Lorbeer für Fernau

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Vor hundert Jahren, am 11. September 1909, wurde Joachim Fernau geboren. Er war einer...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

der Best­sel­ler-Autoren der frü­hen Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Es dürf­te zumin­dest im Wes­ten kaum einen vor 1970 gebo­re­nen Leser geben, dem Fern­aus Name und die Titel sei­ner berühm­tes­ten Bücher (Rosen für Apoll und Cäsar läßt grü­ßen) ent­gan­gen sein kön­nen. In Mit­tel­deutsch­land las man Fer­n­au nicht, er ist dort bis heu­te nicht bekannt und hat auch die Wen­de nicht mehr erle­ben dür­fen: Fer­n­au starb am 24. Novem­ber 1988.

Über sein Leben und Werk gibt die vor­lie­gen­de Bild­bio­gra­phie detail­liert Aus­kunft, die Wit­we Gabrie­le Fer­n­au stell­te den Her­aus­ge­bern ihr gut­sor­tier­tes Archiv und ihren eige­nen Ent­wurf einer Bio­gra­phie zur Ver­fü­gung. Sie hat­te in ihren Geschich­ten von Herr und Hund schon ein wenig die Decke gelüf­tet, die Fer­n­au über sich, sei­ne Ver­gan­gen­heit und sein pri­va­tes Leben gelegt hat­te. Die­se Decke wird nun zurück­ge­schla­gen, und ganz sicher wird der ein oder ande­re Leser nun leich­ter erken­nen, woher Fer­n­au den Stoff, die Bil­der, die Dia­lo­ge zu sei­nen Büchern nahm. Längst nicht alles, aber doch recht vie­les ist selbst erlebt oder Teil der Beu­te, die macht, wer die Augen und Ohren offenhält.
Es gibt von Fer­n­au selbst eine Aus­sa­ge über die „zwei Hälf­ten“ sei­nes Lebens. Er gab in einem Gespräch zu Pro­to­koll, daß ihm die Jah­re bis zum Arbeits­be­ginn an sei­ner ers­ten popu­lär­wis­sen­schaft­li­chen Geschichts­be­trach­tung (Deutsch­land, Deutsch­land über alles …) als „ver­lo­re­ne Zeit“ gäl­ten. Fer­n­au war vier­zig, als er sich an sei­nen Schreib­tisch setz­te und die­sen ers­ten Best­sel­ler schrieb. Der Ver­kaufs­er­folg ver­schaff­te ihm Spiel­raum, und spä­tes­tens mit Rosen für Apoll (1961) war er finan­zi­ell unab­hän­gig. Er sah sich in die Lage ver­setz­te, die er für sich und sei­ne Frau ange­strebt hat­te, und bezog 1962 räum­lich und geis­tig ein ein­sa­mes „Haus auf dem Berg“ (bei Flo­renz), um fort­an Zuset­zun­gen jed­we­der Art aus der Distanz und aus einer her­vor­ra­gen­den Ver­hand­lungs­po­si­ti­on her­aus begeg­nen zu kön­nen. Die­se Men­schen-Fer­ne ent­spricht zum einen schlicht dem Wesen Fern­aus, zu ande­ren hat sie viel mit dem drin­gen­den Wunsch zu tun, daß ihm nie­mand unge­be­ten zu nahe tre­ten konnte.
Zuset­zun­gen näm­lich blie­ben nicht aus. Fer­n­au hat­te sich – um drei wich­ti­ge Bei­spie­le zu nen­nen – zum einen auf­grund sei­nes Lie­bes-Berichts Und sie schä­me­ten sich nicht eines Indi­zie­rungs­ver­fah­rens zu erweh­ren (1963), zum andern eine Kam­pa­gne durch­zu­ste­hen, die der Ger­ma­nist Peter Wapnew­s­ki gegen ihn als ehe­ma­li­gen SS-Kriegs­be­richt­erstat­ter in der Zeit 1967 los­trat. Ein Jahr spä­ter folg­te dann ein lang­wie­ri­ger Streit mit dem neu­en Besit­zer des Herbig-Ver­lags, Her­bert Fleiss­ner, der mit har­ten Ban­da­gen und letzt­lich mit Erfolg um den Ver­bleib sei­nes erfolg­rei­chen Autors kämpfte.
Die­se für Fer­n­au recht belas­ten­den Strei­tig­kei­ten waren jedoch ange­sichts sei­nes frei­en, selbst­be­stimm­ten, aller mate­ri­el­ler Sor­ge ent­ho­be­nen Schrift­stel­ler­da­seins nur Neben­ge­räu­sche. Die zwei­te Hälf­te sei­nes Lebens unter­schei­det sich im Rück­blick tat­säch­lich in einem Punkt ent­schei­dend von den ers­ten vier­zig, den „ver­lo­re­nen“ Jah­ren: Fer­n­au arbei­te­te und schrieb mit dem Vor­satz, nie­mals mehr jeman­den über sich ver­fü­gen zu las­sen. Das, was er fort­an äußer­te und tat, geschah nicht, weil er sich irgend­ei­ner Idee oder gar einer poli­ti­schen oder welt­an­schau­li­chen Par­tei ange­schlos­sen hät­te. Freun­de, die ihm nahe­stan­den, kön­nen des­halb von Fern­aus mensch­li­cher Wär­me berich­ten, ohne daß dies in Wider­spruch stün­de zu dem knap­pen, stets höf­li­chen, aber den­noch jedes Gespräch abschnei­den­den Ton, mit dem er zwar gut­ge­mein­te, aber uner­wünsch­te Anfra­gen oder Ehrun­gen zurück­wies. So ist Fer­n­au auch ein Bei­spiel für jenen Typ, der selbst ent­schei­det, wel­chen je Ein­zel­nen er aus der Mas­se Mensch (den er als Gat­tung nicht hoch ach­tet) an sich her­an­tre­ten las­sen möch­te. Unab­hän­gig­keit ist die Grund­vor­aus­set­zung für die­se Form der Grenzziehung.

Die­se Unab­hän­gig­keit besaß Fer­n­au wäh­rend sei­ner „ver­lo­re­nen Jah­re“ nicht. Er sah sich mit sei­ner Mut­ter nach dem frü­hen Tod sei­nes Vaters der Ver­ar­mung und nach dem Ers­ten Welt­krieg der Ver­trei­bung aus Brom­berg aus­ge­setzt. Er arbei­te­te als Jour­na­list über Jah­re für einen mehr als
beschei­de­nen Lohn und ver­lor sei­ne Stel­lung, weil er der NSDAP nicht bei­tre­ten woll­te. Er brach sei­ne gesell­schaft­li­chen Kon­tak­te ab, nach­dem er auf­grund sei­ner Ver­lo­bung mit einer Jüdin der Gefahr der Denun­zia­ti­on aus­ge­setzt war.

