Die kurze Karriere der Corporate Identity

pdf der Druckfassung aus Sezession 7 / Oktober 2004

sez_nr_7von Karlheinz Weißmann

Ende der achtziger Jahre verschwanden die Flugzeuge der Lufthansa über Nacht und tauchten kurze Zeit später wieder auf, allerdings umlakkiert in den neuen Firmenfarben: Grau und Gelb.

Kurz­fris­tig muß­te die­se Kom­bi­na­ti­on über­all prä­sent sein, an Fahr­zeu­gen, in den Pols­ter­stof­fen, der Beklei­dung oder den give-aways. Damals hat­te Cor­po­ra­te Iden­ti­ty Kon­junk­tur, gro­ße und klei­ne Unter­neh­men rich­te­ten ihre Auf­merk­sam­keit auf Stra­te­gien der Per­so­nal­aus­wahl und Per­so­nal­ent­wick­lung, und bei der Pla­zie­rung auf dem Welt­markt soll­ten neue Stra­te­gien hel­fen, nicht nur mit der Qua­li­tät eines Pro­dukts, son­dern auch mit des­sen Image zu wer­ben. Man glaub­te außer­dem, Cor­po­ra­te Iden­ti­ty wer­de die Mit­ar­bei­ter emo­tio­nal an ihre Fir­ma bin­den und erhöh­te Geschlos­sen­heit in der Außen­dar­stel­lung ermög­li­chen. Vom Namens­wech­sel, um den euro­päi­schen oder glo­ba­len Anspruch zu ver­deut­li­chen, bis zur Flut neu­er Waren­sym­bo­le – soge­nann­ter Logos – vom gemein­sa­men Aben­teu­er­aus­flug des Manage­ments und der Uni­for­mie­rung des Per­so­nals bis zur Kopie des japa­ni­schen Modells mit Fir­men­hym­ne und gemein­sa­mer Gym­nas­tik der Betriebs­an­ge­hö­ri­gen gab es zahl­rei­che und kost­spie­li­ge Ver­su­che, die­sem Ziel näher zu kommen.

Als die Fir­ma BMW 1988 den deut­schen Mar­ke­ting­preis erhielt wegen des hohen Gra­des der „Iden­ti­tät von Pro­dukt und Mar­ke­ting“, erklär­te deren Mar­ke­ting­lei­ter Fal­ko von Fal­ken­hayn – ein pro­mo­vier­ter Phi­lo­soph – in sei­ner Dan­kes­re­de, der Erfolg des Unter­neh­mens hän­ge mit des­sen „ganz­heit­li­cher“ Auf­fas­sung des Pro­dukts zusam­men: „BMW ist Offen­heit, Dia­log­fä­hig­keit, Ori­en­tie­rung am Men­schen: Freu­de am Fah­ren, Freu­de an der Leis­tung. BMW ist eine Lebens­hal­tung.“ Man ver­sprach sich damals viel von die­sen Unschär­fen in der For­mu­lie­rung, Ima­gi­na­ti­on, eben­so sanf­ten wie hoch­tra­ben­den All­ge­mein­plät­zen, die Teil irgend­ei­ner „Unter­neh­mens­phi­lo­so­phie“ sein soll­ten. Tat­säch­lich war der intel­lek­tu­el­le Anspruch aber aus­ge­spro­chen dürftig.

Eine all­ge­mein aner­kann­te Theo­rie der Cor­po­ra­te Iden­ti­ty kam jeden­falls nie zustan­de. Einer der ein­fluß­reichs­ten ihrer Ver­fech­ter in Deutsch­land, Die­ter Herbst, äußer­te resi­gniert, es gebe wohl eben­so vie­le Defi­ni­tio­nen wie Autoren, die sich mit dem The­ma befaß­ten. Er selbst schlug vor, Cor­po­ra­te Iden­ti­ty als „Manage­ment von Iden­ti­täts­pro­zes­sen einer Orga­ni­sa­ti­on“ zu ver­ste­hen: das Ergeb­nis der bewußt gewähl­ten Kom­bi­na­ti­on von Erschei­nungs­bild (Cor­po­ra­te Design), Kom­mu­ni­ka­ti­on (Cor­po­ra­te Com­mu­ni­ca­ti­ons) und Ver­hal­ten (Cor­po­ra­te Beha­viour).

