Kurzfristig mußte diese Kombination überall präsent sein, an Fahrzeugen, in den Polsterstoffen, der Bekleidung oder den give-aways. Damals hatte Corporate Identity Konjunktur, große und kleine Unternehmen richteten ihre Aufmerksamkeit auf Strategien der Personalauswahl und Personalentwicklung, und bei der Plazierung auf dem Weltmarkt sollten neue Strategien helfen, nicht nur mit der Qualität eines Produkts, sondern auch mit dessen Image zu werben. Man glaubte außerdem, Corporate Identity werde die Mitarbeiter emotional an ihre Firma binden und erhöhte Geschlossenheit in der Außendarstellung ermöglichen. Vom Namenswechsel, um den europäischen oder globalen Anspruch zu verdeutlichen, bis zur Flut neuer Warensymbole – sogenannter Logos – vom gemeinsamen Abenteuerausflug des Managements und der Uniformierung des Personals bis zur Kopie des japanischen Modells mit Firmenhymne und gemeinsamer Gymnastik der Betriebsangehörigen gab es zahlreiche und kostspielige Versuche, diesem Ziel näher zu kommen.
Als die Firma BMW 1988 den deutschen Marketingpreis erhielt wegen des hohen Grades der „Identität von Produkt und Marketing“, erklärte deren Marketingleiter Falko von Falkenhayn – ein promovierter Philosoph – in seiner Dankesrede, der Erfolg des Unternehmens hänge mit dessen „ganzheitlicher“ Auffassung des Produkts zusammen: „BMW ist Offenheit, Dialogfähigkeit, Orientierung am Menschen: Freude am Fahren, Freude an der Leistung. BMW ist eine Lebenshaltung.“ Man versprach sich damals viel von diesen Unschärfen in der Formulierung, Imagination, ebenso sanften wie hochtrabenden Allgemeinplätzen, die Teil irgendeiner „Unternehmensphilosophie“ sein sollten. Tatsächlich war der intellektuelle Anspruch aber ausgesprochen dürftig.
Eine allgemein anerkannte Theorie der Corporate Identity kam jedenfalls nie zustande. Einer der einflußreichsten ihrer Verfechter in Deutschland, Dieter Herbst, äußerte resigniert, es gebe wohl ebenso viele Definitionen wie Autoren, die sich mit dem Thema befaßten. Er selbst schlug vor, Corporate Identity als „Management von Identitätsprozessen einer Organisation“ zu verstehen: das Ergebnis der bewußt gewählten Kombination von Erscheinungsbild (Corporate Design), Kommunikation (Corporate Communications) und Verhalten (Corporate Behaviour).
Herbst hat auch auf das starke Schwanken des Interesses an Corporate Identity hingewiesen. Die Hochphase ist auch nach seiner Meinung vorbei. Eine Ursache war schon der Rückgang von Disziplinierungsmöglichkeiten im Rahmen der New Economy, die einen eher lässigen Stil pflegte. Der zweite, wesentlich wichtigere Grund liegt in der krisenhaften Entwicklung der Weltwirtschaft, die die Konzentration auf den ökonomischen Kern erzwingt und alles als Luxus erscheinen läßt, was nicht unmittelbar Gewinnmaximierung, Kostensenkung oder Verteidigung der Marktposition dient. Die Vorstellung, es komme entscheidend auf die Marketingfachleute an – die „verantwortlichen Mittler zwischen Gewinn- und Glücksstreben“ (Jürgen Hinrichs) – hat sich damit erledigt, ohne daß aber Überlegungen zur Präsentation von Unternehmen und Ware obsolet geworden wären.
Herbst hat deshalb auch die Aufmerksamkeit auf einen Strang der Entwicklung von Corporate Identity gelenkt, der bis zur älteren deutschen „Markentechnik“ zurückverfolgt werden kann.