Und der Kriegs­be­ginn hin­der­te ihn dar­an, sei­ner Ver­lob­ten in die Emi­gra­ti­on nach Eng­land zu fol­gen. Im Krieg selbst leis­te­te Fer­n­au sei­nen Dienst zunächst mit der Ungläu­big­keit des über­zeug­ten Zivi­lis­ten. Als er sich dann gegen sei­nen Wil­len zur SS-Kriegs­be­rich­ter­kom­pa­nie ver­setzt sah und begriff, daß es aus die­ser Ver­wen­dung bis Kriegs­en­de kein Ent­kom­men geben wür­de, füg­te er sich. Er mach­te den Frank­reich­feld­zug mit (1940), berich­te­te aus dem Kes­sel von Dem­jansk (Juni 1942), von der Rück­erobe­rung Char­kows (1943) und im sel­ben Jahr von den Kämp­fen um Kursk. Danach war er in Frank­reich am Auf­bau einer Abtei­lung „Skor­pi­on“ betei­ligt, die den Durch­hal­te­wil­len der eige­nen Trup­pe mit­tels unge­schmink­ter Bericht­erstat­tung auf­recht erhal­ten soll­te. Man kann in den Flug­blät­tern und Berich­ten, die Fer­n­au im Rah­men die­ser psy­cho­lo­gi­schen Kriegs­füh­rung ver­faß­te, Anklän­ge an jenen Ton fin­den, in dem Fer­n­au spä­ter sei­ne Best­sel­ler schrieb: direk­te Anspra­che des „ein­fa­chen Man­nes“, sug­ges­ti­ves Fra­ge- und Ant­wort­spiel sowie die Fähig­keit, vom kon­kre­ten Erleb­nis aufs dar­un­ter­lie­gen­de All­ge­mei­ne zu gelangen.
Auch als der Krieg zu Ende war und Fer­n­au sich mit sei­ner Frau (er hat­te 1943 gehei­ra­tet) nach Mün­chen durch­schlug, hat­te er noch immer auf Bedin­gun­gen zu reagie­ren, die er nicht selbst gesetzt hat­te: Er leb­te unter fal­schem Namen, ent­zog sich der Ver­haf­tung durch die ame­ri­ka­ni­schen Besat­zer, indem er nächt­lich in die Bri­ti­sche Zone wech­sel­te. Dort schlug er sich als Kunst­ma­ler, Gele­gen­heits­pu­bli­zist und Kla­vier­spie­ler durch, wäh­rend sei­ne Frau mit Bas­tel- und Näh­ar­bei­ten ein Kauf­haus belieferte.
Erst 1949 wag­te Fer­n­au die Ent­na­zi­fi­zie­rung und den Umzug nach Mün­chen unter sei­nem rich­ti­gen Namen. Als Ange­stell­ter ver­such­te er sich in zwei publi­zis­ti­schen Pro­jek­ten, die jeweils nach weni­gen Mona­ten ende­ten. Als er dann end­lich an sei­nem Schreib­tisch saß und sein Deutsch­land-Buch ver­faß­te, dau­er­te es noch ein­mal zwei Jah­re, bis der 21. Ver­lag (Stal­ling in Olden­burg) das Manu­skript annahm und Fern­aus Erst­ling zu einem Erfolg mach­te. Das Gelebt-Wer­den, die „ver­lo­re­ne Zeit“, hat­te ein Ende, das Leben-Kön­nen nach eige­nem Gus­to konn­te beginnen.
Jedoch: Fern­aus Ver­fas­sung auf die­sen schlich­ten Gegen­satz von Bedingt­heit und Unab­hän­gig­keit zu redu­zie­ren, wür­de die­sem Men­schen und Autor nicht gerecht. Unter sei­nen zwei Dut­zend Büchern fin­det sich auch ein Roman über das Leben sei­ner Eltern und sei­ne eige­ne Kind­heit. Die Sich­tung des Archivs von Fer­n­au zeigt, wie detail­ge­nau auto­bio­gra­phisch er arbei­te­te. Vie­le Leser wer­den die­se Über­ein­stim­mun­gen erst anhand der nun vor­lie­gen­den Bil­der und Doku­men­te nach­voll­zie­hen kön­nen. Und wer nun die­sen Roman erst­mals oder wie­der liest und von dem letzt­lich uner­träg­li­chen Schick­sal der Mut­ter Fern­aus („Mar­tha Van­se­loh“) erfährt, fragt sich, war­um das Buch den Titel Ein wun­der­ba­res Leben trägt: Mar­tha ver­liert Vater und Bru­der. Dann war­tet sie in einer Art Win­ter­star­re auf den­je­ni­gen, der ihr die Ehe ver­sprach und den­noch eine ande­re hei­ra­te­te. Aber die­se Frau stirbt, und der Wit­wer kehrt zurück, holt Mar­tha zu sich, ein Sohn wird gebo­ren – und dann stirbt der Mann (alles noch auto­bio­gra­phisch, Fer­n­au ver­lor sei­nen Vater 1918).

Die Wit­we und das Kind klam­mern sich anein­an­der fest, es ist das Jahr 1920, Brom­berg wird polo­ni­siert, und Mar­tha muß nach Schle­si­en umsie­deln. Zuvor aber (und hier ver­läßt der Roman die Spur der Bio­gra­phie) ist auch noch ihr Sohn ver­stor­ben, an einer „Herz­rup­tur“, an einem zer­ris­se­nen Her­zen, einer schlum­mern­den Krank­heit, die schlag­ar­tig und meist töd­lich aufbricht.
Was soll das also hei­ßen: Ein wun­der­ba­res Leben? Ist die­ser Titel zynisch gemeint, als Ankla­ge gegen das Los, das Gott die­ser Frau zuwies (der Pas­tor kommt nicht gut weg in die­sem Buch)? Oder steckt in dem Schick­sal Mart­has der Keim der Poe­sie, in ihrem Leid die Recht­fer­ti­gung für ein zwei­tes, ein glück­li­ches Leben in der Phan­ta­sie und somit in der Dich­tung? Nach dem Tod ihres Soh­nes lebt Mar­tha näm­lich „gelöst“ wei­ter, das heißt: Sie hat sich von der Wirk­lich­keit los­ge­bun­den und lebt nur noch in ihrer Vor­stel­lung: schreibt Brie­fe an ihren Sohn, von dem sie vor­gibt, er sei auf einem Inter­nat; reist ihm nach und geht mit ihm durch Paris, wo er ein Stu­di­um auf­zu­neh­men gedenkt; legt sich ins Bett und stirbt, als ihr ein Psy­cho­lo­ge auf die Schli­che kommt und ihren „Fall“ in einem Fach­ma­ga­zin bespricht; flieht also aus dem Bereich des Uner­träg­li­chen in bes­ter roman­ti­scher Manier in eine Welt, die sie sich selbst auf den Leib schnei­dert. Ist das nicht wunderbar?
Man soll­te die Deu­tung an die­ser Stel­le nicht stra­pa­zie­ren: Ein Leben kann so ver­lau­fen, daß man es eines Tages nicht mehr hin­neh­men, nicht mehr ertra­gen möch­te und ihm im Kop­fe ganz ein­fach einen ande­ren Ver­lauf gibt. Viel inter­es­san­ter ist hin­ge­gen der Moment im Roman, in dem Joa­chim Fer­n­au sich selbst mit zehn, elf Jah­ren an dem bereits erwähn­ten Herz-Riß ster­ben läßt. Das heißt ja nichts ande­res, als daß er schrift­stel­le­risch die Mög­lich­keit durch­spielt, wie es wäre, wenn er sein Leben nicht hät­te leben müs­sen. Es ist leicht, aus den Büchern und Brie­fen Fern­aus etli­che Stel­len zu prä­sen­tie­ren, in denen von einem fal­schen Zeit­punkt der Geburt die Rede ist („hun­dert Jah­re zu spät“), von Mis­an­thro­pie, ja gera­de­zu von einem Ekel vor der Mas­se Mensch und vor der Unver­bes­ser­lich­keit die­ser Kro­ne der Schöp­fung. Ist das „Leben-Müs­sen“ ein Schlüs­sel zu Fer­n­au? Ja, es ist einer, zwei­fels­oh­ne, und im Rück­griff auf das, was er selbst über sei­ne „ver­lo­re­nen Jah­re“ gesagt hat, kann man prä­zi­sie­ren: Wenn schon Leben-Müs­sen, dann wenigs­tens unab­hän­gig und nach eige­nem Gesetz.
Das geht nicht immer, die­ses Leben nach dem eige­nen Gesetz. Es ist eigent­lich nur in jenen Pha­sen mög­lich, die Fer­n­au wahl­wei­se als „den sie­ben­ten Tag“ oder als „Bie­der­mei­er-Zei­ten der Völ­ker“ bezeich­net: Der Staat, die Nati­on, das Volk, die Geschich­te sind nicht in Bewe­gung, alles kommt zur Ruhe, kann aus­rei­fen, und der Bean­spru­chungs­druck, dem der Ein­zel­ne in Not- und Kampf­zei­ten aus­ge­setzt ist, läßt spür­bar nach. In sei­ner gran­dio­sen Inter­pre­ta­ti­on des Nibe­lun­gen­lieds (Dis­teln für Hagen) ver­or­tet Fer­n­au jene Zeit dort, wo Sieg­fried mit sei­ner Frau Kriem­hild das Pul­ver­faß Worms ver­läßt und ins hei­mat­li­che Xan­ten zurück­kehrt, um dort zehn Jah­re lang zu blei­ben, bevor die ver­häng­nis­vol­le Ein­la­dung an den Hof Gun­thers und Brun­hilds kommt: „Was will die Welt eigent­lich? Der Held liegt im Tro­cken­dock. Soll er wie­der aus­lau­fen, soll die Flam­me wie­der auf­zi­schen, das Feu­er wie­der aus­bre­chen? Es gibt nur die­ses Ent­we­der-Oder, es gibt kein Zwi­schen­ding. Ein Held ersinnt ent­we­der Bom­ben oder Gartenzwerge.“