Herbst hat auch auf das star­ke Schwan­ken des Inter­es­ses an Cor­po­ra­te Iden­ti­ty hin­ge­wie­sen. Die Hoch­pha­se ist auch nach sei­ner Mei­nung vor­bei. Eine Ursa­che war schon der Rück­gang von Dis­zi­pli­nie­rungs­mög­lich­kei­ten im Rah­men der New Eco­no­my, die einen eher läs­si­gen Stil pfleg­te. Der zwei­te, wesent­lich wich­ti­ge­re Grund liegt in der kri­sen­haf­ten Ent­wick­lung der Welt­wirt­schaft, die die Kon­zen­tra­ti­on auf den öko­no­mi­schen Kern erzwingt und alles als Luxus erschei­nen läßt, was nicht unmit­tel­bar Gewinn­ma­xi­mie­rung, Kos­ten­sen­kung oder Ver­tei­di­gung der Markt­po­si­ti­on dient. Die Vor­stel­lung, es kom­me ent­schei­dend auf die Mar­ke­ting­fach­leu­te an – die „ver­ant­wort­li­chen Mitt­ler zwi­schen Gewinn- und Glücks­stre­ben“ (Jür­gen Hin­richs) – hat sich damit erle­digt, ohne daß aber Über­le­gun­gen zur Prä­sen­ta­ti­on von Unter­neh­men und Ware obso­let gewor­den wären.
Herbst hat des­halb auch die Auf­merk­sam­keit auf einen Strang der Ent­wick­lung von Cor­po­ra­te Iden­ti­ty gelenkt, der bis zur älte­ren deut­schen „Mar­ken­tech­nik“ zurück­ver­folgt wer­den kann.

Deren „Erfin­der“, Hans Domizlaff (1892 – 1971), begeg­net heu­te wie­der grö­ße­rem Inter­es­se (ver­glei­che auch www.hans-domizlaff-archiv.de), denn man hat auf einem lan­gen Umweg des­sen Ein­sich­ten wie­der­ent­deckt, etwa, daß „Iden­ti­täts­fin­dung“ nur mög­lich ist, wenn man aus „abs­trak­ten Ange­bo­ten“ (Eber­hard Bon­se) „Mar­ken“ macht, also Waren oder Dienst­leis­tun­gen, die ein­deu­tig bezeich­net wer­den, sich kennzeich­nen las­sen und durch bestimm­te Eigen­schaf­ten auszeich­nen. Mar­ken sind durch­aus ent­wick­lungs­fä­hig und inso­fern wan­del­bar, müs­sen aber in ihrem Kern von allen Moden unbe­rührt blei­ben, um ihren Zei­chen-Cha­rak­ter nicht zu verlieren.
Domizlaff kam ursprüng­lich nicht aus der Wirt­schaft, son­dern hat­te eine künst­le­ri­sche Lauf­bahn ange­strebt. Max Klin­ger för­der­te sein zeich­ne­ri­sches Talent, und schon vor dem Ers­ten Welt­krieg gab man ihm Gele­gen­heit, meh­re­re Büh­nen­stü­cke zu insze­nie­ren. Erst unter dem Druck sozia­ler Not wand­te er sich in den zwan­zi­ger Jah­ren sei­nem eigent­li­chen Metier zu, der Rekla­me. Der Begriff hat­te damals einen aus­ge­spro­chen abschät­zi­gen Klang. Dage­gen wand­te sich Domizlaff mit sei­ner Kri­tik der „Rekla­me­kri­tik“ und dem Nach­weis, daß jede erfolg­rei­che Pro­dukt­wer­bung den Kun­den respek­tie­ren kön­ne und anzu­er­ken­nen habe, daß – nicht nur ethisch gebo­te­ne, son­dern auch psy­cho­lo­gisch gege­be­ne – Gren­zen der Mani­pu­lier­bar­keit exis­tie­ren. Dies­seits der Gren­zen bestehe aller­dings ein erheb­li­cher Spiel­raum zur Gestal­tung der Waren­prä­sen­ta­ti­on, und Domizlaff hat für ver­schie­de­ne Fir­men (zum Bei­spiel Reemts­ma, Sie­mens) außer­or­dent­lich erfolg­rei­che „Mar­ken“ entwickelt.
Mit­tels „Mar­ken­tech­nik“ konn­te sei­ner Mei­nung nach am effek­tivs­ten für ein bestimm­tes Pro­dukt gewor­ben wer­den: „Das Wort ‘Mar­ke´ soll­te dabei anzei­gen, daß es sich um die gro­ße Fül­le der Vor­stel­lun­gen han­delt, die mit die­ser Bezeich­nung ver­bun­den wird und deren sach­dien­li­che, metho­di­sche Ver­wer­tung den Zusatz ‘Tech­nik´ rechtfertigt.“

