und die mythische Kraft dieser Orte könnte gewaltig sein, würde über sie gesungen wie über den Untergang der Burgunder.
Am deutschen Wesen wird die Welt genesen’ – nein, ganz sicher nicht. Aber wir könnten daran genesen. Wenn wir begreifen, was wir da huckepack tragen. Wenn wir aufhören mit dem Fratzenschneiden und sind, die wir sind. Der Herr der Welt will uns wiedererkennen, wie er uns gemeint hat.“
Vielleicht sind es diese Schlußsätze aus den Disteln, ist es dieser offene Aufruf, die Verleugnung des eigenen Charakters und der deshalb unverwechselbaren eigenen Geschichte zu beenden, die den Germanisten Peter Wapnewski dazu veranlaßte, eine Kampagne loszutreten. Am 3. Februar 1967 verknüpfte er Stellen aus den Werken Fernaus mit solchen aus einem Propaganda-Beitrag vom Sommer 1944, in dem Fernau von der Notwendigkeit des Durchhaltens und von einer überlegenen Waffentechnik geschrieben hatte, die bald zur Verfügung stünde. Dieser Durchhalteartikel ist im Nachhinein kein Ruhmesblatt, aber zur Zeit seiner Entstehung war er tatsächlich nur einer unter Hunderten, und es gehörte zu den Aufgaben Fernaus, die Moral der Truppe zu stärken. Das Besondere an seinem Text ist, daß er in Erinnerung blieb: Fernau schrieb nicht plötzlich schlechter, nur weil es sich um eine militärische Dienstpflicht handelte. Als Kriegsberichterstatter war er zwangsläufig auch Propagandist des Großdeutschen Reiches, und er war es geworden, weil er mit der Sprache suggestiv zu wirken und überzeugend zu sein verstand. Daß sein Artikel dutzende Male nachgedruckt und nicht nur an der Front, sondern auch in der Heimatpresse eingesetzt wurde, lag nicht in seiner Entscheidung.
Fernau revidierte später seine formulierte Überzeugung von 1944, von der nicht bekannt ist, ob sie tatsächlich seinen eigenen Folgerungen entsprach. In Deutschland, Deutschland über alles… schrieb er: „Hitler glaubte noch in letzter Minute eine völlige Umstellung der Waffen und Kriegsführung herbeiführen zu können. Deutschland war im Besitz phantastischer Erfindungen, die sehr wohl imstande schienen, eine vollständige Wendung zu bringen. Die heutigen modernen Waffen der Sieger beruhen darauf.
Aber die Zeit reichte bei weitem nicht mehr aus. Die Alliierten waren in Frankreich gelandet. Es war zu spät.“ Wapnewski zitierte in seinem Zeit-Artikel genau diese Passage, um sich darüber zu empören, daß Fernau aus achtjähriger Distanz zu einer so völlig anderen Einschätzung der Lage gekommen war. Er verkantte damit die Situation vom Sommer 1944: Noch stand der Feind im Osten und im Westen weit von den Grenzen des Deutschen Reiches entfernt, noch hielten die Fronten der materiellen Überlegenheit stand, verlief der Rückzug nicht in Form eines Zusammenbruchs. Wapnewski verlegte seine Nachkriegserkenntnisse über die Situation vom August 44 in einen Soldaten, der in ebendieser Situation dem Befehl zu einem propagandistischen Beitrag erhielt.
Zum Glück für Fernau war 1967 die Diskussionskultur noch so, daß er selbst in der Zeit mit einer ausführlichen Stellungnahme den Vorwürfen begegnen konnte. Er bekam darüber hinaus viele hilfreiche Leserbriefe, erfuhr aber ebenso heftige Gegnerschaft. Letztlich blieb doch der Vorwurf Wapnewskis insofern hängen, als selbst in den Nachrufen von 1988 der umstrittene Text stets Erwähnung fand – und zwar nicht der Vollständigkeit halber, sondern im denunziatorischen Sinne.
Zwischen den Disteln für Hagen – dem Dreh- und Angelpunkt des Werks – und dem letzten, Fragment gebliebenen Buch, einer Nacherzählung des Alten Testaments (Und er sah, daß es gut war), lagen aber noch zwanzig schaffensreiche Jahre. In ihnen schrieb Fernau über ein Dutzend Bücher. Man kann sie in drei Rubriken gliedern. Am bekanntesten sind die Geschichtswerke, die mit dem Deutschland-Buch und den Genies der Deutschen (1953) einsetzten, 1961 in der Geschichte der Griechen gipfelte und mit der Geschichte der Römer (Cäsar läßt grüßen, 1971) sehr erfolgreich fortgesetzt wurden. 1977 folgte eine bittere historische Abrechnung mit den USA (Halleluja) und 1981 mit Sprechen wir über Preußen die „Geschichte der armen Leute“, die Fernau sehr am Herzen lag und die zu seinen am wenigsten lockeren Büchern gehört. Der Plan, die Geschichte Rußlands niederzuschreiben, kam nicht mehr zur Ausführung.