Fer­n­au sprach damit – wie immer in all­ge­mein­ver­ständ­li­chem Ton – das Grund­pro­blem an, das ihn und neun­und­neun­zig­kom­ma­neun Pro­zent sei­ner Mit­men­schen berüh­ren muß­te: Er und die ande­ren waren es, die die Kon­se­quen­zen des neu­er­li­chen hel­di­schen Streif­zugs zu tra­gen haben wür­den. Fer­n­au hat in vie­len sei­ner Bücher vor der Illu­si­on gewarnt, daß es den ewi­gen sie­ben­ten Tag geben könn­te. Er sah in der Geschich­te so etwas wie eine gro­ße Sand­uhr am Werk, in der die Körn­chen fried­lich lagern, bis sie unauf­halt­sam in den Trich­ter zu rut­schen begin­nen, um nach der Pas­sa­ge durch die Eng­stel­le durch­ein­an­der­ge­mischt wie­der zu vor­läu­fi­ger Ruhe zu gelan­gen. Die­se Eng­stel­le, eine Zeit­schleu­se, ist sozu­sa­gen der geschicht­li­che Ernst­fall, und ihn nicht im Blick zu haben, hielt Fer­n­au für unver­zeih­lich. „Ja, so stel­len sich das die Mar­tins­gän­se im Okto­ber vor, ehe sie am 10. Novem­ber in der Pfan­ne lie­gen“, ist einer der Sät­ze aus Deutsch­land, Deutsch­land über alles…, die vor der gefähr­li­chen Nai­vi­tät und Blind­heit bei der Ein­schät­zung der Lage war­nen sollten.
Jedoch: Fer­n­au war Men­schen­ken­ner genug, um poli­ti­sche Klar­sich­tig­keit nicht von der Mas­se des Vol­kes zu erwar­ten. Es gibt aus sei­ner Feder über die frü­hen Ber­li­ner Jah­re einen wie­der­um stark auto­bio­gra­phi­schen Roman: Die jun­gen Män­ner umfaßt etwa den Zeit­raum von je einem Jahr vor und nach dem 30. Janu­ar 1933. Die­ser Tag ist heu­te als Moment der Macht­er­grei­fung Adolf Hit­lers ein Schlüs­sel­da­tum der deut­schen Geschich­te. Für Fer­n­au (und für sei­ne Jun­gen Män­ner) war es einer der Tage, an dem die Wei­ma­rer Repu­blik wie­der ein­mal eine neue Regie­rung bekam. Ansons­ten leb­te und arbei­te­te man ein­fach wei­ter, dis­ku­tier­te viel­leicht die Ereig­nis­se und schlug sich sym­pa­thi­sie­rend auf die eine oder die ande­re Sei­te. Die Geschich­te aber blieb offen.
Als der Roman 1960 erschien, schrieb eine Rezen­sen­tin, daß die Art und Wei­se, wie die gro­ße Geschich­te neben dem spe­zi­el­len Leben der Jun­gen Män­ner her­lau­fe und es oft­mals gar nicht berüh­re, ein her­vor­ra­gen­der Trick sei, die Zeit zu fas­sen. Die­se Beob­ach­tung trifft Fern­aus Absicht genau, und in sei­nem „Trick“ ste­cken drei Bot­schaf­ten: Fer­n­au woll­te zum einen immer zei­gen, wie der Mensch die Ereig­nis­se sei­ner Zeit jeweils als Dickicht erlebt, das er nicht über­blickt, und in dem er nicht weiß, wel­cher Pfad ein­mal zu einem Haupt­weg wird. So kann Epo­che­ma­chen­des vor­bei­rau­schen, ohne daß die Welt den Atem anhält. Fer­n­au woll­te zwei­tens den Men­schen (also auch sich selbst) auf die­se Wei­se begrif­fen sehen und vor der Moral und der Über­heb­lich­keit der Spä­ter­ge­bo­re­nen schüt­zen. Und er woll­te dar­über zuletzt zu einer grund­sätz­li­chen Ehr­lich­keit zurück­keh­ren: Von Ver­stri­ckung, Teil­ha­be und pro­ble­ma­ti­schem Lebens­voll­zug – etwa in einer Dik­ta­tur – kann nur schrei­ben, wer sie als not­wen­di­ge Nor­ma­li­tät begreift und den klei­nen und den gro­ßen Wider­stand gegen die Tyran­nis als das bezeich­net, was es ist: als die gro­ße und nicht immer unpro­ble­ma­ti­sche Ausnahme.
Mit einem sub­ti­len Kunst­griff leg­te Fer­n­au sei­nen Lesern die­se Zurück­hal­tung in der Beur­tei­lung der in ihrer Zeit agie­ren­den Figu­ren nahe: Sein auto­bio­gra­phi­sches Ich in den Jun­gen Män­nern ist stumm und kann die Ereig­nis­se nicht unmit­tel­bar kom­men­tie­ren oder wer­ten, son­dern muß schwei­gen und hin­hö­ren und kann erst spä­ter, nach einer Pha­se der gedank­li­chen Ver­ar­bei­tung, etwa in Form eines Brie­fes oder einer Notiz eine dadurch bereits gül­ti­ge­re Zusam­men­fas­sung abge­ben. Stumm zu blei­ben in dem Sin­ne, daß man sich beim Blick auf die kom­ple­xe Situa­ti­on des raschen Urteils ent­hal­te und gedul­dig auf die Stim­men der Betei­lig­ten höre: Das ist Fern­aus Rat. Er hat ihn in einem Vor­trag mit dem Titel Das Aben­teu­er des geschicht­li­chen Den­kens als Leit­li­nie sei­ner Geschichts­be­trach­tung aus­for­mu­liert und am Bei­spiel einer in die Zukunft ver­leg­ten, his­to­ri­schen Inter­pre­ta­ti­on des BRD-Grund­ge­set­zes bei­na­he zynisch ver­an­schau­licht. Fer­n­au beschreibt dar­in, zu wel­chen Schlüs­sen über die Lebens­wirk­lich­keit im West­deutsch­land der 60er-Jah­re ein His­to­ri­ker kom­men müß­te, der sich aus­schließ­lich auf den Text des Grund­ge­set­zes stütz­te und sein Stu­di­um nicht auf die Erfor­schung der kom­ple­xen Lebens­wirk­lich­keit aus­dehn­te: Eine völ­lig fal­sche Gewich­tung des­sen, was die Men­schen in die­ser Zeit umtrieb und unter wel­chen Bedin­gun­gen Poli­tik gemacht wur­de, ist die Fol­ge, wenn man den schwie­ri­gen Blick auf das Dickicht des tat­säch­li­chen Lebens meidet.

