Österreichs Identitäten

pdf der Druckfassung aus Sezession 7 / Oktober 2004

sez_nr_7von Lothar Höbelt

Der Zeitgeist hat seine Modeworte. Wer gegen den Zeitgeist antritt, hat auch welche. Identität scheint eines zu sein, das von beiden Seiten geschätzt wird. Das allein müßte hinreichen, den Keim eines Verdachts zu wecken. Identität ist ja meist recht leicht festzustellen – von Asylanten abgesehen, die beim Grenzübertritt ihre Papiere wegwerfen, um der Polizei keinen Hinweis zu liefern, wohin man sie abschieben könnte. Auch die ethnisch-kulturelle Verortung fällt keineswegs besonders schwer. Mehrzüngigkeit im übertragenen Sinn mag gang und gäbe sein, doch die Zeitgenossen, die so fließend in den verschiedensten Zungen parlieren, daß man Schwierigkeiten hat, ihre Muttersprache herauszufinden, sind immer noch sehr selten.

Ein­ver­stan­den, das ist mit dem Mode­wort Iden­ti­tät auch nicht gemeint. Iden­ti­tät nimmt hier viel­mehr eine ideo­lo­gi­sche Fär­bung an. Nicht was man ist, son­dern was man ger­ne sein möch­te, wie man sich „sieht“ und glaubt oder fürch­tet, daß ande­re einen sehen. Oder wie es im 19. Jahr­hun­dert hieß: Wäh­rend die ande­ren die Welt unter sich auf­tei­len, sind die lie­ben Deut­schen damit beschäf­tigt, wie sie anzu­schau­en ist. Der Unter­gang des real exis­tie­ren­den Sozia­lis­mus war ein Born rei­ner Freu­de; doch dem Mar­xis­mus als intel­lek­tu­el­ler Strö­mung muß man bei­na­he schon nach­trau­ern. Denn seit­dem wett­ei­fern Lin­ke und Rech­te in einem ver­spon­ne­nen Idea­lis­mus. Rea­li­tät ist nicht mehr gefragt; nur mehr „Bil­der“ davon – Bil­der vom „ande­ren“ und Bil­der von sich selbst. Kein Wun­der, wenn sich die Bil­derpro­du­zen­ten – ali­as Medi­en­frit­zen – da sehr bedeut­sam vorkommen.
Die­ser Mode­wel­le liegt ein wah­rer Kern zugrun­de: Zwi­schen Wahr­neh­mung und Rea­li­tät klafft ja tat­säch­lich zuwei­len ein gewis­ser Unter­schied, der sich unan­ge­nehm bemerk­bar machen kann. Das ist gefähr­lich, aber ande­rer­seits auch wie­der leicht zu kurie­ren, wo es um Infor­ma­ti­ons­de­fi­zi­te geht. Chro­nisch wird das Lei­den, wenn es sich um Lebens­lü­gen han­delt. Ideo­lo­gie ist fal­sches Bewußt­sein, dozier­te schon Marx. Frei­lich auch harm­lo­ser, denn der­lei Lebens­lü­gen ent­hal­ten selbst bei ernst­haf­ten phi­lo­so­phi­schen Gemü­tern in der Regel ein rei­zen­des Ele­ment der Koket­te­rie. So wirk­lich hand­lungs­lei­tend sind die Mar­ke­ting-Images nur in den sel­tens­ten Fäl­len. Wenn’s hart auf hart geht, ver­traut man die­sen Chi­mä­ren ja doch nicht, son­dern ver­läßt sich auf die Rea­li­tät, die nicht ganz so uner­kannt bleibt.
Es mag schon sei­ne phi­lo­so­phi­sche Rich­tig­keit haben, daß die wah­ren Aben­teu­er im Kopf sind. Des­halb sind sie auch bloß für Gedan­ken­le­ser nach­voll­zieh­bar. Was Lies­chen Mül­ler und Otto Nor­mal­ver­brau­cher für ein Bild von sich haben, läßt sich nicht so ein­fach fest­stel­len. Die Fra­ge ist ihnen viel­leicht auch gar nicht so wich­tig. Und sie ist es ver­mut­lich tat­säch­lich nicht – für Demo­kra­ten frei­lich ein ket­ze­ri­scher Gedan­ke. Feuil­le­to­nis­ten lösen das metho­di­sche Pro­blem denn auch ganz sou­ve­rän, indem sie für die vox popu­li ein­fach Zita­te ihres Lieb­lings­schrift­stel­lers inter­po­lie­ren. Das nennt sich dann die „kul­tu­ra­lis­ti­sche Wen­de“. Wohl bekomm’s.