Nicht viel weniger umfangreich, jedoch im Verkauf deutlich weniger erfolgreich war Fernaus Prosawerk, von dem heute kein einziger Titel mehr lieferbar ist. Neben den erwähnten autobiographischen Romanen sticht qualitativ der Roman über Goethes letzte Liebe (War es schön in Marienbad, 1982) hervor. Zu einem Taschenbuch-Bestseller wurde der leichte Roman Ein Frühling in Florenz, und auch von einer Sappho-Erzählung in Briefen, dem letzten zu Lebzeiten erschienenen Buch Fernaus, konnte der Verlag noch 30 000 Exemplare absetzen. Kurios war die Entstehung eines Gegen-Buchs zu Kurt Tucholskys Liebeserzählung Rheinsberg: Weil Fernaus Verleger diesen Text besonders gern mochte, Fernau ihn hingegen nicht ausstehen konnte, schlug er in einem humorvollen Verlagsvertrag vor, Tucholsky durch eine Erzählung namens Weinsberg oder die Kunst der stachligen Liebe zu übertreffen. Fernau legte das Manuskript fristgerecht vor, und der Verleger konnte trotz aller Vorbehalte respektable Zahlen absetzen.
Eine dritte Rubrik bilden die Bücher und Aufsätze über Bildende Kunst und Architektur. Für den Knaur-Verlag verfaßte Fernau ein Lexikon alter Malerei, „von A bis Z“, wie er stolz vermerkte, und aus einer Aufsatzsammlung entstand die „lächelnde Stilkunde“ Wie es euch gefällt, rückläufig konzipiert von der ungeliebten Bauhausmoderne bis zur Romanik Ottos des Großen. Hinzu kommen die vielen kleineren „Brötchenarbeiten“, wie Fernau die Schreibaufträge nannte, die ihn aus der Wirtschaft und aus Redaktionen erreichten und ihm jene sine cure, jenes wenigstens finanziell sorglose Autorenleben garantierten, von dem zu Anfang die Rede war. Fernau nutze seine Unabhängigkeit und verhalf manchem noch nicht erfolgreichen Schriftsteller durch Rezensionen an prominenter Stelle zu einem ersten Erfolg. Er unterstützte im Bekanntenkreis und unter seinen Lesern jene, die aus finanziellen Gründen eine wichtige ärztliche Behandlung nicht anwenden lassen oder eine notwendige Investition zur Sicherung eines bescheidenen Lebensstandards nicht tätigen konnten. Und er nahm sich neben seiner Arbeit an den Manuskripten für die Beantwortung von Leserbriefen viel Zeit, wenn die Fragen oder Anmerkungen aufrichtig und höflich geschrieben waren. Der von Gabriele Fernau zusammengestellte Band In dem Hause auf dem Berge. Briefwechsel mit Lesern (1992) zeugt davon.
Die Kategorisierung der Werke Fernaus schafft allenfalls Übersicht im Bestand, aber sie trägt nichts zum Verständnis dieses Mannes bei. Fernau taucht auch nicht in den einschlägigen Literatur-Lexika auf, und wenn man noch zugestehen kann, daß seine Geschichtsbetrachtungen nicht neben den klassischen Großgattungen Prosa, Lyrik und Drama ihren Platz finden könnten, so hätten seine Romane, seine Erzählungen und die Novelle Hauptmann Pax unbedingt die Aufnahme in den erweiterten Kanon der deutschen Literatur verdient. Auch der Lyriker Fernau muß erwähnt werden: Seine Gedichte, die er unter den Titeln Suite 1 und Suite 2 veröffentlichte, sind knappe, sehr eingängige Verdichtungen von Gedanken, Erinnerungen und Bildern, oft voller Anspielungen auf die eigene Biographie. Und das Langgedicht Totentanz, in dem er mehrere Figuren für eine Art Sprechspiel auftreten läßt, wurde von der Schule für Eurythmische Kunst in Hannover noch im Jahr vor Fernaus Tod aufgeführt.
Aber die Ignoranz seiner Kollegen von der schreibenden Zunft und die in den Büros und Hörsälen der Germanistischen Seminare hält an. Armin Mohler schrieb: „Er war der Prototyp des Schriftstellers, der an den Literaturbörsen nicht gehandelt, aber von seiner Nation begeistert gelesen wird.“ Nun scheinen Fernau aber auch die Leser, auf die er sich stets verlassen konnte, abhanden zu kommen. Und das seltsame ist: Fernau hat das vorausgesehen und an zentraler Stelle ausgesprochen. Sein frühes Buch über die Genies der Deutschen trug in der Ausgabe des Econ-Verlags von 1968 den Untertitel: „Die Leuchtfeuer verlöschen und der Blindflug beginnt“, und an einer anderen Stelle sagte Fernau sinngemäß, daß die Deutschen für die nun anbrechende Zeit der Entropie (der großen Einebnung also) das wohl am besten geeignete Volk seien. Und schon das Motto seines allerersten Buches, seines Deutschland-Buches, trägt das Bewußtsein um ein Ende aller Bemühungen in sich: „Deutschland/ Meine Liebe/ Mein Alptraum“.
Man kann konstatieren: Fernau sah den „Blindflug“ seiner Nation in die bildungsferne Massengesellschaft voraus, er wußte, daß er so über kurz oder lang für seine anspielungsreichen Bücher und seine subtile Art der Erziehung kaum noch Leser finden würde. Gleichzeitig war Fernau aber auch klar: Vermissen würde diese Lese- und Empathiefähigkeit am Ende nur der Autor selbst, und mit ihm eine kleine Schar, die noch einen Begriff davon hat, auf welchem Niveau Schriftsteller und Leser eigentlich ihre Fäden miteinander knüpfen könnten.
In dem Bewußtsein, einem irreparablen Verfall gigantischen Ausmaßes beizuwohnen, ging Fernau dennoch ans Werk. Er litt an seiner Zeit und fand einen Ton, der ohne Orgien der Verachtung auskam und Dämme baute, wo er verstanden wurde. Das zeugt von großer Disziplin und entspricht ganz dem Preußen Fernau und dem Ethos des verlorenen Postens.