Das tat­säch­li­che Leben hat Fer­n­au unter ande­rem sechs prä­gen­de Jah­re lang als Sol­dat ken­nen­ge­lernt. Wie vie­le Män­ner sei­ner Gene­ra­ti­on emp­fand auch er das unge­rech­te Glück, im Krie­ge weder gefal­len, noch als Ver­sehr­ter heim­ge­kehrt zu sein. Die­se Erkennt­nis äußer­te sich bei Fer­n­au nicht gera­de­zu als schlech­tes Gewis­sen, wohl aber in dem Bewußt­sein, den Gefal­le­nen etwas zu schulden.
Neben den im bes­ten Sin­ne des Wor­tes eine Revi­si­on betrei­ben­den Geschichts­be­trach­tun­gen sind es vor allem zwei lite­ra­ri­sche Wer­ke, mit denen Fer­n­au etwas von der Bür­de des Über­le­bens able­gen konn­te. Völ­lig unbe­kannt und nur in einem Pri­vat­druck ver­öf­fent­licht ist das Thea­ter­stück Des Som­mers Grün, das Fer­n­au unmit­tel­bar nach dem Krieg schrieb. Er ver­ar­bei­te­te dar­in Erleb­nis­se aus dem Kes­sel von Dem­jansk, in den er im Som­mer 1942 zur Bericht­erstat­tung ein­ge­flo­gen wor­den war. In Fern­aus Zei­tungs­bei­trä­gen aus jenen Mona­ten fin­det sich der Stoff zur spä­te­ren dra­ma­ti­schen Bear­bei­tung, bis hin zu namen­lei­hen­den Hauptfiguren.
Ungleich bekann­ter ist das zwei­te Werk, das 1954 zunächst unter dem Titel Bericht über die Furcht­bar­keit und Grö­ße der Män­ner erschien und spä­ter als Taschen­buch und umbe­nannt in Haupt­mann Pax hohe Auf­la­gen sowie eini­ge Über­set­zun­gen erleb­te. Der Stoff für die­sen Bericht fiel Fer­n­au in die Hän­de, als er 1948 für eine Illus­trier­te eine Serie lau­ni­ger Gefan­gen­schafts- und Aus­bre­che­r­an­ek­do­ten ver­faß­te – immer basie­rend auf Ein­sen­dun­gen, in denen die Leser ihre Erleb­nis­se als Roh­ma­te­ri­al zur Ver­fü­gung stell­ten. Der Bericht, aus dem spä­ter Haupt­mann Pax ent­stand, war gar nicht lau­nig und muß Fer­n­au tief erschüt­tert haben. Er sah in der Schil­de­rung einer Flucht von hun­dert Män­nern aus der rus­si­schen Kriegs­ge­fan­gen­schaft eine jener „uner­hör­ten Bege­ben­hei­ten“, die für eine Novel­le im Kleist­schen Sin­ne geeig­net sind. Jah­re spä­ter such­te Fer­n­au den Leser­brief­schrei­ber, einen Offi­zier aus Frei­sing, auf, um sich die Umstän­de des Marsch nach Wes­ten über 1000 Kilo­me­ter in allen Ein­zel­hei­ten schil­dern zu las­sen. Die Nie­der­schrift quäl­te ihn kör­per­lich, aber viel­leicht gelan­gen ihm gera­de des­halb Sze­nen von ein­ma­lig sug­ges­ti­ver Kraft. Der Offi­zier gestand spä­ter, er kön­ne sich mit­un­ter nur noch in den Bil­dern Fern­aus an sein eige­nes Erle­ben erinnern.
Haupt­mann Pax gehört zwei­fel­los zu den erns­ten Büchern Fern­aus. Es ist ein Knie­fall vor der Männ­lich­keit und ein gera­de­zu rück­sichts­lo­ses Bei­sei­te­fe­gen jedes weib­li­chen Ein­mi­schungs­ver­suchs in eine Sphä­re, in der es nichts abzu­mil­dern und aus der es sozu­sa­gen kei­nen „weib­li­chen“ Aus­weg gibt. Wenn man den lite­ra­ri­schen Ton Fern­aus, um den es im nächs­ten Abschnitt gehen wird, vor­läu­fig ein­mal als geschmei­dig bezeich­net – in Haupt­mann Pax läßt sich kein ein­zi­ger geschmei­di­ger Satz fin­den. „Wenn ein Mann sagt: Die­ses oder jenes, was ich getan habe, oder die­ses oder jenes, was ich ertra­gen habe, das hät­te kein Tier ertra­gen, so ist es das Höchs­te. Ein Leben eines Man­nes, in dem es das nie gege­ben hat, war ein ver­ta­nes Leben.“ So heißt es gleich im 1. Kapi­tel, und Fer­n­au beschrieb vor­aus­ah­nend auch gleich die Leser, die nach sol­chen Set­zun­gen ihren Vor­be­halt anmel­den: „Wenn sie das hören, wer­den sie sich natür­lich zei­gen wol­len, sich auf­rich­ten und nach der Art der Tie­re, die Lem­min­ge hei­ßen, vor Wut zer­plat­zen. Aber ich sage, was ich will.“