Was Domizlaffs „Mar­ken­tech­nik“ von Cor­po­ra­te Iden­ti­ty trennt, ist nicht nur die Ein­sicht in den Wert der Kon­ti­nui­tät und eines über­le­ge­nen Stil­wil­lens, son­dern auch das theo­re­ti­sche Inter­es­se. Domizlaff hat in zahl­rei­chen Schrif­ten sei­ne Vor­stel­lun­gen aus­ge­führt und ver­sucht, sie in ein umfas­sen­de­res Kon­zept ein­zu­bau­en, das nicht nur prag­ma­tisch ori­en­tiert war, son­dern auf eine eige­ne Phi­lo­so­phie ziel­te. Es lei­den die­se Arbei­ten (wie übri­gens auch sei­ne Memoi­ren, die unter dem Titel Nach­denk­li­che Wan­der­schaft erschie­nen) etwas an dem groß­spre­che­ri­schen Zug, der zu den Eigen­hei­ten von Domizlaff gehör­te, aber sie ent­hal­ten durch­aus eine gan­ze Rei­he bemer­kens­wer­ter Ein­sich­ten. Das gilt auch und gera­de für das Gebiet der Poli­tik. Sei­ne Idee, die Geset­ze der Mar­ken­tech­nik müß­ten sich auf den Staat anwen­den las­sen, hät­te die Wei­ma­rer Repu­blik wohl kaum geret­tet, aber das ent­wer­tet das Kon­zept der „Pro­pa­gan­da­mit­tel der Staats­idee“ als sol­ches nicht.

Wenn in der Zwi­schen­kriegs­zeit die „Ver­hal­tens­leh­ren der Käl­te“ (Hel­mut Lethen) erheb­li­chen Ein­fluß auf das Den­ken aus­üb­ten, also jene tech­no­kra­ti­schen Kon­zep­te, die die Mas­sen der moder­nen Gesell­schaft eigent­lich nur für belie­big form­ba­re und mani­pu­lier­ba­re Grö­ßen hiel­ten, dann wird man die Theo­rie von Domizlaff eher den „Ver­hal­tens­leh­ren der Wär­me“ zurech­nen müs­sen. Er gehör­te am Ran­de zu einer Grup­pe von Den­kern, die sich mit der Bedeu­tung außer­ra­tio­na­ler Fak­to­ren im mensch­li­chen Ver­hal­ten befaß­te und die­se grund­sätz­lich posi­tiv wer­te­te. Phi­lo­so­phen, Sozio­lo­gen, Staats­recht­ler und His­to­ri­ker ganz ver­schie­de­ner welt­an­schau­li­cher Her­kunft gin­gen damals der Fra­ge nach, was über­haupt dazu bei­tra­ge, eine Gesell­schaft dau­er­haft zu inte­grie­ren, also kol­lek­ti­ve „Iden­ti­tät“ zu stif­ten, wohl wis­send, daß „Iden­ti­tät“ eine knap­pe Res­sour­ce ist.

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