Mit all die­sen Vor­be­mer­kun­gen wol­len wir uns in gebo­te­ner Kür­ze dem Anlaß­fall zuwen­den. Wie halten’s die Öster­rei­cher mit ihrer Iden­ti­tät. Sel­bi­ge läßt sich leicht beschrei­ben: Eine pro­spe­rie­ren­de „Duo­dez­re­pu­blik“ mit über­wie­gend deut­scher Mut­ter­spra­che. (Noch deut­scher ist da nur Liech­ten­stein, weil dort nur Brief­käs­ten ein­wan­dern dür­fen.) Für die Fra­ge hin­ge­gen, was die Öster­rei­cher denn ger­ne sein wol­len, lie­fert die Ver­gan­gen­heit einen rei­chen Fun­dus an Requi­si­ten. Der Begriff Öster­reich kann ja sehr vie­les hei­ßen. Das ist Pro­blem und Chan­ce zugleich. Öster­reich, das waren ursprüng­lich bloß die bei­den Her­zog­tü­mer an der Donau; als Casa d’Austria dann das ers­te eini­ger­ma­ßen glo­ba­le Impe­ri­um; als Reichs­ober­haupt wie­der­um Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkt für „teut­schen“ Patrio­tis­mus; als Donau­mon­ar­chie ein „Völ­ker­ker­ker“ und „Klein-Euro­pa“ (gewünsch­tes bit­te ankreu­zen); dazu ein Boll­werk gegen die Tür­ken, das de fac­to viel öfter gegen den Aller­christ­lichs­ten König focht. All die­se Ver­satz­stü­cke las­sen sich bei Gele­gen­heit in die Debat­te wer­fen. Sie haben gewis­se welt­an­schau­lich-par­tei­po­li­ti­sche Ver­or­tun­gen, die aber nicht gegen alle Anfech­tun­gen gefeit sind. So warb Krei­sky im Wahl­kampf unter einem Bild Franz Josephs, und Hai­der dekre­tier­te das Ende der Deutschtümelei.
Irgend­wo stößt man dann auch auf den Begriff der „öster­rei­chi­schen Nati­on“, den Hai­der in bes­se­ren Tagen ein­mal als ideo­lo­gi­sche Miß­ge­burt bezeich­net hat. Deren Fans waren in ers­ter Linie die Sor­te von Leu­ten, die in der BRD von der Nati­on nichts mehr hören woll­ten, weil sie doch aus der Geschich­te gelernt hat­ten. Ein Kol­le­ge mein­te ein­mal, mehr oder weni­ger ernst­haft, und mit mehr oder weni­ger Anklän­gen an Musils Mann ohne Eigen­schaf­ten, sie sei unser Bei­trag zum Welt­bür­ger­tum. Vie­len wur­de die Freu­de an ihr dann auch ver­gällt, als Hai­der „Öster­reich zuerst“ skan­die­ren ließ. Seit­her hört man wie­der öfter, daß alle Natio­nen doch bloß „ein­ge­bil­de­te Gemein­schaf­ten“ sind und hält sich an Euro­pa, das bekannt­lich von gänz­lich unein­ge­bil­de­ten Leu­ten regiert wird.
Die List der Geschich­te hat es frei­lich gefügt, daß der geschmäck­le­ri­sche Son­der­weg, auf den Öster­reich 1945 geschickt wur­de, mit­un­ter ganz bekömm­li­che Resul­ta­te zei­tigt. Nicht mehr deutsch sein zu wol­len, moch­te per­fid sein, aber es immu­ni­sier­te bis zu einem gewis­sen Grad auch gegen die Exzes­se der „Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung“. Zwar wird die Geschich­te auch hier­zu­lan­de immer wie­der ver­ge­wal­tigt, aber sie nimmt es uns nicht übel: Unser Ver­hält­nis zu ihr ist posi­ti­ver und unbe­fan­ge­ner – und zugleich auch par­ti­el­ler. Es gibt kein gutes Wei­mar, auf das Sozia­lis­ten, Katho­li­ken und Libe­ra­le sich alle bezie­hen kön­nen: Einen Bür­ger­krieg brach­ten wir schon zustan­de, als die Nazis noch Gewehr bei Fuß stan­den. Auch das Ver­hält­nis zur Mon­ar­chie ist zwie­späl­tig. Ihr Image schwankt zwi­schen ver­kitscht und ver­trot­telt – „Selbst­in­fan­ti­li­sie­rung“ hat das ein­mal jemand genannt – aber wehe den Ungarn oder Ita­lie­nern, die sich da nicht pflicht­schul­digst wohl­fühl­ten… Jetzt pil­gern sie ja doch alle wie­der nach Schön­brunn. Wir waren eben auch ein­mal Welt­macht, und dar­um ertei­len wir den jet­zi­gen immer noch gern Lektionen.
Fazit: Der deut­sche Klein­staat führt sich ab und zu auf, als wäre er weder deutsch noch Klein­staat. Das ist intel­lek­tu­ell befruch­tend oder irri­tie­rend, je nach Lau­ne. Aber die Auf­füh­rung ist im schau­spie­le­ri­schen Sinn zu ver­ste­hen. The­re is no busi­ness like show busi­ness. Es steht nicht zu befürch­ten, daß unse­re Ski­trup­pen in einem Anfall von Grö­ßen­wahn in Kali­for­ni­en ein­mar­schie­ren, um die Erb­mon­ar­chie der Schwar­zen­eg­gers zu pro­kla­mie­ren, und nur sehr welt­frem­de öster­rei­chi­sche Minis­ter füh­len sich bemü­ßigt, bei Vor­trä­gen in Mün­chen Eng­lisch zu spre­chen. Wie Nes­troy schrieb: „S’ist alles Chi­mä­re, aber mich unterhalt’s.“

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