Man kann die­se selbst­be­wuß­te Äuße­rung als Mot­to über Fern­aus gesam­tes Werk schrei­ben, sie drückt sei­ne Unab­hän­gig­keit, sei­nen Mut, aber auch sei­nen päd­ago­gi­schen Eifer aus: Im Zusam­men­hang gele­sen, ent­fal­tet die Sen­tenz aus Haupt­mann Pax eine erzie­he­ri­sche Wir­kung, denn nur weni­ge Män­ner möch­ten zu den Lem­min­gen gehö­ren, und so wird bis heu­te ein bestimm­ter Teil der Leser den Vor­satz fas­sen, sich auf die Sei­te derer zu stel­len, die etwas zu ertra­gen imstan­de sind. Jedoch: So direkt, so unver­blümt und unge­schmei­dig for­mu­lier­te Fer­n­au nur in weni­gen Büchern und auch dar­in nur an weni­gen Stel­len. Zu päd­ago­gi­scher Meis­ter­schaft lief er auf, wenn er im Vor­über­ge­hen erzog.
Es steht völ­lig außer Fra­ge, daß Fer­n­au einen eige­nen, unver­wech­sel­ba­ren Ton gefun­den und zele­briert hat. Unver­wech­sel­bar heißt gera­de nicht, daß man ihn nicht nach­ah­men könn­te: Fer­n­au ist par­odiert wor­den, auch in bös­wil­li­ger Absicht. Unver­wech­sel­bar heißt, daß der ein­mal ent­wi­ckel­te Stil mit die­sem und kei­nem ande­ren Autor in Ver­bin­dung gebracht wird, ganz egal, in wel­cher epi­go­na­len Form Nach­ah­mer auftreten.
Der Publi­zist Armin Moh­ler hat in einem Auf­satz als einer der weni­gen die Ton­la­ge der Bücher Fern­aus in ihrer Bedeu­tung begrif­fen und beschrie­ben. Er spricht von einer „Nar­ren­kap­pe“, deren Fer­n­au sich bedien­te. Man muß Moh­ler aus­führ­lich zu Wort kom­men las­sen, um zu ver­ste­hen, was er damit meint:
„Wer Fer­n­au per­sön­lich ken­nen­lern­te, war von sei­nem ver­schlos­se­nen Ernst beein­druckt, der sich eher in Sar­kas­mus als in Hei­ter­keit auf­zu­lö­sen ver­moch­te. Fern­aus Ein-Mann-Feld­zug gegen Umer­zie­hung, Gehirn­wä­sche und Bewäl­ti­gungs­rum­mel, zu dem er als Aller­ers­ter ansetz­te, wur­de oft miß­ver­stan­den. Es ging ihm nicht dar­um, den ver­lo­re­nen Krieg doch noch zu gewin­nen. Nicht Vor­sicht gegen­über den Sie­gern hat ihn zur Nar­ren­kap­pe grei­fen las­sen. Wenn Joa­chim Fer­n­au in sei­nem Buch Deutsch­land, Deutsch­land über alles… den rich­ti­gen Ton zum The­ma ‚Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung’ gefun­den hat, so lag das dar­an, daß er erkannt hat­te, wel­ches die wich­tigs­ten Adres­sa­ten für sei­ne Fas­ten­pre­digt waren. Bei Aus­ein­an­der­set­zun­gen inner­halb der Fami­lie wählt man am bes­ten einen locke­ren Ton, mit dem unnö­ti­ge Scher­ben ver­mie­den wer­den kön­nen. Die Fas­ten­pre­digt Fern­aus rich­tet sich an die­je­ni­gen Deut­schen, die eine zur Rou­ti­ne gewor­de­ne Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung als Vor­wand miß­brauch­ten, um unter dem Ablei­ern eini­ger Buß­for­meln sich ganz dem Wohl­le­ben im Jetzt hin­zu­ge­ben – ohne jede Rück­sicht auf den Ernst­fall, der frü­her oder spä­ter kom­men würde.
Gewiß war die Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung in jenen 50er Jah­ren zunächst ein von den Sie­gern auf­ge­ge­be­nes Pen­sum. Sie erreich­te jedoch ihre beson­de­re Viru­lenz erst dadurch, daß sie für die Deut­schen – zum min­des­ten für die West­deut­schen – auch eine Ver­lo­ckung war. Die Schlau­mei­er unter ihnen merk­ten bald, welch hand­fes­te Vor­tei­le ihnen die bedin­gungs­lo­se Unter­wer­fung unter das Bewäl­ti­gungs­ri­tu­al ein­brin­gen konn­te. Der ‚deut­sche Herbst’ von 1989 und sei­ne erst lang­sam spür­bar wer­den­den Fol­gen begin­nen uns die Struk­tur West­deutsch­lands als ein Gemisch aus Boden­lo­sig­keit (außer im Wirt­schaft­li­chen) und Blind­heit bewußt zu machen.

Die Eigen­wil­lig­keit des pas­sio­nier­ten Ein­zel­gän­gers Joa­chim Fer­n­au wird gera­de in sei­nem frü­hen Spür­sinn für die­se Ent­wick­lung deut­lich. Schon zu Beginn der 50er Jah­re, als das Wirt­schafts­wun­der erst anzu­lau­fen begann, erkann­te er, wel­che Blö­ßen sich sei­ne Lands­leu­te mit ihrer ein­sei­tig wirt­schaft­li­chen Aus­rich­tung gaben: sie muß­te not­wen­dig in Geschichts­ver­ges­sen­heit und damit auch in Zukunfts­blind­heit mün­den. Bei­des zusam­men macht eine Gesell­schaft, ein Volk äußerst ver­wund­bar. Fern­aus skep­ti­sches Bild vom Men­schen bewahr­te ihn aller­dings davor, vor sei­nen zwi­schen Genuß und Buße hin und her tau­meln­den Mit­bür­gern als Moral­pre­di­ger auf­zu­tre­ten. Sie hät­ten das mühe­los weg­ge­steckt, denn an ‚öffent­li­cher Moral’ war in jenen ers­ten Nach­kriegs­jah­ren kein Man­gel. Joa­chim Fern­aus schrift­stel­le­ri­sche Genia­li­tät bestand dar­in, den Deut­schen so ganz neben­her und läs­sig das Gro­tes­ke ihrer Situa­ti­on bewußt zu machen.
So ernst es Fer­n­au auch meint – er über­rascht sei­nen Leser durch den Ver­zicht auf gro­ße Wor­te. Schon sein ers­tes Buch, das ihn mit einem Schla­ge berühmt mach­te, hat sei­ne Tücken. Man weiß nicht recht, ob er in die­sem Buch über die deut­sche Geschich­te lacht, oder ob er weint über ihren so gar nicht beschö­nig­ten Ver­lauf. Das hängt sicher­lich damit zusam­men, daß Fer­n­au sich in sei­nen Büchern eng an die gespro­che­ne Spra­che, nicht die der Theo­rie, hält. Sei­ne Bücher sind im Deutsch des Nor­mal­ver­brau­chers ver­faßt – über den sind in die­sem Jahr­hun­dert schon so vie­le Stür­me hin­weg­ge­braust, daß man ihm kaum mehr etwas vor­ma­chen kann. Es ist das Deutsch, das du und ich spre­chen, mit all den Ver­stän­di­gungs-Kür­zeln, die dazu gehö­ren, den mit­ge­dach­ten Ein­ver­ständ­nis­sen, den Bockig­kei­ten und manch­mal auch den Salopp­hei­ten, die genau­er tref­fen als das Umständ­li­che. Es ist eine Spra­che, die kei­ne ideo­lo­gi­schen Vor­ein­ge­nom­men­hei­ten kennt oder sie doch sicht­bar in Anfüh­rungs­stri­che setzt, sie iro­nisch relativiert.“
Dem ist nicht viel hin­zu­zu­fü­gen, und deut­lich wird, war­um Moh­ler über Fern­aus Cäsar läßt grü­ßen sagen konn­te, daß er die­se „Geschich­te der Römer“ für das viel­leicht „mutigs­te Buch“ hält, das ein Deut­scher nach dem Krieg geschrie­ben hat. Denn, so Moh­ler: „Wer die Fernau­sche Art des Erzäh­lens von Geschich­te ein­fach als ein Berich­ten aus iro­ni­scher, spöt­ti­scher oder gar schnodd­ri­ger Distanz defi­niert, macht es sich zu leicht. Der Vor­gang ist viel kom­pli­zier­ter. Fer­n­au setzt sich die Nar­ren­kap­pe bloß auf, um dafür an jenen Stel­len, auf die es ihm ankommt, um so unmit­tel­ba­rer und erns­ter zu sprechen.“
In kei­nem ande­ren Buch hat Fer­n­au den Ton­wech­sel zwi­schen locke­rer Schil­de­rung und ein­dring­li­cher, tod­erns­ter Leh­re so deut­lich voll­zo­gen wie in sei­ner Nach­er­zäh­lung und Inter­pre­ta­ti­on des Nibe­lun­gen­lie­des: Dis­teln für Hagen erschien 1966, und es gibt gute Grün­de, die­se „Bestands­auf­nah­me der deut­schen See­le“ als den Kern des Werks von Fer­n­au zu bezeich­nen. Die Geschich­te der Grie­chen mag unter dem Titel Rosen für Apoll das erfolg­reichs­te Buch gewe­sen sein – es wur­de allein in der gebun­de­nen Fas­sung über 400 000 Mal ver­kauft; aber es erreicht kei­nes­falls jene Ein­dring­lich­keit, die in Dis­teln für Hagen jeden nicht abge­stumpf­ten Leser vor die Fra­ge stellt, ob er sich wie­der­erken­ne oder nicht. Denn Fer­n­au leg­te die tief ange­leg­te Deu­tung der kol­lek­ti­ven, see­li­schen Ver­faßt­heit der Deut­schen vor, und man kann das Buch bis heu­te eben­so exis­ten­ti­ell lesen wie auch als muti­ges meta­po­li­ti­sches Unter­fan­gen begreifen.