Deren „Erfinder“, Hans Domizlaff (1892 – 1971), begegnet heute wieder größerem Interesse (vergleiche auch www.hans-domizlaff-archiv.de), denn man hat auf einem langen Umweg dessen Einsichten wiederentdeckt, etwa, daß „Identitätsfindung“ nur möglich ist, wenn man aus „abstrakten Angeboten“ (Eberhard Bonse) „Marken“ macht, also Waren oder Dienstleistungen, die eindeutig bezeichnet werden, sich kennzeichnen lassen und durch bestimmte Eigenschaften auszeichnen. Marken sind durchaus entwicklungsfähig und insofern wandelbar, müssen aber in ihrem Kern von allen Moden unberührt bleiben, um ihren Zeichen-Charakter nicht zu verlieren.
Domizlaff kam ursprünglich nicht aus der Wirtschaft, sondern hatte eine künstlerische Laufbahn angestrebt. Max Klinger förderte sein zeichnerisches Talent, und schon vor dem Ersten Weltkrieg gab man ihm Gelegenheit, mehrere Bühnenstücke zu inszenieren. Erst unter dem Druck sozialer Not wandte er sich in den zwanziger Jahren seinem eigentlichen Metier zu, der Reklame. Der Begriff hatte damals einen ausgesprochen abschätzigen Klang. Dagegen wandte sich Domizlaff mit seiner Kritik der „Reklamekritik“ und dem Nachweis, daß jede erfolgreiche Produktwerbung den Kunden respektieren könne und anzuerkennen habe, daß – nicht nur ethisch gebotene, sondern auch psychologisch gegebene – Grenzen der Manipulierbarkeit existieren. Diesseits der Grenzen bestehe allerdings ein erheblicher Spielraum zur Gestaltung der Warenpräsentation, und Domizlaff hat für verschiedene Firmen (zum Beispiel Reemtsma, Siemens) außerordentlich erfolgreiche „Marken“ entwickelt.
Mittels „Markentechnik“ konnte seiner Meinung nach am effektivsten für ein bestimmtes Produkt geworben werden: „Das Wort ‘Marke´ sollte dabei anzeigen, daß es sich um die große Fülle der Vorstellungen handelt, die mit dieser Bezeichnung verbunden wird und deren sachdienliche, methodische Verwertung den Zusatz ‘Technik´ rechtfertigt.“
Was Domizlaffs „Markentechnik“ von Corporate Identity trennt, ist nicht nur die Einsicht in den Wert der Kontinuität und eines überlegenen Stilwillens, sondern auch das theoretische Interesse. Domizlaff hat in zahlreichen Schriften seine Vorstellungen ausgeführt und versucht, sie in ein umfassenderes Konzept einzubauen, das nicht nur pragmatisch orientiert war, sondern auf eine eigene Philosophie zielte. Es leiden diese Arbeiten (wie übrigens auch seine Memoiren, die unter dem Titel Nachdenkliche Wanderschaft erschienen) etwas an dem großsprecherischen Zug, der zu den Eigenheiten von Domizlaff gehörte, aber sie enthalten durchaus eine ganze Reihe bemerkenswerter Einsichten. Das gilt auch und gerade für das Gebiet der Politik. Seine Idee, die Gesetze der Markentechnik müßten sich auf den Staat anwenden lassen, hätte die Weimarer Republik wohl kaum gerettet, aber das entwertet das Konzept der „Propagandamittel der Staatsidee“ als solches nicht.
Wenn in der Zwischenkriegszeit die „Verhaltenslehren der Kälte“ (Helmut Lethen) erheblichen Einfluß auf das Denken ausübten, also jene technokratischen Konzepte, die die Massen der modernen Gesellschaft eigentlich nur für beliebig formbare und manipulierbare Größen hielten, dann wird man die Theorie von Domizlaff eher den „Verhaltenslehren der Wärme“ zurechnen müssen. Er gehörte am Rande zu einer Gruppe von Denkern, die sich mit der Bedeutung außerrationaler Faktoren im menschlichen Verhalten befaßte und diese grundsätzlich positiv wertete. Philosophen, Soziologen, Staatsrechtler und Historiker ganz verschiedener weltanschaulicher Herkunft gingen damals der Frage nach, was überhaupt dazu beitrage, eine Gesellschaft dauerhaft zu integrieren, also kollektive „Identität“ zu stiften, wohl wissend, daß „Identität“ eine knappe Ressource ist.