Nun wäre Fer­n­au nicht Fer­n­au, wenn er nicht auch bei die­sem Buch auf mög­lichst wei­te Ver­brei­tung geach­tet hät­te. In einem Brief an sei­nen Ver­le­ger schrieb er vor Beginn der Arbeit am Manu­skript: „Ich wer­de die Nibe­lun­gen schrei­ben. Ich sehe Sie jetzt erblei­chen und in Gedan­ken­schnel­le wie­der zurück­ver­setzt in Ihr altes Klas­sen­zim­mer mit dem Deutsch­leh­rer und der schwar­zen Tafel. Aber ich kann Ihnen ver­si­chern, daß es wie bei den ‚Rosen für Apoll’ ganz, ganz anders wer­den wird. Ich habe das The­ma gewählt, weil es mich latent seit lan­gem beschäf­tigt (ich wer­de Ihnen gleich sagen, in wel­chem Sin­ne), und dann offen­ge­stan­den auch, weil ich es sehr gern habe, wenn ich mei­ne Bücher nicht als Höh­len­ma­le­rei schrei­be, son­dern wenn sie das für jeden Men­schen so reiz­vol­le Klin­geln der Regis­trier­kas­se gebä­ren. Jetzt sehe ich Sie wie­der Far­be gewin­nen, mein Herr!“
Dis­teln für Hagen wur­de in der gebun­de­nen Aus­ga­be über 120 000 Mal ver­kauft, zusam­men mit den Taschen­buch-Auf­la­gen soll­te min­des­tens eine hal­be Mil­li­on Exem­pla­re wenigs­tens eben­so vie­le Leser gefun­den haben. Und bei kei­nem ande­rem Buch Fern­aus wäre die Klä­rung der nicht beant­wort­ba­ren Fra­ge so auf­schluß­reich wie bei die­sem: Was hat Fern­aus deut­sche See­len-Schau in erzie­he­ri­scher, erkennt­nis­stif­ten­der Wei­se aus­ge­tra­gen? Wel­che Bedeu­tung hat es, daß er sei­ne Gedan­ken und gera­de­zu ket­ze­ri­schen Aus­le­gun­gen so mas­siv dem nicht unge­bil­de­ten, son­dern dem lesen­den Teil des deut­schen Vol­kes vor­tra­gen konnte?
Zu den belieb­ten Ver­fah­ren in Fern­aus Geschichts­be­trach­tun­gen zählt die ver­blüf­fen­de Umwer­tung einer sicher geglaub­ten his­to­ri­schen Sicht auf die Din­ge. Fer­n­au trieb die­se Metho­de der über­ra­schen­den Wen­dung bis an die Gren­ze des Erträg­li­chen, und an der ein oder ande­ren Stel­le in sei­nem Werk kann man sich des Ein­drucks nicht erweh­ren, daß er eines sol­chen Hakens wegen einer geschicht­li­chen Figur kei­ne Gerech­tig­keit wider­fah­ren ließ. So fäll­te er bei­spiels­wei­se in sei­nem Preu­ßen-Buch, der „Geschich­te der armen Leu­te“, ein ver­nich­ten­des Urteil über den Sol­da­ten­kö­nig, den Vater Fried­richs des Gro­ßen, obwohl sich die Geschich­te einig dar­über ist, daß erst auf der Grund­la­ge der Staats­kunst Fried­rich Wil­helms I. und auf­grund sei­ner eiser­nen Spar­sam­keit und sei­nem Gerech­tig­keits­wahn Preu­ßen unter Fried­rich dem Gro­ßen das wer­den konn­te, was es dann war: die Ord­nungs­macht aus der Mit­te Euro­pas und der Hege­mon, um den her­um die Reichs­grün­dung gezim­mert wer­den konnte.
Nun ist der Fall des Sol­da­ten­kö­nigs nicht ide­al­ty­pisch: Fer­n­au ent­zau­ber­te nicht gera­de einen Lieb­ling des Vol­kes, wenn er ihn schwarz­mal­te. Dies tat er aber in den Dis­teln für Hagen: Sieg­fried, der strah­len­de, unbe­fleck­te Held, trägt plötz­lich Züge eines pol­tern­den, nai­ven, mit­un­ter sogar dümm­li­chen Empor­kömm­lings, wäh­rend Hagen, der Mör­der Sieg­frieds, zur zen­tra­len Figur wird: Er betreibt als ein­zi­ger Poli­tik in jenem von Fer­n­au immer wie­der beton­ten Sin­ne Bis­marcks, daß näm­lich Poli­tik immer Außen­po­li­tik sei. Er begreift die Gefahr, die von Sieg­fried für das Haus der Bur­gun­der aus­geht. „Längst hat er das Gesetz des Han­delns sei­nem König von den schwa­chen Schul­tern genom­men“, er ist es, auf des­sen Vor­schlag Sieg­frieds Stär­ke außen­po­li­tisch gegen die Sach­sen und Dänen aus­ge­nutzt wird. Und spä­ter been­det er den Streit der Köni­gin­nen Kriem­hild und Brun­hild kalt und im Sin­ne bur­gun­di­scher Staats­rai­son, indem er den Mord­plan gegen Sieg­fried durch­setzt und aus­führt und den Schatz der Nibe­lun­gen unter die Ver­fü­gungs­ge­walt Gun­thers bringt. Hagen rät ab, als sich Gun­ther mit sei­nen Brü­dern Ger­not und Gisel­her zur Besuchs­fahrt an Etzels Hof ent­schließt, „er erkennt die Auspi­zi­en der Ein­la­dung an den Hun­nen­hof“, aber er fährt ohne zu Zögern mit, nach­dem die Ent­schei­dung gefal­len ist. „Er begeg­net Etzel mit aus­ge­such­ter Höf­lich­keit und wirft das Steu­er erst her­um, als er nach der Begeg­nung mit der haßer­füll­ten Kriem­hild sieht, daß nichts mehr zu ändern ist. Dann aber ist sei­ne Mobil­ma­chung eine tota­le. Er ist es, der wacht, wäh­rend die ande­ren schlafen“.

Die­se Respekts­be­zeu­gung vor Hagen steht auf den letz­ten Sei­ten der Dis­teln, und zwar in einem jener Tei­le, die Fer­n­au mit „Ron­do“ über­schrieb: Die­se Ein­schü­be sind den im locke­ren Ton geschrie­be­nen, nach­er­zäh­len­den Pas­sa­gen zwi­schen­ge­schal­tet, sie ent­hal­ten die Inter­pre­ta­ti­on des­sen, was Fer­n­au an Sub­stan­ti­el­lem für die Deu­tung der deut­schen See­le aus dem Nibe­lun­gen­stoff destil­liert. Die klei­ne Zitat­rei­he von eben darf nicht täu­schen: Fer­n­au kreis­te den Begriff der „Treue“ ein, indem er das bestechend Bestän­di­ge und zugleich die unmensch­li­che Käl­te der beson­de­ren Treue Hagens her­aus­ar­bei­te­te. Er kam zu dem Schluß, daß sich in der eben­so fas­zi­nie­ren­den wie lebens­ver­ach­ten­den Grad­li­nig­keit Hagens die „Treue zu einer Idee“ und nicht die „Treue zum Leben“ mani­fes­tie­re – und daß des­halb Etzels Saal der Ort sei, an dem sich die deut­sche See­le in ihrer Unver­wech­sel­bar­keit zei­ge. „Hagen – das sind wir“, schrieb Fer­n­au. „Wie im Nibe­lun­gen­lied: der letz­te, der auf­recht ste­hend fällt.“
Das war – auch 1966, als das Buch erschien – eine stei­le Behaup­tung, aber Fer­n­au konn­te sich sicher sein, daß ein Gut­teil sei­ner Leser die in den Dis­teln nie aus­ge­spro­che­ne, aber mehr­mals ange­deu­te­te Par­al­le­le zog: Sta­lin­grad und ande­re Kes­sel im Osten sind Wie­der­auf­la­gen von Etzels Saal, und die mythi­sche Kraft die­ser Orte könn­te gewal­tig sein, wür­de über sie gesun­gen wie über den Unter­gang der Burgunder.
Am deut­schen Wesen wird die Welt gene­sen’ – nein, ganz sicher nicht. Aber wir könn­ten dar­an gene­sen. Wenn wir begrei­fen, was wir da hucke­pack tra­gen. Wenn wir auf­hö­ren mit dem Frat­zen­schnei­den und sind, die wir sind. Der Herr der Welt will uns wie­der­erken­nen, wie er uns gemeint hat.“
Viel­leicht sind es die­se Schluß­sät­ze aus den Dis­teln, ist es die­ser offe­ne Auf­ruf, die Ver­leug­nung des eige­nen Cha­rak­ters und der des­halb unver­wech­sel­ba­ren eige­nen Geschich­te zu been­den, die den Ger­ma­nis­ten Peter Wapnew­s­ki dazu ver­an­laß­te, eine Kam­pa­gne los­zu­tre­ten. Am 3. Febru­ar 1967 ver­knüpf­te er Stel­len aus den Wer­ken Fern­aus mit sol­chen aus einem Pro­pa­gan­da-Bei­trag vom Som­mer 1944, in dem Fer­n­au von der Not­wen­dig­keit des Durch­hal­tens und von einer über­le­ge­nen Waf­fen­tech­nik geschrie­ben hat­te, die bald zur Ver­fü­gung stün­de. Die­ser Durch­hal­te­ar­ti­kel ist im Nach­hin­ein kein Ruh­mes­blatt, aber zur Zeit sei­ner Ent­ste­hung war er tat­säch­lich nur einer unter Hun­der­ten, und es gehör­te zu den Auf­ga­ben Fern­aus, die Moral der Trup­pe zu stär­ken. Das Beson­de­re an sei­nem Text ist, daß er in Erin­ne­rung blieb: Fer­n­au schrieb nicht plötz­lich schlech­ter, nur weil es sich um eine mili­tä­ri­sche Dienst­pflicht han­del­te. Als Kriegs­be­richt­erstat­ter war er zwangs­läu­fig auch Pro­pa­gan­dist des Groß­deut­schen Rei­ches, und er war es gewor­den, weil er mit der Spra­che sug­ges­tiv zu wir­ken und über­zeu­gend zu sein ver­stand. Daß sein Arti­kel dut­zen­de Male nach­ge­druckt und nicht nur an der Front, son­dern auch in der Hei­mat­pres­se ein­ge­setzt wur­de, lag nicht in sei­ner Entscheidung.
Fer­n­au revi­dier­te spä­ter sei­ne for­mu­lier­te Über­zeu­gung von 1944, von der nicht bekannt ist, ob sie tat­säch­lich sei­nen eige­nen Fol­ge­run­gen ent­sprach. In Deutsch­land, Deutsch­land über alles… schrieb er: „Hit­ler glaub­te noch in letz­ter Minu­te eine völ­li­ge Umstel­lung der Waf­fen und Kriegs­füh­rung her­bei­füh­ren zu kön­nen. Deutsch­land war im Besitz phan­tas­ti­scher Erfin­dun­gen, die sehr wohl imstan­de schie­nen, eine voll­stän­di­ge Wen­dung zu brin­gen. Die heu­ti­gen moder­nen Waf­fen der Sie­ger beru­hen darauf.

Aber die Zeit reich­te bei wei­tem nicht mehr aus. Die Alli­ier­ten waren in Frank­reich gelan­det. Es war zu spät.“ Wapnew­s­ki zitier­te in sei­nem Zeit-Arti­kel genau die­se Pas­sa­ge, um sich dar­über zu empö­ren, daß Fer­n­au aus acht­jäh­ri­ger Distanz zu einer so völ­lig ande­ren Ein­schät­zung der Lage gekom­men war. Er ver­kant­te damit die Situa­ti­on vom Som­mer 1944: Noch stand der Feind im Osten und im Wes­ten weit von den Gren­zen des Deut­schen Rei­ches ent­fernt, noch hiel­ten die Fron­ten der mate­ri­el­len Über­le­gen­heit stand, ver­lief der Rück­zug nicht in Form eines Zusam­men­bruchs. Wapnew­s­ki ver­leg­te sei­ne Nach­kriegs­er­kennt­nis­se über die Situa­ti­on vom August 44 in einen Sol­da­ten, der in eben­die­ser Situa­ti­on dem Befehl zu einem pro­pa­gan­dis­ti­schen Bei­trag erhielt.
Zum Glück für Fer­n­au war 1967 die Dis­kus­si­ons­kul­tur noch so, daß er selbst in der Zeit mit einer aus­führ­li­chen Stel­lung­nah­me den Vor­wür­fen begeg­nen konn­te. Er bekam dar­über hin­aus vie­le hilf­rei­che Leser­brie­fe, erfuhr aber eben­so hef­ti­ge Geg­ner­schaft. Letzt­lich blieb doch der Vor­wurf Wapnewskis inso­fern hän­gen, als selbst in den Nach­ru­fen von 1988 der umstrit­te­ne Text stets Erwäh­nung fand – und zwar nicht der Voll­stän­dig­keit hal­ber, son­dern im denun­zia­to­ri­schen Sinne.
Zwi­schen den Dis­teln für Hagen – dem Dreh- und Angel­punkt des Werks – und dem letz­ten, Frag­ment geblie­be­nen Buch, einer Nach­er­zäh­lung des Alten Tes­ta­ments (Und er sah, daß es gut war), lagen aber noch zwan­zig schaf­fens­rei­che Jah­re. In ihnen schrieb Fer­n­au über ein Dut­zend Bücher. Man kann sie in drei Rubri­ken glie­dern. Am bekann­tes­ten sind die Geschichts­wer­ke, die mit dem Deutsch­land-Buch und den Genies der Deut­schen (1953) ein­setz­ten, 1961 in der Geschich­te der Grie­chen gip­fel­te und mit der Geschich­te der Römer (Cäsar läßt grü­ßen, 1971) sehr erfolg­reich fort­ge­setzt wur­den. 1977 folg­te eine bit­te­re his­to­ri­sche Abrech­nung mit den USA (Hal­le­lu­ja) und 1981 mit Spre­chen wir über Preu­ßen die „Geschich­te der armen Leu­te“, die Fer­n­au sehr am Her­zen lag und die zu sei­nen am wenigs­ten locke­ren Büchern gehört. Der Plan, die Geschich­te Ruß­lands nie­der­zu­schrei­ben, kam nicht mehr zur Ausführung.
Nicht viel weni­ger umfang­reich, jedoch im Ver­kauf deut­lich weni­ger erfolg­reich war Fern­aus Pro­sa­werk, von dem heu­te kein ein­zi­ger Titel mehr lie­fer­bar ist. Neben den erwähn­ten auto­bio­gra­phi­schen Roma­nen sticht qua­li­ta­tiv der Roman über Goe­thes letz­te Lie­be (War es schön in Mari­en­bad, 1982) her­vor. Zu einem Taschen­buch-Best­sel­ler wur­de der leich­te Roman Ein Früh­ling in Flo­renz, und auch von einer Sap­pho-Erzäh­lung in Brie­fen, dem letz­ten zu Leb­zei­ten erschie­ne­nen Buch Fern­aus, konn­te der Ver­lag noch 30 000 Exem­pla­re abset­zen. Kuri­os war die Ent­ste­hung eines Gegen-Buchs zu Kurt Tuchol­skys Lie­bes­er­zäh­lung Rheins­berg: Weil Fern­aus Ver­le­ger die­sen Text beson­ders gern moch­te, Fer­n­au ihn hin­ge­gen nicht aus­ste­hen konn­te, schlug er in einem humor­vol­len Ver­lags­ver­trag vor, Tuchol­sky durch eine Erzäh­lung namens Weins­berg oder die Kunst der stach­li­gen Lie­be zu über­tref­fen. Fer­n­au leg­te das Manu­skript frist­ge­recht vor, und der Ver­le­ger konn­te trotz aller Vor­be­hal­te respek­ta­ble Zah­len absetzen.

Eine drit­te Rubrik bil­den die Bücher und Auf­sät­ze über Bil­den­de Kunst und Archi­tek­tur. Für den Knaur-Ver­lag ver­faß­te Fer­n­au ein Lexi­kon alter Male­rei, „von A bis Z“, wie er stolz ver­merk­te, und aus einer Auf­satz­samm­lung ent­stand die „lächeln­de Stil­kun­de“ Wie es euch gefällt, rück­läu­fig kon­zi­piert von der unge­lieb­ten Bau­haus­mo­der­ne bis zur Roma­nik Ottos des Gro­ßen. Hin­zu kom­men die vie­len klei­ne­ren „Bröt­chen­ar­bei­ten“, wie Fer­n­au die Schreib­auf­trä­ge nann­te, die ihn aus der Wirt­schaft und aus Redak­tio­nen erreich­ten und ihm jene sine cure, jenes wenigs­tens finan­zi­ell sorg­lo­se Autoren­le­ben garan­tier­ten, von dem zu Anfang die Rede war. Fer­n­au nut­ze sei­ne Unab­hän­gig­keit und ver­half man­chem noch nicht erfolg­rei­chen Schrift­stel­ler durch Rezen­sio­nen an pro­mi­nen­ter Stel­le zu einem ers­ten Erfolg. Er unter­stütz­te im Bekann­ten­kreis und unter sei­nen Lesern jene, die aus finan­zi­el­len Grün­den eine wich­ti­ge ärzt­li­che Behand­lung nicht anwen­den las­sen oder eine not­wen­di­ge Inves­ti­ti­on zur Siche­rung eines beschei­de­nen Lebens­stan­dards nicht täti­gen konn­ten. Und er nahm sich neben sei­ner Arbeit an den Manu­skrip­ten für die Beant­wor­tung von Leser­brie­fen viel Zeit, wenn die Fra­gen oder Anmer­kun­gen auf­rich­tig und höf­lich geschrie­ben waren. Der von Gabrie­le Fer­n­au zusam­men­ge­stell­te Band In dem Hau­se auf dem Ber­ge. Brief­wech­sel mit Lesern (1992) zeugt davon.
Die Kate­go­ri­sie­rung der Wer­ke Fern­aus schafft allen­falls Über­sicht im Bestand, aber sie trägt nichts zum Ver­ständ­nis die­ses Man­nes bei. Fer­n­au taucht auch nicht in den ein­schlä­gi­gen Lite­ra­tur-Lexi­ka auf, und wenn man noch zuge­ste­hen kann, daß sei­ne Geschichts­be­trach­tun­gen nicht neben den klas­si­schen Groß­gat­tun­gen Pro­sa, Lyrik und Dra­ma ihren Platz fin­den könn­ten, so hät­ten sei­ne Roma­ne, sei­ne Erzäh­lun­gen und die Novel­le Haupt­mann Pax unbe­dingt die Auf­nah­me in den erwei­ter­ten Kanon der deut­schen Lite­ra­tur ver­dient. Auch der Lyri­ker Fer­n­au muß erwähnt wer­den: Sei­ne Gedich­te, die er unter den Titeln Suite 1 und Suite 2 ver­öf­fent­lich­te, sind knap­pe, sehr ein­gän­gi­ge Ver­dich­tun­gen von Gedan­ken, Erin­ne­run­gen und Bil­dern, oft vol­ler Anspie­lun­gen auf die eige­ne Bio­gra­phie. Und das Lang­ge­dicht Toten­tanz, in dem er meh­re­re Figu­ren für eine Art Sprech­spiel auf­tre­ten läßt, wur­de von der Schu­le für Euryth­mi­sche Kunst in Han­no­ver noch im Jahr vor Fern­aus Tod aufgeführt.
Aber die Igno­ranz sei­ner Kol­le­gen von der schrei­ben­den Zunft und die in den Büros und Hör­sä­len der Ger­ma­nis­ti­schen Semi­na­re hält an. Armin Moh­ler schrieb: „Er war der Pro­to­typ des Schrift­stel­lers, der an den Lite­ra­tur­bör­sen nicht gehan­delt, aber von sei­ner Nati­on begeis­tert gele­sen wird.“ Nun schei­nen Fer­n­au aber auch die Leser, auf die er sich stets ver­las­sen konn­te, abhan­den zu kom­men. Und das selt­sa­me ist: Fer­n­au hat das vor­aus­ge­se­hen und an zen­tra­ler Stel­le aus­ge­spro­chen. Sein frü­hes Buch über die Genies der Deut­schen trug in der Aus­ga­be des Econ-Ver­lags von 1968 den Unter­ti­tel: „Die Leucht­feu­er ver­lö­schen und der Blind­flug beginnt“, und an einer ande­ren Stel­le sag­te Fer­n­au sinn­ge­mäß, daß die Deut­schen für die nun anbre­chen­de Zeit der Entro­pie (der gro­ßen Ein­eb­nung also) das wohl am bes­ten geeig­ne­te Volk sei­en. Und schon das Mot­to sei­nes aller­ers­ten Buches, sei­nes Deutsch­land-Buches, trägt das Bewußt­sein um ein Ende aller Bemü­hun­gen in sich: „Deutschland/ Mei­ne Liebe/ Mein Alptraum“.

Man kann kon­sta­tie­ren: Fer­n­au sah den „Blind­flug“ sei­ner Nati­on in die bil­dungs­fer­ne Mas­sen­ge­sell­schaft vor­aus, er wuß­te, daß er so über kurz oder lang für sei­ne anspie­lungs­rei­chen Bücher und sei­ne sub­ti­le Art der Erzie­hung kaum noch Leser fin­den wür­de. Gleich­zei­tig war Fer­n­au aber auch klar: Ver­mis­sen wür­de die­se Lese- und Empa­thie­fä­hig­keit am Ende nur der Autor selbst, und mit ihm eine klei­ne Schar, die noch einen Begriff davon hat, auf wel­chem Niveau Schrift­stel­ler und Leser eigent­lich ihre Fäden mit­ein­an­der knüp­fen könnten.
In dem Bewußt­sein, einem irrepa­ra­blen Ver­fall gigan­ti­schen Aus­ma­ßes bei­zu­woh­nen, ging Fer­n­au den­noch ans Werk. Er litt an sei­ner Zeit und fand einen Ton, der ohne Orgi­en der Ver­ach­tung aus­kam und Däm­me bau­te, wo er ver­stan­den wur­de. Das zeugt von gro­ßer Dis­zi­plin und ent­spricht ganz dem Preu­ßen Fer­n­au und dem Ethos des ver­lo­re­nen Postens.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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